Brasiliens Agrarfront: Landnahme, Inwertsetzung und Gewalt

in (10.07.2006)

Am 12. 2. 2005 wurde die Missionarin Dorothy Stang, im Alter von 74 Jahren, durch sechs Schüsse getötet. Dorothy Stang kannte ihre Mörder. Sie war schon seit längerer Zeit mit dem Tod bedroht word

Vorspiel auf der Erde: Ein angekündigter Mord

Am 12. 2. 2005 wurde die Missionarin Dorothy Stang, im Alter von 74 Jahren, durch sechs Schüsse getötet. Dorothy Stang kannte ihre Mörder. Sie hatte ihnen nach einem Augenzeugenbericht kurz vor der Tat aus der Bibel vorgelesen. Sie war schon seit längerer Zeit durch Fazendeiros der Gegend mit dem Tod bedroht worden. Im Oktober 2004 hatte der Vorarbeiter Tufi Rafael Junior ihr gegenüber erklärt, dass er sie deshalb noch nicht umgebracht habe, weil sein Patron, Yoakim Petrola, noch keinen Preis für diese "Dienstleistung" genannt habe. Der Mord geschah in der Gemeinde Anapú, gelegen an der Transamazônica, im Bundesstaat Pará. Anapú ist gegenwärtig Ziel eines Stroms von Migranten, die Land und Arbeit suchen. In den letzten fünf Jahren stieg die Zahl der Einwohner von 7.000 auf 20.000. Die Zahl der Holzunternehmen wuchs von 5 auf 34. Illegaler Holzeinschlag und illegale Landnahme bestimmen die Entwicklung. In den Straßen treiben sich die Pistoleiros herum. Die Region gehört zu jenen 100 Kilometer breiten Streifen Landes auf beiden Seiten der Transamazônica (und anderer Bundesstraßen in Amazonien), die 1970 durch die Zentralregierung der Jurisdiktion der Einzelstaaten entzogen wurde. Sie waren zunächst für Zwecke der Agrarreform vorgesehen. Die Kolonisation mit kleinen Siedlern auf Grundstücken in der Größe von 100 ha wurde jedoch 1973 unterbrochen und die zuständige Behörde INCRA (Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária) begann, Grundstücke in der Größe von 500 bis 3.000 Hektar Spekulanten und Unternehmen zum Kauf anzubieten. Die Verkäufe unterlagen der Bedingung, die Grundstücke "produktiv" zu nutzen. Dies geschah in vielen Fällen nicht, in denen das Land an den Staat hätte zurückfallen müssen. Einige Eigentumsansprüche von Fazendeiros in der umstrittenen Region gehen bis auf diese Zeit zurück. Die Auseinandersetzungen richten sich vor allem auf ein Gebiet von ca. 135.000 Hektar, in dem Projetos de Desenvolvimento Sustentado (PDS) im Rahmen der von INCRA durchgeführten Agrarreform für ca. 1.000 Familien Lebensraum bieten sollen. Die PDS stellen eine neues Modell der staatlichen Agrarreform dar, in der insbesondere auf Umweltverträglichkeit und auf kollektive Formen der Bewirtschaftung geachtet wird. Vier PDS, für die auch Dorothy Stang arbeitete, wurden 2003 von INCRA eröffnet. Zugleich mit den Aktivitäten von INCRA begannen jedoch die Übergriffe durch Fazendeiros und Holzunternehmer. Sie wurden hierin durch SUDAM (Superintendência de Desenvolvimento da Amazônia)(1) angeregt, die für das Munizip Anapú 100 Millionen Reais für Agrarprojekte zur Verfügung stellte und damit die illegale Landnahme und Entwaldung auch in den Siedlungsgebieten anheizte. Die von INCRA mit Vermessungsarbeiten beauftragten Firmen wurden vertrieben oder durch Pistoleiros in der Arbeit gehindert. Nach der Ermordung von Dorothy Stang übernahm das Militär für einige Zeit den Schutz der Arbeiter. In Auseinandersetzungen in der Region (Terra do Meio) sind zwischen Januar und April 2005 acht Landarbeiter und ländliche Führer, unter ihnen Schwester Stang, ums Leben gekommen. Nach den Aufstellungen der Commissão Pastoral da Terra (CPT) waren zwischen 1986 und 2002 in Pará 386 Personen in Auseinandersetzungen um Land getötet worden. Insgesamt wurden jedoch nur 7 Personen verurteilt: drei Auftraggeber, ein Mittelsmann und drei Pistoleiros.(2) 29 Pistolenschützen, namentlich bekannt, verantwortlich für den Tod von 36 Personen, befinden sich auf freiem Fuß.

