Ziehen wir die richtigen Lehren?

5 Jahre nach

Die Terroranschläge auf das WTC in New York und das Pentagon in Washington jährten sich in diesem Jahr zum fünften Mal. Der 11. September 2001 markiert eine Zeitenwende.

Die Terroranschläge auf das WTC in New York und das Pentagon in Washington jährten sich in diesem Jahr zum fünften Mal. Der 11. September 2001 markiert eine Zeitenwende, deren Auswirkungen immer noch nicht absehbar sind. Innen- und noch mehr außenpolitisch haben sich seither tief greifende Veränderungen vollzogen. Allein, das Versprechen des amerikanischen Präsidenten Bush, die Welt (wieder) sicherer zu machen, wurde durch seine Politik ins genaue Gegenteil verkehrt. Die Welt ist unsicherer geworden.
An der Analyse der Täterbiographien der Generation nach dem 11. September beunruhigt vor allem ihre Gewöhnlichkeit. Scheinbar integriert, haben sie mit emotionalen Wechselbädern von Erwartungen und Enttäuschungen, von Integrations-, Sprach- und Lernproblemen zu kämpfen. Der aufgestaute Frust bekommt durch fanatische Religionsführer eine Sprache und durch die Terrorideologie einer Al Qaida eine Handlungsrichtung. Die Übergänge von Fanatismus zu Terrorismus sind nicht zwingend, sondern eher zufällig; auch die "Terrorzellen" entstehen nach diesem Prinzip und scheinen voneinander weitgehend unabhängig. Home-grown terrorism vollzieht sich damit als ideologisierter und mit fanatisierter Religion aufgeladener Amoklauf. Im Gegensatz zu einem "klassischen Amokläufer" aber weiß sich der "Gotteskrieger" in der globalisierten Gemeinschaft anderer Fanatisierter gut aufgehoben und von Unrechtsbewusstsein weitgehend verschont.
Den Sicherheitsorganen waren beispielsweise die "Kofferbomber" vor dem Attentatsversuch unbekannt. Die Anti-Terror-Datei, die jetzt unter erhöhtem Druck den Gesetzgebungsprozess durchläuft, hätte die beiden Tatverdächtigten nicht beinhaltet, da sie sich bis zu diesem Zeitpunkt völlig unauffällig verhalten hatten. Die Familie Hamad war zwar dem libanesischen Geheimdienst bekannt und wurde von ihm auch überwacht. Der deutsche Geheimdienst wusste davon jedoch nichts.
Die Idee einer besseren Zusammenarbeit der Dienste, um systematisch mögliche "Gefährder" vor ihrer Einreise mit Hilfe der Herkunftsländer zu identifizieren, würden unsere Entscheidungen jedoch von Ländern mit schwachen oder nicht vorhandenen demokratischen Strukturen abhängig machen. Der Willkür, insbesondere gegen unliebsame Oppositionelle, würde Tür und Tor geöffnet. Wir würden damit selbst den Boden rechtsstaatlicher Grundsätze verlassen.
Die Lösung des Problems liegt schon gar nicht in einer militärischen Aufrüstung der Inneren Sicherheit. Die militärische Bewachung von Bahnhöfen oder der Einsatz von "Rail-Marshalls" hätten ein solches Attentat nicht verhindern können. Sie alle wiegen die Bevölkerung in scheinbare Sicherheit und sind wohlfeile Plattformen, auf der unsere Sicherheitspäpste die Produkte ihres Nicht-Nachdenkens verbreiten können.
Klar abgrenzbare Ereignisse und Areale lassen sich für einen gewissen Zeitraum mit hohem Aufwand weitgehend schützen Dies gilt jedoch nicht für den Alltag: Busse, Bahnen, Schulen, Theater, Flughäfen ließen sich so nicht schützen, ohne dass das öffentliche Leben völlig zum Erliegen käme. Hier brauchen wir mehr Ehrlichkeit. Absolute Sicherheit wird es nicht geben.
Das kurz- und mittelfristig wirksamste Mittel gegen die Terrorbedrohung ist unbestritten die polizeiliche Vorfeldermittlung. Das Polizeirecht stößt dabei angesichts des modernen Terrorismus an Grenzen. Um potenzielle Täter erkennen zu können, bevor sie zu Tätern geworden sind, müsste schon ermittelt werden dürfen, bevor eine unmittelbare, konkrete Gefahr besteht. Das sieht das Polizeirecht aus gutem Grund nicht vor, weil es zur Gefahrenabwehr weitgehende Eingriffe in die persönliche Freiheit erlaubt. Vielmehr ist es die klassische Aufgabe der Nachrichtendienste, Informationen aufgrund einer abstrakten, möglichen Gefährdung zu sammeln. Genau darum hatten die Dienste bislang beschränkte Eingriffsmöglichkeiten, und genau darum gilt das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten.
Die Anstrengungen zur verstärkten Informationsgewinnung, Überwachung und Vernetzung mit dem Ziele der Prävention greifen immer tiefer in die Persönlichkeitsrechte der Bürger ein. Die Präsenz von Informationstechnologie, deren Charakteristikum ja gerade im Sammeln schier unendlicher Datenmengen liegt, gehört längst zu unserem Alltag. Diese technologische Entwicklung einerseits und der Druck durch Überwachung und Vernetzung bessere Informationen gewinnen zu können andererseits, drohen das Trennungsgebot zwischen Polizei und Diensten auszuhebeln. Die Grenze verwischt, wenn beide, Polizei und Dienste, den gleichen Zugang zu diesen Informationsquellen haben; sie verwischt, wenn die Dienste unkontrolliert auf diese Daten zugreifen können. Gerade in ihrer Wechselwirkung drohen die gesetzgeberischen Maßnahmen immer tiefer in die Bürgerrechte einzugreifen. Beim Terrorismusbekämpfungsgesetz und der Anti-Terror-Datei geht es genau um diese Problematik. Aber auch zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes wird uns dieses Thema wieder beschäftigen.
Der Ausweg aus diesem Dilemma liegt in einer der stärkeren und effektiveren Kontrolle. Nur wenn wir uns genau so intensiv um eine effektive Kontrolle der Informationsgewinnung bemühen wie um ihre Gewinnung selbst, wird Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht unter die Räder kommen. Wir müssen die Rechte des Datenschutzbeauftragten und des Parlamentes stärken und ihnen Instrumente zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit des Handelns der Behörden und Dienste an die Hand geben. Und wir müssen eine klare Mitteilungspflicht gegenüber dem unbescholtenen Bürger definieren, wenn er zum Ziel einer solchen Maßnahme geworden ist.
Letztlich werden wir den Kampf gegen den Terrorismus nur gewinnen können, wenn es uns gelingt die Ursachen auszuschalten. Es geht um wirkliche Integration durch gleiche Bildungs-, Ausbildungs- sowie Lebenschancen. Und es geht, auf internationaler Ebene, um Ausgleich, Gerechtigkeit und Teilhabe.

Gerold Reichenbach, MdB (SPD), lebt in Groß-Gerau

Quelle: spw 151 v. 29.09.2006