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Kommentar

in (15.06.2007)

Ein Kommentar zur RAF Debatte und dem Fehlen der RAF Debatte

Zum dreißigsten Mal jähren sich nun jene Ereignisse,
die in die bundesdeutsche Geschichtsschreibung
als ‚Deutscher Herbst’ eingegangen sind:
Von der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten
Schleyer bis hin zur Entführung der Lufthansamaschine
Landshut. Grund genug also für allerlei mediales
Brimborium.

Den ersten Anlass hierzu boten, sicher unfreiwillig,
die ehemaligen RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt
und Christian Klar. Mohnhaupt stellte den üblichen
Antrag auf vorzeitige Haftentlassung, nachdem die
festgesetzte Mindesthaftzeit verstrichen war: Sie
wurde freigelassen. Klar richtete ein Gnadengesuch
an den Bundespräsidenten: Köhler: Der lehnte ab.
Die Debatte, die hierum entbrannte, verlief strikt
innerhalb der erwartbaren Parameter: Die CSU
hob ihr hässliches Gesicht aus dem Bierdunst der
Stammtische und befriedigte, sekundiert von den
Schmierfinken der Springerpresse, die Wegsperrund
Kerkerphantasie ihrer Klientel. Die CDU wiegte
bedenkenträgerisch den auch nicht gerade hübschen
Kopf. Die üblichen Verdächtigen von Grünen, SPD und
FDP gaben mehr oder weniger authentisch die Verteidiger
von Rechtsstaat und Humanismus - und die
Linkspartei war egal. Langweilige Politfolklore. Selbst
als die Presse Äußerungen Klars ausgrub, mit denen
er aufrief, "die Niederlage der Pläne des Kapitals zu
vollenden" brachte das keinen rechten Pfiff in die
Angelegenheit.

Die eigentlich wichtige Debatte fällt wohl aus
Dabei böte der Deutsche Herbst im Allgemeinen
und die Situation Klars und Mohnhaupts im Besonderen
genug Stoff für wichtige politische Debatten.
Beispielsweise könnte man die Morde der RAF in
ihren geschichtspolitischen Kontext einbetten, und
darüber reden, dass sich diese Entwicklung vor dem
Hintergrund einer bockautoritären westdeutschen
Gesellschaft vollzog, in der Nazi-Funktionäre beinahe
bruchlos ihre Karrieren fortsetzen konnten - der
Nazirichter und spätere CDU-Ministerpräsident Hans
Filbinger verstarb passend dieser Tage.
Es ließe sich darüber reden, welche Ähnlichkeiten
die RAF-Hysterie mit der heutigen Terror-Diskussion
hat, und wie damals schon der Rechtsstaat geschliffen
wurde, von Verteidiger- und Angeklagtenrechten
bis zu grundrechtsfeindliche Ermittlungsmethoden.
Diese Linie führt geradewegs zum 2002 erlassenen
Gesinnungsparagraphen 129a (Bildung terroristischer
Vereinigungen). Es müsste also öffentlich diskutiert
werden, wie diese Gesellschaft mit ihrer Gewaltgeschichte
umgeht - der polizeilich-staatlichen, der
individuellen, der politischen, der kriegerischen.
Und die RAF-Debatte müsste Anlass sein, darüber zu
reflektieren, wie inhuman ein Strafrecht ist, durch
das Menschen kontrolliert, überwacht, genötigt,
erpresst und eingeschlossen werden. Denn dass Menschen
über zwanzig Jahre ihres Lebens völlig sinnlos
in Gefängnissen verbringen müssen, ist in Deutschland
eine 1800fache Realität. Was wir also brauchen,
ist eine Debatte über die Vergangenheit und Gegenwart
eines Staates, der immer mehr überwacht,
wegsperrt und bestraft, ohne die dazugehörigen politischen
und sozialen Hintergründe zu thematisieren.
Aber diese Debatte fällt wohl aus.