Zwangsarbeit vor Gericht

Die deutsche Abwehr von Entschädigungsansprüchen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter/innen

Manche Entschädigungsdiskussionen scheinen vergleichsweise einfach zu sein. "Bedürftige Opfer des SED-Regimes sollen eine Pension erhalten", meldete im Januar 2007 der Berliner Tagesspiegel.

Die Große Koalition hat sich auf ein entsprechendes Gesetz geeinigt. Danach soll, "wer in der DDR als politisch Verfolgter mindestens sechs Monate eingesperrt war", einen Anspruch auf monatlich 250 Euro erhalten. Der Unterschied zur Diskussion um die Entschädigung von ehemaligen NS-Zwangsarbeiter/innen ist frappant. Was der bundesrepublikanischen Politik im Umgang mit der DDR anscheinend so leicht von der Hand geht, hat sie im Umgang mit den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus jahrzehntelang verweigert. Dies gelang nicht zuletzt aufgrund personeller Kontinuitäten in der deutschen Justiz. Die Entschädigungsansprüche ehemaliger NS-Zwangsarbeiter/innen wurden jahrzehntelang durch Gerichte abgewiesen, denen abermals ehemalige Nationalsozialisten vorsaßen. Erst im Jahr 2001 gab es endlich Auszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter/innen - ohne damit jedoch ihre Rechtsansprüche anzuerkennen. Als "Geste der Versöhnung" sollten sie schlicht den aussichtsreichen Sammelklagen in den USA zuvorkommen.

Das sichtbare Verbrechen

Die Ausbeutung der Zwangsarbeiter/innen vollzog sich keineswegs nur hinter den Stacheldrahtzäunen der Konzentrationslager, sie war, ganz im Gegenteil, im Alltag der Deutschen präsent wie kaum ein anderes Verbrechen des Nationalsozialismus.1 In Berlin waren bei einer Einwohnerzahl von 2,8 Mio. etwa 400.000 Zwangsarbeiter/innen im Einsatz.2 Spätestens nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion gehörte die "Vernichtung durch Arbeit" der zeitweilig insgesamt acht Millionen Zwangsarbeiter/innen zum sichtbaren Alltag der Deutschen. Zur Gruppe der Zwangsarbeiter/innen gehörten zum einen etwa sechs Millionen ausländische Zivilarbeiter/innen ("Fremdarbeiter"), die im Rahmen des "Ausländereinsatzes" zur Arbeit nach Deutschland verschleppt und hier industriellen und landwirtschaftlichen Betrieben sowie Privathaushalten zugeteilt wurden.3 Die Hälfte von ihnen wurde aus Polen und Russland verschleppt ("Ostarbeiter").4 Zum anderen wurden auch KZ-Häftlinge von Gestapo und SS zur staatlichen Rüstungsproduktion gezwungen sowie an Privatpersonen und Betriebe vermietet, etwa an das IG-Farben-Werk Buna. Abgerechnet wurde nach Arbeitsstunden. So zahlte beispielsweise die Deutsche Bank für die Beseitigung von Bombentrümmern von ihrer Leipziger Filiale im August 1944 4000 Reichsmark "für 6650 Arbeitsstunden" an die Gestapo.5 Bei den Nürnberger Prozessen 1946/47 bildete die "Politik der Zwangsarbeit" einen der zentralen Anklagepunkte gegen Verantwortliche des NS-Regimes. Das Gericht verglich diese Politik mit den "schwärzesten Zeiten des Sklavenhandels".6 In der deutschen Gesellschaft machte sich dagegen schnell Schweigen breit. Im Rahmen der ohnehin nur zaghaften Auseinandersetzung der deutschen Öffentlichkeit mit dem Nationalsozialismus spielten gerade die Verbrechen an den Zwangsarbeiter/innen, die für die Deutschen so allgegenwärtig und sichtbar gewesen waren, kaum eine Rolle. Allein einige ostdeutsche Historiker schenkten dem Thema etwas akademische Aufmerksamkeit auf ihrer steten Suche nach Beweisen für die These, dass der Faschismus eine Folge des Kapitalismus sei.

