Q, W und X

Zwischen Türkei, PKK und Irakisch-Kurdistan herrscht ein komplizierter Dreieckskonflikt

In der türkischen Presse wie auch auf kurdischen Webseiten überschlagen sich derzeit die Gerüchte hinsichtlich der Aktivitäten des Präsidenten der Region Irakisch-Kurdistan, Masud BArzani.

In der türkischen Presse wie auch auf kurdischen Webseiten überschlagen sich derzeit die Gerüchte hinsichtlich der Aktivitäten des Präsidenten der Region Irakisch-Kurdistan, Masud Barzani. Mal wurde er von seinem eigenen Wachmann angeschossen und lässt sich nun - selbstverständlich in Israel - medizinisch behandeln. Dann wieder tourt er durch Europa, um Regierungen zu finden, die hochrangige Kader der PKK, die sich derzeit im irakischen Kurdistan aufhalten, aufnehmen würden. In einigen Versionen fliegt er diese Kader sogar höchstpersönlich über Incerlik aus. Auch ansonsten herrscht Verwirrung, was die Motive der am aktuellen Konflikt "Türkei versus Kurdistan-Irak" beteiligten Parteien anbelangt.
Über die PKK wird derzeit gerne geschrieben, sie versuche sich mit ihren aktuellen Angriffen gegen türkische Soldaten aus der Bedeutungslosigkeit herauszubomben. Dabei wird übersehen, dass ein Großteil der Partei noch immer dem Kommando Öcalans gehorcht. Dieser wird aber als vermutlich bestbewachter Gefangener der Türkei kaum Direktiven an die Partei herausgeben können, die von Seiten der türkischen Militärführung missbilligt werden. Letztere hat durchaus ein Interesse daran, dass die PKK auch in Zukunft mit Waffengewalt gegen den türkischen Staat vorgeht. Denn so lange der so genannte Kurdenkonflikt militärisch ausgetragen wird, ist ein EU-Beitritt, der notwendig auch mit einer Entmachtung des Militärs einherginge, utopisch.
Vor diesem Hintergrund stellen die in das irakisch-kurdische Kandilgebirge zurückgezogenen PKK-KämpferInnen ein gut instrumentalisierbares Bedrohungspotential dar - und ein willkommenes Alibi, die autonome kurdische Region zu destabilisieren. Denn worst case in den Augen der Militärs wäre die Eigenstaatlichkeit Irakisch-Kurdistans mit einer Hauptstadt Kirkuk, die aufgrund ihres Ölreichtums auch das wirtschaftliche Überleben eines solchen Staates sichern könnte. Danach sieht es derzeit aber nicht aus: das Referendum zur Zukunft Kirkuks, das laut irakischer Verfassung spätestens am 31. Dezember 2007 durchgeführt werden soll, kann entgegen dem Drängen irakisch-kurdischer Politiker nicht rechtzeitig umgesetzt werden. Dies allerdings ist weniger türkischen Drohgebärden, als vielmehr dem Widerstand der Zentralregierung in Bagdad geschuldet.
Im irakischen Kurdistan selbst wird eine mögliche Militäroffensive der Türkei, die über das übliche Eindringen in die unmittelbare Grenzregion hinausgeht, mit einer gewissen Gelassenheit betrachtet. Demonstrationen gegen einen Einmarsch waren bislang nur mäßig besucht. Andererseits ließen sich rund 3.000 Freiwillige registrieren, die bereit sind, gegen die türkische Armee zu kämpfen. Außerdem hat die kurdische Regionalregierung 30.000 Soldaten an strategisch wichtige Grenzpunkte entsandt. Gleichzeitig lehnt sie eine Kooperation mit der Türkei und gegen die PKK entschieden ab. So erklärte Masud Barzani, Präsident der kurdischen Region und Vorsitzender der KDP, dem arabischen Nachrichtensender Al-Jazira, man werde nicht einen einzigen Kurden an die Türkei ausliefern.
