Mit Volkstanz in den Schweriner Landtag

NPD hofft mit Hilfe der Neonazi-Szene auf Erfolg in Mecklenburg-Vorpommern

Wer nach Lücken in der "Volksfront von Rechts" in Mecklenburg-Vorpommern sucht, wird schnell fündig. Die Neonazi-Nachrichtenseite Störtebeker-Netz kritisiert fast täglich den Wahlkampf der NPD ...

... und kolportiert Gerüchte aus der Partei. Kandidaten würden lieber Urlaub in Holland machen, als Wahlkampf zu betreiben, heißt es da, und anderen hätte die Partei die Schulden bezahlt. Zu viele persönliche Differenzen machen es dem Betreiber der Seite, Axel Möller aus Stralsund, unmöglich, an der intensivierten Zusammenarbeit von NPD und so genannten freien Kameradschaften teilzuhaben. Mit seiner Kritik steht er jedoch alleine dar. Die gesamte rechte Szene des Bundeslandes hat sich zu einem Zweckbündnis zusammengerauft, um am 17. September in den Landtag einzuziehen. Vor vier Jahren noch sah das anders aus. Distanziert beobachteten die Neonazis der freien Kameradschaften die Bemühungen der wenigen NPD-Kader, Stimmen zu gewinnen. Sie bauten zu der Zeit lieber an verbindlicheren Netzwerken, organisierten die verschiedenen rechten Kameradschaften in überregionalen Bündnissen und diskutierten über neue Möglichkeiten der Propaganda. Mit Erfolg: Während die NPD über Jahre hinweg ohne Bedeutung blieb, verbreiterte sich die rechte Szene im Bundesland von der Kinderbetreuung über die Kulturarbeit bis hin zum Politaktivismus. Während die Kameradschaftsbündnisse Soziales und nationales Aktionsbündnis Pommern und Mecklenburgische Aktionsfront etwa regelmäßig Demonstrationen durchführen oder zur sozialen Frage agitieren, üben sich Gruppen wie der Heimatbund Pommern oder der Kulturkreis Mecklenburg-Strelitz im Trachtentragen. Volkstänze werden eingeübt, Wanderungen durchgeführt, paramilitärische Zeltlager veranstaltet. Eine Vielzahl von Läden bedient derweil die Szene mit Accessoires und Rechtsrock, "nationale Wohnprojekte" ermöglichen ungestörte Neonazi-Konzerte.

Rechtsrock, Heimatpflege und Sozialprotest

Stören tun sich die BewohnerInnen der ländlichen Regionen Vorpommerns, des mittleren oder des westlichen Mecklenburgs an den Neonazis nur dann, wenn sie die beschauliche Ruhe und Ordnung stören. Durch die stetige Präsenz und die Übernahme sozialer Aufgaben auf Stadtteilfesten, im dörflichen Jugendclub oder in der freiwilligen Feuerwehr ist Rechtssein zur Normalität geworden. Mit ihren politischen Aktivitäten versuchen die rechten AktivistInnen seit einigen Jahren darüber hinaus, sich auf der lokalen Ebene als wahrnehmbare politische Kraft zu präsentieren. So demonstrierten sie gegen den Irak-Krieg, wetterten gegen Hartz IV oder riefen Bürgerinitiativen für Ordnung und Sicherheit und gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften ins Leben. Regelmäßige, regionale Mitteilungsblätter wie der Inselbote für Usedom werden in Vorpommern in Auflagen von mehreren 10.000 Stück verteilt. Als im Sommer 2004 gleichzeitig mit der Europawahl die Kommunalwahlen für Mecklenburg-Vorpommern stattfanden, demonstrierten Teile der Neonazi-Szene in Rostock mit Christian Worch lieber für einen Wahlboykott als für eine Unterstützung jener kleinen NPD, die sich in einem knappen Dutzend Gemeinden um Mandate bewarb. Doch zur Überraschung der Kameradschaften, der NPD und auch der Öffentlichkeit konnte die Partei fast überall dort, wo sie antrat, Sitze erringen und verfügte fortan über zehn Mandate in Kreistagen, Bürgerschaften, Stadt- und Gemeindevertretungen in Südwestmecklenburg, Vorpommern und Waren-Müritz. Bei der Europawahl kamen die Nationaldemokraten auf ein landesweit bemerkenswertes Ergebnis von 1,7 Prozent. Damit konnte die Partei überall dort Mandate gewinnen, wo die Kameradschaften seit Jahren kontinuierlich aktiv gewesen waren. Unter dem Eindruck der mit dem Schlagwort einer "Volksfront von Rechts" betriebenen Öffnung gegenüber den anderen Rechtsparteien und der radikalen Neonazi-Szene, die dem Einzug der Partei mit 9,2 Prozent in den Landtag von Sachsen folgte, reduzierte sich auch die Distanz der "Freien" aus Mecklenburg-Vorpommern zur NPD. Im Bundestagswahlkampf 2005 testeten sie die Zusammenarbeit mit der Partei und deren Erfolgschancen aus. Dass deren Kader keine Berührungspunkte zum Wahn des "nationalen Sozialismus" ihrer neuen Verbündeten haben, hatten sie bereits in der Vergangenheit öfter bewiesen. Der Wahlkampf wurde nicht nur mit einem Landesergebnis von 3,5 Prozent der Stimmen ein voller Erfolg. Es zeigte sich zugleich, dass es den Neonazis gelingen konnte, die kleine und unprofessionelle Partei mit ihren 100 überwiegend inaktiven Mitgliedern für ihre Zwecke einzuspannen.