Ausschluss aus dem Bundesentschädigungsgesetz

Als 1956 das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) verabschiedet wurde, blieben die Zwangsarbeiter/innen unberücksichtigt. Das BEG erfasste nur Schäden, die im früheren Reichsgebiet entstanden waren an Personen, die zum Stichtag, dem 1. Oktober 1953, ihren Wohnsitz in Deutschland hatten. Das Gesetz beschränkte sich auf die Entschädigung von so genanntem "spezifischem NS-Unrecht", wie es in § 1 Abs. 1 BEG definiert wurde: Schäden, die "aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen" erlitten wurden. Im Hinblick auf Zwangsarbeiter/innen erkannte die deutsche Justiz in dieser Definition sofort eine Schwäche: Die Millionen von Menschen, die aus Osteuropa und Russland zur Zwangsarbeit ins "Reich" deportiert worden waren, seien nicht aus "rassischen" Gründen zur Zwangsarbeit verpflichtet worden, sondern "nur" als Angehörige einer Nation, wie etwa Polen. Also seien sie keine NS-Verfolgten, sondern "Nationalgeschädigte". Sie wurden vom Gesetzgeber erst später im BEG-Schlussgesetz berücksichtigt, allerdings auch hier nur unter der Voraussetzung, dass sie am 1. Oktober 1953 staatenlos oder Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention gewesen waren. Schon diese Voraussetzung erfüllten die wenigsten der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen. Zur zusätzlichen Einschränkung forderte die Rechtsprechung noch, dass der "wesentliche Grund" für die Zwangsarbeit in der Nationalität des Opfers gelegen haben müsse7 - dies sollte nicht der Fall sein, wenn etwa der Mangel an Arbeitskräften im Vordergrund gestanden habe,8 was für die Kriegszeit kaum zu widerlegen war.9 Durch diese Interpretationsleistungen fielen ausländische Zwangsarbeiter/innen beinahe sämtlich aus dem Anwendungsbereich des BEG heraus. Da das Gesetz laut § 8 Abs.1 BEG für die geregelten Tatbestände eine abschließende Regelung darstellte, waren damit ausdrücklich alle anderen Ansprüche gegen die öffentliche Hand ab diesem Zeitpunkt gesperrt.

Die wundersame Verjährung

Den überlebenden Zwangsarbeiter/innen blieb formal immerhin noch die Möglichkeit, gegen Privatpersonen und Firmen zu klagen. So versuchten dann auch Einzelne, vor Gericht Ansprüche auf Entlohnung und Schmerzensgeld gegen die beteiligten Unternehmen durchzusetzen. Abgesehen von dem spektakulären "Wollheim-Prozess", bei dem ein ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die IG Farben klagte und schließlich einen Vergleich erreichte,10 wiesen die Gerichte diese Ansprüche jedoch schon bald als verjährt ab. Der Bundesgerichtshof (BGH) fand hierfür eine besonders originelle Begründung: Das Gericht stellte für Lohn- und Bereicherungsansprüche auf die kurze Verjährungsfrist des § 196 I Nr. 9 BGB ab - eine Vorschrift, die eigentlich für Geschäfte des täglichen Lebens gedacht ist.11 Es sei nämlich unbeachtlich, ob es sich im Einzelfall um ein "solches Geschäft des täglichen Lebens von unbedeutendem Umfange handelt. (...) Jede (...) Auslegung, die auf die Sonderumstände des Falls abstellt, würde zu weitgehender Rechtsunsicherheit führen, die im Wirtschaftsleben kaum erträglich wäre."12 Um diesen Akt der Rechtsfortbildung zusätzlich zu rechtfertigen, verwies der BGH auf angebliche Beweisprobleme in der jungen Bundesrepublik. Das Erinnerungsvermögen der Zeug/innen, die die Zwangsarbeit vor Gericht bestätigen müssten, sei, so der BGH im Jahr 1967, "nach so langer Zeit stark beeinträchtigt."13 Deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen wurde schließlich noch die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 I BGB entgegen gehalten, ohne dass die Zivilgerichte jemals eine Hemmung dieser Verjährung erwogen.14

