Kampf um die Ordnung

Herrscht in Somalia ein Stellvertreterkrieg

or dreißig Jahren standen sich am Horn von Afrika schon einmal unterschiedliche Herrschaftsideologien feindlich gegenüber. Damals führten Äthiopien und Somalia einen so genannten "Stellvertreterkr

Vor dreißig Jahren standen sich am Horn von Afrika schon einmal unterschiedliche Herrschaftsideologien feindlich gegenüber. Damals führten Äthiopien und Somalia einen so genannten "Stellvertreterkrieg", sie fochten darüber, ob Sozialismus oder westlicher Liberalismus zur dominanten Ordnungsform der Region werden sollte. Der "Ogaden-Krieg" 1977-78 wurde vom damals "sozialistischen" Äthiopien gewonnen und leitete das Ende der "kapitalistischen" Diktatur Siad Barrés in Somalia ein.
Gegenwärtig konkurrieren innerhalb Somalias wiederum zwei Ordnungsideen um die staatliche Herrschaft: Auf der einen Seite das liberale Modell, auf der anderen der radikale politische Islam. Im Jahr 2006 konnte die "Union der Islamischen Gerichte" (UIC) gegnerische bewaffnete Gruppen aus der Hauptstadt und anderen Gebieten des Landes militärisch vertreiben. Daraufhin eroberten äthiopische Truppen in einem rapiden Feldzug im Dezember 2006 das Land und installierten die bislang ein Schattendasein führende, von westlichen Staaten unterstützte "Föderale Übergangsregierung" (TFG) in Mogadischu.
Daraufhin rief das ägyptische Führungsmitglied von Al-Quaida, Ayman al-Zawahiri, zu einem islamischen Guerilla-Krieg in Somalia auf. Somalia sei ein "Schlachtfeld der Kreuzfahrer, auf dem der Westen den Islam bekämpft". Seither bombardierte die US-amerikanische Armee wiederholt Ziele in Somalia, um Angehörige des internationalen Terrornetzwerks zu töten. Hat also der Islamismus in Somalia den Sozialismus abgelöst, und wird in dem Land ein neuer Stellvertreterkrieg in einer globalen Auseinandersetzung geführt?
Somalia sei ein neuer Frontstaat im "Krieg gegen den Terror", so beschreibt es der äthiopische Präsident Meles Zenawi. Für ihn sind die angeblichen Verbindungen der Islamischen Gerichte zu Al-Quaida eine "direkte Bedrohung Somalias und der Somalier, zweitens der Region und Äthiopiens, und schließlich der Internationalen Gemeinschaft." Die UIC, so die US-Regierung, beherberge internationale Terroristen, die für Anschläge auf US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 sowie auf israelische Touristen 2002 in Mombasa mitverantwortlich seien. Zudem befanden sich einige vor allem junge Somali in den vergangenen Jahren auf dem "Jihadi-Trail". Sie erhielten in Afghanistan und anderswo eine ideologisch-militärische Ausbildung, bevor sie in ihr Land zurückkehrten. Diese Kämpfer aus der "HisbÂ’ul Shabaab" stellen das islamistisch-internationalistische Element im UIC-Bündnis dar, wie es auch aus dem Irak und anderen Kontexten bekannt ist. Der UIC gelang es darüber hinaus, durch die Erfüllung öffentlicher Aufgaben auch bei jenen Somalis Legitimität zu erreichen, die einer islamischen politischen Ordnung eigentlich skeptisch gegenüber standen. Dies betraf vor allem die Sicherheit für eine Bevölkerung, die seit Jahren unter der Konkurrenz einer Vielzahl bewaffneter Gruppen gelitten hatte.
