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Es war - wieder einmal - Krieg im Nahen Osten.

Mit diesem Krieg hat sich Israel, so scheint es, so wenig einen Gefallen getan, wie es sich einen Gefallen mit der fortgesetzten Besatzung der Westbank und den erneuten militärischen Aktivitäten in Gaza tut. Denn der Krieg hat das Leben für Israelis in Israel nicht sicherer gemacht, unterstellt mensch einmal, dass dies das vorrangige Ziel der israelischen Kriegsführung gewesen sei.

Im Gegenteil: Die offizielle israelische Position ist zwar die, man habe gesiegt. Selbst die israelischen Medien und die israelische Bevölkerung glauben das aber nicht so recht. Mitte September versammelten sich ungefähr 40.000 Menschen in Tel Aviv, um eine staatliche Untersuchung der Kriegspleite zu fordern, weit mehr als jemals gegen den Krieg demonstriert hatten. Unter der Bevölkerung und in den Medien der Israel umgebenden Staaten ist die Mehrheit ohnehin der Meinung, dass die vermeintlich starke israelische Armee sich an der Hizballah eine blutige Nase geholt hat.
Das hat Auswirkungen: In den palästinensischen Gebieten wird Hizballah-Führer Nasrallah als Held gefeiert und blickt von zahllosen Postern von den Wänden. Israelische Zeitungskommentatoren befürchten, dass die Identifizierung mit der Hizballah neue Selbstmordattentate in Israel provozieren könnte. Syriens Präsident Assad hat unterdessen unlängst in einem Fernsehinterview angedeutet, dass das Modell Hizballah nun vielleicht auf die von Israel teilweise besetzten Golanhöhen übertragen werden könnte und eine "Volksbewegung zur Befreiung der Golanhöhen" nicht mehr fern liege.
Insgesamt hat der israelische Feldzug im Libanon unter PalästinenserInnen und in anderen arabischen Ländern für eine weitere Stärkung anti-israelischer und anti-amerikanischer Feindbilder gesorgt. Und das auch in Teilen der Gesellschaft, die nicht zum traditionellen Klientel von Hizballah, Hamas und Co. gehören.
Im Daily Star beispielsweise, der englischsprachigen, säkular-nationalistisch ausgerichteten Tageszeitung Beiruts, schreibt eine junge politische Aktivistin: "Wir sind dieselbe Jugend, welche die Zedernrevolution angeführt und damit das Ende der syrischen Besatzung des Libanons im März 2006 bewirkt hat. Â… Mit Stolz sahen wir, wie sich die arabischen Massen dem Libanon als einem möglichen Leuchtfeuer wirklicher Demokratie im Nahen Osten zuwandten. Â… Vier Monate später gibt Bush Israel grünes Licht, nicht nur die Hizballah, sondern den ganzen Libanon zu zerstören. Â… Die USA schaffen die Voraussetzungen für künftige Katastrophen, indem sie gemäßigte, gesetzestreue und friedliche Muslime, welche vom System vernachlässigt und missbraucht werden, in harte, rachsüchtige Radikale verwandeln, die eine Bedrohung für die Welt darstellen. Noch so viel Propaganda wird daran nichts ändern, solange die Tatsachen für sich sprechen."
Der israelische Krieg im Libanon hat jedoch nicht nur Auswirkungen im Verhältnis zu den arabischen Staaten und ihrer Bevölkerung, sondern auch negative Rückwirkungen auf die eigene Gesellschaft.
Feministische Gruppen in Israel wie New Profile oder Bat Shalom haben immer wieder auf den Zusammenhang zwischen der andauernden militärischen Besetzung palästinensischer Gebiete und dem Anstieg von Aggression innerhalb der israelischen Gesellschaft im Allgemeinen und von Gewalt gegen Frauen im Besonderen hingewiesen.
Eine Gruppe ehemaliger Soldaten, "Breaking the Silence", hat sich zum Ziel gesetzt, das Schweigen in der israelischen Gesellschaft darüber, was die Soldaten bei ihrem Dienst in den besetzten palästinensischen Gebieten erleben, zu durchbrechen. Einer der bei Breaking the Silence aktiven früheren Soldaten schreibt auf der Website der Organisation: "Es fällt schwer, den Preis zu akzeptieren, den die israelische Gesellschaft für jeden Soldaten zahlt, der in die palästinensischen Städte geschickt wird, um dort zu dienen. Der Preis ist hoch: die Zerstörung von Grundwerten, von menschlichen Verhaltensregeln und Normen."
Die israelischen Soldaten, die im Libanon eingesetzt waren, haben als Täter und Opfer vermutlich ähnliches erlebt und getan wie die Soldaten in den besetzten palästinensischen Gebieten. Die daraus folgenden Traumata hinterlassen Spuren nicht nur beim Individuum, sondern auch gesamtgesellschaftlich.