Schuldenmoratorium für die BRD

Der BGH spielte auch bei der Umsetzung des Londoner Schuldenabkommens (LSA), das die Bundesrepublik im Jahr 1953 mit 21 Staaten schloss, eine bemerkenswerte Rolle. Das Abkommen stellte ein weites Entgegenkommen vieler kriegsgeschädigter Staaten gegenüber der Bundesrepublik dar: Es sah einen Schuldennachlass für die Bundesrepublik vor und stellte die Frage der Reparationen bis zum Abschluss eines förmlichen Friedensvertrages ("Schuldenmoratorium") zurück. Der BGH interpretierte die Regelungen des LSA nicht nur als vorläufigen einseitigen Verzicht der Alliierten, ihre Forderungen durchzusetzen, sondern als regelrechtes Zahlungsverbot.15 Als deutlich wurde, dass ausländische Opfer deswegen keinerlei Entschädigung mehr erhalten sollten, intervenierten die westeuropäischen Staaten jedoch massiv und erreichten elf so genannte "Globalabkommen" zwischen der Bundesrepublik und verschiedenen europäischen Staaten, die ein Gesamtvolumen von 876 Mio. DM umfassten.16 Die Bundesrepublik betonte, dass dieses Geld ohne Rechtspflicht gezahlt werde17 und nur für Verfolgte im Sinne des § 1 Abs. 1 BEG gedacht sei - also ausdrücklich nicht für die große Zahl von Zwangsarbeiter/innen. Die Verteilung des Geldes oblag jedoch den Ländern selbst, so dass im Ausland lebende ehemalige Zwangsarbeiter/innen auf diesem indirekten Wege erstmals Entschädigungszahlungen erhalten konnten. Der BGH wies Forderungen von ausländischen Zwangsarbeiter/innen nunmehr unter Hinweis auf das Schuldenmoratorium des LSA als "zur Zeit unbegründet" ab.18 Dabei wurde das Abkommen entgegen dem völkergewohnheitsrechtlichen Verbot des Vertrags zulasten Dritter (später kodifiziert in Art. 35 Wiener Vertragsabkommen) auch Angehörigen von Nichtsignatarstaaten, etwa Polen, entgegengehalten, mit der Begründung, das LSA sei durch seine deutsche Ratifizierung jedenfalls zu innerstaatlichem deutschem Recht geworden.19

Die Sperrung privater Klagen

Als völkerrechtliches Abkommen zwischen Staaten betraf das Schuldenmoratorium des LSA lediglich die Ansprüche gegen den deutschen Staat. Skandalöserweise wandte der BGH jedoch das Schuldenmoratorium des LSA auch auf Forderungen gegen Unternehmen der deutschen Privatwirtschaft an. Entgegen der geschichtlichen Tatsache, dass die Unternehmen die Zwangsarbeiter/innen selbst angefordert und auf deren Lebensverhältnisse wesentlichen Einfluss gehabt hatten,20 behauptete das oberste deutsche Gericht in Zivilsachen, dass Firmen wie die IG Farben "im Auftrage des Reiches" gehandelt und keinerlei Entscheidungsfreiheit gegenüber den Anordnungen des Deutschen Reiches gehabt hätten.21 Eine ähnlich beeindruckende juristische Argumentationsleistung zeigte im Jahr 1961 das Bundesfinanzministerium, das dem BGH mit einem weiteren Argument gegen die Entschädigung von Zwangsarbeiter/innen zur Seite sprang. Das LSA sollte laut Präambel "einen Beitrag zur Entwicklung einer blühenden Völkergemeinschaft Â… leisten", indem Deutschlands begrenzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt und dadurch eine gute wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht wurde. Würde man nun die Forderungen der Zwangsarbeiter/innen gelten lassen, so würden die Unternehmen vermutlich so stark belastet, dass ein Steuerausfall entstünde und somit der deutsche Staat, mithin die "blühende Völkergemeinschaft" geschädigt würde.22