Einleitung: Bodeneigentum und Gewalt

Der Tod von Dorothy Stang ist ein kurzer Moment in der Geschichte des "Marsches nach Westen", der politischen, ökonomischen und militärischen "Integration" Amazoniens in den brasilianischen Nationalstaat, der immer noch seine Souveränität in den straßenlosen und schwach besiedelten Wäldern Amazoniens gefährdet sieht. Er wurde 1938 von der brasilianischen Zentralregierung unter dem Diktator Getulio Vargas ausgerufen.(3) Gestalt nahm dieser Marsch endgültig an mit der Errichtung der Hauptstadt Brasília im Landesinneren zwischen 1958 und 1960 und dem Bau und der späteren Asphaltierung der Bundestrasse 153 von Brasília nach Belém. Die Erschließung Amazoniens, vorangetrieben durch die Militärregierung zwischen 1964 und 1984, war und ist ein politisches, geo-strategisches und ökonomisches Projekt, jedoch bisher nur in Ansätzen ein gesellschaftliches. Die anhaltende Agrarexpansion in Brasilien, die Ausweitung der agrarischen und viehwirtschaftlichen Produktion durch Landnahme, ist heute de facto unmittelbar mit der Zerstörung der Regenwälder Amazoniens und des Cerrado(4) in Zentralbrasilien verbunden. Dieser Prozess setzt die Landnahme in Südbrasilien zwischen 1940 und 1960 fort, denen die atlantischen Regenwälder fast vollständig zum Opfer fielen (Dean 1995). Erstaunlich ist auf den ersten Blick, wieweit sich Inhalte und Formen der Agrarexpansion, gewaltförmige Aneignung und Privatisierung öffentlichen Landes, die unkontrollierte Bildung von Bodenmärkten, Verdrängung und Vertreibung von Kleinproduzenten und die Konzentration des privaten Grundeigentums, gestern und heute gleichen (Foweraker 1981; Bunker 1984; Schmink & Wood 1992; Alencar u.a. 2004). Historisch verlaufen die neueren agrarischen Expansionen in einer Serie von Zyklen der Landnahme, extensiver Produktion und Konsolidierung agrarkapitalistischer Großbetriebe, die, in der Beanspruchung enormer Areale als Privateigentum, die Nachfolge der Latifundien antreten. Diese Zyklen wiederholen sich bis in die Gegenwart in der "Erschließung" und "nationalen Integration" des Großraumes Amazonien. Die "Agrarfront" verläuft heute vornehmlich entlang des "Bogens der Entwaldung" (arco do desmatamento), der sich vom Süden des Bundesstaates Pará nach Westen, über den Norden von Mato Grosso nach Rondônia erstreckt. Jedoch auch in anderen Bundesstaaten Amazoniens macht sich die Agrarexpansion in Form von Rinderhaltung oder Sojaanbau zunehmend bemerkbar. Die Geschichte der "Erschließung" Amazoniens ist natürlich weit mehr als nur eine Agrargeschichte, sie ist auch eine Geschichte der Ausbeutung seiner Bodenschätze, des Goldrausches, der Plünderung der Edelholzbestände und des Genozids an indianischen Völkern. Alle diese Geschichten sind zusammengefasst in einer Geschichte der massenhaften Einwanderung aus den armen Agrargebieten des Nordostens, aus Minas Gerais, aber auch aus dem Süden und dem Zentrum, nachdem die Agrarexpansion dort in die Phase der Konsolidierung und Intensivierung getreten war. Im Zuge von Kolonisierungsprojekten und spontanen Wanderungen stieg die Bevölkerung Amazoniens seit 1970 von ca. 8,2 Millionen auf schätzungsweise 21 Millionen im Jahre 2001, von denen mehr als 60 % in Städten oder stadtähnlichen Agglomerationen anzutreffen sind (Browder & Godfrey 1997). "Landnahme" unterwirft nur selten "jungfräulichen" Boden den Zwecken der Vieh- und Landwirtschaft. Nicht nur muss der Boden zu "produktiver Nutzung" erst hergerichtet werden, gesäubert von Bäumen und Sträuchern und anderen Konkurrenten, sondern auch herausgelöst werden aus bestehenden Nutzungsformen und kulturellen Einbindungen. Immer ist schon jemand da. Es gab in Amazonien neben den indianischen Völkern schon lange eine, wenn auch dünne Besiedlung, etwa an den Flussläufen und in den Überschwemmungsgebieten (vgl. etwa Nugent 1993). Der Kautschukboom hatte nach seinem Zusammenbruch um 1920 und einem vorübergehenden Wiederaufleben während des 2. Weltkriegs eine Bevölkerung hinterlassen, die sich als Sammler, Farmer und kleine Viehzüchter betätigte. Daneben entwickelte sich bereits seit den 20er Jahren eine von Maranhão ausgehende spontane Besiedlung des östlichen Regenwaldes in Richtung des Rio Tocantins (Velho 1979). Die Geschichte der Agrarexpansion ist daher auch eine Geschichte der Verdrängung und der Auslöschung: der indianischen Gruppen und Völker und anderer "traditioneller Bevölkerungen" (Instituto Socioambiental 2000; Little 2002). Die ansässige Bevölkerung, sofern sie nicht durch Bildung von Reservaten, z.B. für Indianer oder Sammler, einen gewissen Schutz erhält, muss der "Inwertsetzung" des Bodens Platz machen oder findet Arbeit in der entstehenden Holzwirtschaft und Landwirtschaft. Die Umwandlung riesiger Flächen "öffentlichen Landes" in Privateigentum am Boden verdrängt, mehr oder weniger offen gewaltsam, nicht nur jene bereits ansässige Bevölkerung, sondern auch Massen von Kolonisten und spontanen Siedlern, die sich auf der Suche nach Land an vielen Orten als "Pioniere" der "Inwertsetzung" betätigen. Der Kahlschlag des Bodens folgt der "binären Logik" der Inwertsetzung, der Trennung des für die "Verwertung" als "wertvoll" Geltenden vom "Wertlosen" (Altvater & Mahnkopf 1999, S. 129). Erst mit der Entwaldung erhält der Boden einen Preis.(5) Die Entleerung des Landes ist zugleich Kennzeichen moderner (kapitalistischer) Landwirtschaft, die sich erst hierdurch als Land-Wirtschaft ausdifferenziert. Schließlich sind Trennung und Ausschließung aller traditionellen und sonstigen, nunmehr fremden Ansprüche und Rechte Kennzeichen des modernen (absoluten) Privateigentums. Der - zumindest teilweise - Kahlschlag ist somit im Zuge der Landnahme nicht zufällig der erste entscheidende Schritt der Umwandlung öffentlichen Landes zu Privatland. Der Prozess der Landnahme, wie er heute in Brasilien zu beobachten ist, trägt Merkmale der "ursprünglichen" oder auch "primitiven" Akkumulation, der Bildung von Privateigentum als Voraussetzung der kapitalistischen Verwertung auf nicht-kapitalistischen bzw. der kapitalistischen Produktionsweise vorausgehenden Wegen.(6) Marx spricht daher ironisch von der "so genannten ursprünglichen" Akkumulation, die keine Akkumulation durch Produktion ist, sondern eine weitgehend gewalttätige Aneignung/Enteignung gegebener Produktionsbedingungen und Ressourcen zu Zwecken kapitalistischer Akkumulation. Diese ist in Brasilien offensichtlich in Bezug auf den Boden nicht abgeschlossen. Die Bildung von Privateigentum am Boden scheint sich weder rational rechtfertigen zu lassen (Grunebaum 1987, S.171ff), noch ist sie als solche frei von Gewalt. Dies lässt sich streng zwar nicht beweisen, doch spricht die historische Erfahrung, gerade auch in Brasilien, dafür. Das Privateigentum am Boden gründet "ursprünglich" auf Gewalt und perpetuiert die Gewalt durch das Monopol auf den Boden, das die Grundeigentümer gegenüber den von ihm Ausgeschlossenen als Klasse ausüben. Der Klassencharakter des Grundeigentums in Brasilien zeigt sich schlagend in der Konzentration des Großgrundbesitzes, die sich in den Resultaten der Landnahme reproduziert. Ganz im Gegensatz zu den sog. Theorien der Eigentumsrechte (property rights), die zeigen wollen, dass durch die Institutionalisierung von Eigentumsrechten, insbesondere in Form des Privateigentums, Konflikte ausgeräumt, "Transaktionskosten" gesenkt und individueller wie kollektiver Nutzen erhöht werden, beseitigt das den Großgrundbesitz legalisierende Privateigentum Gewalt nicht, sondern befördert sie. Für Autoren wie Alston, Libecap und Mueller, die sich auf die so genannte Institutionenökonomie berufen, scheint jedoch nicht der Ausschluss vom Land durch die Bodenkonzentration der Ursprung gewalttätiger Konflikte in Amazonien zu sein, sondern die politischen Versuche, durch eine Agrarreform, die sich anderer Mittel als der "friedlichen" des Marktes bedient, die faktische Ungleichheit des Bodenbesitzes zu verändern (Alston u.a. 1999, S.204). Gewalt, Repression und illegale Inbesitznahme von Land und seinen Ressourcen sind in Amazonien fast allgegenwärtig. Der Staat ist offensichtlich nicht in der Lage und bereit, rigoros sein Gewaltmonopol nach Innen durchzusetzen und effektive Institutionen zu Bildung, Transfer und Garantie von Eigentum an Boden wie anderen Ressourcen zu schaffen. Zwischen Umweltorganisationen, internationalen Geldgebern und der brasilianischen Regierung besteht heute weitgehend Einverständnis darüber, dass die Frage der Bewahrung der Regenwälder Amazoniens und ihres kulturellen Reichtums unbedingt und grundlegend die Lösung der questão fundiaria, die Klärung des rechtmäßigen Eigentums an Grund und Boden und die Verhinderung weiterer illegaler Landnahme zur unmittelbaren Voraussetzung hat. Der Ruf nach der Ordnungsmacht des Staates bleibt jedoch hilflos und irreführend, solange unklar ist, wen oder was der Staat "als Kräfteverhältnis" auf seinen verschiedenen Ebenen und in seinen verschiedenen Apparaten repräsentiert, die auf beiden Seiten agieren. Im weiteren Gang der Darstellung möchte ich im Kapitel "Zugriffe" und "Verbesserungen": Bürgerliche Theorien der Bildung und der Rechtfertigung des Privateigentums am Boden zunächst in einem kurzen Durchgang durch Theorien (von Locke bis Luhmann), die das Selbstverständnis bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaft vom Ursprung des privaten Bodeneigentums artikulieren, jenen Ort der Gewalt aufweisen, der durch Privateigentum, die Verwandlung des Bodens in eine Ware, eher verdeckt als beseitigt wird. Danach werde ich im Kapitel Bodeneigentum in Brasilien auf Geschichte und Formen des Bodeneigentums in Brasilien heute eingehen, in denen sich viele Elemente des bürgerlichen Verständnisses vom Bodeneigentum finden, die zum Teil im eklatanten Widerspruch zu den faktischen Verlaufsformen der Landnahme stehen, zum Teil diese befördern. Das Kapitel Herrschaft des Großgrundbesitzes und "Konservative Modernisierung" verortet die gegenwärtige Landnahme im brasilianischen Amazonien in der "konservativen Modernisierung" und der Krise der brasilianischen Agrarstruktur in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Landnahme setzt zugleich die vorausgehenden Zyklen horizontaler Expansion in Form einer "primitiven Akkumulation" fort. Im Ergebnis führt die Landnahme zu einer Reproduktion bzw. Erneuerung der enormen Bodenkonzentration, die Brasilien schon immer geprägt hat. Im Mittelpunkt des Kapitels "Spekulative" und "konsolidierte" Agrarfront: die Agenten der Landnahme und Entwaldung steht die Dynamik der Agrarfront in Amazonien heute, der Cerrado und amazonische Wälder weichen müssen. Große Rinderfarmen und Sojaproduzenten treiben die "spekulative Front" der "Inwertsetzung" des Bodens voran. Im Ergebnis setzt sich die Bodenkonzentration fort. Im Kapitel Grilagem: Die Verwandlung des Bodens in eine Ware gehe ich näher auf die Prozesse der Verwandlung des Bodens in eine "Ware" ein, denen Dorothy Stang zum Opfer gefallen ist. Abschließend frage ich im Kapitel Schließung der Agrarfront nach möglichen politischen und ökonomischen Grenzen der Agrarexpansion.

"Zugriffe" und "Verbesserungen": Bürgerliche Theorien der Bildung und der Rechtfertigung des Privateigentums am Boden