400.000 Euro für sieben Prozent plus X

Es folgte eine Eintrittswelle aus allen wichtigen Kameradschaften des Landes, die die Mitgliederzahl auf inzwischen etwa 280 ansteigen ließ. Ihren Führungsanspruch stellten die neuen Parteimitglieder klar, indem sie so manchen altgedienten Funktionär ins Abseits schoben. Wie ein Who-is-who der Neonazi-Szene des Landes liest sich dementsprechend die Landesliste zur Wahl im September, auf der sich NPD-Kader mit ehemals freien Neonazis abwechseln. Um das angestrebte Ziel von sieben Prozent plus X zu erreichen, kommt dem Landesverband umfangreiche Hilfe zuteil. Mit einem Etat von 400.000 Euro, der in der Presse kursiert, will die Partei fast genauso viel Geld in den Wahlkampf investieren wie die Linkspartei.PDS. Mit Holger Apfel wurde zudem der Fraktionschef von Sachsen zum Wahlkampfleiter ernannt und hat seine Zentrale im vorpommerschen Anklam bezogen. Für die Bundespartei hat das kleine Mecklenburg-Vorpommern große Bedeutung. Eine weitere Landtagsfraktion würde ihr finanzielle, personelle und mediale Unterstützung sichern, um in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben. Um von ihrem Scheitern in der politischen Sacharbeit in Sachsen und den Kommunalparlamenten abzulenken, hat sie außerdem neue Skandale nötig - von denen die Neonazis im Nordosten nicht wenige produzieren können werden. Bisher jedoch geben diese sich betont bieder. Den WählerInnen bieten sie neben Luftballons und NPD-Bonbons rassistische, nationalistische und autoritäre Scheinlösungen für verschiedenste Themen von der Ausländer- über die Wirtschafts-, Bildungs- und Sicherheits- bis hin zur Sozialpolitik an. Zugleich passt die NPD ihre Propaganda lokalen und regionalen Anlässen an und setzt damit jene Praxis fort, die die Szene seit Jahren in der Auseinandersetzung gegen Schulschließungen, Krankenhausprivatisierungen oder Hartz-IV-Maßnahmen erprobt hat.

Routinierte Aufregung gegen Rechts

Während der Wahlkampf von NPD-Funktionären aus der ganzen Republik vor Ort beäugt wird, wurden mehrere Kader aus dem Nordosten im Gegenzug für einen Einblick in die Parlamentsarbeit zu Praktika nach Sachsen geschickt. Gelehrt wurde dort auch, dass die Partei vorrangig auf Infostände setzen soll. Anstatt martialische Aufmärsche durchzuführen, die immer Proteste und damit Unruhe mit sich bringen, setzt die Partei auf das direkte Gespräch mit den WählerInnen. Bereits in den letzten Monaten fand eine Vielzahl von Infoständen in allen Regionen des Bundeslandes statt, um Unterstützungsunterschriften für die Direktkandidaten der NPD zu sammeln. Erstmals ist es der Partei damit gelungen, flächendeckend in Mecklenburg-Vorpommern um Erst- und Zweitstimme zu werben. Dass die NPD den etablierten Parteien die Sitze im Landtag streitig machen könnte, hat schon vor Monaten für Aufregung in der Landespolitik gesorgt. Den großen Reden gegen Rechts und den eilig einberufenen Konferenzen folgte jedoch wenig, das über Lippenbekenntnisse hinausging. Als eines der wenigen Ergebnisse wurde zumindest die finanzielle Beteiligung des Landes an Programmen gegen Rechts vorerst abgesichert. Die Auseinandersetzung mit der NPD lebendig zu halten, hat sich dagegen eine Vielzahl von alternativen, nicht-rechten Initiativen vorgenommen und die Kampagne Keine Stimme den Nazis gestartet. Mit verschiedenen Aktivitäten wollen sie den Einzug der Neonazis in den Landtag verhindern. Darüber hinaus kritisieren sie die etablierten Parteien für ihren indifferenten Umgang mit der NPD, mit der sie auf kommunaler Ebene auch schon mal zusammenarbeiten, oder erinnern an die diskriminierende Flüchtlingspolitik einer rot-roten Landesregierung. Von dem Image einer Protestpartei gegen eben diese SPD-PDS-Regierung und die große Koalition auf Landes- und Bundesebene will die NPD profitieren. Axel Möller jedoch weiß es besser. Der Neonazi traut auch den Nationaldemokraten keinen Erfolg zu und ruft in seinem Störtebeker-Netz zum Wahlboykott auf. Dass diese Lücke in der Volksfront jedoch Einfluss auf die Landtagswahl hat und für mehr als ein paar witzige Kolportagen aus der Szene sorgt, ist unwahrscheinlich. Denn solange ihm kein Misserfolg in Aussicht steht, hält das Zweckbündnis von NPD und freier Szene noch. Thorben Boede