Abwehr mit wiedervereinter Kraft

Als 1990 der so genannte Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den vier alliierten Mächten und den zwei deutschen Staaten unterzeichnet wurde, änderte sich die Situation. Der Vertrag galt als Friedensvertrag, so dass das Schuldenmoratorium des LSA nun wegfiel. Damit öffnete sich die vom LSA 37 Jahre lang verschlossene Tür für individuelle Ansprüche ausländischer Zwangsarbeiter/innen.23 Für kollektive Lösungen, die den wenigen noch überlebenden Opfern in Osteuropa den Klageweg in Deutschland erspart hätten, blieb die Tür jedoch weiterhin fest verschlossen. Als der damalige polnische Ministerpräsident Mazowiecki die Entschädigung polnischer Zwangsarbeiter/innen als politisches Thema zur Sprache brachte, blockte sein deutscher Widerpart Helmut Kohl schnell ab: "Zu bedenken sei", so wird der Bundeskanzler in einem Wortprotokoll zitiert, "dass die Bundesrepublik bis Ende des Jahres rund 100 Milliarden Mark an Wiedergutmachungszahlungen geleistet haben werde." Unerwähnt blieb, dass hiervon 80 Milliarden DM nach dem Bundesentschädigungsgesetz gezahlt worden und somit allein ins Inland geflossen waren.24 Ausländische Zwangsarbeiter/innen hatten von den verbleibenden 20 Milliarden DM, wie bereits erwähnt, allenfalls auf indirektem Wege über die "Globalabkommen" einen geringen Anteil erhalten - und osteuropäische Staaten waren hiervon gänzlich ausgeschlossen gewesen.

Die Rechtsprechung in den 90er Jahren

In der Folge gab es in den 90er Jahren mehrere individuell geführte Prozesse ehemaliger Zwangsarbeiter/innen vor deutschen Gerichten, sowohl gegen Unternehmen als auch gegen die Bundesrepublik. Bereits mit der rechtlichen Vorfrage, ob in diesem Falle das Völkerrecht nicht individuellen Entschädigungsklagen entgegenstehen würde, mussten die ehemaligen Zwangsarbeiter/innen bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen. Das BVerfG stellte erst 1996 klar, dass zwischenstaatliche Reparationsansprüche und individuelle Entschädigungsansprüche parallel zueinander bestehen können.25 Hiernach verurteilten einige deutsche Gerichte tatsächlich die öffentliche Hand und einzelne Unternehmen zu Schadensersatzzahlungen an Individuen. Als Entschädigungssumme setzte das Landgericht Bonn eine Vergütung fest, die üblicherweise für die zwangsweise geleistete Arbeit zu zahlen gewesen wäre. Im Jahr 1997 verurteilte es etwa die Firma Weichsel Metall Union KG zur Zahlung von 15.000 DM "Lohn" an eine ehemalige polnische Zwangsarbeiterin, die in Auschwitz 55 Wochen lang in deren Rüstungsproduktion gearbeitet hatte.26 Das LG Bremen sprach einer Klägerin 5000 DM Schmerzensgeld zu, die von Auschwitz zur Zwangsarbeit in einen Bremer Betrieb verschleppt worden war und dort zehn Monate lang unter haftähnlichen Bedingungen gearbeitet hatte.27

