Freiheit ist eine Herausforderung, kein Schlaraffenland

Nach wie vor erkennen sowohl Befürworter wie Kritiker des bedingungslosen Grundeinkommens kaum die Bedeutung des Zusammenhangs von Freiheit der Bürger als Staatsbürger und Solidarität im Gemeinwes

Unterschiede ums Ganze

Wer Differenzen nicht beachtet und auslotet, verhindert eine sachliche Auseinandersetzung um die Überlegungen zum bedingungslosen Grundeinkommen, eine Auseinandersetzung, die nötiger ist denn je. Es läßt tief blicken, wenn nicht nur relevante Unterschiede einfach ignoriert werden. Aufschlußreich und bezeichnend ist angesichts der vergangenen Reformjahre die Gleichsetzung von Freiheit und Schlaraffenland, wie Ulrich Busch sie jüngst an dieser Stelle vorgenommen hat - durchaus in politischer Absicht, sucht er für die desorientierte Linke doch nach einer tragfähigen Utopie. Mit dieser Gleichsetzung, zu der er sich durch selektive Rezeption verschiedener Überlegungen zum Grundeinkommen berechtigt sieht, wird nur ein weiteres Mal deutlich, daß zwischen der Arbeitshaus-Politik der vergangenen Jahre und einem Großteil ihrer Kritiker deutliche Gemeinsamkeiten bestehen: zum einen das enorme Mißtrauen in die Bereitschaft des einzelnen, wo auch immer seinen Beitrag zu leisten; zum anderen die Vorstellung, nur durch Arbeit werde der Mensch zum Menschen.

Wo die Solidarität der Bürger als Bürger nicht als Grund des Gemeinwesens gedacht werden kann, wird auch nicht begriffen, daß sie schon bislang den Grund unseres Wohlstandes ausgemacht hat.1 Aufgrund dieses blinden Fleckes kommt die Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen nicht selten in ökonomietheoretischem Gewand daher. Doch mit Grundlagen des Wirtschaftens haben die Einwände, so sie überhaupt argumentativ dargelegt werden, wenig zu tun. Zu erkennen ergibt sich an ihnen etwas ganz anderes: Überzeugungen von einem sinnerfüllten Leben, die als solche nicht kenntlich gemacht werden.2 Auch hier trifft zu, was ich an dieser Stelle schon einmal zu einem Übel der öffentlichen Diskussion erklärt habe: Statt offen diese Überzeugungen auszusprechen, werden sie als sachverständiges Expertenurteil verkleidet und die Praxis, die sich mit den Überzeugungen ja sonst offen auseinandersetzen könnte, expertenhaft entmündigt: Es wird von höherer Warte vorentschieden, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Zu ihren besseren Zeiten hätte die Linke, von der und für die Busch sprechen will, zur Durchleuchtung dieser verdeckten Werturteile beigetragen: durch Ideologiekritik.

Es ist ein Symptom unserer Lage, daß nach wie vor sowohl Befürworter wie Kritiker des bedingungslosen Grundeinkommens die fundamentale Bedeutung des Zusammenhangs der Freiheit der Bürger als Staatsbürger und der Solidarität im Gemeinwesen kaum erkennen. Antikapitalistische Denktraditionen tragen daran ihren Teil, für die das Politische als eigenständige Sphäre pluralen Streits ebenso unbedeutend, wie die Rede vom Bürger nur bürgerliche Ideologie ist. Für die Marxsche Theorie, bei allen Verdiensten, gilt dies ebenso wie für den Marktliberalismus: Beide können die basale Verankerung der Praxis in einer Gemeinschaft der Bürger nicht begreifen und erliegen in ihren Erklärungsbemühungen einer ökonomistischen Verkürzung.3 Der Tausch von Werten gilt ihnen als Erstes, der Solidarität Vorgängiges. Aus dieser Vereinseitigung resultiert dann auch das Defizit, das Politische als eigenständige, die Bürger umfassende Praxis zu verstehen. Wir stoßen auf diese Unterminierung des Politischen auch in einer anderen Tradition, und zwar derjenigen, die in einer sozialtechnokratischen Vision die Ermöglichung von Freiheit vor allem als Problem der Steuerung des Gemeinwesens betrachtet. An die Stelle der Ermöglichung tritt hier Manipulation von oben, statt offener Debatte und Suche nach Gefolgschaft leitende Bevormundung.

Freiheit und Anerkennung als Säulen des Gemeinwesens

Schon der Auftakt, mit dem Busch die Debatte eröffnet, läßt aufhorchen. Er erhebt ja den Anspruch, das "Konzept" des bedingungslosen Grundeinkommens im allgemeinen zu kritisieren. Doch kritisiert er allenfalls bestimmte Begründungen, trifft hingegen nicht die Idee in ihrer systematischen Bedeutung.

Nicht weniger wird dem Grundeinkommen attestiert als die Verkehrung der "Prinzipien des normalen Lebens" (978), sei es doch ein Schlaraffenland, das mit ihm bereitet werde. Erstaunlich ist diese Bemerkung, da er mit dem bedingungslosen Grundeinkommen selbstverständlich das Nichtstun und Herumhängen verbindet. Die Linke, die Busch nach eigenem Verständnis vertritt, scheint wenig entfernt vom Ruf nach unerläßlichen Disziplinierungen des Bürgers, wie sie im Arbeitshaus gepflegt wurden. Ohne Arbeitsdisziplin drohe haltlose Ausschweifung. In der Tat mag sich bei manchen Befürwortern die Phantasie des süßen Nichtstuns finden, vielleicht ist sie noch eine Reaktion auf die gegenwärtigen Zumutungen, doch auch dieses Nichtstun entspränge einer freien Entscheidung - es wäre kein Fluch. Doch statt aufzuzeigen, daß die Freiheit, die das Grundeinkommen gewährte, den einzelnen in seiner individuellen Autonomie viel mehr anerkennte und herausforderte als heute, vergleicht Busch sie mit dem "Paradies" (979, Anm. 5) - was mißlingt. Denn in ihm ist der Mensch ohne Bewußtsein und wird vertrieben: Der theologische Sündenfall ist im Grunde ein Befreiungsfall, die Vertreibung aus dem Paradies also der Beginn der Freiheit.

