Im militärischen Beurteilungsspielraum

Rubrik Recht Kurz

Die Opfer des NATO-Bombenangriffs auf die serbische Kleinstadt Varvarin bekommen von Deutschland keine Entschädigung.

Der Bundesgerichtshof (BGH) wies am 2. November 2006 die Schadensersatzklage von 35 Opfern und Hinterbliebenen ab. Sie hatten Deutschland auf Schadensersatz verklagt, nachdem am 30. Mai 1999 NATO-Kampfjets die kleine und militärisch nutzlose Brücke des Ortes zerstört und dabei zehn Menschen getötet und 30 weitere zum Teil schwer verletzt hatten (Az. III ZR 190/05).

Der BGH stützt seine Entscheidung auf sein früheres Urteil im so genannten Distomo-Verfahren, wonach Deutschland den Hinterbliebenen des SS-Massakers in dem griechischen Dorf im Jahr 1944 ebenfalls keinen Schadenersatz zahlen muss. Die völkerrechtliche Lage habe sich seit dem Zweiten Weltkrieg in der Frage nicht geändert: Noch heute stünden im Falle von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts etwaige Wiedergutmachungsansprüche "nicht einzelnen geschädigten Personen, sondern nur deren Heimatstaat" zu.

So sahen es bereits auch die Vorinstanzen. Obgleich es im Ergebnis die Klage der Betroffenen zurückwies, erkannte das Oberlandesgericht Köln im Juli 2005 aber immerhin grundsätzlich an, dass Opfer eines Kriegsverbrechens unter deutscher Beteiligung Entschädigungsansprüche nach nationalem Staatshaftungsrecht geltend machen können (vgl. Forum Recht 2006, 141).

Eine derartige, für die deutsche Kriegspolitik folgenschwere Aussage wollte der BGH indes nicht treffen. Die Frage könne "offen gelassen" werden, da im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für Amtspflichtverletzungen deutscher SoldatInnen i.S.d. § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und Artikel 34 Grundgesetz (GG) vorlägen. Zwar habe sich die Bundeswehr durch ihre Tornados an der Luftaufklärung und Luftabwehr der NATO-Bombardements beteiligt, sie habe aber darauf vertrauen dürfen, dass der Angriff auf Varvarin unter Beachtung des Völkerrechts erfolgen würde. Auch dass der Stab der Bundeswehr an der Zielauswahl beteiligt war, würde eine Pflichtverletzung nicht begründen. Dem Militär stünde bei seinen Operationen ein "umfangreicher, gerichtlich nicht nachprüfbarer, Beurteilungsspielraum" zu.

So "bauen sich die Karlsruher Richter ihre eigene militärische Welt", kommentierte Dr. Heinz-Jürgen Schneider, Mitglied des Varvariner Anwaltsteams. In dieser muss Deutschland, das ebenso intensiv den Entschluss zum Überfall auf Jugoslawien herbeiführte wie es sich später militärisch engagierte, für ein gemeinsam zu verantwortendes Völkerrechtsdelikt nicht mithaften. Der blutigen Realität des Kriegsverbrechens in Varvarin will ein solches Urteil aus der Parallelwelt wahrlich nicht gerecht werden.

Infos über: www.nato-tribunal.de/varvarin