Integration durch Arbeit

oder sozialstaatlich alimentierte Exklusion

Zur aktuellen Debatte um die Reform der sozialen Sicherung.Der Artikel erschien in Heft 2-07 der Berliner Debatte Initial, zusammen mit weiteren Artikeln zum Thema.

Es gibt kaum ein Thema in der politischen Debatte, das in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erregt hat als die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Hierzu gehören neben der Renten-, Gesundheits- und Arbeitsmarktreform die Konzepte zur sozialen Grund- und Mindestsicherung, die Vorschläge für ein Bürgergeld, Existenzgeld oder Grundeinkommen sowie die Mindestlohn- und Kombilohnmodelle. Besondere Popularität erlangte in diesem Zusammenhang das universelle und bedingungslose Grundeinkommen (BGE).

Die Gründe dafür liegen zum einen in der Krise der sozialen Sicherungssysteme und der Unfähigkeit der Regierenden, diese Krise zu meistern. Zum anderen verlangen Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung, Unterschichtenproblem und zunehmende Verarmung großer Teile der Bevölkerung nach radikalen Veränderungen und Lösungen im Sinne einer Totalrevision. Der Leidensdruck und anhaltende Protest der von der „Aktivierungspolitik" des Staates Betroffenen auf der einen Seite und der Wille der Herrschenden, die Reformpolitik zur Aushöhlung des Sozialstaates forciert fortzusetzen, auf der anderen Seite, sind dabei die treibenden Kräfte. Beide Seiten agieren nicht konzeptionslos, sondern entwickeln Ideen, Konzepte, Programme und verbreiten diese publikumswirksam über die Medien. Aus dem Zusammenprall dieser, nach Diktion, Interessenlage und Charakter, gegensätzlichen Entwürfe speist sich die öffentliche Debatte, die den politischen Prozeß der Entscheidungsfindung unterstützt und begleitet. So war es bei der Altersrente, beim Gesundheitsfonds, beim Elterngeld, bei der Sozialhilfe, beim Arbeitslosengeld I und II[i], nicht aber beim Grundeinkommen[ii], welches offenbar in beiden Lagern Unterstützung findet. Bei „roten" und „grünen" Parteiaktivisten, Arbeitslosen-, Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen, katholischen Arbeitnehmerbewegten, „Existenzgeld"-Anhängern und Alternativen unterschiedlichster Provenienz ebenso wie bei CDU-, CSU- und FDP-Politikern, Unternehmern sowie neoliberalen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern. Auf Ablehnung stößt das BGE dagegen vor allem bei traditionellen Sozialisten[iii], Gewerkschaftern, protestantischen Christen und in der Fachwelt der Ökonomen, egal, ob diese neoliberal, keynesianisch, institutionalistisch oder marxistisch verortet sind. - Eine merkwürdige, eher ungewöhnliche Frontenbildung!

Unstrittig ist, daß die herkömmlichen Mittel nicht ausreichen, um die aktuellen und künftigen Probleme auf dem Arbeitsmarkt, bei der sozialen Sicherung und bei der gesellschaftlichen Integration der Menschen zu lösen. Die Problemlage verlangt nach neuen, über das Bisherige hinausweisenden, Ansätzen. Die Idee eines universellen Grundeinkommens bietet dafür möglicherweise einen produktiven Zugang. Um diesen Ansatz politikfähig zu machen, muß das Konzept jedoch erst einmal mit all seinen Wirkungen und Konsequenzen in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Dadurch würden seine Essentials und Potenziale, aber auch seine Fiktionen und Widersprüche, offenbar werden und das Verwirrspiel um Begriffe und Modelle, die ähnlich klingen, aber nicht dasselbe meinen, oder ähnlich wirken, aber verschiedene Bezeichnungen tragen, endlich aufhören.

Indem das universelle Grundeinkommen gegenwärtig von durchaus gegensätzlich denkenden und agierenden Kräften als Zukunftskonzept favorisiert wird, erscheint es als ein parteien- und klassenübergreifendes Konsensmodell, als politisch „neutrale" Lösung des Beschäftigungs- und Verteilungsproblems. Aber der Schein trügt, wie noch zu zeigen sein wird. Das BGE wird dem Leistungsprinzip, der Marktlogik und dem Staat entgegengesetzt und als Verwirklichungsbedingung von „Freiheit" und „Teilhabegerechtigkeit" angesehen. Es gilt einigen seiner Befürworter daher als zentrales emanzipatorisches Projekt, als „Schlüsselprojekt" für eine „große Sozialreform" (Kipping/Opielka/Ramelow 2006). Andere aber sehen in ihm vor allem ein Instrument zur Reduzierung der Sozialausgaben des Staates und ein Mittel zur Lohnsenkung.[iv] Was für die einen ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Wohlstand sein soll, erscheint anderen als ein Weg zu mehr unternehmerischer Freiheit und Effizienz, zur Deregulierung, Reduzierung der Lohnkosten und zum Sozialabbau. Die einen preisen das BGE als „Tor" zu einer neuen, solidarischen Gesellschaft, als Überwindung des Kapitalismus, andere betonen, es sei „nicht antikapitalistisch" (Opielka 2004: 441), vielmehr ein „zutiefst liberales Projekt" (Rickens 2006: 99), vor allem dazu da, um das überflüssige Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung, das keine Arbeit mehr findet, zu befrieden, so „dass der Gutverdienende und Kapitalist in Ruhe seine Arbeit machen kann" (Straubhaar 2005). - Wie geht das zusammen? Ist das Grundeinkommen wirklich ein „Weg zu einem zeitgemäßen Sozialismus", eine plausible Antwort auf die Frage, wie man „im Jetzt das Noch-Nicht" ermöglichen könne, wie Friedrich Sixel (2006: 640) glaubt? Und würde das überhaupt funktionieren, ein Stück „Kommunismus schon im Kapitalismus"? (Tesch 2006). Ist das Grundeinkommen ein „Trojanisches Pferd", mit dessen Hilfe der Kapitalismus gestürzt werden kann, ein „Maulwurf" (Jordan 2006) zur Unterwanderung der kapitalistischen Ordnung? Oder sind die Protagonisten des BGE, die davon träumen, mit Hilfe des Grundeinkommens den Kapitalismus zu revolutionieren, letztlich nur die „nützlichen Idioten" des Kapitals? Sind sie in Wahrheit vielleicht die „Trojanischen Esel der neoliberalen Truppe", die den Sozialstaat aufrollen will, wie Alfred Müller (2005) meint?