Im Schlaraffenland sei man vor allem eines, so Busch: frei von Arbeitslast und -verpflichtung. Das scheint ihm ein Graus, obwohl er selbst darauf hinweist, daß Freiheit unvollständig, "formal", sei, wo der einzelne nicht wirklich wählen könne, weil sein Einkommen von Erwerbsarbeit abhängt (979). Diese Verknüpfung von Arbeit und Einkommen war politisch gewollt, und zwar nicht einfach von den Herrschenden, wie man sich das gerne vorstellt. Sie entsprang einer Gerechtigkeitsvorstellung, einer Vorstellung von einem sinnerfüllten Leben, die Herrschende und Beherrschte teilten. Sie verhalf dem neuen "Arbeitsregime", wie Busch es nennt, zur Geburt. Gegenüber feudaler Loyalitätsverpflichtung und Fürsorgepflicht war es ein Schritt in Richtung einer Universalisierung nicht nur der Leistung, sondern auch der Stärkung des Individuums im Gemeinwesen, zu dessen Wohl der Einzelne beitrug. Heute hingegen wird diese Verknüpfung zum größten Hemmschuh der Freiheit, zum Inbegriff des Mißtrauens in die Gemeinwohlbindung der Bürger. Je länger wir angesichts der Möglichkeit, uns von der Arbeitsverpflichtung zu befreien und vollkommen in die Bürger zu vertrauen, dieser Chance verschließen, desto mehr untergraben wird das Fundament unseres Gemeinwesens.

Leistung entspringt der Freiheit zur Sache

"Der Modus der Verteilung folgt dem der Produktion" (980), werden wir belehrt, was aber will er uns sagen? Was er für ein Gegebenes hält, steht doch gerade in Frage. Entscheidend sind doch nicht die vielgescholtenen Unterschiede im Gemeinwesen, zwischen denen, die mehr, und anderen, die weniger besitzen, sondern die Möglichkeiten, die der einzelne hat, über sein Leben zu verfügen, es frei zu gestalten. Selbstverständlich kann auch nur verteilt werden, was erwirtschaftet worden ist - ein Hinweis, dem man heute immer begegnet. Wer diesen Hinweis als Einwand gegen ein Grundeinkommen vorbringt, scheint folgenden Zusammenhang vor Augen zu haben: Dort wo Arbeitspflicht herrsche, werde auch produktiv gearbeitet. Zwischen Arbeitsverpflichtung und Arbeitsleistung wird ein direkter Zusammenhang hergestellt, beinahe ein Automatismus - auch manche Grundeinkommensbefürworter folgen diesem Vorurteil.4 Nur wenn man die Voraussetzungen dafür unterschlägt, weshalb die Bürger bereit sind, die Arbeitsverpflichtung anzunehmen und in produktive Arbeitsleistung umzusetzen, kann ein solcher Zusammenhang ohne Umschweife behauptet werden. Er lebt von der Vorstellung, Verpflichtung setze sich in Identifizierung und Produktivität um. Statt dessen geht der Annahme der Verpflichtung schon die Bereitschaft zur Übernahme voraus, sie wird nicht durch die Verpflichtung erzeugt. Nur in einem Gemeinwesen, das die Auseinandersetzung mit einer Sache für erstrebenswert hält (und entsprechend Freiräume eröffnet), erwächst sie. Diesem Zusammenhang entspringt auch die Verankerung der Berufsfreiheit im Grundgesetz (Art. 12 GG). Dem einzelnen wird dadurch der Weg eröffnet, einen Beruf zu ergreifen, der seinen Neigungen und Interessen entspricht. Daß er einen solchen überhaupt zu ergreifen bereit ist, ruht darin, einen Beitrag zum Wohl des Gemeinwesens leisten zu wollen.

Diese Voraussetzung schafft die Wirtschaft also nicht selbst, sondern sie bedarf ihrer als Existenzbedingung. Des weiteren bedürfen Güter, die erzeugt werden, einer Absatzchance - auch hier waltet kein psychologischer Mechanismus, nach dem Bedürfnisse produziert werden. Wie komplex dieser Zusammenhang zwischen Produkt und Absatzchance heute ist, läßt sich nicht mit der einfachen Formel "die Produktion bestimmt die Bedürfnisse" erklären. Sie setzt immer schon ein entscheidungsfähiges Individuum voraus, welches überhaupt zu produzieren bereit und zu konsumieren willig ist. Sonst ließe sich das Scheitern einiger Produkte und der Erfolg anderer nicht erklären.

Die Herausforderung zu leisten, die dem einzelnen gegenübertritt, muß also auch angenommen und in ein berufliches, familiales und bürgerschaftliches Engagement gewendet werden. Es ist nicht erzwingbar, wie der ökonomische Reduktionismus suggeriert. Die Entfaltung einer protestantischen Ethik ist vielmehr nur zu erklären, wenn man ihren Kern - den universalistischen Leistungsbegriff und die Stellung des Individuums in ihm - betrachtet. Der Protestantismus wendet sich gegen eine katholische Kirche, die dem Gläubigen ein unmittelbares Verhältnis zu Gott versagt, er antwortet damit auf ein virulentes Autonomiestreben der Praxis und treibt die Säkularisierung weiter voran. Was wir rückblickend als Ideologie der Arbeitsknechtschaft betrachten, ist historisch ein Schritt zur Freiheit und der Aufwertung des Individuums gewesen.

Nicht wird der Mensch durch Arbeit zum Menschen, sondern durch seine Anerkennung als Zweck an sich in einem Gemeinwesen und in der Familie. Das Gelingen des Prozesses der Sozialisation vom Kind zum Erwachsenen entscheidet sich daran, ob ein Kind genau diese Anerkennung erfährt. Sie ist es, woran sich Selbstvertrauen bildet, das wiederum erst ermöglicht, sich mit einer Sache als Herausforderung auseinanderzusetzen, sich für sie zu engagieren.5 Dieser einfache Zusammenhang ist es, der sich z. B. auch in einer Relation von Bildung und beruflichem Erfolg niederschlägt. Je mehr Bildung aber, sei es in der Schule, sei es in der Universität, zur Aneignung von Stoff verkümmert, je weniger die Auseinandersetzung mit einer Sache um ihrer selbst willen betrieben wird, desto weniger kann ein Schüler oder Student diese Erfahrung machen.6 Sie ermöglicht überhaupt erst, hinter Routinen zurückzutreten, sie aufzugeben und Neues hervorzubringen. Die Entleerung des Arbeitsbegriffs, mit der Arbeit zum Selbstzweck wird und nicht mehr daran gemessen wird, ob es zur Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen menschlicher Arbeitskraft bedarf, führt langfristig zur Zerstörung genau dessen, was die nichtökonomische Voraussetzung des Erwirtschaftens von Wohlstand ist: der Bereitschaft, sich mit einer Herausforderung, ganz gleich welcher, auseinanderzusetzen. Wir fördern gegenwärtig Arbeit statt Leistung, Arbeit ohne Sache.