Die einflussreiche, auf Naturrecht sich stützende bürgerliche Theorie, nach der Eigentum sich aus dem Recht auf die Früchte der eigenen Arbeit ableitet, maßgeblich vertreten durch John Locke, scheint auf das Eigentum am Boden nicht recht anwendbar zu sein, allenfalls auf die Früchte des Bodens, da dieser selbst ("als solcher") nicht produziert ist. Die frühbürgerliche Anschauung, dass der Einzelne ein natürliches Eigentum an den Produkten seiner Arbeit besitzt, setzt zudem voraus, dass der Gegenstand der Arbeit "frei" ist, d.h. sich noch nicht in Privateigentum befindet.(7) Das Argument, dass der Boden durch einzelne (in gerechtfertigter Weise) als ihr Eigentum angeeignet werden kann, weil "ihre Arbeit sich mit dem Boden" mischt(8), gerät in Widersprüche mit den liberalen Voraussetzungen immer dort, wo Boden nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Wie Luhmann scharfsichtig erkennt, ist jedoch der Gegenstand der Eigentumsbildung, hier der Boden, spätestens im Moment seiner Erklärung zum (Privat-) Eigentum bereits "knapp" oder - besser - "verknappt" (Luhmann 1994). Konsistenter sind die Konventionalisten (wie etwa Hume), die in Verknüpfung von Rechtfertigungs- und Kausaltheorie Eigentum als Ergebnis gesellschaftlicher Anerkennung betrachten. Sie müssen allerdings die Objekte der Anerkennung, Besitz an der eigenen Person und Besitz an Sachen, bereits voraussetzen. Entscheidend ist jedoch die Frage, wer die "Anerkennenden" sind. Sofern einige oder viele vom Besitz ausgeschlossen sind, wird es die Klasse der Besitzenden sein, die sich gegenseitig als Eigentümer anerkennen und dieses auch durchsetzen (mit eigener und mit Staatsgewalt). Die bürgerliche Klassengesellschaft ist daher (zunächst) eine Gesellschaft der Eigentümer, aus der die Nicht-Besitzer (die "doppelt freien" Lohnarbeiter) ausgeschlossen sind bzw. nur als "Parasiten" des Eigentums (so Luhmann in Anlehnung an Serres, ebd., S. 212), als "Ausgeschlossene/Eingeschlossene" der Gesellschaft angehören. Die Stunde der gegenseitigen Anerkennung als Privateigentümer im modernen Sinne ist daher die Geburtsstunde der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft (z.B. in der glorious revolution von 1688). Dies gilt insbesondere für das private Bodeneigentum. Sein Ursprung, das (feudale) Eigentum am Boden im ancien regime und seine (revolutionäre) Aneignung durch die neue Klasse der bürgerlichen/verbürgerlichten Grundeigentümer wird durch die Form des bürgerlichen Privateigentums (Übertragung durch Kauf oder Vererbung) überdeckt. Auf ihr baut die kapitalistische Eigentumsbildung auf, die der Form nach immer Eigentumsübertragung ist. Die Schulweisheit der "Wohlfahrtstheorie" befreit sich daher überhaupt von der Eigentumsfrage dadurch, dass sie eine "Ausgangsaustattung", die es (durch Tausch) zu optimieren gilt (Pareto-Optimum), schlicht voraussetzt. Die Vermehrung des Reichtums bleibt dabei in der bürgerlichen Theorie ein Geheimnis. Luhmann bringt die Verhältnisse in seiner rabiaten Art in Art einer Okkupationstheorie auf den Punkt (und verdreht sie zugleich). (Privat-)Eigentum ist für ihn die gesellschaftliche Codierung von "Zugriffen", die diesem de facto vorausgesetzt sind. (Geld gilt als Zweit-Codierung des Eigentums) (Ebd., S. 178). Der Begriff des "Zugriffs" ist geeignet, das Faktische an der Aneignung einer Sache zu kennzeichnen, und scheint mir in Bezug auf den Boden und andere "natürliche Ressourcen" besonders treffend zu sein. Was Luhmann nicht sagt, was man in Amazonien jedoch sehr deutlich sieht, ist, dass Zugriffe handfest in Arbeit bestehen. Der Naturgegenstand ist an sich nie Ressource, sondern wird es erst durch Arbeit, d.h. Zugriff, Trennung und Vereinseitigung. Der Begriff des "Zugriffs", die Umformung natürlicher Vielfalt in selektierte "Knappheiten", verbindet sich daher problemlos mit dem Begriff der "Inwertsetzung". (Altvater & Mahnkopf 1999, S. 128ff). "Zugriffe" erzeugen nach Luhmann das Paradox der "Knappheit", das gesellschaftlich durch die Codierung als Eigentum und Geld, das seinerseits nun Form des Zugriffs ist, "entparadoxiert" werden muss. Ich lese das so, dass durch die Form des "Eigentums" seine ursprüngliche, handfeste und möglicherweise schändliche Herkunft aus "Zugriffen", durch die "Haben/Nicht-Haben", Einschluss und Ausschluss konstituiert wurden, verdeckt wird und zur Tagesordnung der Geldzahlungen übergegangen werden kann. Angesichts der Schwierigkeiten mit dem Ursprung des Privateigentums am Boden konstruieren viele Theoretiker (so auch Locke) und moderne Verfassungen eine Rechtfertigung aus seiner gesellschaftlichen Funktion. Locke benutzt hierfür den Begriff der "Verbesserung" (improvement) des Bodens. "Land produktiv zu machen - das heißt, es zu verbessern - wurde zur Grundlage des Rechts auf Eigentum an ihm; im Besonderen konnte ein Versäumnis der Verbesserung den Verlust des Eigentums bedeuten" (Wood 2002, S.157). Die Vorstellung, dass Nutzung Eigentum an Land rechtfertigt, ist sicherlich nicht spezifisch bürgerlich/kapitalistisch.(9) Entscheidend ist das Konzept der "Produktivität", mit dem Locke operiert. Locke sieht, dass "Wert" keine Eigenschaft der Natur ist, sondern der Natur durch Arbeit zugefügt wird. Wert heißt bei Locke immer schon Tauschwert und Überschuss ist immer schon gleich Profit. Der Indianer (in den amerikanischen Kolonien) schuf jedoch keine "Verbesserung", weil keinen Wert. Seine Arbeit "warf" keinen Profit, keine "vermarktbaren Überschüsse" ab. Es war daher gutes Recht und Pflicht der Kolonisten, das Land den Indianern wegzunehmen, es zu "verbessern" und im Interesse der Wohlstandvermehrung in der Tauschgesellschaft "produktiv" zu machen. Um die Frage seiner "Produktivität" kreist so auch die Debatte um die Legitimität und gesellschaftliche Funktion des großen Bodeneigentums (Latifundium) in Brasilien.

Bodeneigentum in Brasilien

Die Eroberer in Südamerika erklärten einst das Land "zur Rechten und zur Linken" zum Eigentum ihres Königs. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielten in Brasilien formelles Eigentumsrecht und formelle Eigentumsdokumente am Land nur eine geringe Rolle, solange der Reichtum vornehmlich im Besitz von Sklaven bestand. Modernes Eigentum an Grund und Boden (verkäuflich/beleihbar/vererbbar etc.) wurde erst zeitgleich mit der Beendigung des Imports von Arbeitssklaven aus Afrika durch das "Landgesetz" (Lei da Terra) von 1850 eingeführt. Das Gesetz bildete gewissermaßen die Geburtsurkunde eines modernen Brasiliens, das sich vom Eigentum an Sklaven abzuwenden und dem privaten Grundeigentum als Herrschaftsform zuzuwenden begann.(10) Es legalisierte den aus der Kolonialzeit bzw. der Zeit nach der Unabhängigkeit herrührenden, in großem Maßstab und mit zweifelhaften Mitteln zusammengerafften Landbesitz als Privateigentum. Eigentum von Land war nicht mehr an bestimmte Qualitäten der Person oder der Nutzung gebunden. Das Landgesetz war der Ursprung der brasilianischen Agrarbourgeoisie, die sich noch unter allerlei feudalen Mäntelchen versteckte. Angesichts des absehbaren Endes der Sklaverei im Jahre 1888(11) verlangte die Disziplinierung der Arbeitskräfte auf den Zucker- und Kaffeeplantagen, dass ihnen der Zugang zu "freiem" Land versperrt wurde.(12) Nach formaler Abschaffung der Sklaverei führten die Plantagen daher neue Formen der Bindung der Arbeitskräfte an das Land ein. Entscheidend war, dass nach dem Lei da Terra die Bildung neuen Bodeneigentums, durch Umwandlung öffentlichen Landes in Privatland, im Prinzip die Form des Kaufes annehmen musste.(13) Das Land wurde zur Ware. Land konnte von diesem Zeitpunkt legitim nur noch durch Kauf erworben werden, entweder bereits von Privateigentümern oder vom Staat. Im Sinne der bürgerlichen Rechtfertigung des Bodeneigentums verpflichtete das Gesetz den Großgrundeigentümer zugleich zur "produktiven Nutzung" seines Landes.(14) Nach dem Estatuto da Terra von 1964 und der Verfassung von 1988 kann nicht "produktiv" genutzter Großgrundbesitz durch den Staat zum Zwecke der Agrarreform gegen Entschädigung enteignet werden (Barth 1998). Das brasilianische Recht erkennt neben dem Eigentum den Besitz von Land, die posse, in Form der landwirtschaftlichen Nutzung von öffentlichem Land an, sofern diese dem Lebensunterhalt des Bearbeitenden und seiner Familie dient und soweit keine Ansprüche Dritter dem entgegenstehen. Ein Eigentum wird durch die posse, solange sie nicht legalisiert ist, nicht begründet. Die posse ist das legalisierte Minifundium (s.u.). Sie ist Form der Duldung der kleinen Produzenten, die gleichzeitig auch Arbeitskräfte für das große Eigentum sind, auf öffentlichem Land. Ist die Bearbeitung des Bodens direkt, produktiv, rational (d.h. den natürlichen Bedingungen gemäß), kontinuierlich im Raum und ununterbrochen in der Zeit (mindestens ein Jahr) und überschreitet das Landstück nicht ein modulo rural(15), dann kann der Landbearbeiter, sofern er sonst kein Land besitzt, den Boden als sein Eigentum eintragen lassen. In der Praxis schieben die gesetzlichen Bestimmungen der Bildung des Kleineigentums jedoch einen Riegel vor (Bunker 1984, S. 222 ff) Die Eintragungen verlangen einen hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand, Reisen in die Städte und eine Vielzahl von Papieren und Erlaubnissen, die die Möglichkeiten der posseiros weit überschreiten. Eine große Masse von ländlichen Kleinproduzenten verfügt daher nicht über Eigentumstitel, die sie vor Enteignung und Vertreibung wirksam schützen könnten.(16) Das Reservoir für die legale Bildung neuen privaten Bodeneigentums bildet die terra devoluta, zu der jene öffentlichen Ländereien zählen, die nicht von der öffentlichen Hand genutzt werden oder nicht bereits bestimmten administrativen oder sonstigen Zwecken dienen oder für solche vorgesehen sind. Gebiete indianischer Völker (terras indigenas), Gebiete für Sammler (reservas extrativistas), verschiedene Formen von Naturschutzgebieten, aber auch Flussauen und Überschwemmungszonen (várzeas) sind daher prinzipiell vor Privatisierung geschützt. Im Großraum Amazonien (amazônia legal)(17) können zur Zeit noch gut 45 % der Gesamtfläche als terra devoluta gelten, 31 % sind als Schutzgebiete der ein oder anderen Form ausgewiesen und 24 % befinden sich Privathand. Die verschiedenen Kataster der ländlichen Immobilien sind allerdings überaus unzuverlässig und bisher nicht vereinheitlicht. Von den 124 Millionen Hektar Grundfläche des Bundesstaates Pará sind bisher nur gut 40 Millionen im Sistema Nacional de Cadastro Rural erfasst. In manchen Munizipien belaufen sich die in den Registraturen eingetragenen Ansprüche auf ein Dreifaches des vorhandenen Bodens. Eine Revision des Katasters der Landbehörde INCRA im Jahre 1998 ergab eine Liste von 422 Fazendas in Pará mit einer eingetragenen Gesamtfläche von knapp 21 Millionen Hektar, deren Eigentumstitel dubios waren und die deshalb aus dem Register gestrichen wurden (INCRA 1999).