 

„Rechte" und „linke" BGE-Konzepte - ein Scheingegensatz

War man bisher im Lager der Befürworter des BGE stolz darauf, einer breiten, vermeintlich parteien- und ideologieübergreifenden Bewegung anzugehören, so erweist sich gerade dies inzwischen als das größte Problem: Allzu viele wollen mitreden, wenn es um die Reform der Verteilungsverhältnisse geht und verfolgen dabei sehr eigennützige Interessen. Die falschen Freunde drohen das schöne Projekt in Mißkredit zu bringen. Um dem zu entgehen und künftig nicht mehr mit den falschen Leuten in einen Topf geworfen zu werden, ist es bei den BGE-Anhängern seit einiger Zeit Mode, sich nach „rechts" und „links" scharf abzugrenzen.[v] Dies scheint begründet, sofern die Konzepte in ihrer Gesamtanlage, gesellschaftspolitischen Zielstellung, Interessenstruktur und Motivation betrachtet werden. Kaum jedoch hinsichtlich ihrer ökonomischen und sozialen Wirkung. Insistiert man auf eine Wirkungsanalyse, so relativiert sich der Gegensatz. Denn alle Varianten des BGE laufen letztlich mehr oder weniger auf dasselbe hinaus, auf die soziale Ausgrenzung und finanzielle Abfindung und Alimentierung eines Teils der Gesellschaft. Es handelt sich hierbei mithin, soziologisch betrachtet, um Exklusionskonzepte. Ökonomisch sind es Existenzsicherungskonzepte, mehr nicht. Alles andere gehört ins Reich der Utopie. Diejenigen, die im gesellschaftlichen Produktionsprozeß, unter den Bedingungen kapital- und marktgesteuerter Erwerbsarbeit, keinen Platz finden, für das Kapital also überzählig sind, sollen sozial „entsorgt" werden. Und zwar auf Kosten der Gesellschaft, finanziert über Steuern. In keinem der Grundeinkommensmodelle steht dagegen die soziale Integration von Menschen über ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Arbeitsprozeß im Zentrum, sondern immer das Gegenteil, ihre partielle oder totale Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Arbeitsprozeß und die Sicherstellung ihrer Existenz mittels öffentlicher Transfers, losgelöst vom eigenen Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion.[vi] Genau in diesem Punkte scheiden sich denn auch die Geister in der Debatte um die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Während die eine Seite alles in Bewegung setzt, mitunter auch Überholtes, was nicht mehr richtig greift, um möglichst viele Menschen „in Arbeit" zu bringen und sie auf diesem Wege gesellschaftlich zu integrieren, setzt die andere Seite auf die „Entkopplung" von Arbeit und Leben. Als Instrument dafür wird das Grundeinkommen ins Feld geführt, welches Freiheit, Wohlfahrt und Gerechtigkeit garantieren soll. „Freiheit" insbesondere durch die Befreiung von der Verpflichtung zur Arbeit bzw. von der Arbeit selbst, „Wohlfahrt" durch die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und „Gerechtigkeit" durch die Partizipation aller am gesellschaftlichen „Überfluß" (vgl. Blaschke 2005; Rätz 2005; Werner 2005). Damit scheint offensichtlich, daß „die Scheidelinie in der Diskussion" um das BGE „nicht zwischen Sozialisten und Wirtschaftsliberalen verläuft, sondern zwischen denjenigen, die die Freiheit der Bürger fürchten" - Sascha Liebermann nennt sie „Brüder im Geiste des Neoliberalismus" und subsumiert hierunter neben den Neoliberalen auch deren keynesianische und marxistische Kritiker (2006c) - und denjenigen, die darin „den einzigen Weg" aus der Misere sehen, den „radikalen Vertretern eines bedingungslosen Grundeinkommens" (Liebermann 2006b). Diese Unterscheidung mutet wie die Selbstdefinition einer Glaubensgemeinschaft oder Sekte an. Sie ist aber auch in eristischer Hinsicht nicht unproblematisch, denn sie läßt sich, einmal getroffen, umkehren und schlägt so, in ihrer diffamierenden Undifferenziertheit, auf ihre Urheber zurück: Danach eint die BGE-Gemeinde ihr gemeinsames Bekenntnis zum Grundeinkommen: Neoliberale „Sozialreaktionäre" und linke „Sozialromantiker" sind dann ebenfalls „Brüder im Geiste", was einigen vermutlich nicht gefallen wird.

Die Existenz- oder Grundsicherung ist auf unterschiedlichem Niveau denkbar. Während die einen, die „Rechten", hier ein möglichst niedriges Niveau anstreben, in etwa das, welches heute Hartz IV verkörpert, plädieren die anderen, die sich als „Linke" sehen, für ein möglichst hohes Transfereinkommen[vii]. Als Orientierungsgröße dient ihnen dafür ein Betrag von knapp zwei Dritteln des Durchschnittslohnes bzw. des Nettoäquivalenzeinkommens. Damit wird die Höhe des Grundeinkommens (neben den Vergabebedingungen) zum entscheidenden Kriterium für die Unterscheidung zwischen „rechten" und „linken" Grundeinkommensentwürfen. Eine qualitative Relevanz erhält dieser Unterschied dadurch, daß die Differenz, sofern sie hinreichend groß ist, unterschiedliche Lebensweisen erlaubt. Dies sieht auch Liebermann so, indem er die „Freiräume", die ein Grundeinkommen ermöglicht, als ganz entscheidend von seiner Höhe abhängend ausmacht (Liebermann 2006b). Während durch ein „Bürgergeld" nicht viel mehr als die bloße Existenz gesichert wird, würde ein sehr viel höheres BGE darüber hinaus eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Daß dies jedoch „uneingeschränkt" der Fall wäre, bleibt eine Illusion. Ein „gutes Leben für alle", wie es Attac fordert (Rätz et al. 2005: 29), läßt sich über ein Grundeinkommen kaum verwirklichen. Dafür würden, volkswirtschaftlich gesehen, weder die Mittel reichen noch die subjektiven Voraussetzungen durchweg gegeben sein. Vermutlich wäre eine gegenüber Hartz IV höhere Partizipation am Konsum zu verzeichnen. Diese bliebe jedoch weitestgehend ohne reproduktiven Zweck, ohne „konsumtive Produktion" (Marx 1983: 25), und wäre damit „leer". Das Gleiche würde für die Freizeit gelten, sofern ihr Pendant, die gesellschaftliche Arbeit, fehlte. Im Ergebnis erfolgte keine wirkliche Integration, sondern eine soziale Entsorgung, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlichen Konsequenzen.

 

Drei Einwände

Gegen das Projekt eines Grundeinkommens, das universell und bedingungslos gewährt werden soll, gibt es drei grundlegende Einwände. Diese betreffen erstens den hier zugrunde gelegten Arbeitsbegriff, zweitens die Frage nach dem gesellschaftlichen Reichtum und dessen Reproduktion und drittens die Finanzierung, wofür es inzwischen verschiedene Modelle gibt.