Für Busch scheint dieser Zusammenhang irrelevant, wenn er mit Berufung auf Marx zum ewigen Gesetz erklärt und verklärt: "›Die Arbeit ist alles‹, (...) Grundlage des menschlichen Lebens als auch Grundbedingung der Menschwerdung und des Menschseins selbst. Das Gesellschaftsmodell, das hier angestrebt wird, ist also keine die Arbeit vernachlässigende Freizeit- und Konsumgesellschaft, kein Schlaraffenland, sondern eine auf Schöpferkraft und Leistung basierende Arbeitsgesellschaft, deren Produktivität es erlaubt, daß jeder entsprechend seinen Fähigkeiten tätig ist und entsprechend seinen Bedürfnissen am gesellschaftlichen Reichtum partizipiert" (980).

Was meint er hier nun? Angesichts unserer gegenwärtigen Wertschöpfung, deren Einschätzung Busch durchaus teilt (981) und die auch in gegensätzlichen Lagern nicht umstritten ist,7 sehen wir uns mit dem Erfolg vergangener Entscheidungen konfrontiert. Seit langem schon wächst die Werterzeugung bei sinkenden Arbeitsstunden, die zu ihrer Erwirtschaftung notwendig sind. Alleine das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, läßt man es als Indikator gelten, hat seit 1990 um ungefähr 44 % (preisbereinigt um 25 %) zugelegt.8 Zum einen geht dies auf Produktivitätssteigerungen durch den Einsatz von Technologie zurück, zum anderem mußten und müssen diese Technologien zuerst einmal entwickelt werden. Dazu bedarf es eines leistungsbereiten Individuums, das sich in den Dienst eines überindividuellen Zwecks stellt. Soweit können wir Busch noch folgen. Doch diese Leistungsbereitschaft ist nicht Ergebnis eines "ökonomischen Zwanges", außer man läßt als solchen gelten, daß nur über Erwerbsarbeit ein reguläres Einkommen erzielt werden kann. Damit ist aber noch nicht erklärt, weshalb der einzelne einen bestimmten Beruf ergreift, bestimmte Aufgaben als Herausforderung begreift und sich mit ihnen auseinandersetzt. Greifen wir hier auf unser Argument von oben zurück, können wir es hingegen erklären. Der berufliche Erfolg, damit die Produktivität, ruht auf etwas Vor-Beruflichem, einer intrinsischen Motivierung, die die Voraussetzung dafür ist, daß der einzelne einen bestimmten Beruf ergreift und die damit verbundenen Herausforderungen annimmt. Das mag uns im Sinne einer Alltagsüberzeugung trivial erscheinen, angesichts der ökonomistischen Verkürzungen, die die öffentliche Debatte dominieren, ist es dies allerdings nicht. Der Arbeitsbegriff eignet sich zur näheren Bestimmung dieser Zusammenhänge nicht. Er ist zu unscharf und wirft in einen Topf, was sich ausschließt: die Anerkennung einer Praxis um ihrer selbst willen, zweckfrei, wie sie in z. B. in jedem Akt des Schenkens und des Grüßens zum Ausdruck kommt, und die Anerkennung einer Praxis, die einem bestimmten Zweck dient, z. B. als Mitarbeiter eines Unternehmens. 9

In Buschs idealem Gesellschaftsmodell, in dem "jeder entsprechend seinen Fähigkeiten tätig ist" (980), haben die einzelnen allerdings nicht die Entscheidung darüber, welcher Herausforderung sie sich zuwenden wollen: denn Arbeit wird zum höchsten Zweck verklärt. Zu behaupten, jeder finde, was seinen Fähigkeiten entspreche und könne damit auch noch ein Einkommen erzielen, ist doch nur möglich, wenn eine gigantische Arbeitsbeschaffungsagentur gegründet wird. Dann allerdings gelten Fähigkeiten nicht mehr als Selbstzweck und ihre Entfaltung wird nicht mehr ermöglicht, sondern angewiesen. Dieselbe Konsequenz, die die Durchsetzung eines Rechts auf Arbeit hätte. Wie gegenwärtig schon immer Kompromisse erforderlich sind und es auch waren, werden sie auch in Zukunft notwendig sein. Man kann die Bedingungen dafür verbessern, daß Fähigkeiten und Möglichkeiten zusammenfinden, doch garantieren läßt sich dies nicht in dem von Busch beschworenen Sinn. Kompromisse sind ja auch kein Übel, das aus dem Leben verbannt werden müßte, doch verlangen sie stets eine Bereitschaft des einzelnen, sie zu schließen: Also muß Freiheit gestärkt werden, nicht Arbeitsmöglichkeit.

Wir können also lediglich besonders günstige Bedingungen dafür schaffen, daß ein Beruf ergriffen wird, den der einzelne wirklich ergreifen will. Aber was ist mit denjenigen, die dort nicht unterkommen, und vor allem: was ist mit Tätigkeiten, die gar nicht berufsförmig werden sollen? Ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglichte z. B. Wissenschaftlern, die keine Anstellung finden, dennoch zu forschen; es ermöglichte Künstlern Kunstwerke zu schaffen, ohne der ständigen Existenznot ins Auge blicken zu müssen, die Busch für ein Wertigkeitskriterium hält (986). Wer sich bürgerschaftlich engagieren oder sich für seine Kinder und die Familie entschiede, könnte dies ebenso frei von Existenzängsten tun. Wir können hier nur darauf vertrauen, daß der einzelne seinen Weg in der Regel finden wird. Nur wer all dies unterschlägt und bezweifelt, wie Busch in seinem Beitrag, sieht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen eine "Konsumgesellschaft" heraufziehen. Denn er erkennt solche Tätigkeiten, die gar nicht erwerbsförmig sind, nicht als solche an. Vielmehr würden sie zerstört, wenn wir sie dem Äquivalenzmodell unterwürfen. Es machte auch hier einen Unterschied ums Ganze, ob ein Einkommen gewährt wird, das ein Engagement ermöglicht, ganz gleich welches, oder ob dieses Einkommen eine erbrachte Leistung vergütet. Familien erhalten ja auch heute nicht dann Kindergeld, nachdem sie es vermocht haben, aus ihren Kindern autonome Bürger zu machen, sondern alleine der Kinder wegen. Es soll ihnen eine Entlastung verschaffen, eine Entlastung vom Einkommenserwerb durch Arbeit, damit sie sich ihren Kindern widmen können. Auch wenn die Maxime "Arbeit ist alles" schon lange ins Innerste der Familien vorgedrungen ist und die Eltern dazu auffordert, die Kinder dem Einkommenserwerb, dem beruflichen Erfolg, nachzuordnen, sollten wir daraus keine Tugend machen. Wir zerstören eine tragende Säule unseres Gemeinwesens.

