G8 am Meer

Schiffe versenken gegen die Deutungshoheiten in Heiligendamm

Wie gut, dass der G8-Gipfel an der Ostseeküste stattfindet! Wind, Wellen und Meer haben zumindest das Finden von Slogans und Symbolen erheblich erleichtert: "Zwischen Flachwasser und Tiefsee" hat die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) einen Artikel zum Thema überschrieben. "G8 versenken!" fordern Attac, antifaschistische und anti-imperiale Bündnisse. Die Gruppe Badespasz aus Halle wirbt mit einer Quietsche-Ente für den Protest. Und am Weltfrauentag konnten PassantInnen in einer Hamburger FußgängerInnenzone sogar selbst mitspielen - beim G8 Schiffe versenken.
In Heiligendamm treffen sich vom 6.-8. Juni die Staatschefs der acht "führenden Wirtschaftsnationen", wie sie sich selbst bezeichnen. Sie kommen nicht allein. Ein Tross von tausenden MitarbeiterInnen, JournalistInnen und ÜbersetzerInnen wird die Acht bei ihrem Treffen begleiten, über 15.000 PolizistInnen reisen aus allen Teilen der Republik zum größten Einsatz der Nachkriegsgeschichte Deutschlands an. Und zehn-, vielleicht hunderttausende Protestierende werden ihren Unmut äußern, Unmut über die Politik der acht Staaten, aber auch über das Treffen selbst.
Das erste Treffen der Gruppe fand 1975 in Frankreich statt. Unbehelligt von Medien und DemonstrantInnen trafen sich die Chefs sechs westlicher Staaten im Schloss von Rambouillet: Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Japan und die USA. Der französische Präsident Valéry Giscard dÂ’Estaing hatte zu dem Treffen geladen - zurückgezogen und im kleinen Kreis wollten die sechs beratschlagen, wie mit den Problemen ihrer Zeit umzugehen sei.

An Problemen mangelte es aus Sicht der westlichen Staaten Mitte der 1970er Jahre nicht: Die Ölkrise hatte ihre Volkswirtschaften in eine tiefe Krise gestürzt und das Vertrauen in ewig währendes Wachstum erschüttert. Die USA hatten den Vietnamkrieg verlustreich verloren, der sowjetische Einflussbereich dehnte sich aus, in den USA und Europa forderten seit Ende der 1960er Jahre linke Massenbewegungen das politische System heraus. Die westlichen Nationalstaaten begannen Macht zu verlieren: an internationale Organisationen, an global agierende Unternehmen, wenig später auch an aufsteigende Schwellenländer wie Indien und Brasilien.
Mit dem Treffen in Rambouillet versuchten die sechs Staatschefs, wieder mehr Stabilität ins globale System zu bringen - und ihre Macht unter den sich ändernden Bedingungen zu sichern. In gewissem Sinne mit Erfolg, wenn sich auch die Strategien über die Zeit geändert haben. Seit 1975 treffen sich die Staaten einmal im Jahr unter wechselndem Vorsitz, 1976 stieß Kanada zu den sechs, 1998 erweiterte Russland die Gruppe zur G8. Bis in die 1980er nahm die Gruppe hauptsächlich über interne Absprachen Einfluss auf die internationale Politik. Da die damals sieben Staaten einen großen Teil der Stimmen im Internationalen Währungs- fond (IWF) und der Weltbank auf sich vereinten, galten die Beschlüsse der G7 für diese beiden Institutionen lange Zeit als bindend.
Doch parallel dazu wuchs die Bedeutung eines anderen Einflussfaktors: Über die zunehmende Inszenierung der Gipfel stilisierten sich die G7 spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges zu einer Art informeller "Weltregierung". Detailliert geplante Abläufe, floskelbestückte Erklärungen, martialische Sicherheitsvorkehrungen und die zunehmende Einbeziehung der Medien verwandelten die Gipfel in eine große Werbe-Show. JedeR soll erkennen, wie die kompetenten FührerInnen der Industrienationen sich der globalen Probleme annehmen: des Terrorismus und der Energieversorgung, der Armut in Afrika und des Klimawandels. Dass dabei wenig konkrete Ergebnisse erzielt und diese oft nicht einmal umgesetzt werden, spielt dabei eine nebensächliche Rolle. Entscheidend ist, dass die G8 die Deutungshoheit behalten, dass sie bestimmen können, was überhaupt als Problem gilt - und was als mögliche Lösung.