Das "liberale" Lager, vertreten durch die amerikanisch-äthiopische Allianz, reagierte auf diese Herausforderung wie gewohnt und unterstützte mit Abdullahi Yusuf, dem Präsidenten der Übergangsregierung TFG, einen Kriegsherrn, dessen demokratische Glaubwürdigkeit angezweifelt werden darf. Er setzte denn auch als eine seiner ersten Amtshandlungen nach der Ankunft in Mogadischu den Präsidenten des Übergangsparlaments ab, der gemeinhin als ehrlicher Makler zwischen den verfeindeten Lagern galt. Von den USA wird Yusuf nun nahe gelegt, sein Herrschaftsbündnis zu erweitern, um der neuen Regierung einen Nimbus von Inklusivität zu geben und die Islamisten von der restlichen Gesellschaft abzusondern.
Es spricht also einiges dafür, dass Somalia ein Schauplatz der globalen Auseinandersetzung zwischen Islamisten und westlich orientierten Kräften ist. Doch an den lokalen Gegebenheiten zeigt sich, dass die Metapher des "Stellvertreterkriegs" mehr verdeckt als erklärt. Denn die "Stellvertreter" wissen die globale Ausgangslage für ihre eigenen Machtwünsche zu nutzen, anstatt nur die von außen herangetragenen ideologischen Anliegen zu vertreten.
Die "Union der Islamischen Gerichte" stützte ihren militärischen Erfolg in erster Linie auf die Kämpfer des Hawiye-Clans, die seit Mitte 2006 rivalisierende Milizen aus Mogadischu und anderen Städten des Landes vertreiben konnten. Dass die Hawiye-Anführer den Islamischen Gerichten im Dezember ihre Kampfkraft entzogen, führte zum schnellen Zusammenbruch letzterer. Abdullahi Yusuf, der Präsident der TFG, hingegen gehört zum mit den Hawiye verfeindeten Darod-Clan. Dementsprechend wird die TFG als ein gegen die Hawiye gerichtetes Clanbündnis wahrgenommen. Damit legt sich die dominante gesellschaftliche Struktur Somalias - die großen Verwandtschaftsnetzwerke der Clans, die seit dem Zusammenbruch der Zentralregierung 1991 zum wichtigsten Ordnungsfaktor geworden waren - auch über den aktuellen Konflikt.
Zudem weisen beide Lager innere Spaltungen auf, die eine simple Einteilung in Islamisten und westlich orientierte Kräfte unterlaufen. Die UIC war ursprünglich ein Bündnis aus Klerikern und Geschäftsleuten mit einem gemeinsamen Interesse an einem Mindestmaß von Ordnung. Erst nachdem der Hariywe-Clan sich von international vermittelten Gesprächen zur Bildung der TFG ausgeschlossen fühlte und sich stattdessen den islamischen Gerichten zuwandte, entwickelte sich aus ihnen so etwas wie eine Regierung. Dazu stießen kleinere islamistische Gruppen wie "al-Itihaad" und die "HisbÂ’ul Shabaab", die allerdings vielen als extremistische Störfaktoren erschienen. Dementsprechend schaffte es die UIC nie, gegenüber dem Westen mit einer Stimme zu sprechen. Während die Mehrheit jegliche Terrorverbindungen zurückwies und eine Zusammenarbeit anbot, machten andere durch anti-westliche Rhetorik auf sich aufmerksam.
Als Siad Barré 1977 Äthiopien angriff, um die mehrheitlich von ethnischen Somali bewohnte Ogaden-Region zu erobern, hoffte er dadurch das Nation Building Somalias zu befördern und seine Herrschaft abzusichern. Das Gegenteil geschah, die Niederlage gegen den äußeren Feind führte in den bis heute andauernden Bürgerkrieg. Heute sind es vor allem die islamischen Kräfte, die mit nationalistisch-religiösen Argumenten zum Kampf gegen die "christlichen" Äthiopier aufrufen. Ob ihre Mobilisierungskraft stärker ist als die des abgesetzten Diktators, ist bislang nicht abschätzbar. Doch auch die erneute symbolische Aufladung des Konflikts, wie sie von der US-äthiopischen Allianz wie auch Al-Quaida betrieben wird, hat sich bislang nicht gegenüber der lokalen Clanstruktur durchsetzen können.

Alex Veit ist Afrikanist und freier Autor in Berlin.