Der erste Kritikpunkt setzt beim Begriff der Arbeit an. Arbeit wird zunächst sehr abstrakt und unbestimmt als „Tätigkeit" schlechthin oder „menschliches Tun" aufgefaßt, ohne Bezug zum konkreten gesellschaftlichen Produktionsprozeß. In einer zweiten, etwas engeren Definition gilt sodann als Arbeit, was „gesellschaftlich wichtig oder notwendig" ist. Davon unterschieden wird schließlich eine dritte Bestimmung: Arbeit als „bezahlte Arbeit", als Erwerbsarbeit bzw. Lohnarbeit (vgl. Rätz et al. 2005: 35f.). Diese ist mit Leid, Mühsal, Unfreiheit, Ausbeutung und Entfremdung verbunden, weshalb man sich von ihr befreien will. Auf dem Programm steht folglich nicht nur die „Befreiung der Arbeit" von Ausbeutung und Entfremdung, wie sie Sozialisten fordern, sondern auch die „Befreiung von der Arbeit". Das BGE soll dies möglich machen, indem es den Menschen auch ohne Arbeit bzw. gerade da ohne „ein gutes Leben" garantiert. Schließlich sei ja „genug für alle da", so die unmißverständliche Botschaft, man müsse den Reichtum nur „gerechter" verteilen. Dies ist zu lesen bei Attac (Ebenda: 38, 53, 55), aber auch im Journal der Rosa-Luxemburg-Stiftung Utopie kreativ: „Während es bei den großen sozialen Revolutionen des vorigen Jahrhunderts darum ging, die Arbeit von der Ausbeutung zu befreien, geht es heute darum, sich von der Arbeit zu befreien." (Dick 2006: 76) Hierin liegt eine wesentliche Bestimmung des BGE. Denn es ist, wie Karl Reitter betont, „von der Verweigerung der Lohnarbeit" her gedacht (2006: 535), ein Instrument also zur Befreiung von der (Erwerbs-)Arbeit, eine „Aussteigerprämie", wie Peter Glotz schon 1986 mutmaßte beziehungsweise eine „Prämie auf Faulheit", wie Fritz Reheis meint (2006: 247).

Die hier vorgenommene Dreiteilung der Arbeit ist konstruiert. In der Realität ist Arbeit immer gesellschaftliche Arbeit und besitzt daher per definitionem eine „soziale und historische Dimension" (Frambach 1999: 12). Diese äußert sich darin, daß ihre Nützlichkeit und Bestimmung als gesellschaftlich notwendige Arbeit der gesellschaftlichen Anerkennung und ökonomischen Bewertung bedarf. Diese erfolgt unter den gegenwärtigen Bedingungen vornehmlich, aber nicht ausschließlich, über den Markt und die Einkommensbildung. So borniert dieser Mechanismus auch sein mag, so funktioniert er doch seit Jahrhunderten erstaunlich gut. Bis heute gibt es keine effektivere Methode, um festzustellen, welche Tätigkeit für die Gesellschaft nützlich ist und welche nicht, oder anders ausgedrückt, wofür die Gesellschaft bereit ist zu zahlen und wofür nicht. Der Preis (Lohn) ist dabei immer zugleich auch das Maß der gesellschaftlichen Anerkennung. Die mit dem Leistungsprinzip und dem Markt verbundene Differenzierung und Selektion ist unvermeidbar, denn die ökonomische Reproduktion der Gesellschaft hängt nicht allein davon ab, daß Arbeit geleistet wird: Es muß zugleich gesellschaftlich notwendige Arbeit sein, entsprechend ihrer Qualität, Struktur und Menge. Dies gilt unabhängig von der konkreten Gesellschaftsform, weshalb Reitter nicht gefolgt werden kann, wenn er schreibt, daß „in einer sozialistischen Gesellschaft [...] jede Art von Arbeit anzuerkennen" sei (Reitter 2005b: 4). Neben dem Markt als ökonomischer Institution erfolgt die Anerkennung gesellschaftlich nützlicher Arbeit auch direkt, über den Staat und die Gemeinschaft. Dies ist zum Beispiel bei der Pflege, Betreuung, Erziehung und Versorgung der Fall, ebenso beim bürgerschaftlichen Engagement sowie bei Kultur und Bildung. Aber auch hierfür muß die Gesellschaft zahlen, mit Geld oder Ressourcen, weshalb es nicht gleichgültig ist, wie viel Arbeit in diesen Bereichen verausgabt wird und wie viel anderswo.

Durch die Entkopplung von Arbeit und Teilhabe, wie sie den Anhängern eines BGE vorschwebt, und ein Tätigsein „in Freiheit", also unabhängig von den Erfordernissen des Marktes und der Gesellschaft, wäre der volkswirtschaftliche Reproduktionszusammenhang nicht mehr gewährleistet. Dadurch wäre nicht nur der Konsum des Einzelnen von seiner Arbeitsleistung entkoppelt, sondern ebenso sein Tätigsein von der Reproduktion der Gesellschaft. Mit dem Leistungsprinzip und dem Markt fehlten der Wirtschaft die das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion herstellenden und Kohärenz stiftenden Mechanismen. Als Alternative wäre eine planwirtschaftliche Organisation des Produktionsprozesses denkbar. Dadurch würden aber lediglich die Zwänge des Marktes durch die Zwänge des Planes ersetzt werden. Die Gesetzmäßigkeiten der ökonomischen Reproduktion blieben erhalten; sie lassen sich unter keinen Umständen aufheben.

Eine andere Frage ist, daß da, wo der Markt versagt, dieser ergänzt oder ersetzt werden muß durch andere Formen der gesellschaftlichen Anerkennung und Regulation. Ferner gibt es Bereiche, die nicht der marktwirtschaftlichen Bewertung und Regulierung unterliegen, zum Beispiel die sog. „Reproduktionsarbeit" und „Quasi-Reproduktionsarbeit" sowie bestimmte „allgemeine Arbeiten", die außerhalb der Erwerbssphäre getätigt werden (vgl. Braun 1998: 33f.). Diese „Arbeiten" sind häufig für die Gesellschaft unverzichtbar. Gleichwohl bleiben sie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) unberücksichtigt. Die hierin zum Ausdruck kommende Trennung zwischen „produktiver" und „reproduktiver" Sphäre und Ausblendung aller nichtmarktlichen Transaktionen ist konstitutiv für die Ökonomie der Industriemoderne (vgl. Biesecker/Hofmeister 2006: 146). Ihre Überwindung mit dem Ziel, den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß ganzheitlich(er) zu erfassen, wird gegenwärtig diskutiert, ist praktisch bislang aber ungelöst. Eine Revision der VGR in dieser Richtung würde eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs implizieren und eine Neusetzung des Horizonts der Ökonomie. Den Ausgangspunkt dafür bilden jedoch Veränderungen im Prozeß der Produktion[viii], welchen die Verteilungsverhältnisse dann folgen. Das Grundeinkommenskonzept setzt jedoch, wie andere Utopien auch schon, bei letzteren an und versucht „die Distribution als von der Produktionsweise unabhängig zu betrachten und zu behandeln" (Marx 1987: 22). Aber ebenso wenig, wie es in der Realität einen Punkt des Archimedes gibt, von dem aus sich die Welt aus den Angeln heben ließe, läßt sich die kapitalistische Produktionsweise durch einen veränderten Verteilungsmodus, wie das BGE ihn darstellt, einfach aushebeln. Karl Marx klassifizierte ein derartiges Vorgehen als „Vulgärsozialismus" (Ebd.). Zu Recht!