Daneben hatte der Krieg im Libanon auch handfestere Auswirkungen. Wirtschaftlich sind die Schäden nicht nur auf libanesischer, sondern auch auf israelischer Seite groß. Nach Schätzungen der britischen Zeitung Guardian hat der Krieg Israel 1,6 Milliarden Dollar gekostet. Dieses Geld fehlt für soziale Aufgaben. Gemäß dem jüngsten israelischen Armutsbericht lebt ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, die Kluft zwischen Arm und Reich wird seit Jahren immer größer. Es waren vor allem die im Norden oder im Grenzgebiet lebenden Armen Israels und einige israelische AraberInnen, die direkt Opfer der Hizballah-Raketen wurden, weil sie zu arm waren, um sich Bunker oder andere Schutzräume leisten zu können.
Einer der Slogans, mit denen im August ungefähr 3.000 Menschen in Tel Aviv gegen den Libanonkrieg demonstrierten, lautete: "Geld für die Benachteiligten, nicht für Krieg".
Solche Stimmen gegen den Krieg repräsentierten eine kleine Minderheit in Israel, wo die Zustimmung zum Krieg laut Meinungsumfragen zeitweise bei über 90 % lag. Aber diese Stimmen waren deutlich zu hören. Eine Vielzahl von Mahnwachen und Demonstrationen fand überall in Israel statt. Trotz der teilweise herrschenden Kriegsbedingungen nahmen daran nicht nur palästinensische, sondern auch viele jüdische Israelis teil.
Eine der Frauen in Schwarz, die in Haifa wöchentlich eine Mahnwache gegen die Besatzung abhalten, die nun auch zu einer Mahnwache gegen den Libanonkrieg wurde, berichtet: "An einem Freitag fingen die Alarmsirenen an zu heulen, als wir mitten in der Mahnwache waren. Wir haben den Schutzraum aufgesucht, und als die Entwarnung kam, haben wir die Mahnwache fortgesetzt."
Eine schwer bezifferbare Zahl von Soldaten und Reservisten haben die Teilnahme am Krieg verweigert. Die Organisationen New Profile und Yesh Gvul, die Verweigerer politisch und juristisch unterstützen, schätzen, dass es mehrere hundert, möglicherweise sogar mehrere tausend Verweigerer gibt. Die genaue Zahl ist deswegen so schwer zu schätzen, weil viele, die nicht am Krieg teilnehmen wollen, den Weg des kleinsten Widerstands gehen und sich z.B. krank melden oder für eine Zeit ins Ausland verschwinden.
Nur eine kleine Zahl von Verweigerern sitzt inzwischen im Militärgefängnis. Andere Soldaten haben den Befehl verweigert, die libanesische Zivilbevölkerung zu bombardieren. Yonathan Shapira, der zu einer Gruppe von Piloten gehört, die seit 2003 den Kriegsdienst in den besetzten palästinensischen Gebieten verweigern, berichtet in einem Interview: "Ich habe mit einem von diesen Soldaten gesprochen. Er hat mir insbesondere von einem Fall erzählt. Er bekam ein Ziel gesagt - ein Haus auf einem Hügel - und er wollte das Haus einfach nicht beschießen. Später sagten ihm die Kommandeure, das sei okay."
Nicht nur die Aktivitäten und Positionen der israelischen Friedensbewegung lagen außerhalb des Lichtkegels des medialen Interesses am Kriege im Nahen Osten, im Rahmen der internationalen Kriegsschau geriet auch in die öffentliche Vergessenheit, dass die israelischen Militäraktivitäten in Gaza munter weiter gingen. Ergebnis: mehr als 200 tote und mehr als 1.000 verwundete PalästinenserInnen allein für den Zeitraum des Libanonkriegs. Die wirtschaftliche Lage in Gaza ist mittlerweile durch Abriegelung, Zerstörung von Infrastruktur und Hamas-Boykott so dramatisch, dass Menschen aus Medikamentenmangel an heilbaren Krankheiten sterben und ihr Essen im Müll suchen.
Israel baut immer noch an einer großen Mauer, um sich vor den palästinensischen BewohnerInnen der Westbank zu "schützen". Gegen die Raketen der Hizballah aus dem Norden und die Qassam-Raketen der bewaffneten islamistischen Gruppierung aus Gaza helfen Mauern wenig. Für Israel ist die einzige Alternative zur baldigen Überdachung des Landes mit raketensicherem Glas damit anzufangen, auf diejenigen mutigen und klugen Stimmen in der eigenen Mitte zu hören, die darauf aufmerksam machen, dass der Weg zum Frieden nicht Krieg heißt.

Christiane Gerstetter

Literaturempfehlung der GWR-Redaktion:
1) Rundbrief KDV im Krieg, September 2006. Schwerpunkt KDV und Desertion in Israel, www.connection-eV.de
2) Gruppe CoRa Wien (Hg.): Texte und Interviews zu Anarchismus, KDV und gewaltfreiem Widerstand in Israel/Palästina. Mit Beiträgen aus GWR, DA, TATblatt, u.a., 24 Seiten, 1,50 Euro (plus Porto). Kontakt: Gruppe CoRa, Stiftsgasse 8, A-1070 Wien, gruppecora@gmx.net

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 312, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 35. Jahrgang, Oktober 2006, www.graswurzel.net