Werterzeugung ist der Zweck des Wirtschaftens, nicht Arbeit

Geht es also darum, wie wir die Werterzeugung, die wir benötigen, auch in der Zukunft ermöglichen können, müssen wir uns fragen, was ihre Voraussetzungen in der Vergangenheit waren und welche dafür in der Zukunft gegeben sein müssen. Wir haben dazu einiges dargelegt. Eine wesentliche Voraussetzung war schon in der Vergangenheit die Bereitschaft des einzelnen, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, die - sei sie noch so routineförmig - doch zuverlässig erledigt werden muß, wie z. B. die Müllabfuhr, die Steuerung einer U-Bahn usw. Wir wissen auch, daß hier noch Automatisierungspotentiale bestehen. Aber nicht nur dort, auch sogenannte hochqualifizierte routinierte Tätigkeiten sind automatisiert worden und werden zukünftig automatisiert werden, und zwar umso radikaler, desto mehr uns daran gelegen ist und wir Automatisierung fördern. Ist also die intrinsische Motivierung der Grund jeglichen beruflichen Erfolges, dann muß deren Entfaltung gefördert werden.

Busch jedoch sieht diesen Zusammenhang nicht, wenn er schreibt: "Dabei (beim bedingungslosen Grundeinkommen - S. L.) wird Arbeit keineswegs auf Erwerbsarbeit reduziert (...). Ganz im Gegenteil: als freie Tätigkeit und selbstbestimmtes Tun ist sie eine wichtige Komponente des ›multiaktiven Lebens‹. Ihr Einsatz aber ist freiwillig und ohne Verpflichtung. Sie besitzt damit den gleichen Status wie Sport, Spiel, Reisen, Musikhören oder der Besuch eines Cafés. Man arbeitet eben, weil es Spaß macht. Und nur, sofern es Spaß macht. Arbeit aus existenzieller Not (Hervorhebung S. L.) dagegen gibt es nicht" (985 f.). Berufliches oder bürgerschaftliches Engagement wäre also nur ein ernsthaftes, produktives, wenn es aus existenzieller Not entspränge.10 Jede müßige Beschäftigung mit einer Sache, wie sie in Kunst und Wissenschaft geschieht, ist genauso wertlos, wie alles, was aus freiem Entschluß geleistet wird. Nur wo die Peitsche der Lebensnot herrscht, schließe ich daraus, wird ein Wert erzeugt, etwas Sinnvolles hervorgebracht. Hier tönt Busch kaum anders als diejenigen, die in Arbeit vor allem ein Disziplinierungsinstrument sehen: das Arbeitshaus feiert Urständ. Darüber kann auch nicht die informierte Rede vom "Reich der Naturnotwendigkeit"11 hinwegtäuschen, ein selbst schimmernder Begriff. Denn zum einen bleibt unklar, wo diese Notwendigkeit denn beginnt und wo sie endet, zum anderen schafft bloße Lebensnot allenfalls ein praktisches Problem der Erhaltung und der Sicherung des Fortbestandes, nicht aber eine Antwort darauf. Die Not bringt keine Lösungen hervor, sie müssen von einem handelnden Subjekt hervorgebracht werden, für das diese Not als Not überhaupt relevant wird. Welche Lösungen es hervorbringt, ist von der Not genauso wenig bestimmt.

Mit dem Verweis auf Marx und dann über ihn hinausgehend könnten wir gerade herausstellen: Es ist der enorme Produktivitätsfortschritt, der uns erlaubt, Zeit zur freien Verfügung zurück zu gewinnen (was auch durch die Absenkung des Wohlstandsniveaus geschehen könnte), die Befreiung von dieser "blinden Macht"12 der Notwendigkeit voranzubringen.

Wo auch Marx allerdings nur einen Weg sieht, das "Reich der Freiheit" zu betreten, nämlich die Arbeitszeitverkürzung, ließe sich genauso gut die Frage aufwerfen: Weshalb nicht diese Entscheidung in die Hand der Bürger zurücklegen? Das Reproduktionsproblem bleibt ja erhalten und muß beantwortet werden, doch wie wir dies tun, darüber könnten die Bürger entscheiden, und davon wären dann in letzter Konsequenz unser Wohlstandsniveau und die mögliche Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens abhängig. Unser Wohlstandsniveau ist schließlich kein unverrückbares Gebot, es ist Ausdruck unseres Wollens. Vor diesem Grad an Freiheit scheint die Linke zurückzuschrecken, doch weshalb? Schon heute ist die "notwendige Reproduktion" nicht durch einen vermeintlichen Zwang der Verhältnisse sichergestellt, sondern durch die Bereitschaft der Bürger, zur Werterzeugung beizutragen. Daran würde sich auch unter einem bedingungslosen Grundeinkommen gar nichts ändern.

