Ohne Wenn und Aber

Teile von Attac präsentieren das bedingungslose Grundeinkommen als ''Richtungsforderung''

Mit guten Einführungen ist das so eine Sache: Kurz und leicht verständlich sollen sie sein, prägnant, aber nicht verkürzend. Oft eine durchaus titanische Aufgabe, erst recht wenn das Thema ...

... so schillernd ist, wie der Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens. Die jüngste Attac-Veröffentlichung zu dieser Forderung ist eine gute Einführung - mit der Betonung auf Einführung.

Die Nr. 17 der AttacBasisTexte, "Grundeinkommen bedingungslos" in der AutorInnenschaft von Werner Rätz, Dagmar Paternoga und Werner Steinbach, kann dem Grundproblem aller Einführungstexte, der notwendigen Verkürzung, nicht entkommen. Bei schmalen 94 Din-A5-Seiten wird das auch gar nicht suggeriert. Vor dem Hintergrund dieser Restriktion ist es wichtiger, worauf sich die AutorInnen denn konzentriert haben, welche Essentials sie gewissermaßen im Namen der Attac-Kampagne "Genug für alle", in der alle drei maßgeblich aktiv sind, transportieren.

Wer in dem kleinen Büchlein ein Attac-Modell zu Grundeinkommen sucht, der wird nicht fündig werden. Bereits im Vorwort machen die AutorInnen klar, dass es ihnen "nicht um ein konkretes Modell, sondern um die Entfaltung einer Idee" geht. Und um es gleich zu sagen: Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke des Textes. Denn gerade in Zeiten von Hartz IV und prekären Lebens- und Arbeitswelten kommt die linke Grundeinkommensdiskussion leicht in Gefahr, in einer realpolitisch motivierten technizistischen Debatte um eine Neugestaltung der sozialen Sicherung zu versacken.

Eine der wichtigsten Ideen, die mit dem bedingungslosen Grundeinkommen transportiert werden, wenn nicht der zentrale Gedanke überhaupt, ist die soziale und materielle menschenwürdige Existenzsicherung als unteilbares Menschenrecht: "Jeder Mensch hat, nur weil es ihn gibt, das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und am gesellschaftlichen Leben". Dieser radikale menschenrechtsorientierte Ansatz steht in scharfem Gegensatz zum "Fördern und Fordern" des aktivierenden Sozialstaats und zur Pflichtenethik des autoritären Neoliberalismus, wonach man sich sozialstaatliche Transferleistungen erst einmal verdienen muss: "Keine Leistung ohne Gegenleistung".

Aber die Idee von einem unteilbaren Recht auf ein gutes Leben für alle, ohne jegliche Vorbedingen, kollidiert auch mit der Vorstellungswelt der traditionellen ArbeiterInnenbewegung und ihren sozialdemokratischen, sozialistischen und leninistischen Strömungen. "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", dieses Verdikt aus der Frühzeit der Sowjetunion, ist nur der krasseste Ausdruck einer Positionierung, die in Diskussionen mit Gewerkschaften und linken Parteien bis heute immer wieder auftaucht. Wenn man so will, ist das der Standpunkt der produktiven Arbeit, nach der nur diejenigen einen Anspruch auf den gesellschaftlichen Reichtum haben, die ihn erarbeitet haben. Nicht nur von Seiten der Aktivierungsapologeten, sondern auch von links wird von daher oft eine Anthropologie der Arbeit in Anschlag gebracht, ein angebliches menschliches Grundbedürfnis nach "Arbeit", die Behauptung einer Selbstverwirklichung in und durch "die Arbeit". Die konkrete kapitalistische Formbestimmung der Arbeit wird dabei geflissentlich übergangen.
Ein gutes Leben für alle: ein Menschenrecht

Die zweite Idee, die die Attac-AutorInnen von daher richtigerweise betonen, ist die radikale Entkoppelung von Arbeit und Einkommen und zwar explizit auch als "Befeiung von der Arbeit". Das bedingungslose Grundeinkommen ist deshalb auch kein "gesellschaftlicher Lohn", wie in manch postoperaistischer Sichtweise. Diesem Einkommen steht keinerlei Arbeitsleistung gegenüber. Die Befreiung von der Pflicht, erst einmal und vorrangig seine Arbeitskraft - in welcher Form auch immer - verwerten zu müssen, ist neben der Bedarfsgerechtigkeit das zweite zentrale Moment des bedingungslosen Grundeinkommens. Damit weist diese Idee aber weit über eine Neugestaltung sozialer Sicherung und gesellschaftlicher Teilhabe hinaus. Sie wird gleichzeitig zu einer Idee über neue Formen gesellschaftlicher Produktion. Rätz, Paternoga und Steinbach stoßen zumindest eine Diskussion an, die vielen anderen Texten zum Thema fehlt: Was soll als gesellschaftlich notwendige Arbeit gelten? Von welcher Arbeit wollen wir uns lieber befreien? Welche Produkte sollen wie und von wem hergestellt werden? Und wer entscheidet darüber? (vgl. auch ak 502 )

Allerdings schwächelt der Text bei der Diskussion von Durchsetzungsstrategien. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist heute in der Linken sehr viel verbreiteter als etwa vor 20, 25 Jahren, als der undogmatische Flügel der Erwerbslosenbewegung die Parole vom Existenzgeld gegen gewerkschaftliche und parteilinke Vollbeschäftigungsforderungen ("Recht auf Arbeit") aufs Schild gehoben hatte. Doch andererseits geht es dieser Forderung heute wie anderen Forderungen auch: Es gibt in Deutschland keine sozialen Bewegungen, die sie wirklich vertreten. Die Montagsdemos und Anti-Hartz-Proteste haben "Weg mit Hartz IV" skandiert, nicht aber "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen".
Befreiung von (schlechter) Arbeit

Die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen wird nur dann wirkungsmächtig, wenn sie Ausdruck einer widerständigen sozialen Alltagspraxis ist. Sie kann nur entstehen im konkreten Kampf gegen Hartz IV und prekäre Arbeitsbedingungen, gegen Bedürftigkeitsprüfungen und Zuweisungen in die Pflichtarbeit bzw. im Kampf für die Teilhabe aller an den gesellschaftlichen Ressourcen. Die AutorInnen weisen zu Recht auf den Zusammenhang mit der Idee einer kostenlosen sozialen öffentlichen Infrastruktur hin - von Kindergärten über öffentliche Bücherhallen bis hin zu Schwimmbädern, Kultur und öffentlichem Nahverkehr. Doch auch das ist letztlich eine Frage der konkreten Alltagskämpfe: Demos gegen Privatisierungen und Schließungen, Streiks, Besetzungen, Aneignungspraxen.

Dirk Hauer

Werner Rätz, Dagmar Paternoga, Werner Steinbach: "Grundeinkommen bedingungslos", AttacBasisTexte Nr. 17, Hamburg (VSA) 2005, 94 Seiten, 6,50 Euro

aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 503/17.2.2006