Herrschaft des Großgrundbesitzes und "Konservative Modernisierung"

Vor dem Hintergrund der über Jahrhunderte dominierenden Plantagenwirtschaft konnte sich in Brasilien nie ein umfangreiches selbständiges Bauerntum entwickeln. Nur in einigen Regionen von Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul etablierte sich eine kleine Landwirtschaft, zum Teil gebildet von Landwirten europäischer Herkunft, die nach dem Ende der Sklaverei ins Land geholt wurden. Mit der Abschaffung der Sklaverei schufen die Großgrundbesitzer neue Systeme der Immobilisierung und der Abhängigkeit der Arbeitskräfte, die moradia(18) in den Zuckerplantagen des Nordostens und den colonato(19) in den südlichen Kaffeeplantagen. Erst im Zuge der staatlich geförderten Industrialisierung, mit der umfangreichen Rekrutierung von Industriearbeitern und einer Modernisierung der Latifundien kam es in 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Auflösung dieser patronalistischen, repressiven Formen der Arbeitsbeziehungen, zur "Freisetzung" der auf dem Land der Plantagen residierenden "internal peasantry" (Goodman & Redclift 1981, S. 150) und zur Bildung einer Masse von Kleinproduzenten bzw. einer lohnabhängigen Landarbeiterschaft außerhalb der Latifundien. Der Übergang vom Latifundium zum kapitalistischen Agrarunternehmen stand im Zeichen der "konservativen Modernisierung" (ebd., S.145). Die Veränderung des Verhältnisses von Landwirtschaft und Industrie zu Gunsten einer staatlich geförderten und dirigierten Expansion der industriellen Sektoren vollzog sich, ohne Infragestellung der Herrschaft der Agraroligarchien in den ländlichen Regionen und ohne den Großgrundbesitz anzutasten. Der autoritäre Staat schuf seit den 30er Jahren Infrastrukturen, schöpfte landwirtschaftliche Gewinne ab und verteilt sie zwischen dem Industriekapital und dem Agrariern neu, stützte das Industriekapital durch Subventionierung von Importen für Ausrüstungen und durch Subventionierung von Krediten. In der Einführung des Minimallohns im Jahre 1940 sieht Oliveira (1972) ein entscheidendes Moment der Herausbildung der Lohnarbeiterklasse in Brasilien und des vom Staat durchgesetzten industriellen Akkumulationsmodells. Durch den Minimallohn wurde das Niveau der Reproduktion der Arbeitskräfte nach unten hin fixiert. Die Reproduktion der Arbeitskraft wurde der Reproduktion des Kapitals untergeordnet. Zugleich sorgte die Migration von Arbeitskräften aus den Agrargebieten des Nordostens für massenhafte Zufuhr von Arbeitskräften in die Städte des Südens. Die Arbeitsgesetzgebung hatte bis zu Beginn der 60er Jahre keine Geltung für ländliche Arbeitskräfte. Hierin lag u.a. der Klassenkompromiss zwischen Landoligarchie und Industriekapital begründet. Er sichert das außerordentlich niedrige Niveau der Reproduktion der industriellen Arbeitskräfte durch ein noch weitaus niedrigeres Niveau auf dem Lande. Große Landwirte beschäftigten unter schändlichen Bedingungen vorzugsweise von Mittelsmännern auch in Städten angeworbene, temporäre Arbeiter, die boias frias ("kalte Mahlzeiten").(20) Durch die Gründung der Ligas Camponesas 1955 wurde jedoch der auf dem Rücken der Industrie- und der Landarbeiter geschlossene Kompromiss in Frage gestellt.(21) Neue Gesetzgebungen erhöhten die Kosten "residierender" Arbeitskräfte (z.B. Anspruch auf Entschädigungen für die "Verbesserungen" des bearbeiteten Landes). Pacht und Halbpacht waren für den Großgrundbesitz wenig attraktiv, da Konflikte zur Enteignung des Landes führen konnten. Gestützt durch die sozialen Bewegungen in den Städten und auf dem Land erhielten die Landarbeiter mit dem Estatuto do Trabalhador Rural vom März 1963 einen Teil der Rechte der Industriearbeiter (Mindestlohn, Arbeitsbuch und Sozialversicherung). Dies führte zu Lohnerhöhungen und einem Verfall der Bodenpreise. Die Vorschläge der Regierung Goulart zur Agrarreform resultierten in ihrem Sturz und der Errichtung der Militärdiktatur, die die Ligas Camponesas zerschlug, der industriellen Arbeiterbewegung Fesseln anlegte und in den siebziger Jahren mit der "Erschließung" Amazoniens eine neue Runde der Agrarexpansion einleitete. Seit den sechziger Jahren erfolgte eine massive Landnahme und Expansion der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Diese wurde getragen zum Teil von der auf Export orientierten Landwirtschaft (Kaffee, Soja, Rinder), zum Teil von kleinen und mittleren Landwirten des Südens, die kein Land für die nachrückenden Generationen fanden und der Konkurrenz der Großbetriebe weichen mussten. Im Vergleich zu einer zunehmenden Kapitalisierung und Intensivierung der Landwirtschaft im Süden förderte die Expansion der Landwirtschaft durch Landnahme eine Art "primitiver" Akkumulation. Der Agrarkapitalismus wuchs an seinen Peripherien nicht durch Kapitalkonzentration und Intensivierung der Arbeit, sondern durch extensive Produktion, die sich auf Repression statt auf Vertragsfreiheit gründende Arbeitsformen zu Nutze machte. Ökonomischer Ausdruck dieses Modells sind niedrige Bodenpreise und niedrigste Löhne. Diese fortgesetzte primitive Akkumulation fördert die Bodenkonzentration und perpetuiert das Elend auf dem Lande. Der Agrarzensus zeigt die massive Ausweitung der landwirtschaftlich genutzten Fläche zwischen 1940 und 1995 von 197 Millionen Hektar auf 354 Millionen Hektar und einen Anstieg der Betriebe um das Zweieinhalbfache.(22) Seit 1950 verdreifachte sich die Zahl der Kleinstbetriebe unter 10 Hektar, und die Zahl der Betriebe zwischen 10 und 100 Hektar verdoppelte sich, ohne dass sich die enorme Bodenkonzentration verändert hätte. Die Agrarexpansion förderte eindeutig den Großbetrieb bzw. wurde von ihm dominiert. Im Jahr 1995 entfielen auf 11 % der Betriebe 80 % der Betriebsflächen. Knapp 2 % der Landeigentümer verfügen über 55 % der kultivierbaren Agrarfläche. Der Gini-Index als Maß der Bodenkonzentration(23) hat sich in den letzten 60 Jahren kaum verändert und lag nach dem Agrarzensus von 1995 bei 0.857 (zum Vergleich 1960: 0.842).(24) Dieser Index bezieht allerdings nur solche "Einheiten" ein, die über Land verfügen. Würden auch die Millionen von landlosen Landarbeiterfamilien und Landsuchenden berücksichtigt, so läge der Index etwa bei über 0.9 und würde den faktischen Ausschluss der ländlichen Massen vom Land noch deutlicher signalisieren. Laut FAO gibt es nur wenige Länder, unter ihnen Paraguay, Panama und Barbados, die eine höhere Konzentration des Bodeneigentums als Brasilien besitzen. Der Konzentration des Bodens korrespondiert die enorme Einkommenskonzentration (Pochmann & Amorim 2003). Im Zuge der Agrarexpansion entstanden neben der Vermehrung der ländlichen Großbetriebe und zugleich in ihrer Abhängigkeit seit 1950 massenhaft Klein- und Kleinstbetriebe, vielfach in Form von Besitzungen (posse) ohne dauerhaften Eigentumsanspruch auf öffentlichem oder besetztem privatem Land. Kleinstbesitz und Minifundium in ihrer heutigen Form sind keine Zerfallsprodukte eines (traditionellen) selbständigen Kleinbauerntums, sondern entstanden und entstehen mit der Modernisierung der Latifundien und der Agrarexpansion, ohne an dieser nennenswert Anteil zu haben. Sie reproduzieren sich im ständigen Wechsel zwischen verschiedenen prekären Arbeits- und Lebensbedingungen, durch spontane Wanderung und Siedlung oder in staatlichen Projekten der Kolonisation und Agrarreform, in der sie als "selbständige" Kleinexistenzen entstehen und z.T. wieder untergehen.(25)

"Spekulative" und "konsolidierte" Agrarfront: die Agenten der Landnahme und Entwaldung