Ein weiterer Aspekt der Kritik zielt darauf, daß im BGE-Konzept der Arbeit als phylo- und ontogenetisch wichtigster Voraussetzung der Menschwerdung und des Menschseins nicht die gebührende Rolle eingeräumt wird.[ix] Statt anzuerkennen, daß Arbeit unter den Bedingungen kapitalistischer Warenproduktion und Marktwirtschaft hauptsächlich als Erwerbsarbeit erscheint und ihr Wesen sich folglich, trotz Ausbeutung und Entfremdung, in dieser Form verwirklicht, werden künstlerische Eigenbetätigung, individuelle und familiäre Reproduktionsarbeit sowie Muße und Konsum als gleichwertige Alternativen zur gesellschaftlichen Arbeit behandelt. Dies mag im Einzelfall unter Umständen zutreffen, volkswirtschaftlich aber führt es in die Irre. Hier ist sorgfältig zwischen Tätigkeiten, welche der gesellschaftlichen Produktion vorausgesetzt sind, Arbeiten, welche diese ausmachen, und Betätigungen, welche dem Konsum zuzurechnen sind, zu unterscheiden. Damit schnurrt keineswegs „alles in die Polarität von Produktion und Konsumtion zusammen", wie Sascha Liebermann (2006: 120) meint. Es macht jedoch einen Unterschied, ob eine Tätigkeit nur dem eigenen Wohle dient oder der gesellschaftlichen Reproduktion und ob es sich dabei um die Produktion von gesellschaftlichem Reichtum handelt oder um dessen Inanspruchnahme und Verbrauch. „Eigenarbeit" zählt in Marktökonomien deshalb nicht als gesellschaftliche Arbeit und Aktivitäten außerhalb der Produktion tragen nicht unmittelbar zur Wertschöpfung bei. Im Gegenteil: Sie kosten die Gesellschaft etwas und werden durch Umverteilung finanziert. Ihre Grenze ist damit klar gezogen, nämlich durch den Umfang und die Produktivität der gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Wobei nicht verkannt werden soll, daß es diese selbst historisch bestimmt ist.

Beide Aspekte, die Bedeutung der Arbeit für die menschliche Existenz und Entwicklung und ihre Rolle im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß, bedingen ihren Stellenwert im Leben. Die bloße Existenz und freie Betätigung der Menschen sind daher nicht hinreichend für eine Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum. Sie bilden lediglich die notwendige Voraussetzung dafür. Die hinreichende Bedingung ist im Leisten von Arbeit für die Gesellschaft zu sehen, in ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion. Hierüber vollzieht sich zugleich ihre soziale Integration.

Der zweite Kritikpunkt betrifft die Auffassung vom gesellschaftlichen Reichtum. Im Unterschied zur ökonomischen Interpretation, welche den Produktionsprozeß in den Mittelpunkt stellt und diesen „im beständigen Fluß seiner Erneuerung", seiner „Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter" (Marx 1969: 589, 624), betrachtet, also unter Einschluß von Wachstum und Akkumulation, geht das BGE-Konzept von einem „Überfluß an materiellen und immateriellen Gütern" aus (Blaschke 2005: 1). Dieser sei „vorhanden" und könne „mit wenig Arbeit" reproduziert werden (Rätz 2005: 18). Von Erweiterung und Wachstum ist keine Rede. Worauf es ankomme, sei lediglich den Reichtum anders als bisher zu verteilen, um „an den ungeheuren aufgehäuften Bergen von gesellschaftlichem Kapital zu partizipieren" (Spehr 2003: 105). Durch die Einführung eines Grundeinkommens würden die „Teilhabemöglichkeiten" der Gesellschaftsmitglieder am gesellschaftlichen Reichtum nach den Prinzipien „Freiheit" und „Bedürfnisse" neu definiert werden. Arbeitsleistung, Vermögen, Herrschaftsposition und ähnliches hätten darauf dann keinen Einfluß mehr. Da alles im Überfluß existiert, entfiele der Zwang zur Akkumulation. Die meisten BGE-Protagonisten gehen kurz- und mittelfristig sogar von einem Rückgang der Produktion und einem sinkenden Bruttoinlandsprodukt aus. Für den Verteilungsumfang scheint dies aber keine Konsequenzen zu haben. Jedenfalls werden solche nicht thematisiert, was die Frage nach den Quellen des BGE und nach der Rückwirkung desselben auf seine Finanzierungsbasis provoziert. Eine Umverteilung des vorhandenen Reichtums, welcher hier als „Überfluß" apostrophiert wird, würde das Problem nicht lösen. Vermutlich nicht einmal kurzfristig, langfristig aber auf gar keinen Fall. Die Versicherung, „es sei genug für alle da", „weltweit" (Rätz 2005: 55), reicht vielleicht, um „vieles durcheinander zu bringen" (Ebd.: 64), kaum aber, um die Reproduktion des Reichtums sicherzustellen. Nicht einmal im nationalen Maßstab, geschweige denn global. Man muß schon zeigen, wie der Reichtum reproduziert wird, und zwar auf erweiterter Grundlage, da sich die Bedürfnisse verändern, und welchen Einfluß der Verteilungsmodus hierauf hat. Sonst ist man sehr schnell am Ende. Dieser Nachweis und ein nachvollziehbares Konzept dafür fehlen dem BGE-Konzept aber bislang, weshalb seine Vertreter den Vorwurf, einer Schlaraffenland-Utopie anzuhängen (vgl. Busch 2005), bisher auch nicht überzeugend zu widerlegen vermochten.

Der dritte Punkt betrifft die Finanzierung. Ausgehend von der These, daß die Höhe des BGE kein zu vernachlässigender Aspekt sei, sondern für die gesellschaftsstrategische Programmatik und Bewertung des Grundeinkommens ganz entscheidend und daher den Unterschied zwischen „rechten" und „linken" Konzepten mit begründend, spielt die Finanzierungsfrage in der Argumentation eine wichtige Rolle. Auch wenn einige BGE-Anhänger Finanzierungsmodelle eher „für schädlich" halten, so kommen doch auch sie nicht umhin, „die Realisierbarkeit ihrer Vorschläge nachzuweisen" (Rätz 2006: 1). Soll das BGE mehr sein als eine „Utopie" und seine Einführung eine konkrete sozialpolitische Forderung, so wird dieser Punkt sogar der wichtigste, denn, was finanzpolitisch nicht darstellbar ist, kommt als politische Forderung gar nicht erst in Betracht.