Sammelklagen vor US-Gerichten

Für ehemalige Zwangsarbeiter/innen, die vom Ausland aus vor deutschen Gerichten klagen wollten, bedeutete das Beschreiten des Klageweges in Deutschland einen hohen Aufwand. Demgegenüber bot das US-amerikanische Prozessrecht mit der Sammelklage (class action) eine entscheidende Erleichterung. Nach diesem Rechtsinstitut können einzelne Geschädigte (named plaintiffs) abschließend für eine ganze Gruppe (class) klagen, ohne dass jedes einzelne Mitglied der Gruppe vorher seine Zustimmung geben muss. Dennoch profitieren alle Mitglieder der class von einem einzelnen Urteil, sofern sie nicht vorher ihre Bindung an den Verfahrensausgang durch Nachricht an das Gericht ausgeschlossen haben (opt out).28 Zwar waren Klagen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter/innen gegen die Bundesrepublik aufgrund der völkerrechtlichen Staatenimmunität nicht zulässig, Klagen gegen Unternehmen der deutschen Privatwirtschaft waren aber vor US-amerikanischen Gerichten durchaus möglich. Für diese Klagen war auch die Zuständigkeit dieser Gerichte gegeben; hierfür genügt nach amerikanischem Recht die Geschäftstätigkeit der beklagten Unternehmen im Bezirk des angerufenen Gerichts. Anfang September 1998 erhoben ehemalige europäische Zwangsarbeiter/innen vor Gerichten in New York und New Jersey Klage gegen Siemens, Krupp, Diehl, Henkel, BMW, Daimler-Benz, VW, Audi, Leica, Degussa und MAN.

Deutsche Unternehmen entdecken "Erinnerung"

Plötzlich standen deutsche Unternehmen damit in einer Weise unter Druck, die ihnen die heimische Justiz in den vergangenen 50 Jahren konsequent erspart hatte. Einen möglichen Ausweg sahen sie in der act of state doctrine, derzufolge US-amerikanische Gerichte ausländische Hoheitsakte ohne inhaltliche Nachprüfung anerkennen müssen. Falls es also gelänge, der class action durch einen deutschen Hoheitsakt, also mit einem Gesetz in derselben Sache, zuvorzukommen, wären die Sammelklagen vor US-amerikanischen Gerichten möglicherweise gesperrt. Nun ging es auf einmal ganz schnell: Knapp zwei Monate nach den ersten class actions verkündete die Bundesregierung, sie wolle "gemeinsam mit deutschen Industrieunternehmen eine Stiftung schaffen, die künftig an ehemalige Zwangsarbeiter Entschädigung zahlen" solle. Zwölf der größten deutschen Konzerne begannen eine "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft". Es handelte sich um die Allianz, BASF, Bayer, BMW, DaimlerChrysler, die Deutsche Bank, Degussa-Hüls, die Dresdner Bank, Thyssen-Krupp, Hoechst, Siemens und Volkswagen. Der Stiftung schlossen sich über 6500 weitere, ebenso "traditionsreiche" deutsche Betriebe an, hinzu kamen fast 9000 Privatpersonen z.B. aus der Landwirtschaft. In der Präambel der Satzung bestritten die Unternehmen jegliche Rechtsansprüche von Zwangsarbeiter/innen. Sie entdeckten nun aber "eine moralische Verantwortung insbesondere dort, wo Zwangsarbeit unter besonders erschwerten Bedingungen geleistet werden musste oder wo Unternehmen an der Diskriminierung von Menschen mitwirkten, die aus rassischen Gründen vom NS-Regime verfolgt wurden." Sie erklärten die Stiftung zu einer "Geste der Versöhnung", deren "unabdingbare Voraussetzung" allerdings sei, "dass für die Unternehmen umfassende und dauerhafte Rechtssicherheit geschaffen ist, d.h. dass sie vor gerichtlicher Inanspruchnahme geschützt sind. In diesem Sinne soll die Stiftung den Rechtsfrieden fördern." Die Botschaft in Richtung New Jersey und New York hätte kaum klarer sein können: Ohne Euren Verzicht auf alle Ansprüche gibt es mit uns keine Versöhnung. Der Entschädigungsfonds von Regierung und Wirtschaft Nach mehrmonatigen Verhandlungen mit den Vertreter/innen der Opfer verkündete die Bundesregierung dann am 14. Dezember 1999 die Gründung eines Entschädigungsfonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter/innen in Höhe von 10 Mrd. DM, die von Staat und Industrie zu gleichen Teilen aufgebracht würden. Die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" wurde im August 2000 durch Bundesgesetz errichtet.29 Unmittelbar vorher hatte die Bundesregierung ein Abkommen mit den USA über die Stiftung geschlossen, in dem weitergehende Ansprüche gegen deutsche Unternehmen ausgeschlossen wurden. Die Mindestbeteiligung am Fonds für einzelne Unternehmen lag bei 500.000 DM, Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Mrd. DM und einer Bilanzsumme von mehr als 300 Mrd. hatten mit 100 Mio. DM die höchsten Beiträge zu dem Fonds zu leisten. Die Belastungen für einzelne Unternehmen lagen damit in allen Fällen zwischen 1 und 2,5 Promille des Jahresumsatzes.30 Die Zahlungen an die Stiftung waren zudem steuerlich absetzbar, sodass der Bund de facto auch hiervon einen Teil übernahm. Im Ergebnis stellte die Summe von 10 Mrd. DM weniger einen Ausdruck von übernommener "Verantwortung" als vor allem ein gutes Geschäft für die deutsche Industrie dar: Ihre Gewinne aus Nicht- oder Niedrigentlohnung für Zwangsarbeit beliefen sich auf geschätzte 16 Mrd. RM, was im Jahr 2000 nach dem RM:DM-Umrechnungskurs der Deutschen Bundesbank einer Summe von etwa 96 Mrd. DM entsprach.31 Auch das viel gepriesene deutsche Wirtschaftswunder basierte nicht zuletzt auf dem Umstand, dass Millionen von Zwangsarbeiter/innen nie eine Entschädigung, geschweige denn einen Lohn erhielten. So konnte etwa Volkswagen nach dem Krieg nur deswegen so problemlos weiterproduzieren, weil KZ-Häftlinge zuvor zur Errichtung unterirdischer Werkshallen gezwungen worden waren, die die Maschinen vor der Bombardierung bewahrten. Durch die Konstruktion des Fonds war die Gesamthöhe der Zahlungen jedenfalls auf 10 Milliarden DM gedeckelt. Eine Garantie, dass alle Leistungsberechtigten auch tatsächlich berücksichtigt werden würden, wurde hingegen nicht gegeben.