Nachdem die Zyklen der Landnahme zwischen 1940 und 1960 den Süden Brasiliens durchquert hatten, von dort aus ins Zentrum gelangt waren und dabei bis auf wenige Reste die Regenwälder der Mata Atlantica zu Fall gebracht hatten, fressen sie sich seit den 70er Jahren in die bis dahin noch weitgehend naturbelassenen Räume des Cerrado, der Übergangswälder und der geschlossenen Regenwälder Amazoniens. Bis Mitte der 80er war die Landnahme in Amazonien stark bestimmt durch groß angelegte Projektfinanzierungen der staatlichen Entwicklungsagenturen, hohe Kreditsubventionen und Steuernachlässe. Die staatlichen Finanzierungen und Steuervorteile gaben der gesamten Entwicklung etwas Spekulatives. Land wurde vielfach entwaldet und als Weideland benutzt, um Subventionen und staatliche Projektgelder mitnehmen zu können. Immense Landflächen wurden von den Bundesstaaten an private Investoren und Kolonisatoren vergeben, deren Projekte häufig nicht realisiert wurden, ohne dass jedoch das Land an die öffentliche Hand zurückgefallen wäre. Die extensive Weidewirtschaft war wenig produktiv und profitabel, das Weidemanagement unzureichend, sodass große Flächen schnell verödeten. Gegenüber der Inflation erschien Bodeneigentum als sicherer Schutz vor Wertverlusten. Mit dem Ende der Militärregierung, die ihre gigantischen Projekte in Amazonien durch Verschuldung im Ausland finanziert hatte, und mit der nachfolgenden ökonomischen Krise versiegte die staatliche Förderung der Privatisierung Amazoniens. Heute scheint die Agrarexpansion in Amazonien weitgehend aus endogenen ökonomischen Antrieben und eigener Kraft fortzuschreiten. Seit Mitte der 90er Jahre lässt sich dabei ein deutlicher Anstieg der jährlich entwaldeten Flächen beobachten. Die Entwaldungsraten bewegen sich dabei im Rhythmus der allgemeinen ökonomischen Konjunktur, steigen also mit der allgemeinen Belebung der ökonomischen Aktivitäten und gehen mit dieser auch zurück (Alencar u.a. 2004).(26) Es gibt starke Kräfte, die auch den Straßenbau und die Asphaltierung von Straßen in private Regie übernehmen wollen. Die zunehmende ökonomische "Endogenisierung" der Agrarexpansion nutzt jedoch weiterhin spezifische Schwächen der staatlichen Institutionen (Kontrolle der Entwaldung; Ordnung des Grundeigentums; Steuererhebung etc.) und hat ein äußerst niedriges Niveau der Bodenpreise und der Arbeitskosten zur Voraussetzung (Rodrigues 2004, S. 230). Entwaldung des Bodens in Form des "Kahlschlags" ist gegenwärtig die Hauptform der Landnahme in Amazonien und damit zugleich ihr hauptsächlicher quantitativer Indikator. Im letzten Jahrzehnt vernichteten Motorsägen und gezielte Brände im Großraum Amazonien jährlich zwischen 17.000 und 25.000 km2 an Wald.(27) Die Entwaldung ist der erste und entscheidende Schritt zur Bildung von Privateigentum am Boden. Nach wie vor gilt die Entwaldung des Bodens als Kennzeichen "produktiver Nutzung", damit als Zeichen der Inbesitznahme, die wiederum Voraussetzung der Bildung von Eigentum an ihm ist. Die physische Inbesitznahme durch Entwaldung eröffnet den Prozess der Eigentumsbildung am Boden und ist in den Anfangsstadien offensichtlich weit bedeutsamer als jedes Eigentumsdokument (Margulis 2003, S.11). Die Umwandlung der Wälder in ausgeräumte landwirtschaftliche Nutzflächen folgt dem Vordringen der Straßen und ihrer Asphaltierung. Auf Satellitenaufnahmen ist zu erkennen, dass mit zunehmender Entfernung zu den Hauptstraßen Zahl und Größe entwaldeter Flächen abnehmen. Ankündigungen des Baus von Straßen und ihrer Asphaltierung, wie gegenwärtig die von Teilen der Bundestrasse 163 zwischen Cuiabá und Santarém, lösen ein Wettrennen zwischen den Interessenten auf die noch "freien" Böden aus. Die politische Planung weiterer Erschließungen in Amazonien sieht sich Wellen der Spekulation gegenüber, die von ihr selbst ausgelöst werden und bereits darangehen, Bäume zu fällen, bevor der erste Real für den Bau der Straße ausgegeben wurde. Im Wettlauf zwischen dem Staat und den privaten Interessenten sind diese schon vor Ankunft der Straße am Ort, während der Staat und seine Institutionen auf sich warten lassen. Der Wettlauf richtet sich auch auf die Einrichtung von Naturschutzgebieten und Reservaten verschiedener Art, mit denen Regierung und Behörden in den letzten Jahren verstärkt bestimmte Gebiete dem privaten Zugriff entziehen wollen. Gerade hier wütet ein rabiater, sinnlos anmutender Kahlschlag gegen alle Versuche, private Landnahme und Naturschutz in Bahnen "nachhaltiger Entwicklung" zu lenken. Von den offiziellen Straßen nehmen die "endogenen" Straßen ihren Ausgang, die von Holzunternehmen zum selektiven Einschlag von begehrten Bäumen, allen voran Mahagoni, eröffnet werden.(28) Kleine Siedler und große Fazenden folgen diesen Straßen ins Innere der Waldgebiete. Stärker als früher sind heute Holzwirtschaft und Viehwirtschaft in ihren Interessen und Aktionen miteinander verknüpft (Lentini u.a. 2005). Gelder aus der durch kurze Zyklen der Extraktion von Bäumen bestimmten Holzwirtschaft fließen in die Viehhaltung zum Zwecke risikoarmer und profitabler Anlage, andererseits beteiligen sich die Viehhalter an der Exploration von neuen Gebieten, am Bau, an der Kontrolle und Erhaltung der Netze von Privatstraßen, auf denen von verschiedenen Seiten die Agrarfront vorrückt. Margulis (2003) bezeichnet die faktische Okkupation des Bodens, seine Freilegung und Säuberung als "spekulative Front". Die spekulative Tätigkeit endet in der Regel in der Beschaffung von Besitz- und Eigentumspapieren und Verkauf an einen produktiven Interessenten, z.B. einen Viehhalter. Die längerfristig angelegte Nutzung der neu gewonnenen Böden durch Viehhalter oder Landwirte wird von Margulis als "konsolidierte Front" bezeichnet, deren Agenten nicht länger vornehmlich von der spekulativen Erwartung auf einen guten Preis für ihren Boden, sondern von den Profiten aus produktiver Bodennutzung angetrieben werden. Die extensive Viehhaltung findet sich heute auf gut 80 % der entwaldeten Flächen Amazoniens (Margulis 2003). Hierin sind die erodierten und aufgegebenen Weideflächen nicht mit eingerechnet. Diese "Konsolidierung" beruht zum Teil darauf, dass Viehhaltung in den letzten Jahren in bestimmten Regionen Amazoniens "produktiv" geworden ist (z.B. mit einem Viehbesatz von mehr als einem Rind pro Hektar). Grundlage hierfür sind u.a. angepasste Rindersorten, angepasstes und verbessertes Weidemanagement, Spezialisierungen (Aufzucht, Mästung), Marktanbindung durch Errichtung von Schlacht- und Kühlhäusern, verbesserter Straßentransport (Veiga u.a. 2004; Arima u.a. 2005). Alles zusammen macht das leckere Rindfleisch von den Naturweiden Amazoniens auf dem nationalen Markt wie für die Tische Europas und Asiens konkurrenzfähig (Kaimowitz u.a. 2005). Trotz dieser "Erfolgsgeschichte" darf nicht übersehen werden, dass gut 80 % der Weideflächen immer noch nur in geringem Maße produktiv genutzt werden. Bei niedrigen Bodenpreisen (z.T. zwischen 10 und 20 % der Preise im Bundesstaat São Paulo), äußerst niedrigen Löhnen, miserabelsten Arbeitsbedingungen und nach wie vor subventionierten Krediten wirft auch eine "unproduktive" Viehhaltung noch einen Profit ab. Viele neu geschaffene Weidebetriebe investieren wenig in das Weide- und Tiermanagement, sondern spekulieren auf Steigerungen der Bodenpreise. Abhängig von der Entwicklung der Fleischpreise, Verbesserungen der Marktanbindung (Asphaltierung der Straßen) und der Kontrolle der Maul- und Klauenseuche könnte sich die Weidewirtschaft allerdings um weitere 300.000 bis 600.000 km2 ausdehnen (Arima u.a. 2005). Der spekulative Charakter der Agrarexpansion bringt es zugleich mit sich, dass sie auch in wenig geeignete Regionen vordringt und entwaldete Flächen schlicht brach liegen. Im Jahr 1995 waren dies ca. 7 Millionen Hektar (Schneider u.a. 2002). Die "konsolidierte Front" steht nicht still. Sie weitet sich aus und schiebt die "spekulative Front" vor sich her. Die konsolidierte Front ist nach Margulis der eigentliche Motor der Landnahme, die über den Kauf der durch die "Pioniere" in "Wert" gesetzten Böden den Prozess letztendlich finanziert - sieht man von den "externalisierten" Kosten ab. Zwischen 1990 und 2001 verdoppelte sich der Rinderbestand von 26 Millionen auf 52 Millionen (Alencar u.a. 2004). Die hoch mechanisierte Produktion von Baumwolle und vor allem von Soja verdrängt heute ihrerseits in Mato Grosso und im Süden Parás die Weidewirtschaft, die in neue Regionen ausweicht und so den Druck auf die "offene Front" erhöht (Grupo de Trabalho de Florestas 2005). Zwischen 1995 und 2004 stiegen die Anbauflächen für Soja in Mato Grosso um 89 % und nehmen dort mittlerweile gut 70 % der Flächen für jährliche Pflanzungen ein (Dros 2004). Jedoch auch in anderen Regionen Amazoniens breitet sich der Sojaanbau aus und greift von den Savannenregionen auf die Regenwälder über (z.B. um Santarém in Pará oder Lábrea/Humaitá im Bundesstaat Amazonas). Die potentiell für Sojaanbau geeigneten Flächen in Amazonien werden von Costa (2000) auf gut 30 Millionen Hektar geschätzt, deren Nutzung einer Ausweitung der jetzigen Nutzfläche für jährliche Kulturen um 22 Millionen Hektar entsprechen würde, davon ca. 7 Millionen auch in den nördlichen Amazonasstaaten. Bickel & Dros (2003) schätzen das Potenzial in den Regionen Centro/Norte sogar auf 140.000 km2. Die Sojaproduzenten rufen nach Asphaltierung der Straßen (BR 163, BR 315) quer durch Amazonien, um ihre Produkte schneller und billiger zu den Amazonashäfen transportieren zu können, wo Getreidemultis wie Cargill Stationen zur Verschiffung der Ernten nach Übersee errichtet haben. Die neuen Agrarstädte in Mato Grosso sind piekfeine Ansammlungen von Vertretungen der multinationalen Agroindustrie wie Bunge, Cargill, Monsanto und John Deer. Die Privatisierung des öffentlichen Landes begünstigt unvermeidlich die potenten Interessenten an Land. Das Ausmaß der Bodenkonzentration bleibt somit unverändert. Von den von INCRA zwischen 1992 und 1998 registrierten Übertragungen von öffentlichem Land auf Private entfielen in Pará und Mato Grosso mehr als 80 % auf Einheiten größer als 1000 Hektar (Rodrigues 2004, S. 39ff). Die Größenordnungen der entwaldeten Flächen lassen darauf schließen, dass die kleinen Siedler nur für einen kleineren Teil der Entwaldung und der Landnahme als Akteure verantwortlich sind. Nach Pacheco (2002) machten Entwaldungen kleiner als 5 Hektar weniger als 20 % der im Jahre 2002 entwaldeten Fläche aus. Tourrand und Veiga (2003) errechnen, dass Familienarbeitskräfte an der Transamazônica 12 bis 15 Jahren benötigen, um eine Waldfläche zwischen 100 und 150 Hektar in Weide zu verwandeln. Auf den Fazenden werden die temporären, schmutzigen Arbeiten wie die Rodung des Waldes, Anlage von Weiden, Bau von Zäunen etc. vielfach von so genannten Sklavenarbeitern besorgt, die unter erbärmlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, unter dem Vorwand, Geldvorschüsse für Transport, Lebens- und Arbeitsmittel zurückzahlen zu müssen, mit Gewalt festgehalten werden (Martins 1997; Rezende Figueira 2004). Diese "Schuldsklaven" werden u.a. in den ärmsten Gegenden des Nordostens angeworben. Die Zahl der Arbeiter, die unter diesen, der Sklaverei ähnlichen Bedingungen leiden, wird allein im Süden von Pará von der Comissão Pastoral da Terra (2005) auf über 10.000 geschätzt. Bis in die neunziger Jahren sahen viele Untersuchungen in den kleinen Siedlern und Farmern die Hauptakteure der Entwaldung, die auf Grund schneller Erschöpfung der Böden gezwungen waren, ständig neue Flächen in Besitz zu nehmen (Ozorio de Almeida & Campari 1995; Richards 1996). Sie fungierten als "Pioniere" für die nachrückenden Großen. Die großen Interessenten waren jedoch auch direkt am Prozess der Landnahme und Entwaldung beteiligt und führen ihn in vielen Regionen an (Browder & Godfrey 1997; Castro u.a. 2002, Pacheco 2005). Ihnen gelingt es, bei steigenden Bodenpreisen die kleinen Siedler, auch in den Ansiedlungen der Agrarreform, auszukaufen oder zu vertreiben, die z.T. an neue Fronten ausweichen oder als Arbeitskräfte auf den Fazenden, als Holzfäller oder als Arbeiter in den Sägewerken dienen. Viele wandern in die Städte Amazoniens ab und bevölkern dort die Elendsquartiere. Manchen gelingt im Familienzyklus der Aufstieg vom Arbeiter zum kleinen Farmer. Viele müssen jedoch wieder aufgeben (Veiga u.a. 2004, S. 92). Unbedingtes Ziel der Migranten ist es, ein Stück Land zu besitzen und selbständig zu sein, wenn auch nur auf Zeit. Viele beginnen drei oder viermal von neuem. Trotz ungewisser Zukunft treffen in Orten wie Novo Progresso oder Castelo de Sonhos ("Schloss der Träume") an der BR 163 weiterhin Busladungen von Arbeit und Land, eine Bleibestatt für sich und die Familie Suchenden ein, von Entwurzelten und solchen, die nie Wurzeln besessen haben.