Prüft man daraufhin die vorliegenden Konzepte, so ist zunächst festzustellen, daß die Finanzierungsfragen in ihnen insgesamt erstaunlich wenig Raum einnehmen. Zudem unterscheiden sie sich „in fast allem völlig" (Ebd.) voneinander, was auf eine gewisse Unausgereiftheit der Modelle schließen läßt. So gehen die einen vom bestehenden Steuersystem aus, während andere dieses erst einmal vollständig abschaffen wollen. Einige setzen bei der Einkommensteuer an, andere plädieren für eine Wertschöpfungsabgabe, welche allein die Unternehmen belasten würde. Dritte wollen eine Konsumsteuer einführen und die Unternehmen dadurch entlasten (vgl. Werner 2005, 2006). In einigen Modellen wird eine „möglichst hohe Umverteilung" gefordert, in anderen dagegen eine Senkung der Staatsquote. Verbal folgt man liberalen bzw. anarchistischen Intentionen und wendet sich gegen ein „Zuviel" an Staat; konkret aber definiert man einen Finanzbedarf, dessen Höhe alles Bisherige an Umverteilung übersteigen und zwangsläufig einen Bedeutungszuwachs des Staates mit sich bringen würde. Dies gilt für „rechte" (Werner, Althaus, Straubhaar) wie für „linke" (Pelzer/Fischer 2004; BAG Grundeinkommen 2006; Rätz u.a. 2005: 87ff.) Entwürfe.[x] - Die Konfusion ist unübersehbar. Darüber hinaus fehlt es den bisher vorliegenden Ansätzen an Professionalität und finanztechnischer Stringenz. Selbst Werner Rätz, einem der Hauptprotagonisten des BGE, scheint daher die geäußerte Kritik an den Finanzierungsmodellen inzwischen „sehr berechtigt" (2006): Ohne ein durchgerechnetes Modell bleibt das Konzept eine unverbindliche Sozialutopie, eine Idee, eine Vision - und als solche bis auf weiteres inakzeptabel für die Politik.

In diesem Zusammenhang sind folgende Fragen von Interesse: Erstens wäre zu klären, welches die Hauptquellen sind, woraus das Grundeinkommen finanziert werden soll? Substitutions- und Einspareffekte bei den bisherigen Sozialleistungen allein können es nicht sein, denn der Leistungsumfang soll ja insgesamt zunehmen. Eine höhere Steuerbelastung von Kapital und Arbeit aber würde das bisher wirksame marktwirtschaftliche Anreizsystem empfindlich unterminieren, so daß letztlich auch die Basis für die Finanzierung des BGE geringer würde. Die Umverteilungslogik hat also ihre Grenzen! Was bleibt, sind mögliche Eingriffe in den vorhandenen Reichtum. Dafür aber fehlt nicht nur der politische Gestaltungswille; es wäre dies auch ein einmaliger Akt. Dauerhaft fließende Quellen ließen sich auf diesem Wege nicht erschließen. Aber wie dann? - Zweitens muß die Frage beantwortet werden, wie der gesellschaftliche Reichtum immer wieder aufs Neue und zudem erweitert reproduziert werden soll und welchen Beitrag der Distributionsmodus „BGE" dazu leisten kann? An dieser Frage ist schon so manche Revolution gescheitert.[xi] Sie ist aber zu wichtig, um offen gelassen zu werden, wenn man ein so gewagtes Experiment wie die Einführung eines Grundeinkommens in Angriff nimmt. Andernfalls geriete dieses vollends zu einem Abenteuer, worauf man sich dann lieber nicht einlassen sollte. Drittens sind die Wirkungen und Wirkungsketten, die mit der Einführung eines Grundeinkommens verbunden sind, aufzuzeigen. In den bisherigen Entwürfen überwiegen Annahmen, Wunschvorstellungen, Behauptungen. Dies aber, gepaart mit einer gewissen „Blindheit" für die politische Wirklichkeit, „macht sie alle obsolet" (Rätz 2006: 6), das heißt, untauglich für die aktuellen Debatten um die Gestaltung der Zukunft. Viertens scheint es unverzichtbar, die verschiedenen Grundeinkommensvarianten jeweils mit durchgerechneten Finanzierungsmodellen zu verbinden, damit die finanziellen Konsequenzen, aber auch -restriktionen, der einzelnen Ansätze evident werden. Wo dies bisher bereits versucht worden ist, hat sich sehr schnell Ernüchterung eingestellt. Vor allem deshalb, weil die tatsächlichen finanziellen Spielräume sehr viel geringer ausfielen als zunächst angenommen und sich damit die gesetzten Ziele im Konkreten nicht ohne weiteres realisieren lassen.

 

Ein einfaches makroökonomisches Modell

Um die grundlegende volkswirtschaftliche Problematik der Einführung eines Grundeinkommens zu verdeutlichen, genügt eine einfache verteilungstheoretische Überlegung: Gegenwärtig leben in Deutschland rund 82,4 Mio. Menschen. Davon sind rund 39,0 Mio. (47,3%) erwerbstätig und 43,4 Mio. (52,7%) nicht. Während erstere Erwerbseinkommen beziehen, leben letztere von staatlichen (Rentner, Arbeitssuchende, Sozialhilfebezieher u.a.) und privaten (Kinder, nichterwerbstätige Familienmitglieder) Transfers sowie von Kapitaleinkünften. Die Zahlung der Transfereinkommen setzt ihre Aufbringung voraus. Diese erfolgt über ein historisch gewachsenes Steuern- und Abgabensystem, wobei über die öffentlichen Haushalte insgesamt, also einschließlich der Sozialversicherungen, rund 44,6% des Bruttonationaleinkommens umverteilt werden (Ausgabenvolumen/BNE für 2005). Die ökonomische Basis dafür stellt der Wertschöpfungsprozeß in der Wirtschaft dar; die finanzielle Grundlage bilden Steuern und Beiträge der Erwerbstätigen, Arbeitnehmer und Unternehmer, sowie der Vermögenden. Ihre Höhe läßt sich mit der Abgabenquote erfassen: 2005 betrug diese im Durchschnitt 34,0% (Schäfer 2006: 587), für Bezieher höherer Einkommen allerdings sehr viel mehr, bis zu 50%. Im Ergebnis bedeutet dies, daß den Erwerbstätigen, je nach Einkommenshöhe, Steuerklasse usw., netto zwischen einem Drittel und der Hälfte weniger zur Verfügung steht als brutto. Der größte Teil dieser Differenz dient der Umverteilung im Rahmen der Sozialpolitik und gelangt als Transfereinkommen für Nichterwerbstätige (Altersrente, Arbeitslosengeld I und II usw.) wieder zur Auszahlung. Auf Grund der gesetzten Größenordnungen betragen die Transferzahlungen derzeit 40% bis 60% des Niveaus der Nettoerwerbseinkommen.