Interview mit der Kampagne Keine Stimme den Nazis

Mitte Mai haben mehr als 40 alternative, nicht-rechte Initiativen die Kampagne Keine Stimme den Nazis gestartet. Ihr Ziel ist es, den Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern zu verhindern. Wir sprachen mit Maria Hinrich, Pressesprecherin der Kampagne. ak: Die letzten Wahlen haben den Neonazis satte Stimmengewinne beschert, die NPD verfügt über mehrere Mandate in kommunalen Parlamenten. Gleichzeit stellen Meinungsforschungsinstitute rechtsradikale Einstellungen bei mehr als 30 Prozent der Bevölkerung im Bundesland fest. Ist das Motto eurer Kampagne vor diesem Hintergrund nicht etwas blauäugig? Maria Hinrich: Wir müssen uns da nichts vormachen. Viele der beteiligten Gruppen weisen ja selbst seit Jahren auf die Besorgnis erregende Entwicklung der Neonazi-Szene hin. Klar ist, ein Wahlerfolg der NPD würde den Realitäten in Mecklenburg-Vorpommern entsprechen. Doch die Forderung "Keine Stimme den Nazis" bleibt politisch richtig. Es ist egal, ob die NPD ein, fünf oder zehn Prozent der Stimmen erhält. Die Partei ist neonazistisch, rassistisch und bezieht sich positiv auf den Nationalsozialismus. Derartige Ansichten gehören nicht zum akzeptablen Meinungsspektrum und haben nichts in Parlamenten zu suchen. Der Einzug der NPD in den Landtag hätte verheerende Folgen für das politische Klima im Land und würde rechte Strukturen immens fördern. Auch wenn es schwer wird, wollen wir das tatsächlich verhindern. Der Aufruf wird von Bands, Clubs, Medien und Gruppen unterstützt, die eher dem alternativen Spektrum des Bundeslandes zuzuordnen sind. Macht es denn Sinn, sich an Leute zu richten, die eigentlich nicht mehr überzeugt werden müssen? Ja, wir wollen gerade diese Menschen aktivieren. Die wissen aus ihrer Arbeit, aus ihrer Erfahrung, aus ihrem Leben in den Dörfern und Städten des Landes am besten, was eine weitere Stärkung der Neonazis bedeuten würde. Sie haben Partner und Netzwerke, die sie aufrütteln können. Wir wollen ja nicht in der eigenen Suppe schmoren, sondern in den Regionen mit Flugblättern, Plakaten, Aktionen und Veranstaltungen dann auch andere Leute ansprechen. Da setzen wir auf die Kreativität und Motivation der aufrufenden Gruppen. Sind denn nicht schon viele Leute aufgerüttelt? Die Parteien zumindest sind sich einig gegen die NPD. Das stimmt nur zum Teil. Sicher, die Medien berichten und recherchieren viel mehr, in einigen Städten haben sich Bündnisse gebildet, im Landtag wird diskutiert, es gibt Tagungen, Seminare und mehr. Das ist gut, heißt aber leider nicht, dass dann auch etwas passiert. Außerdem müssen wir im Auge behalten, dass die, die jetzt Engagement zeigen, das Problem jahrelang geleugnet und ignoriert haben. In manchen Orten gibt es bereits eine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien mit Neonazis. Viele stehen hilflos da. Jetzt brauchen wir Leute, die sich der NPD und den Kameradschaften entgegenstellen, Leute, die eine Normalisierung im Umgang mit den Rechten nicht zulassen, sondern sich entschieden entgegenstellen. Weitere Informationen unter www.keine-stimme-den-nazis.info aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 508/18.8.2006