Grilagem: Die Verwandlung des Bodens in eine Ware

Die Verknüpfung der spekulativen und der konsolidierten Front geschieht auf dem Bodenmarkt, wo Boden seinen Preis findet und die Hände wechselt. Die politische Ökonomie dieses Bodenmarktes bleibt noch zu schreiben. Die ökonomischen, politischen und sozialen Verbindungen zwischen den Akteuren an den beiden Fronten werden dabei zunehmend enger, durch Finanzierung der Landnahme vor Ort, durch den Bau privater Straßen, durch Schaffung der politischen Rückendeckung, durch gemeinsame Finanzierung der Korruption des lokalen Staates und anderer staatlicher Agenten vor Ort. Physische Okkupation des Bodens und seine Verwandlung in eine handelbare Ware liegen heute in den Händen professioneller Agenten, von "Inwertsetzern" oder Grileiros. Als "Grilagem", ursprünglich Bezeichnung für einen speziellen Prozess der künstlichen Alterung von gefälschten Eigentumspapieren, die hierdurch den Anschein von "Echtheit" erhalten, gilt heute jedwede unrechtmäßige Aneignung von öffentlichem Land.(29) Ein Grileiro ist jemand, der auf illegale Weises aus einem okkupierten Stück Land eine marktgängige Handelsware macht, der man ihren Ursprung nicht mehr ansieht.(30) Grileiros können Personen sein, die schon länger in der Region ansässig sind, in den Städten entlang der Erschließungsstraßen, verbunden mit der Holz- oder Viehwirtschaft oder dem Agrarhandel, aber auch Unternehmer, Anwälte und Politiker aus den Städten oder anderen Regionen des Landes, die häufig in ihrer Herkunftsregion Land und Vieh besitzen (IPAM 2005). Der Grileiro arbeitet vermittels lokaler "Vorarbeiter", die den Zutritt zum Land, das "griliert" werden soll, für andere sperren, verhindern, dass es zu Zwecken der Agrarreform benutzt wird, die Zäune und Tore errichten, Arbeitskräfte aus der Umgegend oder von weiter her mit Hilfe eines Gato rekrutieren, Siedler vom Land vertreiben, Kleinproduzenten und ihre Organisationen einschüchtern und evtl. ihre Führer eliminieren. Diese "Vorarbeiter" sind bekannt und gefürchtet. Sie kontrollieren die Gegend, indem sie ständig durch die Ortschaften und Städte unterwegs sind, ohne dass ihre Tätigkeit die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zieht oder Gegenstand einer Untersuchung würde. Die lokale Polizei steht häufig auf der Zahlungsliste der Grileiros und steckt mit den Kriminellen und ihren Auftraggebern unter einer Decke. Viele "Vorarbeiter" arbeiten auch auf eigene Rechnung und einige von ihnen steigen zu Fazendeiros auf. Die Wege des sozialen Aufstiegs in die "lokale Gesellschaft" führen mitunter über Gewalt und Mord. Die Vorarbeiter haben keine Schwierigkeit, Leibwächter und Mörder zu dingen und aus der Masse von menschlichem "Strandgut", kleinen Verbrechern, Leuten mit falscher Identität, die sich an der in der Region herrschenden Straffreiheit erfreuen, bewaffnete Banden zu bilden, auf die sich die Patrone stützen und die evtl. den Streit um Land mit Waffen austragen. Der Grileiro arbeitet Hand in Hand mit den vom Staat lizenzierten, aber privat betriebenen lokalen Registraturen, den Cartórios, sowie den einzelstaatlichen und föderalen Organen, die mit der Registrierung, der Regulierung von Bodeneigentum, der Vergabe von Lizenzen etc. befasst sind. Es gibt hier unzählige Anschuldigungen gegen Angestellte von INCRA oder IBAMA. Eine Schar von Rechtsanwälten ist damit beschäftigt, Kauf- und Verkaufsdokumente herzustellen und diese als Eigentumsdokumente registrieren lassen. Mit Hilfe von Strohmännern wird Land, das Zwecken der Agrarreform dient, aufgekauft und unter falschen Namen registriert. Ungültige Dokumente über angeblich alte Eigentumsansprüche aus Kolonialzeiten werden fabriziert, veraltete Lizenzen zur Sammlung von Kautschuk zu neuen Eigentumsdokumenten aufpoliert. Nachweise der Anmeldung zur Registrierung des Landes bei INCRA oder der Steuerbehörde reichen aus, um Boden verkäuflich zu machen. Der Bodenmarkt vollzieht faktisch durch Händewechsel des Bodens die Anerkennung des Bodeneigentums. Je länger die Kette von Verkäufen und Käufen ist, umso "gültiger" das Eigentum. Dem Staat bleibt, so steht zu vermuten, in der überwiegenden Zahl der Fälle nur zu ratifizieren, was die anarchischen Kräfte des Marktes hinterlassen. Landnahme und Bildung von Privateigentum sind eingebunden in eine generalisierte Korruption mit dem Ziel der Privatisierung öffentlichen Eigentums, die politisch gedeckt wird von einer "generösen" Billigung des Betruges, die von der "ehrenwerten" lokalen Gesellschaft bis in die Spitzen der Behörden und zu Deputierten und Ministern reicht, welche begünstigen oder selbst unmittelbar profitieren. Munizipien und Präfekturen entstehen im Zuge der Erschließung der Regionen und der Bildung von Ansiedlungen und städtischen Zentren mit ihren Banken, Restaurants, Landhandlungen, Sägewerken, Silos, Hotels und Bordells. Viele Präfekten und lokale Politiker sind ehemalige Leiter von Fazenden oder waren Angestellte von Holzfirmen. Holz- und Viehwirtschaft sind an der Finanzierung der Wahlkämpfe beteiligt und erwarten eine Kompensation nach erfolgreicher Wahl aus den Pfründen der Gemeinden, die von den siegreichen Politikern als legitime "Beute" behandelt werden. Dom Thomás Balduíno, Leiter der CPT, spricht von "gigantischer Korruption in den Präfekturen" (Interview in der Zeitschrift Caros Amigos, Nr. 96, März 2005, S. 35). Der verallgemeinerten Korruption entspricht die verallgemeinerte Straflosigkeit. Niemand, der am Geschäft des Grilagem beteiligt ist, scheint ernsthaft mit einer Rückforderung des Staates zu rechnen. Die Illegalität der Aktionen befördert jedoch die Kurzatmigkeit und zerstörerische Hast, mit der die "Entwalder" zu Werke gehen. Und auch Mord bleibt ungesühnt. Die Vorgänge wurden Untersuchungskommissionen des Parlaments, von INCRA, unabhängigen Journalisten und Umweltorganisationen wie Greenpeace detailliert dokumentiert, ohne dass dies nennenswert zu Strafverfolgungen bzw. Bestrafungen geführt hätte (INCRA 1999; Camara dos Deputados 2002; Greenpeace 2003). Die "Durchlässigkeit" zwischen lokaler Gesellschaft und lokalem Staat betrifft wesentlich auch die lokale Justiz. Die lokale Symbiose der gesellschaftlichen und politischen Mächte reicht mit ihrem korrumpierenden Einfluss bis in die Parlamente und Staatsapparate der Bundesstaaten und des Zentralstaats. Der Grileiro verwandelt den Boden in Ware.(31) Mit dem Verkauf ist sein Geschäft beendet. Landnahme setzt den Boden in "Wert", "verbessert" ihn, in dem sie ihn vom Wald, von den Sträuchern, Büschen, Tieren und Menschen befreit. Inwertsetzung bedeutet Ablösung aller Rechte und Nutzungsansprüche, Vertreibung tatsächlicher und Ausschluss potenzieller Nutzer. Diese Trennung oder "Befreiung" ist immer ein Akt der Gewalt. Inwertsetzung entspricht hier im Resultat der von Marx beschriebenen "ursprünglichen Akkumulation" in England, in der gewaltsam Land von alten Verpflichtungen und Rechten befreit wurde, um als Weide für die Schafe des entstehenden englischen Agrarkapitalismus zu dienen. Es ist jedoch in Amazonien nicht mehr die alte Landoligarchie, die sich häutet, sondern der Grileiro arbeitet in die Hände von Leuten und Unternehmen, denen gemeinsam ist, dass sie Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital suchen, seien es Viehalter aus der Region oder aus anderen Regionen, seien es Agrarunternehmen oder Banken, seien es lokale oder auswärtige Geschäftsleute, Ärzte oder Politiker. Land in Amazonien, auch ohne Besitztitel und in vielen Fällen nachweislich in Schutzgebieten gelegen, wird heute über das Internet, häufig mit Adressen im Ausland, einer Schar von internationalen Interessenten zum Verkauf angeboten.