An diesem System ließe sich einiges verändern, zum Beispiel könnte der Anteil der Steuern vergrößert und der Anteil der Sozialbeiträge verringert werden - oder umgekehrt. Nicht ohne weiteres lassen sich jedoch der Eckgrößen und Rahmendaten verändern. Dies betrifft insbesondere den Gesamtumfang der Transferzahlungen und damit deren relatives Niveau.

Soll nun an Stelle des bisherigen Systems ein universelles Grundeinkommen treten und dieses im Zahlbetrag höher liegen als die jetzigen Leistungen, so setzt dies ein höheres Aufkommen an Steuern und Beiträgen voraus. Dies könnte über eine signifikant höhere Abgabenquote, über eine überproportionale Belastung von Unternehmensgewinnen und Vermögenseinkünften, über höhere Verbrauchssteuern oder über (unbezahlte) Mehrarbeit der Erwerbstätigen, wodurch das BNE wachsen würde, erreicht werden. Dies durchzusetzen wäre allein schon ein politischer Kraftakt. Soll nun darüber hinaus aber auch noch die Zahl der Transferbezieher steigen und zumindest ein Teil der Erwerbstätigen, den Niedriglohnbeziehern, für die gleiche Arbeit eine bessere Bezahlung erhalten, so stiege der finanzielle Mehrbedarf noch einmal deutlich an und mit ihm die Abgabenquote, die Steuerbelastung oder die Arbeitszeit. Würde sich zudem dann auch noch durch einen freiwilligen Ausstieg aus dem Arbeitsleben die Zahl der Erwerbstätigen verringern, und damit die Erwerbstätigenquote, so daß sich das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Nichterwerbstätigen verschlechterte, so müßten, ceteris paribus, die Abgabenquote oder die Arbeitszeit zusätzlich angehoben werden. In jedem Fall müßten die Erwerbstätigen - Arbeitnehmer, Unternehmer, Selbständige - und die Vermögenseigentümer sämtliche Mehrkosten tragen. Insgesamt wäre die Umverteilungsquote dadurch deutlich höher, die Gesellschaft wäre aber auch weiterhin ökonomisch gespalten, in Arbeitende und Kapitalisten, Erwerbstätige und Transferbezieher.

Mißt man die Grundeinkommenskonzepte an diesen Überlegungen, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, einigen Befürwortern des BGE sind die Zusammenhänge zwischen Produktion und Konsumtion, Aufkommen und Verteilung, Entstehung und Verbrauch nicht voll bewußt. Der hier skizzierte Nexus ist ökonomisch zwingend. Er läßt sich auch nicht dadurch aushebeln, daß auf „Reproduktionsarbeit" (Kinderaufzucht, Altenpflege usw.), „Eigenarbeit" oder künstlerische Betätigung, geistige Übungen und dergleichen als vermeintlichem Ersatz für Erwerbsarbeit verwiesen wird. „Reproduktionsarbeit" stellt eine, wenn auch unverzichtbare, Voraussetzung für die ökonomische Wertschöpfung dar, ist selbst aber keine, „Eigenarbeit" zählt unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht als gesellschaftliche Arbeit und die anderen Aktivitäten sind, sofern sie sich nicht in einem marktgängigen Produkt manifestieren, dem Konsum zuzurechnen, also kein Substitut für Arbeit im ökonomischen Sinne. Dies wird nicht von allen akzeptiert, weshalb die Anhänger des BGE regelmäßig mit den Befürwortern des Leistungsprinzips in Konflikt geraten. Dabei verhalten sie sich zu diesen - um eine Parallele aus der Kirchengeschichte zu bemühen - jedoch so ähnlich wie die Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner einst zu den Benediktinern und Zisterziensern: Während letztere von ihrer eigenen Arbeit lebten, proklamierten erstere als Bettelmönche ihr „Recht", ihr Dasein durch Spenden zu fristen und dafür mit Gebeten und geistlicher Betätigung zu „zahlen". Ihre Dienste mögen nicht ohne Nutzen gewesen sein, ökonomisch stellten sie aber für die dafür erhaltenen Güter genauso wenig ein Äquivalent dar, wie ihre Gebete eine wirkliche Zahlung waren. Bei den Gaben handelte es sich um Transferleistungen, die von den Arbeitenden aufgebracht wurden. Ein „Recht" darauf bestand nicht; sie wurden aus Mitleid gewährt.

 

Das Urteil der Experten

Es gehört zu den Spielregeln gegenwärtiger Demokratien, daß umstrittene Konzepte, bevor sie in politische Programme Eingang finden bzw. in die Praxis umgesetzt werden, Experten zur Begutachtung vorgelegt werden. Beim Bürgergeld und beim Grundeinkommen ist dies geschehen. Die Expertisen liegen inzwischen vor und sollten in der weiteren Debatte berücksichtigt werden. Drei seien hier angeführt:

1. Im Herbst 1995 beauftrage das Bundesministerium der Finanzen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die fiskalischen Auswirkungen und volkswirtschaftlichen Effekte der Einführung eines Bürgergeldes sowie die damit verbundenen Gesamtkosten zu ermitteln. Das Gutachten ist 1996 erschienen (Probleme 1996). Eine Kurzfassung wurde in den DIW-Wochenberichten veröffentlicht (Meinhardt et al. 1996). Gegenstand der Analyse war ein allgemeines Bürgergeld, dessen Höhe durch das Existenzminimum bestimmt wird (Erwachsene: 12.000 DM, Kinder: 6.000 DM p.a.). Alle weiteren Einkünfte würden bis zur Transfergrenze, wofür verschiedene Berechnungsvarianten vorlagen, zu 50% angerechnet. Die Gesamtkosten ergeben sich aus dem Kostenumfang für das Bürgergeld, den Steuerausfällen und den jeweiligen Einsparungen. Sie hätten sich für 1996 im Mittel auf ca. 200 Mrd. DM belaufen, eine Größenordnung, die nach Meinung der Gutachter fiskalisch nicht vorstellbar sei. Unklarheit herrscht jedoch hinsichtlich der zu erwartenden Beschäftigungseffekte: Für Arbeitslose, die eine Arbeit aufnehmen wollen, könnte ein Bürgergeld die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme erhöhen; für geringfügig Beschäftigte und Niedrigeinkommensbezieher jedoch dürfte der „Arbeitsanreiz" eher sinken. Insgesamt stellt das Gutachten des DIW ein klares Votum gegen die Einführung eines Bürgergeldes dar.

2. Im Herbst 2006 hat die Konrad-Adenauer-Stiftung das Konzept eines „Solidarischen Bürgergeldes" von Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus auf seine Finanzierbarkeit hin überprüft. Die Gutachter gelangten zu dem Ergebnis, daß das Konzept „finanzierbar" sei (Strengmann-Kuhn 2006). Eine genaue Prüfung offenbart jedoch, daß dieses Bürgergeld nur bei 800 € monatlich (600 € plus 200 € Krankenversicherungspauschale) liegen würde und zu seiner Finanzierung nicht wenige „Opfer" verlangt. So fiele der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer weg und der Steuersatz stiege für alle auf 30-35%. Alte, Kranke und Arbeitslose erhielten nur noch eine Mindestsicherung in Höhe des Grundeinkommens, das Ehegattensplitting würde abgeschafft werden und alle Steuerschlupflöcher geschlossen. Auf diese Weise könnten nach Meinung der Gutachter die Kosten von 600 bis 800 Mrd. € jährlich gedeckt werden - wenn nicht, müßte der Zahlbetrag abgesenkt werden.