Die Dissidentin kommt aus Münster. "Nein, wir haben beschlossen, nicht zu G8 zu arbeiten," sagt sie und schüttelt die braunen Locken. Ihre Gruppe BASTA unterstützt die aufständischen Zapatisten im Süden Mexikos. Und glaubt, dass es ihrem Anliegen wenig nützt, wenn sie sich nun monatelang dem Thema G8 widmen. Mit dieser Meinung gehört sie zu einer Minderheit auf dem Workshop, der im Mai 2006 auf dem BUKO-Kongress in Berlin stattfindet.
Noch über ein Jahr, bis die G8 sich an der deutschen Ostseeküste treffen - und alle haben sich bereits auf das Thema G8 gestürzt: NGOs und Linksradikale, Kirchen, Gewerkschaften und linke Parteien. Auf Camps, Kongressen und Vernetzungstreffen sind die unterschiedlichen Positionen an einen Tisch gebracht, sind Gräben aufgerissen und pragmatisch wieder geschlossen worden. Da sind Trennlinien zwischen den Generationen: Die einen haben bereits 1988 in Berlin gegen den IWF demonstriert und wollen Erfahrung wie Begriffe aus zwanzig Jahren Widerstand gewürdigt wissen. Die anderen, Kinder der Proteste in Seattle und Genua, sind aufgewachsen mit Englisch, Internet und Entscheidungen im Konsens. Da sind die Trennlinien zwischen Reformern und Revoluzzern: Die VertreterInnen der NGOs können und wollen auf die Gelder des Staates nicht verzichten; sie verbitten sich zu kritische Positionen und können sich des Stolzes manchmal nicht verwehren, wenn die Mächtigen persönlich sie zu Gesprächen laden. Die anderen verweigern den Dialog mit den Herrschenden, wollen das Herrschaftsritual stören, statt die Rolle der G8 durch Forderungen zu legitimieren.
Doch gelernt hat die Linke: Anders als beim Gipfel in Köln 1999 hat noch kein tiefer Riss die Mobilisierung entzweit. Zum dritten Mal fand Mitte April die Aktionskonferenz in Rostock statt, über alle Gräben hinweg treffen sich dort alle, die zum G8-Gipfel mobilisieren. Die Linke streitet über Gewalt und Gespräche mit Regierungsbeamten, und dennoch wird sie - wie es zur Zeit aussieht - am Ende gemeinsam demonstrieren.

Doch es gibt auch die anderen Themen, die nicht die Mailinglisten dominieren, keine Gemüter erhitzen, die viel eher drohen, ins Abseits zu geraten und keines Wortes mehr wert zu sein: Das Geschlechterverhältnis ist eines davon. Das verwundert: Bieten sich die G8, der männerbündische Zusammenschluss acht selbsternannter Führer der Welt, für feministische Kritik doch geradezu an. Wurde im Laufe der Mobilisierung doch wiederholt gefordert, die G8 und den Protest einzuordnen in das Netz der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die die gesamte Gesellschaft durchziehen.
Aber geschehen ist das kaum.
Zwar hat sich im linksradikalen dissent!-Netzwerk eine FrauenLesbenTransgender-Vernetzung herausgebildet, die im geplanten Camp einen eigenen Bereich einrichten will. Doch in der Gesamt-Mobilisierung ist die Thematik untergegangen. Geschlechterverhältnisse finden keinen Raum in den Broschüren und Sonderheften, meist wird gerade einmal die besondere Betroffenheit von Frauen in einem Nebensatz erwähnt.
Abhandlungen über kapitalistische Verwertungsprozesse und neoliberale Politik dominieren die Diskussionen, wie Ende 2006 eine Aktivistin kritisiert: "Ein eigener Absatz? Eine breite Analyse der Politik der G8 aus feministischer Perspektive? Fehlanzeige. Eine eigene Analysekategorie, die anderen Unterdrückungsmechanismen gleichberechtigt gegenübersteht, wird ‘unsÂ’ nicht zugestanden." Wie kann das sein, dass die Mobilisierung gegen den G8 so breit wird - und den selbstgesteckten Anspruch nicht umsetzt, die vielfältigen Macht- und Herrschaftsbeziehungen der Gesellschaft in ihre Analyse und Praxis einzubeziehen?
Teils haben gerade die feministischen Gruppen diesen Anspruch ernst genommen - und sich bewusst aus der Mobilisierung zurückgezogen. Denn die G8 nicht als Entscheidungszentrum, sondern "nur" als Knoten im Netzwerk globaler Hegemonie zu verstehen, hat auch Folgen für den Protest. Wenn die Politik, für die die G8 stehen, nicht nur auf internationaler Ebene, sondern auch im Alltag wirksam wird, muss genau dort Widerstand geleistet werden. Und das kann konsequenterweise auch bedeuten, nicht alles stehen und liegen zu lassen, um sich für einige Monate ins Abenteuer G8 zu stürzen. Zum Gipfel selbst werden sie dennoch kommen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at