Schließung der Agrarfront

Der Erschließungs- und Landnahmeprozess unter der Militärdiktatur bis Mitte der 80er Jahre wurde von hohen staatlichen Subventionen und Vergünstigungen getragen. Große Flächen des entwaldeten Landes galten nur in geringem Maße als produktiv, viele Flächen fielen schnell einer Verödung anheim, die extensive Weidewirtschaft galt allgemein als wenig profitabel. Bodenspekulation rangierte vor der "Verbesserung" des Bodens. Heute gilt die Rinderwirtschaft in Amazonien, etwa bei Autoren der Weltbank wie Margulis (2003), als "konsolidiert", als hinreichend profitabel und damit als sich selbst tragend. Dies gilt umso mehr für den lukrativen Soja-Anbau, der ins dynamische Zentrum der weiteren agrarischen Erschließung Amazonien rückt. Die Regierungspolitik befindet sich in einem Dilemma zwischen ökonomischer "Entwicklung" und ökologischer "Bewahrung", das zudem von geopolitischen Visionen einer drohenden "Internationalisierung" Amazoniens überwölkt wird. Die Prioritäten der langfristigen Großplanungen für Amazonien, wie der Bau von Kraftwerken, oder Überlandleitungen für Erdgas, die Asphaltierung von Straßen etc. liegen eindeutig weiter auf Erschließung und Integration in nationale und internationale Märkte. Kurzfristig setzt die Zentralregierung auf koordinierte Aktionspläne der Behörden, von Polizei und Militär, die die regellosen Entwicklungen und Konflikte, z.B. im Zusammenhang der geplanten Asphaltierung der BR 163, eingrenzen sollen. Gesetze und administrative Regulierung (z.B. ökologisch-ökonomische Zonierungen, Lizenzierung der Vergabe von Waldgebieten an die Holzwirtschaft, Zusammenführung der Kataster) sollen den "explosiven" Charakter der "Front" abschwächen und die Entwaldungsraten senken.(32) Bedeutsam sind auch die verstärkten Bemühungen um Ausweisung und Errichtung von Schutzzonen unterschiedlicher Art sowie ökologischen Korridoren, die sich den "vorrückenden Fronten" gewissermaßen in den Weg legen. Ziel der gegenwärtigen brasilianischen Politik insgesamt ist es, das Vorrücken der Agrarfront zu verlangsamen und zu ordnen (Alencar u.a. 2004). Eine Grenze der Entwaldung und die Schließung der Agrarfront sind damit politisch nicht in Sicht. Vielfach wird über ökonomische Mechanismen der Internalisierung der "Umweltkosten" nachgedacht, z.B. durch gesonderte Besteuerung entwaldeter und ungenutzter Flächen.(33) Als Alternative zur Besteuerung kämen auch Prämien für Nicht-Entwaldung in Betracht (die nach dem berühmten Theorem von R.H. Coase die gleichen Effekte wie Steuern haben sollen). Diese Mechanismen setzen jedoch zunächst Bildung privaten Eigentums am Wald voraus und betreffen vor allem die Durchsetzung der gesetzlich vorgeschrieben Waldreserven auf Privatland (80 % in Gebieten des Regenwaldes, 50 % im Cerrado). Das gefeierte System der Kontrolle der Waldreserven in Mato Grosso hat bislang jedoch anscheinend das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung hervorgebracht (Lima & Rolla 2005). Nach der ökonomischen Vernunft geht es heute um eine "In-Wert-Setzung" der "natürlichen Ressourcen" in naturbelassenem Zustand, also um eine (monetäre) "Bewertung" des stehenden Baums im Vergleich mit dem "Wert" des gefällten Baums (bzw. des von ihm befreiten Bodens). Die Rettung des Baumes liegt in der Honorierung seiner Funktionen als stehender Baum. Zu honorieren wären etwa seine "Umweltdienstleistungen" in der Absorption von CO2 (vgl. für Brasilien Rezende & Merlin 2003). Dies ist der Grundgedanke des "clean development mechanism" nach dem Kyoto-Protokoll, von dem Wälder allerdings bislang ausgenommen sind. Auch hier steht die Eigentumsfrage, also die Frage nach der Zurechnung von monetarisierten "Umweltdienstleistungen", im Zentrum der Diskussion. Ohne dass die finanziellen Mechanismen näher geklärt wären, will das Regierungsprogramm "ProAmbiente" Umweltdienstleistungen honorieren, die durch Kooperationen von Familienwirtschaften erbracht werden bzw. ihnen zugerechnet werden können. Die "Inwertsetzung" des stehenden Waldes als Alternative zu Abholzung und Umwandlung in Weide oder Ackerland kann auch durch eine verstärkte, systematisierte Nutzung von Nicht-Holzprodukten wie Kautschuk, Nüssen und anderen Sammlerprodukten zur Herstellung von Kosmetika, Medikamenten oder Lebensmitteln erfolgen. Hier wird experimentiert und darüber nachgedacht, wie die traditionellen Bewohner diese Möglichkeiten für sich produktiv ergreifen können.(34) Auch der Ökotourismus bietet sich an. Zu verweisen bleibt auf die Möglichkeiten im Rahmen der Zertifizierung von Tropenholz, die in Brasilien erst am Anfang steht. Vieles hängt hier vor allem von der Bereitstellung der notwendigen Kredite, von Produkt- und Marktentwicklung ab, d.h. der Etablierung von zahlungskräftiger Nachfrage. Letztlich werden klimatische, geophysikalische und ökonomische Gegebenheiten (Regenfall und Trockenperioden, Bodenbeschaffenheit, Entfernungen zu den Märkten) den Vormarsch aufhalten. Was jedoch kein Trost ist.