Die Herausforderung der Freiheit

Die Zumutung der Freiheit ist die größte Herausforderung, denn jeder muß eine Entscheidung darüber treffen, was er mit seinem Leben anfangen will. Das Grundeinkommen verstärkte diese schon heute zu beantwortende Frage, denn es wäre das Gemeinwesen, das dem einzelnen diese Möglichkeit eröffnete. Darüber hinaus stünde jedem vor Augen, daß diese Freiheit von einem erfolgreichen Wirtschaften abhinge. Wo keine Werterzeugung stattfände, müßte das Grundeinkommen aufgegeben werden. Jeder also wäre vor die Frage gestellt, wie er zum Wohl des Gemeinwesens beitragen kann. Unser Gemeinwesen beruht ja schon heute darauf, denn schon heute sichern wir jedem Bürger, der in Not gerät, eine Absicherung in Gestalt der Sozialhilfe zu. Weshalb aber greifen die Bürger nicht massenhaft dazu, wo sie doch die Möglichkeit dazu hätten? Unsere Antwort ist einfach: Jeder ist bestrebt, seinen Beitrag zu leisten, und wo dies nicht geschieht, gibt es plausible Erklärungen. Wer aufgrund einer traumatisierten Lebensgeschichte dazu nicht in der Lage ist, muß geschützt werden. Auch er muß ein Leben in Würde führen können. Doch im Unterschied zum bedingungslosen Grundeinkommen bringt die Sozialhilfe nicht nur einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre mit sich, sie stempelt den Empfänger zum Versager, stigmatisiert ihn.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Antwort genau auf diese Frage. Es ist eine Konsequenz aus dem dargelegten Zusammenhang, der schon heute Grundlage unseres Wohlstandes ist. Eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs auf alle Tätigkeiten würde das Äquivalenzprinzip dort einführen, wo es nicht darum geht, eine spezifische Problemlösung zu erzeugen, sondern das Gemeinwesen als Gemeinwesen zu erhalten. Bürgerschaftliches Engagement, dessen Antrieb darin besteht, dem Gemeinwesen als Bürger und nicht als Erwerbstätiger zu dienen, würde entwertet. Denn nach welchem Kriterium würde dieses Engagement entlohnt, was wäre es denn wert? Für den Bestand des Gemeinwesens ist es unerläßlich, genauso unerläßlich wie Familien es sind. Ein bedingungsloses Grundeinkommen hingegen ist keine Entlohnung für ein Engagement. Es rechtfertigt sich nur durch die Ermöglichung von Freiheit und zum Schutz der Integrität der Bürger. Buschs Vorschlag zerstörte die Grundlage unseres Gemeinwesens, indem es jegliches Engagement dem Äquivalenzprinzip unterwürfe. Auch andere haben schon darüber nachgedacht, das Grundeinkommen an eine Gegenleistung zu binden, wie z. B. Oskar Negt, der die Gewährung daran knüpfen will, daß der einzelne zur Wahl geht.13 Wie lebendig die Maxime "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" noch immer ist, bezeugen solche Vorschläge. Zur Wahl gehen die Bürger dann, wenn sie sich mit dem Gemeinwesen identifizieren. Nicht selbstverständlich, sondern erklärungsbedürftig ist, wie sehr auch die Linke sich ein solidarisches Gemeinwesen nur nach dem Prinzip do ut des vorstellen kann. Solidarität erwächst in ihrem Verständnis offenbar dort, wo eine gewährte Leistung zu einer Gegenleistung verpflichtet. Längst wären wir untergegangen, folgte das wirkliche Leben dieser Maxime.

Nun können wir uns fragen, weshalb die fundamentale Bedeutung des Gemeinwesens als Gemeinschaft der Bürger derart unterschätzt wird? Nicht nur in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften stößt es auf Geringschätzung.14 Auch in der öffentlichen und politischen Diskussion sowie bei einigen Grundeinkommensbefürwortern wird ihm nicht allzuviel Gewicht beigemessen.15 Erst recht nicht in der sozialistischen Tradition, auf die Busch affirmativ hinweist. Noch die DDR verstand sich ja als Arbeiter- und Bauernstaat - eine Gemeinschaft der Werktätigen - und nicht der Staatsbürger - als Volkssouverän.16 Werktätiger ist man aber immer nur bezogen auf eine spezifische Aufgabe. Anerkannt wird also nur, wer sich in den Dienst einer solchen Aufgabe stellt. Das Gemeinwesen ist also ein Gemeinwesen, das den einzelnen anerkennt, sofern er dieser Aufgabe dient, nicht aber um seiner selbst willen. Darin besteht ein Unterschied ums Ganze zu den Prinzipien, auf denen der moderne Nationalstaat ruht, denn vollgültiger Bürger ist man unabhängig vom Beitrag, den man leistet. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa und der DDR letztlich als Folge eines Vergemeinschaftungsdefizits zu erklären. Denn weshalb sollten Bürger einem Gemeinwesen loyal sein, das sie als solche nicht anerkannt hat?

Expertokratische Verhinderung von Freiheit I

Einkommen und Arbeit zu entkoppeln sei "ökonomisch keineswegs zwingend" (984), konstatiert Busch. In der Tat, wer nicht erklären kann, was ein Gemeinwesen zusammenhält, für den ist die Ermöglichung von Freiheit und Initiative kein Argument für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wir könnten Niedriglohntätigkeiten ausweiten oder Arbeit umverteilen und ausdehnen, wie auch Busch es erwägt. Doch beide Strategien führten zu einer Entwertung individueller Leistungsbereitschaft, weil sie Arbeit nur formal betrachten. Sie richten sie nicht nach der notwendigen Leistung zur Erzeugung von Werten, sondern danach, daß jeder seinen Beitrag leisten soll. Experten schlagen schon heute vor, die Lohnkosten soweit zu senken, bis es attraktiver wäre, in menschliche Arbeitskraft statt in Maschinen zu investieren (z. B. Hans-Werner Sinn). Weshalb aber sollten wir auf Automatisierung verzichten zugunsten menschlicher Arbeitskraft? Weshalb Arbeit umverteilen? Nur wer in der Stärkung der Freiheit keinen Zweck erkennt und der Gemeinwohlbindung der Bürger mißtraut, kann für einen solchen Verzicht oder auch für die Umverteilung von Arbeit plädieren. Wo der Experte spricht, sind hier Werturteile im Spiel, die sich hinter Sachverstand verbergen.