Ausschlussfristen und Schlussstriche

Anträge an die Stiftung waren nur in einem kurzen Zeitfenster von 16 Monaten zulässig, das am 31. Dezember 2001 endete. Verschiedene Partnerorganisationen der Stiftung, etwa die IOM (International Organisation for Migration), nahmen die Anträge entgegen, der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes (ISD) half bei der Ermittlung von Beweismaterial. Zwangsarbeiter/innen aus Konzentrationslagern oder Ghettos konnten maximal 15.000 DM (ca. EUR 7.600) erhalten, ins Deutsche Reich Deportierte bis zu 5000 DM (ca. EUR 2.550). Das Stiftungsgesetz sah auch für andere Opfer, insbesondere Zwangsarbeiter/innen im landwirtschaftlichen Bereich, Zahlungen von bis zu je 5000 DM vor. Die Stiftung erklärte, bis Ende 2006 seien an 1,626 Mio. Leistungsberechtigte insgesamt 8,2 Mrd. DM (EUR 4,2 Mrd.) ausgezahlt worden. Obwohl Anträge nur bis zum 31. Dezember 2001 gestellt werden konnten, hatte der ISD noch im Sommer 2005 nicht alle eingereichten Anträge an die Partnerorganisationen der Stiftung übermittelt. Noch im Dezember 2006 bezifferte der ISD die Zahl der bis zuletzt unbearbeitet gebliebenen Anträge mit ca. 200.000. Dass sich darunter auch noch fristgerecht eingereichte Anträge befanden, wollte der ISD nicht ausschließen.32 Eine Prüfung dieser Anträge wird jedoch nicht mehr erfolgen, die Ausschlussfrist nach § 14 des Stiftungsgesetzes kennt keine Ausnahmen. Juristisch stellt der § 14 des Stiftungsgesetzes damit den eigentlichen "Schlussstrich" dar: Mit dem 31. Dezember 2006 sind sämtliche Ansprüche erloschen - sogar solche, die bereits anerkannt wurden.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen

Für Streitfragen über die nach dem Stiftungsgesetz zu gewährenden Leistungen war ein letztes Mal die deutsche Justiz gefragt. An diese wandte sich eine Gruppe von mehr als 100.000 Antragstellern aus Italien, deren Ansprüche die Stiftung ablehnte. Es handelte sich um ehemalige italienische Militärinternierte (IMI), die im Herbst 1943 von der Wehrmacht ins Deutsche Reich verschleppt und zur Arbeit gezwungen worden waren, nachdem sie sich geweigert hatten, nach der Kapitulation ihrer Armee weiter für den italienischen Marionettenteilstaat und gegen die Alliierten zu kämpfen. Den "Internierten" wurde der Schutz als Kriegsgefangene von vornherein verweigert, im Juli 1944 wurden sie in den Zivilstatus überführt. Laut der Gesetzesbegründung des Innenausschusses zu § 11 StiftG sollten zwar "auch Kriegsgefangene, die zwangsweise unter dem NS-Regime in den Zivilstatus überführt worden sind, einen Anspruch nach diesem Gesetz" haben.33 Dennoch hielt ihnen die Stiftung den § 11 Abs. 3 des Stiftungsgesetzes entgegen: "Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung." Dazu holte sie ein Gutachten des Völkerrechtlers Christian Tomuschat ein, das den IMI entgegenhielt, ihr Kriegsgefangenenstatus sei damals nicht rechtswirksam aufgehoben worden.34 Mit dieser gewagten Auslegung des eigenen Regelwerkes musste sich die Stiftung vor keinem Gericht rechtfertigen: Das Stiftungsgesetz sieht als Kontrollinstanz lediglich ein internes Beschwerdesystem vor. In diesem Ausschluss des Rechtsweges sah das angerufene BVerfG keinen Verstoß gegen das Willkürverbot des Grundgesetzes.35 Denn einen schützenswerten Anspruch auf Rechtsschutz könnte nur haben, wer auch eine einklagbare Rechtsposition habe. Die Leistungen der Stiftung seien jedoch gerade nicht einklagbar36 - durchsetzbare Rechtsansprüche der Opfer waren ja schon in der Präambel ausgeschlossen worden. Gegen die Entscheidung des BVerfG ist derzeit eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