Heiner Flassbeck sieht hierin nichts als „ein gewaltiges Umverteilungskuddelmuddel", das letztlich doch nicht aufgeht. Es bliebe ein Differenzbetrag von 460 Mrd. €, der zusätzlich aufzubringen wäre. Dies ginge nur über eine „irrsinnig hohe Steuerquote" und Mehrwertsteuererhöhung mit den bekannten Folgen: Schwarzarbeit, Steuerflucht, Investitionsrückgang, Rezession, Deflation usw. Letztlich käme es zu einer Umverteilung „in noch nie da gewesener Weise von unten nach oben" (2006) und zu einer Lohnkürzung, also so ziemlich zum Gegenteil dessen, was die Grundeinkommensbefürworter lauthals versprechen. - Stimmt das nicht nachdenklich?

3. Parallel dazu legte der Frankfurter Sozialexperte Richard Hauser eine aktuelle Studie zu den Alternativen einer Grundsicherung vor. Ihr Fazit lautet: „Das unbedingte und universelle Grundeinkommen stellt keine realistische Alternative zur Reform des deutschen Sozialstaats dar. Es erforderte einen nicht aufzubringenden Finanzaufwand, und es hätte eine offene außenwirtschaftliche Flanke. Wegen der Verringerung der Arbeitsanreize und wegen der extrem hohen Steuerlast würde es zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und zu einer Blockade des Wirtschaftswachstums führen. Die Zieleffizienz wäre sehr gering, da ein wesentlicher Teil der Transferzahlungen von den Begünstigten selbst aufgebracht werden müßte." (Hauser 2006: 347) Gegenstand der Untersuchung war ein Vergleich des BGE und anderer Formen der Grundsicherung, der negativen Einkommensteuer, dem unbedingten, aber eingeschränkten Grundeinkommen und dem einkommensabhängigen individuellen Grundeinkommen, mit den herkömmlichen Formen des einkommens- und vermögensabhängigen Grundeinkommens von Bedarfgemeinschaften (Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Grundsicherung für Alte und dauerhaft Erwerbsunfähige). Die monatliche Leistung ist mit 700 € sehr niedrig angesetzt. Ein Hinzuverdienst sei möglich. Trotzdem erforderte ein derartiges Grundeinkommen gegenüber den Nettobelasteten „sehr hohe Steuertarife", um die Transfers für die Nettobegünstigten finanzieren zu können. Darüber hinaus sieht Hauser als Probleme: die kaum zu beherrschende Koordination mit anderen Elementen des Systems der sozialen Sicherung, die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsbereitschaft der Erwerbsfähigen, die „Sogwirkung" auf Ausländer, die Umverteilungswirkungen innerhalb der Gesellschaft und das Problem der Zielineffizienz, da der Mittelaufwand, gemessen am Ziel, unvertretbar hoch wäre (ebd.: 336f.). Selbst bei Berücksichtigung aller Substitutionseffekte durch die Streichung von Sozialleistungen bliebe ein Finanzaufwand für das BGE von etwa 417 Mrd. €, der durch zusätzliche Steuern aufgebracht werden müßte. Dies aber scheint wirtschaftlich und politisch nicht durchsetzbar. Allein die Steuererhöhungen wären mit einer deutlichen Schrumpfung der Produktion und des Volkseinkommens verbunden. Hinzu kämen weitere negative Effekte. Je schmaler die Steuerbasis ist, umso höher würden die verbleibenden Nettozahler belastet werden. Schwarzarbeit, Kapitalflucht und Investitionszurückhaltung wären die Konsequenzen. - Im Vergleich der Systeme schneidet das BGE wegen der unkalkulierbaren Folgen am allerschlechtesten ab. Hauser plädiert für eine Beibehaltung der bestehenden Grundsicherungsregelungen und deren sukzessive Verbesserung.

 

Zum Schluß

Vor dem Hintergrund der Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft, des Rückgangs der Vollzeitbeschäftigung, der Zunahme prekärer Jobs und der Langzeitarbeitslosigkeit mit negativen Folgen für die sozialen Sicherungssysteme, entwickelte sich in den Sozialwissenschaften und in der Politik eine konzeptionelle Debatte darüber, wie die soziale Grundsicherung in der Zukunft aussehen könnte. Im Diskurs darüber prallten die unterschiedlichsten Konzepte, „linke" Existenzgeldideen und „rechte" Bürgergeldprojekte, Negativsteuer- und Sozialdividenden-Modelle, aufeinander. Den größten Wirbel verursachte jedoch die Idee eines universellen Grundeinkommens, da dieses scheinbar Gegensätzliches miteinander vereint: Existenzsicherung, Teilhabe, Freiheit, Selbstbestimmung, Persönlichkeitsentfaltung, Menschenwürde, Emanzipation, Transparenz, Gerechtigkeit, Repressionsfreiheit, wirtschaftliche Effizienz, Bürokratieabbau, konjunkturelle Belebung und anderes mehr. Für die „Linke" steht das BGE für die Verwirklichung einer kommunistischen Utopie, für die „Rechte" ist es ein Programm zum Sozialabbau. Seine Anhänger finden sich folglich in beiden Lagern. Seiner Kritiker allerdings auch. Welche Diktion jeweils den Ausschlag gibt, hängt nicht zuletzt von der Höhe der Zahlbeträge und den Finanzierungsmodalitäten ab. Hierüber aber gibt es nach wie vor die größten Unklarheiten.

Das BGE steht für eine Sozialutopie, indem es radikale Gesellschaftskritik mit ethischen Aspekten und fundamentalistischen Forderungen verbindet. Dabei ist eine gewisse Ignoranz gegenüber ökonomischen Tatsachen und sachlich begründeten Einwänden festzustellen. Dies gilt besonders für Fragen der Finanzierung. Da im Falle einer praktischen Umsetzung eher mit geringen Zahlbeträgen zu rechnen ist, verliert die Unterscheidung zwischen „linken" (sozialromantischen) und „rechten" (sozialreaktionären) Konzepten an Bedeutung. Zumal die Wirkung durchaus ähnlich wäre: Es sind Konzepte einer sozialstaatlich alimentierten Exklusion. Eine soziale Integration hingegen ist nur durch Einbeziehung aller in den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß erreichbar. Hierzu bedarf es einer Reform der sozialen Sicherungssysteme, möglicherweise auch der Einführung einer sozialen Grundsicherung, nicht aber eines bedingungslosen Grundeinkommens. - Die kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Modellen und Ansätzen soll helfen, die notwendige Reform voranzubringen und den Blick für die zu lösenden Probleme zu schärfen.

