Neuer Gendertest: Hauptsache geplant?

Die Kölner Biotech Firma PlasmaGen hat seit Dezember 2006 ein umstrittenes Verfahren im Angebot: Ab der achten Schwangerschaftswoche kann ein Bluttest das Geschlecht des Ungeborenen bestimmen. Was nützt der Anwenderin die frühe Gewissheit, was sind die Folgen?

Es gibt sie zwar immer noch, die zufälligen Schwangerschaften, die nicht geplant und manchmal auch nicht gewollt sind. Insgesamt stehen moderne Mutter- und Elternschaft aber unter einem anderen Stern. Beides ist Gegenstand privater Planung, individueller Entscheidung und öffentlicher wie medizinischer Sorge geworden. Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, sind Zufälle unerwünscht. Der Zeitpunkt fürs Kinderkriegen ist auf berufliche Bedingungen abgestimmt oder knapp vor der medizinisch definierten Gefahrenzone nach dem 35. Lebensjahr der Frauen gewählt. Flächendeckend ist die pränatale Suche nach gesundheitlichen Risiken und Behinderungen. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen gesundheitlicher Fürsorge und pränataler Auswahl zusehends. Als verantwortungsbewusst gilt - sich selbst, den zukünftigen Kindern und der Gesellschaft gegenüber - wer Angebote wahrnimmt, um vorgeburtlich Mängel aufzudecken. Kinder mit diesen Mängeln zu vermeiden, wird dann als Zugewinn an individueller Freiheit und als nachvollziehbare Chance wahrgenommen.Und nach der Geburt? Da darf die Früherkennung nicht verpasst werden. Das Korrigieren kleiner Fehler ist selbstverständlich. Bei Abweichungen im Verhalten von Kindern oder gescheiterten Erziehungsversuchen sollen auch Mittel aus der Apotheke helfen.(1) Und natürlich werden die positiven Talente in Sport, Musik oder frühkindlichem Fremdsprachenunterricht gefördert - das Kind soll die besten Startchancen haben in einer leistungsbezogenen Gesellschaft.

Der Test als Indikator existierender Kontrollwünsche...

In einer so verfassten Welt bietet die Kölner Firma PlasmaGen seit Dezember 2006 einen pränatalen Bluttest an, um das Geschlecht des Ungeborenen frühzeitig identifizieren zu können. Von Medienschaffenden über die Motive und Ziele des neuen Angebotes befragt, findet Firmensprecher Daniel Inderbiethen durchaus auch medizinische Begründungen für das unternehmerische Engagement.(2) Der "Gentertest" könne bei geschlechtsgebundenen genetischen Erkrankungen invasive Fruchtwasseruntersuchungen ersparen.(3) Aber nicht ein solcher "Gebrauch" des Tests, der ganz der üblichen Logik pränataler Diagnostik verhaftet ist, ruft die Fachöffentlichkeit auf den Plan, sondern der "Missbrauch". Schon in der achten Schwangerschaftswoche können Frauen für den Preis von 149 Euro das Geschlecht des Ungeborenen erfahren. Also wäre ein privat entschiedener Schwangerschaftsabbruch - ohne jede medizinische Indikation - möglich. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) fürchtet diese Gefahr und lehnt pränatale Testverfahren ab, die nicht medizinischen Zwecken dienen.(4) An dieser Stelle soll nicht der vorgeburtlichen Geschlechtsauswahl das Wort geredet werden. Aber wenn "Missbrauch" allein im möglichen Verhalten von Frauen vermutet wird - und nicht im regulären, medizinischen Betrieb - dann sollte das zu denken geben. Die Abtreibungsregeln verordnen einen Beratungszwang beim Schwangerschaftsabbruch vor der zwölften Woche. Die biographischen Motive und die rein persönliche Lebenslage von Frauen gelten als kontrollbedürftig. Das ungeborene "Leben" soll von Staats wegen vor der Frau geschützt werden.

...als Instrument der Ökonomisierung im Gesundheitsgewerbe

Die humangenetische Fachgesellschaft "fordert ihre Mitglieder und auch andere pränatalmedizinisch tätige Arztinnen und Ärzte auf, keine Untersuchungen durchzuführen oder zu unterstützen, die der pränatalen Geschlechtsbestimmung ohne medizinische Indikation dienen".(5) Die Empfehlung wird nicht in allen Praxen ankommen. Es gibt einen "freien Gesundheitsmarkt", der auch politisch gewollt ist. Schätzungen von Ökonomen taxieren ihn auf vier Billionen Euro. Neben verschiedensten Angeboten im Bereich "Wellness" und "Körperästhetik" sind hier auch die individuellen Gesundheitsleistungen (IgeL) anzutreffen. Diese Leistungen werden zwar als medizinisch sinnvoll eingestuft und nach üblicher Gebührenordnung berechnet, aber nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. Spitzenreiter im IgeL-Geschäft sind die gynäkologischen Praxen. Sie bieten "Gewichtsmanagement", "Body- and Skin-Modellings", "Anti-Aging-Kontrolle", "Teenager-Sprechstunden" und anderes mehr an. Warum als Dienstleistungsunternehmen Arztpraxis nicht auch einen "Gendertest" anbieten? Warum nicht Bedarf schaffen bei "Kundinnen", die sich gerne frühzeitig darauf vorbereiten wollen, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen bekommen? Die marktwirtschaftliche Logik zeigt sich beim Gendertest: Bei falschem Testergebnis bekommt man von PlasmaGen sogar das investierte Geld zurück. Die medizinische Behandlung ist jedenfalls schon länger nicht mehr das konkurrenzlose Kerngeschäft von MedizinerInnen.