Ein Argument für folgende Behauptung sucht man vergebens: "Eine sich im Unterschied zur gegenwärtigen Verteilung stärker an Leistung und Leistungsgerechtigkeit orientierende Verteilungsweise dagegen würde, verbunden mit einem bestimmtem Maß an ökonomischer und sozialer Differenzierung, mehrheitlich durchaus auf Akzeptanz stoßen" (988).17 Erstaunlich, wie unhistorisch hier gedacht wird. Der status quo, wenn auch modifizierbar, wird zum Naturgesetz erhoben. Wer sagt, daß nicht das bedingungslose Grundeinkommen, gäbe es einmal eine wirklich öffentliche Debatte, auf eine solche Akzeptanz stieße? Da bislang die Medien sich dieser Idee nicht ernsthaft annehmen und es nur hier und da Veröffentlichungen in Tageszeitungen und Beiträge im Fernsehen gibt, läßt sich kaum etwas über eine breitere Akzeptanz der Idee aussagen.18 Führt man sich vor Augen, welche Veränderungen ein bedingungsloses Grundeinkommen mit sich brächte, so kann es gar nicht erstaunen, auf welche Vorbehalte es gegenwärtig stößt: Als Leistung im Gemeinwesen gälte nicht mehr vor allem beruflicher Erfolg, sondern gleichwertig das Engagement in Familie und Gemeinwesen; die müßige Auseinandersetzung mit einer Sache um ihrer selbst willen wäre vom Stigma des Nutzlosen befreit. Alleine die genannten Aspekte bedeuten eine gewaltige Veränderung, weil nicht mehr vorab definiert wäre, wann jemand wo etwas leistete. Jeder müßte seinen Weg finden, entscheidend wäre dann nicht mehr vor allem, womit er sich befaßt, sondern ob er es aus einer wirklichen Leidenschaft heraus tut. Auch angesichts unserer Bürgervergessenheit ist das Befremden keineswegs überraschend. Wir mißtrauen gegenwärtig derart der Gemeinwohlbindung des einzelnen, daß die Vorbehalte gegen ein Grundeinkommen nur noch einmal die Vorbehalte gegenüber dem einzelnen wiederholen. Wer es für erstrebenswert hält, dem Bürger Verantwortung in die Hand zu legen und ihn zugleich abzusichern, ist unheimlich. Angesichts dieser Veränderungen wäre es vielmehr verwunderlich, wenn diese Vorbehalte nicht bestünden. Dort, wo derart weit reichende Überlegungen angestellt werden, wo also etwas entstehen könnte, das mit vertrauten Lebensüberzeugungen bricht - wo sonst, wenn nicht dort, stößt man zunächst auf skeptische Vorbehalte und Ablehnung? War dies in der Weltgeschichte jemals anders? Denken wir nur an die Revolutionen, die großen Veränderungen vorausgegangen sind. Bei allen Voraussetzungen, an die sie anknüpfen konnten, waren die Umwälzungen doch erheblich. Wer die gegenwärtige abfragbare Akzeptanz zum Maßstab einer politischen Vision macht, ohne daß es eine ernsthafte Debatte gegeben hat, der wird sich nur für solche Veränderungen erwärmen, deren Zustimmung schon im Vorhinein gewiß ist. Eine solche Haltung bedeutet Stillstand, an dem Busch mitwirkt und der die gesamte öffentliche Diskussion prägt. Er ist einer Verführung erlegen, der schon mancher Experte erlegen ist: aus der Theorie die Unmöglichkeit einer Veränderung der Gegenwart abzuleiten.19

Expertokratische Verhinderung von Freiheit II

Busch behauptet mit Verweis auf meinen Beitrag, ich lehnte "jede Expertise zur Bestimmung der Höhe des Grundeinkommens" (985) ab. In der von ihm tendenziös zitierten Passage heißt es hingegen: "Vor allem aber ist die gewünschte Höhe des Grundeinkommens nicht durch Expertise zu bestimmen. Experten können allenfalls einschätzen, ob eine gewünschte Höhe realisierbar wäre, nicht aber, ob sie gewollt wird." Ich unterscheide also zwischen dem politischen Streit über eine gewünschte Höhe und der Frage danach, welche Höhe finanzierbar wäre. Das Berechnungsmodell, auf das sich Busch auch bezieht, wurde im Namen der Initiative "Freiheit statt Vollbeschäftigung " von einer Mitstreiterin, Ute Fischer, gemeinsam mit Helmut Pelzer erstellt. Auch daran hätte er ablesen können, daß wir Berechnungsmodelle keineswegs ablehnen, uns aber sehr wohl ihrer begrenzten Aussagekraft bewußt sind. Selbstverständlich wird in der politischen Auseinandersetzung die Höhe sich an der Finanzierbarkeit orientieren, doch ist der Rahmen der Finanzierungsmöglichkeit breit. Innerhalb seiner ist die Höhe vom politischen Wollen abhängig - also wesentlich davon, wieviel von den erzeugten Werten zu Zwecken der Umverteilung abgeschöpft werden soll. Eine Debatte, die wir übrigens heute schon immer dann führen müssen, wenn es um die Erhöhung von Beitragsleistungen in die Sicherungssysteme geht oder - wie gegenwärtig - über Steuererhöhungen gestritten wird.

Vergeblich sucht man nach einer plausiblen Darlegung, weshalb ein solches Grundeinkommen nicht finanzierbar sein solle, und stößt immer wieder auf die Behauptung, es unterminiere das Leistungsprinzip. So zitiert Busch auch Pelzer/Fischer, wie es ihm zupaß kommt, wenn er schreibt: "Das bedingungslose Grundeinkommen ist als Alternative gedacht, sowohl zu den bestehenden sozialen Sicherungssystemen als auch gegenüber dem Leistungsprinzip und allen vorrangig leistungsbezogenen Einkommen (aus Erwerbsarbeit bzw. deren Ersatztransfers) " (983). Pelzer/Fischer verweisen hingegen ausdrücklich auf die leistungsfördernde Wirkung, die von einem bedingungslosen Grundeinkommen zu erwarten sei.20 Wer davon ausgeht, Leistung werde nur mit der Peitsche der Lebensnot im Rücken erbracht, kann nicht anders, als mit dem bedingungslosen Grundeinkommen den Untergang des Leistungsgedankens zu verbinden.

Auch der folgende Einwand gegen Pelzer/Fischer bleibt vage, verspricht etwas, das er nicht hält: "Da neben der ›Basissteuer‹ aber auch noch andere Steuern und Beiträge zu entrichten wären, käme es zu einer enormen Umverteilung, wodurch sich die tatsächlichen Belastungen und Vorteile letztlich anders darstellen würden als in dem Modell " (989). Wie denn? Busch begnügt sich mit einer Behauptung, die angesichts der Sache, um die es geht, doch von erheblicher Tragweite ist. Und er geht noch weiter: "Auch hätte eine derartige Redistribution beträchtliche Auswirkungen auf die Nachfrage, das Konsumverhalten, das Sparen, das Arbeitsangebot usw. All dies wird im vorliegenden Modell jedoch nicht analysiert, ja nicht einmal erwähnt" (ebenda). Pelzer/Fischer hingegen schreiben folgendes: "Zwar lassen sich die Folgen der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger nicht sicher berechnen, sondern in ihren zu vermutenden längerfristigen Wirkungen auf Preis- und Einkommensgefüge, auf die Wertschöpfung insgesamt nur erahnen, doch meinen wir gezeigt zu haben, daß sich ein wohlhabendes Land wie Deutschland bereits heute die Einführung dieser Art der Grundsicherung leisten kann.21 Gezeigt haben die Autoren es in ihren Ausführungen, die auch Busch hätte lesen können. Ausdrücklich wird in der Zusammenfassung der Ergebnisse auf mögliche Auswirkungen hingewiesen, denn es ist nur ein Berechnungsmodell und nicht die Wirklichkeit selbst, was die Autoren zu bedenken geben. Berechnungen in die Zukunft sind eben nur Szenarien, mehr nicht.