Anmerkungen

(1) SUDAM wurde 2001 wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder aufgelöst. Die irreguläre Verwendung von Geldern war bereits 1999 von Dorothy Stang beim Ministerio Publico Federal angezeigt worden. (2) Für Brasilien insgesamt lauten die Zahlen der CPT: 1.379 Tote zwischen 1985 und 2004 in Auseinandersetzungen um Land und Arbeitsrechte. Verurteilt wurden insgesamt 64 Täter und 15 Auftraggeber (vgl. den umfassenden Bericht zur Gewalt in ländlichen Regionen Brasiliens, den die CPT zusammen mit Justiça Global und Terra de Direitos im November der brasilianischen und internationalen Öffentlichkeit vorlegte. (Commissão Pastoral da Terra 2005) (3) "O verdadeiro sentido de brasilidade é o rumo ao oeste" (Getulio Vargas 1940, zit. nach Velho 1979, S.147) (4) Nach dem Regenwald ist der Cerrado ist mit 29 % der Fläche Brasiliens zweitgrößtes Biom. Die Savannengebiete weisen eine hohe Biodiversität auf und besitzen anscheinend größere Fähigkeiten CO2 zu absorbieren als die Regenwälder. Vgl. auch Duarte & Theodoro (2002). (5) Demgegenüber setzt der selektive Holzeinschlag einzelne Bäume in "Wert", während der restliche Bestand tendenziell "entwertet" wird. Er geht dem Kahlschlag häufig voraus. (6) Von der Erscheinungsform her gehört die Landnahme in Brasilien zu den Prozessen, die D. Harvey (2005) als "Akkumulation durch Enteignung" bezeichnet. Sie scheint mir allerdings weniger durch "Überakkumulation" angetrieben zu werden, als einem spezifischen brasilianischen Akkumulationsmodell zu folgen. Vgl. Kapitel Herrschaft des Großgrundbesitzes und "Konservative Modernisierung". (7) Der Kapitalist besitzt Eigentum an den Produkten der Arbeit "seiner" Arbeiter, weil er bereits Eigentümer der Rohstoffe, der Produktionsmittel und - auf Zeit - der Arbeitskraft der Arbeiter ist. (8) Zu Lockes Metapher der "Mischung von Stoffen mit Arbeit" ausführlich Grunebaum 1987, S. 53. (9) Nach dem portugiesischen Gesetz der Seismarias von 1375 musste ein Landeigentümer seinen Boden entweder bearbeiten oder an einen anderen weitergeben. Die im kolonialen Brasilien vergebenen Seismarias, die die beachtliche Größe von vier Leguas im Quadrat (ca. 40 000 Hektar) hatten, mussten ebenfalls produktiv genutzt werden, andernfalls fielen sie an die Krone zurück. (10) Dem widerspricht nicht, dass die Großgrundbesitzer kein Interesse an Vermessung und Registrierung des privaten wie des öffentlichen Landes hatten und alle Entwicklungen in dieser Richtung bis Mitte des 20. Jahrhunderts blockierten. Mit dem Ende des Kaiserreiches ging die Kontrolle des öffentlichen Landes auf die Bundesstaaten über und gelangte damit unter die Vorherrschaft der Landoligarchien (Jones 2002, S.129f). So lange sich ihr Anspruch auf Land auf eigene und staatliche Gewalt stützen konnte, waren Eigentumspapiere und Kataster für sie entbehrlich. (11) Das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei (Lei Áurea) betraf mehr als 700.000 Sklaven. (12) Hier sieht Velho (1979) wesentliche Unterschiede zwischen der Agrarexpansion in Brasilien und der Landnahme im Westen der USA oder in Sibirien nach Abschaffung der Leibeigenschaft im Jahr 1861. (13) Das gilt im Prinzip auch heute für Landübertragungen an Landlose im Rahmen der Agrarreform. Nach den Bestimmungen des Estatuto de Terras von 1964 muss das übertragene Land in zwanzig Jahren bezahlt sein (vgl. auch Ministério do Desenvolvimento Agrário 2003). Viele der vom Staat im Rahmen der Landreform angesiedelten Familien verfügen auch nach langer Zeit über keinen sicheren Eigentumstitel. (14) Nach dem Agrarzensus von 1995/96 lagen allerdings, skandalöser Weise, 6,9 Millionen Hektar oder rund 12 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche brach.(Bacha 2004, S.215). (15) Ein modulo rural ist die Größe eines Grundstücks, dessen Bearbeitung je nach den örtlichen Bedingungen den Lebensunterhalt einer Familie decken kann. Er wird von INCRA festgelegt. (16) Das zuständige Ministerium beziffert die Zahl der Kleinproduzenten ohne Eigentumstitel gegenwärtig auf eine Million, was niedrig gegriffen sein dürfte (Ministério do Desenvolvimento Agrário 2003). (17) Amazônia legal wird durch die Staaten der Region Norte (Acre, Amapá, Amazonas, Pará, Rondônia und Roraima), von Mato Grosso und Teilen von Maranhão gebildet. (18) Zur Transformation der Arbeitsverhältnisse auf den Zuckerplantagen des Nordostens Garcia Jr.(1990). (19) Zum Arbeitssystem der Kaffeeplantagen Stolcke (1988). (20) Zu den ländlichen Produktionsverhältnissen und der Herausbildung und Differenzierung eines ländlichen Proletariats und Semi-Proletariats vgl. Goodman & Redclift 1981; Martins 2003; Velho 1979. (21) Vgl. zur Geschichte der Ligas Camponesas authentisch Francisco Julião (1972). (22) Der im Agrarzensus von 1995 verzeichnete Rückgang, insbesondere von Kleinstbetrieben unter 10 Hektar, ist zum Teil auf eine Umstellung der Erhebungszeitraums zurückzuführen, durch die ein Teil der nur für eine begrenzte Jahreszeit tätigen Pächter und Teilpächter nicht erfasst wurde (Bacha 2004, S.201). (23) Zur Logik des Gini-Index und anderer Konzentrationsmaße Kluge 2000. (24) Nach Hoffmann (2002) liegt der Gini-Index für das im Kataster von INCRA erfasste Grundeigentum 1998 bei 0,843, also nur geringfügig unter dem auf der Grundlage des Agrarzensus errechneten Wert. (25) Goodman & Redclift 1981 (S.182) sprechen im Zusammenhang der Herausbildung eines kapitalistischen Agrarsektors in Brasilien von einem Prozess der Proletarisierung und des gleichzeitigen "Wiedererscheinens" kleinbäuerlicher Produzenten. (26) Im August 2005 verkündete die brasilianische Regierung, dass nach vorläufigen Erkenntnissen aus Satellitenbeobachtungen die Rate der Entwaldung gegenüber dem Vorjahr um 40 % gesunken sei. Hierin sieht sie die Wirkung ihrer verschiedenen Maßnahmepakete, die allmählich zu greifen scheinen. Skeptiker betrachten das "Wunder" eher als Folge der in 2005 gegenüber 2004 deutlich verschlechterten Exportbedingungen des brasilianischen Soja (u.a. Rekordernte in den USA, Kursgewinne des Real gegenüber dem Dollar). (27) Die Fläche der ursprünglichen Bewaldung wird auf 3,56 Millionen km2 (FAO 1981) bzw. 4,19 Millionen km2 (INPE) geschätzt. 1970 konnten rund 3 % Amazoniens als entwaldet gelten. Bis zum Jahr 2002 waren rund 631.000 km2 verloren gegangen. Die Schätzungen der verschiedenen Institutionen differieren jedoch auf Grund unterschiedlicher Ausgangsdaten, Erhebungsmethoden und Interpretationen der Befunde. Die LANDSAT Bilder erfassen Öffnungen des Walddaches durch Kahlschlag, die eine Größe von 6,25 ha überschreiten, zeigen jedoch nicht Zerstörungen, die z.B. durch Feuer unterhalb des Walddaches entstehen. Laut IBAMA, der zentralen Umweltbehörde, sind nur Zweidrittel des ursprünglichen Waldbestandes von modernen Entwicklungen "unberührt" geblieben. (28) Das Netz der "endogenen Straßen" wuchs allein in Pará von 1990 bis 2001 um 12.000 km auf eine Gesamtlänge von ca. 21.000 km (Souza Jr. u.a. 2004). (29) In ganz Brasilien können schätzungsweise 100 Millionen Hektar als terras griladas gelten. Gut 50 % der Eigentümer von landwirtschaftlichem Grundeigentum über 10.000 Hektar, deren Eigentumsansprüche INCRA im Jahre 2000 überprüfte, legten nicht die notwendigen Papier vor, darunter viele Kapitalunternehmen. Falsche Titel sollen gut 34 % des Privatlandes in Pará besitzen. In einigen Fällen kann es sich dabei auch um reines "Eigentum auf dem Papier" handeln (di Sabbato 2001; auch Sayago & Machado 2004). (30) Zu seinen Tätigkeiten gehören auch illegale Vergrößerung eingetragenen Besitzes auf dem Papier und/oder vor Ort, die Fälschung von Landkarten, die Vernichtung von Archiven durch Brandlegung, die Suche nach Strohmännern, Gründung von Scheinfirmen und Erfindung von fiktiven Personen, die auf dem Papier als Eigentümer auftreten wie das Phantom "Carlos Medeiros", auf dessen Namen schlaue Anwälte ca. 9 Millionen Hektar eingetragen und dann weiter verkauft hatten (INCRA 1999). (31) Der Preis für den Boden muss die Kosten der "Erschließung" ersetzen. Der Preis für entwaldetes Land liegt mehr als 10mal so hoch wie der nominelle Preis für unentwaldetes Land (Margulis 2003, S. 22). (32) Es fehlt jedoch vor allem an Personal und Ausrüstung für die Behörden (IBAMA, INCRA u.a.) bzw. am politischen Willen, die hier für in den Haushalt des Bundes eingestellten Mittel tatsächlich auszugeben. (33) Die Grundsteuer hat ihre Funktionen, etwa der Belastung von unproduktivem Grundeigentum, bisher allerdings nicht erfüllt, da sie von den großen Grundeigentümern schlicht nicht entrichtet wird (Rodrigues 2004, S.120ff). (34) Im Rahmen des auch von der BRD finanzierten Pilotprogramms zur Bewahrung der tropischen Regenwälder Brasiliens (PP-G7) wurden im Subprogramm Projetos Demonstrativos (PDA) bisher mehr als 180 Basisprojekte mit innovativem Charakter gefördert. (Ministerio do Meio Ambiente, Experiências PDA, No.5, Maio de 2004).

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