...und als Ausdruck gesellschaftlicher Bedingungen

Sicher ist und wird die Selektion nach Geschlecht hierzulande kein Massenphänomen. Die bisherigen Verkaufszahlen, die vom Unternehmen PlasmaGen vage als "im niedrigen dreistelligen Bereich" angegeben werden, bestätigen diese Annahme. Krankheit, Behinderung, perspektivisch auch genetisch diagnostizierbare Risikoparameter - das sind die gesellschaftlich anerkannten Ausschlusskriterien, nicht das Geschlecht. "Das wird ein schrecklicher Exportartikel", mutmaßt der Humangenetiker Wolfram Henn.(6) Das allerdings ist unwahrscheinlich. In Ländern wie den Vereinigten Staaten - die in diesem Zusammenhang meistens nicht Erwähnung finden - gibt es ähnliche Tests von ähnlichen Firmen zu vergleichbaren Preisen bereits. Meist wird bei solchen Äußerungen an Indien oder China gedacht. Dort bringen verschiedene Verfahren, angefangen vom Ultraschall bis zur Fruchtwasseruntersuchung, das Geschlechterverhältnis seit Jahrzehnten nachhaltig aus der Balance. In Indien galt die Geburt einer Tochter für Familien lange als schwierig, weil sie gesellschaftlich weniger anerkannt sind als Söhne - und ihre Mitgift Geld kostet. In China hat auch die staatliche Ein-Kind-Bevölkerungspolitik den Wunsch nach einem Sohn bestärkt. Da die Entwicklungen in der genetischen Diagnostik aber global sind und auch in China und Indien stattfinden, wird die Kölner Firma wohl keine privilegierte Exportposition für ihren "Gendertest" bekommen. Der Verweis auf die beiden asiatischen Länder ist aus einem anderen Grund bedeutsam. Hier wird deutlich, wie sehr sich das individuelle Verhalten bei Fragen der Sexualität und des Kinderkriegens an gesellschaftlichen Normen und materiellen Bedingungen orientiert. Die Geschlechtsselektion per Bluttest wird hierzulande als "ethisch problematisch" angesehen, in den Massenmedien wie auch in den medizinischen Fachgesellschaften. In Indien haben Frauen über Jahrzehnte gegen diese Praxis gekämpft - und oftmals keine gesellschaftlichen Mehrheiten hinter sich versammeln können. Es ist sicher richtig, diese vorgeburtliche Selektion zu problematisieren. Weit reichender wäre es aber, neben der gesellschaftlich üblichen pränatalen Suche nach gesundheitlichen Normabweichungen auch die Privatisierung des Gesundheitswesens, die damit verbundenen, marktförmigen Angebote, Beziehungen und Sprachregelungen in Augenschein zu nehmen. Der "Gendertest" könnte auch hier eine "Marktnische" besetzen: Denn medizinische "Dienstleister" wollen Bedarfe schaffen und "Kundinnen" begegnen, die wünschen und wissen sollen, was der Gesundheitsmarkt zu bieten hat. Erika Feyerabend ist Journalistin und Sozialwissenschaftlerin und aktives Gründungsmitglied von BioSkop, dem Verein zur Beobachtung der Biowissenschaften e.V. Kontakt: erika.feyerabend@t-online.de; www.bioskop-forum.de

Fußnoten:

  1. Insgesamt ist die Unterscheidung zwischen medizinischen und ästhetischen Aufbesserungen wenig trennscharf, etwa wenn Befindlichkeitsstörungen oder das Altern mit Krankheitswert ausgestattet werden und Krankenhäuser schönheitschirurgische Eingriffe anbieten.
  2. Vgl. http://de.news.yahoo.com/04052007/12/gesundheit-service-neuer-test-ermittelt-frueher-geschlecht-babys.html vom 4.5.07
  3. Ein Beispiel ist die Duchennsche Muskeldystrophie, die nur bei männlichen Föten auftritt. Ein pränataler Gentest wäre überflüssig, wenn das Ungeborene weiblich ist.
  4. Vgl. "Stellungnahme zur pränatalen Geschlechtsbestimmung aus mütterlichem Blut in der Frühschwangerschaft", Deutsche Gesellschaft für Humangenetik, Mitgliederversammlung 9.3.2007, www.gfhev.de
  5. Ebda.
  6. Zitiert in Anne Lemhöfer und Ben Reichardt: "Geschlechtstest. Wenn Leon leben darf und Lea nicht", Frankfurter Rundschau vom 7.5.2007, FR-online.de