 

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Anmerkungen:

[i] Gemeint ist hier jeweils der Prozeß der Einführung, Abschaffung, Kürzung, Zusammenlegung bzw. Neuregelung von Sozialleistungen, wie er im Rahmen der Novellierung der Sozialgesetzgebung in den letzten Jahren erfolgt ist und noch andauert (vgl. SGB II bis XI).

[ii] Der Begriff Grundeinkommen steht hier für Konzepte, die dem Prinzip der Teilhabe folgen und worauf alle Gesellschaftsmitglieder allein auf Grund ihrer Existenz einen Anspruch haben. Ein Grundeinkommen „muß sich niemand verdienen, nicht durch Arbeit, nicht durch Wohlverhalten, durch nichts" (Rätz et al. 2005: 29). Dagegen sind die Formen einer sozialen Grundsicherung an einen entsprechenden Bedarf gebunden und bedürfen folglich einer Bedarfsprüfung. Ihre Zahlung setzt zudem die grundsätzliche Bereitschaft zur Erwerbsarbeit voraus.

[iii] Der Dissens in bezug auf das bedingungslose Grundeinkommen weist auf eine Spaltung unter den „Linken" hin. Während sich die „soziale Linke" an eine „Sinnstiftung durch (Lohn-)Arbeit" klammert, identifiziert sich die „kulturelle Linke" zusehends mit der Forderung nach einem Grundeinkommen. (vgl. Hüttner 2006: 539)

[iv] Vgl. dazu die Beiträge von Thomas Straubhaar (2005; 2006), Götz W. Werner (2005; 2006) sowie die Übersicht des Instituts der deutschen Wirtschaft (2007).

[v] Vgl. hierzu den Beitrag von Ronald Blaschke in diesem Heft, aber auch Sascha Liebermann (2006a-c) u. a.

[vi] Dagegen ließe sich einwenden, daß die Zahlung eines Grundeinkommens überhaupt erst bestimmte Betätigungen im Bildungs-, Pflege-, Versorgungs- und Kulturbereich erlaube und daher sozial integrierend wirke. Das ist richtig. Dabei wird jedoch verkannt, dass diese Integration ersatzweise und daher gegenüber einer Integration über Erwerbsarbeit nur eingeschränkt erfolgt, was nicht zuletzt in der fehlenden gesellschaftlichen Wertschätzung zum Ausdruck kommt. Eine höhere gesellschaftliche Anerkennung dieser Arbeiten würde ihre Entlohnung bedeuten und daher ein Grundeinkommen überflüssig machen.

[vii] So meint zum Beispiel Thomas Straubhaar, daß sich ein staatliches Grundeinkommen „am Existenzminimum orientieren" müsse, also bei „rund 7.000 Euro im Jahr" liegen würde (Berliner Zeitung, 17.03.2006). Ein Jahr zuvor hatte er noch für „etwas mehr als 7.600 Euro" plädiert und sogar „runde 10.000 Euro" (2005) für möglich erachtet. Inzwischen scheint eine geringere Summe auszureichen. Demgegenüber fordert der Unternehmer Götz Werner erheblich mehr, nämlich „1000 bis 1500 Euro pro Monat" (2005). Da diese Leistungen jedoch vollständig über Konsumsteuern finanziert werden sollen, würde ihr realer Umfang nicht viel höher sein als im ersten Beispiel. Das heißt, es bliebe letztlich auch hier nur das Existenzminimum. Anders dagegen viele „linke" Konzepte: Hier wird verbal von einem Grundeinkommen „in maximal möglicher Höhe" (Reitter 2005b: 5) ausgegangen. In den Rechenbeispielen wird diese Forderung dann jedoch erheblich zurückgeschraubt. Katja Kipping nennt 1.000 € pro Monat als Minimalwert, andere gehen von prozentualen Anteilen in Höhe von 50 bis 60% des Durchschnittslohnes bzw. des mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommens aus. Das wären derzeit etwa 950 bis 1.000 € im Monat (vgl. BAG Grundeinkommen 2006).

[viii] Hierzu gibt es umfangreiche Untersuchungen unter dem Stichwort „Wandel der Arbeit". Ausgehend von den realen Veränderungen beginnt sich inzwischen der „Begriff der Arbeit selbst" zu wandeln. Bisherige Abgrenzungen verlieren an „Trennschärfe", ein neues, „eher breit gefaßtes Arbeitsverständnis" setzt sich durch, die Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Bereichen und Organisationsformen verschwimmen. „Angesichts dieses Wandels von Arbeit gilt es, die Kategorien und Konzepte der Analyse von Arbeit und ihrer Organisation neu zu fassen." (Dunkel/Sauer 2006: 25).

[ix] Dies wird besonders dann augenfällig, wenn es um gesellschaftliche Werte geht und dabei die Einkommenserzielung über die Arbeit gestellt wird. So meint zum Beispiel Götz Werner, daß es „eine gute Sache" sei, „wenn Menschen nicht arbeiten" müssten, die Chance, sich „vom Zwang zur Arbeit zu befreien", sei „großartig". Seiner Meinung nach besteht für die „acht Millionen Arbeitslosen" nicht deshalb ein Problem, „weil sie keine Arbeit haben", sondern allein deshalb, „weil sie kein Einkommen haben". Die Zahlung eines Grundeinkommens wäre mithin „die Lösung" für alle Probleme (Werner 2005).

[x] So beträgt das jährliche Finanzierungsvolumen für das Arbeitslosengeld II gegenwärtig rund 44 Mrd. €, die Bürgergeldmodelle würden jedoch brutto zwischen 600 und 1.200 Mrd. € kosten (IW 2007), die linken BGE-Modelle zwischen 1.000 und 1.500 Mrd. €. Bei Ausschöpfung aller Einspareffekte verblieb allen vorliegenden Rechnungen zufolge immer noch ein Defizit von 400 bis 500 Mrd. €, das zusätzlich erwirtschaftet werden müsste. Es sei denn, das neue Bürgergeld bzw. Grundeinkommen läge im Zahlbetrag niedriger als die gegenwärtigen Sozialleistungen.

[xi] Erinnert sei an die ungeheuren Probleme, vor welche sich die Bolschewiki nach der russischen Oktoberrevolution gestellt sahen, als es darum ging, die Produktion zu steigern und die Versorgung der Armee, der Städte und großer Teile der Landbevölkerung sicher zu stellen. Erst nach einem jahrelangen Lernprozeß ist es ihnen gelungen, während der NÖP-Periode Methoden und Anreizsystem zu entwickeln, mit denen dies einigermaßen gelang. Dies waren dann aber wesentlich ökonomische Stimuli. Die ideellen und moralischen Anreizsysteme hatten hier zuvor ebenso versagt wie die Anwendung außerökonomischer Gewalt.