Schadlos gehalten

Solange aus Straßburg nicht noch eine grundsätzliche Kritik am Vorgehen deutscher Gerichte kommt, ist die deutsche Entschädigungspolitik gegenüber ehemaligen NS-Zwangsarbeiter/innen damit beendet. Die jahrzehntelange penible Abwehr jeglicher Entschädigungsansprüche durch die deutsche Politik und Justiz hat dafür gesorgt, dass die Möglichkeit zum Erhalt einer zumindest kleinen Entschädigung für die allermeisten ehemaligen Zwangsarbeiter/innen ohnehin zu spät kam. Mit dem Ablauf des Jahres 2006 sind für die verbleibenden Zwangsarbeiter/innen zudem alle Leistungsberechtigungen erloschen. Die Tür für Individualansprüche ist damit wieder geschlossen worden. Jedenfalls die deutsche Wirtschaft kann nun wohl wieder in "Rechtssicherheit" ruhen. Und die deutsche Regierung kann sich der Entschädigung für den Teil der deutschen Vergangenheit zuwenden, der ihr wohl drängender erscheint: der DDR. Nora Markard promoviert in Berlin, Ron Steinke studiert in Hamburg. 1 Arning, Matthias, Späte Abrechnung: Über Zwangsarbeiter, Schlussstriche und Berliner Verständigungen, 2001, 7. 2 Siehe http://www.berlin.de/labo/entschaedigungsbehoerde/dienstleistungen/kst.html (Letzter Abruf aller Websites: 15.3.2007). 3 Arning (Anm.1), 25. 4 Herbert, Ulrich, in: Deutscher Bundestag (Hg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 14. 12. 89, Zur Sache, 113. 5 Frankfurter Rundschau v. 27. 9. 2000. 6 Arning (Anm.1), 10. 7 BGH RzW 1969 S. 519. 8 BGH Urt. v. 28. 1. 1956 - IV ZR 323/55 (zit. n. Frauendorf, Lutz, Probleme der Entschädigung für Zwangsarbeit als öffentlich-rechtliche Ersatzleistung, in: Barwig, Klaus et al. (Hg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, politische und historische Aspekte, 1998); BGH RzW 1965, 571. 9 Herbert, Ulrich, Nicht entschädigungsfähig? Die Wiedergutmachungsansprüche der Ausländer, in: Herbst, Ludolf / Goschler, Constantin, Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, 293-301. 10 Benz, Wolfgang, Der Wollheim-Prozess, in: Herbst / Goschler (Anm.9), 303-326. 11 Schröder, Rainer, Zwangsarbeit: Rechtsgeschichtliche und zivilrechtliche Ansprüche, in: Juristische Ausbildung (Jura) 1994, 118 (125). 12 BGHZ 48, 125, 127ff. 13 BGH Urt. v. 22. 6. 1967 - VII ZR 181/65, zit. n. Schröder (Anm.11), 129. 14 Dazu ausführlich Schröder (Anm.11). 15 BGHZ 18, 22 (27f., 30), 1955. 16 Luxemburg: 18 Mio. DM; Norwegen: 60 Mio; Dänemark: 16 Mio.; Griechenland: 115 Mio.; Niederlande: 125 Mio.; Frankreich: 400 Mio.; Belgien: 80 Mio.; Italien: 40 Mio.; Schweiz: 10 Mio.; Großbritannien: 11 Mio.; Schweden: 1 Mio. DM. 17 Majer, Dietmut, Die Frage der Entschädigung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter in völkerrechtlicher Sicht, in: Archiv des Völkerrechts(AVR) 1991, 1 (19). 18 BGHZ 16, 207 (1955); BGHZ 18, 22 (30) (1955); BGH Urt. v. 26. 2. 1963 - VI ZR 94/61, LM AuslSchAbk Nr. 15, Bl. 1231. 19 BGHZ 18, 22 (26); BGH LM AuslSchAbk Nr. 15, Bl. 1231. 20 Vgl. Herbert, Ulrich, Fremdarbeiter: Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, 1999, 229ff., 273ff. 21 BGH Urt. v. 26. 2. 1963 - VI ZR 94/61, LM AuslSchAbk Nr. 15, Bl. 1231. 22 Gurski, Kriegsforderungen, in: Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters, Januar 1961, 12ff. (14); zit. n. Herbert (Anm.20), 125. 23 LG Bonn, Urt. v. 24. 9. 1997 - 1 O 134/92; OVG Münster, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1998, 2302 (2302f.). 24 Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8. 9. 1998. 25 BVerfG NJW 1996, S. 2717 (2719). 26 LG Bonn Urt. v. 5. 11. 1997 - 1 O 134/92, vgl. Barwig et al.,(Anm.8) 248 (278). 27 LG Bremen Urt. v. 2. 6. 1998 - 1 O 2889/90. 28 Heß, Burkhard, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit vor US-amerikanischen und deutschen Zivilgerichten, Die Aktiengesellschaft 1999, 145-154. 29 BGBl. 2000 I 1263, zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.08.2004 (Erhältlich unter: www.stiftung-evz.de.) 30 Berliner Zeitung v. 9. 12. 1999. 31 Kuczynski, Thomas, Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeit im "Dritten Reich" auf der Basis der damals erzielten zusätzlichen Einnahmen und Gewinne, 1999 - Zeitschrift für die Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 2000, 15ff. 32 Surmann, Rolf, Falsche Schublade, in: konkret Nr.2/2007, 25. 33 BT-Drs. 14/3758 (04.07.2000) (Erhältlich unter: http://dip.bundestag.de/btd/14/037/1403758.pdf), 25. 34 Erhältlich unter: www.berliner-geschichtswerkstatt.de. 35 BVerfG, 28.6.2004 - 2 BvR 1379/01. 36 So auch VG Berlin, 9. 9.2004 - VG 9 A 336.02.