Schluß

Auch wenn Ulrich Busch auf manchen Schwachpunkt in der Diskussion um die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens hinweist, hat er weitreichende Argumente nicht aufgegriffen, wie ich sie in meinem Beitrag vorgebracht habe. Ich vermag nicht zu beurteilen, wie selektiv er mit anderen Beiträgen aus der Debatte umgegangen ist. Messe ich seine Sorgfalt daran, wie er mit meinem und dem von Pelzer/Fischer verfahren ist, wundere ich mich über die Nachlässigkeit angesichts der großen Geste, mit der er das bedingungslose Grundeinkommen zu einer sozialromantischen Schlaraffenlandphantasie degradiert. Auch ihm scheint wenig zu behagen, daß es sich nicht in die Lager "Kapitalismus" oder "Sozialismus" einordnen läßt (991). Doch statt über diese Einordnung nachzudenken und sich zu fragen, ob sie der Wirklichkeit jemals angemessen war, gibt er die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens auf. Ihre Stärke besteht aber gerade darin, Momente miteinander in Verbindung zu setzen, die im ideenpolitischen Lagerkampf entgegengesetzt werden: Freiheit und Solidarität in einem demokratischen Gemeinwesen, davon abgeleitet ein starker Leistungsbegriff. Manche Kritiker sind ob dieser Verbindung schon ins Straucheln geraten, weil sie den Bürger und die politische Gemeinschaft nicht denken können. Bei Busch schnurrt alles in die Polarität von Produktion und Konsumtion zusammen, das ist bezeichnend genug.

Solange es keine sachlich harte und argumentativ klare öffentliche und politische Auseinandersetzung gibt, werden wir kaum einen Ausweg aus unserer Misere finden. Welchen Anteil an ihrem Fehlen die Linke hat, läßt sich an Ulrich Buschs Beitrag ermessen, der von demselben Mißtrauen gegen die Bürger zeugt wie Hartz IV.

Sascha Liebermann - Jg. 1967; Dr. phil. (Soziologie), wiss. Assistent an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Dortmund; Mitbegründer der Initative "Freiheit statt Vollbeschäftigung " (www.Freiheitstatt-Vollbeschaeftigung.de; S.Liebermann@Freiheitstatt-Vollbeschaeftigung.de); neueste Publikationen: Die Krise der Arbeitsgesellschaft im Bewußtsein deutscher Unternehmensführer, Frankfurt a. M., Humanities Online 2002; zuletzt in UTOPIE kreativ: Freiheit statt Vollbeschäftigung: Grundeinkommen als Ausweg aus der Krise, Heft 176 (Juni 2005).

Der Autor dankt Frau Ute Fischer für Kritik und Anregung.

Der Artikel ist eine Replik auf Ulrich Busch: Schlaraffenland - eine linke Utopie? Kritik des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens, UTOPIE kreativ Heft 181 (November 2005), S. 978-991. Busch seinerseits hatte Bezug genommen auf Katja Kipping: Und weil der Mensch ein Mensch ist: Garantiertes Grundeinkommen, sowie auf Sascha Liebermann: Freiheit statt Vollbeschäftigung: Grundeinkommen als Ausweg aus der Krise, beides in UTOPIE kreativ, Heft 176 (Juni 2005), S. 520-524 bzw. S. 525-533. Zum Thema siehe auch Antonín Dick: Befreiung von der Arbeit, UTOPIE kreativ, Heft 183 (Januar 2006). Die Redaktion lädt zur Fortsetzung der Debatte ein.

1 Siehe www.Freiheitstatt-Vollbeschaeftigung.de.

2 Vgl. Albrecht Müller: Entscheidend ist, was wächst. Produktionssteigerung bringt Arbeitsplätze, garantiert Wohlstand und sichert den Platz im internationalen Wettbewerb, in: Frankfurter Rundschau, 26. Juli 2005, S. 7; Heinz J. Bontrup: Geteilte Zeit ist geteilte Arbeit. Durch Arbeitszeitverkürzung und kluge Steuerpolitik könnten mehr Menschen in Lohn und Brot kommen, in: Frankfurter Rundschau, 14. August 2005; siehe auch meine Replik auf Müller: Bürgervergessen - Weshalb eine Politik des Wachstums und der Produktionssteigerung nicht dasselbe ist wie eine Politik der Freiheit, unter www.archiv-grundeinkommen.de.

3 Diese Verdinglichung der Kapitallogik zu einem Automatismus ist wiederholt aus der Marxschen Tradition heraus kritisiert worden. Vgl. Karl Reitter: Kapitalismus ohne Klassenkampf? Zu Michael Heinrich: ›Kritik der politischen Ökonomie‹, in: grundrisse 11, Herbst 2004, S. 26-34.

4 Vgl. auch den Beitrag von Joachim Bischoff und Julia Müller: Nische Grundeinkommen oder Aufhebung der Entfremdung?, die ein ähnliches Argument vorbringen, unter http://www.linksnet.de/rubrik.php?tid=96 in der Rubrik "Grundsicherung und Grundeinkommen" (16. 11. 2005).

5 Diese Zusammenhänge sind in der Bindungsforschung und auch der jüngeren neurologischen Forschung wiederholt deutlich gemacht worden. Vgl. z. B. die Werke von John Bowlby, Gerald Hüther und Theodor Hellbrügge. Für ein Engagement im Gemeinwesen ist die Bindungserfahrung ebenso unerläßlich, wenn auch nur eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Ein lebendiges Gemeinwesen der Bürger, also eine Kultur pluralen öffentlichen Streits, ist hierzu ebenso unerläßlich, wie ein Selbstverständnis der Bürger als Bürger.