Diese Solidarität ist alles andere als selbstverständlich. Noch Anfang der 1990er Jahre waren PKK und Peschmerga der KDP in heftige Kämpfe verwickelt, bei denen zahlreiche irakisch-kurdische Dörfer zerstört wurden. Erst Mitte der 1990er Jahre gewann die KDP die militärische Oberhand, die PKK zog sich ins Kandilgebirge zurück und wird seither dort geduldet. Die KDP weiß aus eigener Erfahrung, dass sie deren mobile Kleingruppen in dem unwegsamen, bergigen Gelände nicht besiegen kann. Im Übrigen, so Barzani, müsse die Türkei ihr Kurdenproblem im eigenen Land lösen - sprich Verhandlungen mit der PKK aufnehmen.
Verhandlungen mit der PKK fänden aber nur unter der Voraussetzung statt, dass diese die Waffen niederlegt und ihre Maximalforderung, die Freilassung Öcalans, aufgibt. Es ist durchaus vorstellbar, dass die regierende AKP unter diesen Bedingungen bereit wäre, eine umfassende Amnestie ins Auge zu fassen. Unter ihrer Regierung und im Zuge der Beitrittsverhandlungen zur EU, die die AKP intensiv betrieben hat, konnten in der kurdischen Frage weit größere Erfolge erzielt werden als in den Jahren zuvor. Dass von Seiten der AKP - im Gegensatz zur kemalistischen CHP und zur ultranationalistischen MHP - keine ideologischen Berührungsängste gegenüber den Kurden bestehen, hat diesen Prozess erheblich erleichtert. Bei den letzten Parlamentswahlen hat ihre kurdenfreundliche Politik der AKP eine erhebliche Stimmenzahl in der kurdischen Bevölkerung verschafft. Kurdische NationalistInnen in Diyarbakir sagen offen, dass sie die AKP gewählt haben, nicht die als PKK-nah geltende kurdische DTP, und begründen dies mit der Kooperation zwischen Öcalan und der türkischen Militärführung. Zudem wird immer wieder die Sozialpolitik der AKP hervorgehoben, etwa die Einführung einer staatlichen Mindestrente für alle.
Zu beobachten ist allerdings auch eine verblüffende Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen. Während die AKP in Ankara an einem Verfassungsentwurf arbeitet, der - endlich - die nur im Kurdischen, nicht aber im Türkischen verwendeten Buchstaben q, w und x legalisieren soll, klagt die Staatsanwaltschaft gegen einen Bürgermeister in Diyarbakir, weil er auf einer kurdischsprachigen Neujahrskarte auf eben jene Buchstaben nicht verzichten wollte. Buchstaben, die nach Meinung der Staatsanwälte die Einheit des Landes gefährden.
Derweil hat Präsident Recep Tayyip Erdogan sich geschickt aus der Affäre gezogen, was einen Einmarsch in den Irak anbelangt. Das Parlament habe seine Aufgabe erfüllt, nun sei es an den Militärs zu entscheiden, ob, wann und wie sie in den Irak einmarschieren. Dieser Freibrief wird nun keineswegs für einen groß angelegten Angriff genutzt - vielmehr schickt die Armeeführung immer wieder kleine Stoßtrupps in den Irak, die mit US-amerikanischen Informationen versehen gezielt Lager der PKK angreifen. Diese Strategie verfolgt das Militär bereits seit den 1990er Jahren, ohne nennenswerten Erfolg. Auch dieses Mal ist nicht davon auszugehen, dass das türkische Militär die PKK im Kandilgebirge besiegen wird - gelingt dies doch nicht einmal mit den PKK-Kämpfern im eigenen Land. Allerdings wird sich die PKK mit den irakischen Kurden arrangieren müssen. Öffentliche Anklagen wie diejenige, die KDP führe einen "Bruderkrieg" gegen die PKK, sind da wenig hilfreich. Zudem zeugen sie vor allem von einem: der Macht türkischer Propaganda innerhalb der PKK.

Eva Savelsberg und Siamend Hajo sind wissenschaftliche MitarbeiterInnen des Europäischen Zentrums für kurdische Studien in Berlin.