6 Vgl. Sascha Liebermann, Thomas Loer: Soziologie - zu Gegenwart und Zukunft einer Wissenschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 34-35, Bonn 2005, S. 23-29; Ulrich Oevermann: Wissenschaft als Beruf - Die Professionalisierung wissenschaftlichen Handelns und die gegenwärtige Universitätsentwicklung, in: Manfred Stock, Andreas Wernet (Hrsg.): Hochschule und Professionen, Zeitschrift: die Hochschule - Journal für Wissenschaft und Bildung, Vol 1, Jg. 14 (2005), S. 15-49.

7 Vgl. auch Meinhard Miegel, Stefanie Wahl: Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit, Olzog 2002.

8 http://www.destatis.de/themen/d/thm_volksw.php (November 2005).

9 Ulrich Oevermann hat prägnant herausgearbeitet, was dieses Handeln charakterisiert. Vgl. z. B.: Strukturale Soziologie und Rekonstruktionsmethodologie, in: Wolfgang Glatzer (Hrsg.): Ansichten der Gesellschaft: Frankfurter Beiträge aus Soziologie und Politikwissenschaft, Opladen o. J., S. 72-84.

10 Wo bei Busch von existenzieller Not die Rede ist, spricht die Neoklassik von "Anreizen", derer der einzelne bedarf, um sich aufzuraffen. Intrinsische Motivierung ist beiden fremd, woraus Busch folgert: "Das bedingungslose Grundeinkommen dagegen würde die Aufgabe des Leistungsgedankens bedeuten. Es ermöglichte einigen den Ausstieg aus der Erwerbsarbeit, während andere die dafür notwendige Mehrarbeit zu leisten hätten. Es funktioniert deshalb um so weniger, je mehr Personen davon Gebrauch machen würden" (987). Wie wenig er sich mit der Systematik des Grundeinkommens auseinandergesetzt hat, sieht man zum einen daran, daß niemand die anderen zu der Mehrarbeit zwingen könnte. Nur auf ihre Bereitschaft kann man vertrauen. Zum anderen gilt der Zusammenhang, an den er die Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens knüpft, für jedes Sicherungssystem. Will er ernsthaft behaupten, daß Produktivität heute durch Zwang entstehe?

11 Karl Marx: Das Kapital, Bd. 3 (MEW, Bd. 25), S. 828.

12 Ebenda.

13 "Würde man nun das Grundeinkommen, das gewiss nicht üppig ausfallen dürfte, mit einem Honorar für Wahlbeteiligung verbinden - wäre das nicht eine Lösung des Apathie-Problems, das so viele Politiker beklagen?", in: Frankfurter Rundschau, 30. Juli 2004.

14 Wundern muß einen, daß es unter sogenannten progressiven Denkern zum guten Ton gehört, selbstverständlich das Ende des Nationalstaats zu besingen, obwohl es noch gar kein politisches Gebilde gibt, das in voller Souveränität an seine Stelle treten könnte, nicht einmal die Europäische Union.

15 Vgl. meinen Beitrag in der Juni-Ausgabe.

16 Vgl. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Art. 1 und 2.

17 Auch an anderer Stelle hat Busch diese Behauptung ausgesprochen. Vgl. Falscher Traum vom Schlaraffenland. Ist das bedingungslose Grundeinkommen wirklich ein linkes Konzept? Ein Ökonom sagt Nein, in: Neues Deutschland, 15. Oktober 2005.

18 Betrachtet man hingegen manche Weblogs und Diskussionsforen, auch meine Erfahrungen aus Vorträgen und Diskussionen, ergibt sich ein anderes Bild. Vgl. z. B. den Weblog auf www.unternimm-die-zukunft.de.

19 Vgl. S. 986 f.: "Ihr Erfolg aber hängt entscheidend von der allgemeinen Akzeptanz ab, die diese Idee in breiten Kreisen der Bevölkerung zu erreichen vermag. Und die dürfte gegenwärtig, in Anbetracht der Tatsache, daß die meisten Menschen ihren Lebensunterhalt derzeit direkt (Lohn, Gehalt) oder indirekt (Rente, Arbeitslosengeld I) durch Erwerbsarbeit verdienen, eher gering bemessen sein."

20 Vgl. Helmut Pelzer, Ute Fischer: ›Bedingungsloses Grundeinkommen für alle‹ - Ein Vorschlag zur Gestaltung und Finanzierung der Zukunft unserer sozialen Sicherung, Ulm/Dortmund 2004, S. 13 (www.uni-ulm.de).

21 Ebenda, S. 12.

 

in: UTOPIE kreativ, H. 184 (Februar 2006), S. 110-120

 

aus dem Inhalt :

VorSatz; Essay MARCUS HAWEL: Negative Kritik und bestimmte Negation. Zur praktischen Seite der kritischen Theorie; Debatte Grundsicherung SASCHA LIEBERMANN: Freiheit ist eine Herausforderung, kein Schlaraffenland; Verfolgte Linke SIEGFRIED PROKOP: Ernst Bloch und Wolfgang Harich im Jahre 1956; WOLFGANG HARTMANN: Der "Fall Noel Field". Zum gleichnamigen Buch von Bernd-Rainer Barth; GERHARD WAGNER: Zwischen Mondschein und Gaslicht. Heine in der ästhetischen Kultur des Industriezeitalters; Lateinamerika heute RAINA ZIMMERING: Frauenmorde und keine Aufklärung - die Frauen von Juárez; ERNESTO KROCH: Ein großes Experiment. In Uruguay regiert die Linke; Europa heuteJANE ANGERJÄRV: Geschlechtsbezogene Diskriminierung von Frauen in Estland; SASCHA WAGENER: Die Marxsche Verfassungskritik; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Thomas Bach (Hrsg.): Schelling in Rußland. Die frühen naturphilosophischen Schriften von Daniil Michajlovic Vellanskij (1774-1847) (REINHARD MOCEK); Anne Applebaum: Der Gulag (BERT GROSSE); Robert Foltin: Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich (BERND HÜTTNER); Dieter Kelp, Jürgen Widera: Rheinhausen ist überall. Kirche als Anwalt der kleinen Leute (JURI HÄLKER); Klaus Müller: Mikroökonomie - kritisch und praxisnah, mit Aufgaben, Klausuren und Lösungen (ULRICH BUSCH); Jürgen Meier: "Eiszeit" in Deutschland (JÖRN SCHÜTRUMPF)