Auch SoldatInnen dürfen ein Gewissen haben

Ende Juni 2005 gestand das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) einem Major der Bundeswehr zu, aus Gewissensgründen rechtmäßig einen Befehl verweigern zu dürfen.1 Der Major war im Jahre 2003 mit der Entwicklung von Software beschäftigt, die an die US-Streitkräfte übergeben werden sollte. Am Tag des Angriffs auf den Irak verweigerte der Major seine Weiterarbeit, da sein Vorgesetzter nicht ausdrücklich ausschließen konnte, dass die Software auch für den Irakkrieg genutzt werden würde.
Bemerkenswert ist nicht nur, dass das BVerwG in der Entscheidung sieben anerkannte Gründe für eine erlaubte Befehlsverweigerung ausmacht. Unter anderem ist diese nach § 11 Soldatengesetz zulässig, wenn der Befehl gegen die Menschenwürde der SoldatInnen oder Dritter, gegen das (Völker-) Strafrecht, gegen das Verbot des Angriffskrieges in Art. 26 Grundgesetz (GG) oder die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) verstößt. Das BVerwG billigt darüber hinaus auch BerufssoldatInnen zu, einen Befehl aus Gewissensgründen, also unter Berufung auf das Grundrecht der Freiheit des Gewissens (Art. 4 Abs. 1 GG), verweigern zu dürfen, wenn ihnen die Ausführung nach Abwägung aller maßgeblichen Umstände nicht zugemutet werden könne.
Gewissensentscheidungen erfordern eine ernste sittliche Entscheidung. Die Ernsthaftigkeit bemisst das BVerwG u.a. auch daran, dass der Krieg gegen den Irak auf "gravierende rechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige Völkerrecht" treffe. Diese gravierenden rechtlichen Bedenken erstreckt das Gericht ausdrücklich auch auf die diversen Unterstützungsleistungen Deutschlands, wie z.B. Überflugrechte oder AWACS-Überwachungsflüge über der Türkei. Hierzu habe auch im Rahmen der NATO keine Verpflichtung bestanden. Für die Gewissensentscheidung des Majors sei nicht erforderlich, dass eine tatsächlich erfolgte Unterstützung nachgewiesen werde, es reiche, dass die Verwendung der Software für den Krieg zu befürchten gewesen sei.
Die Entscheidung des BVerwG leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung verantwortungsbewusster SoldatInnen, die den Mut haben, nicht alles mit sich machen zu lassen. Interessant ist zudem, dass ein oberstes Bundesgericht der Bundesrepublik recht unverblümt bescheinigt, völkerrechtswidrig gehandelt zu haben, obwohl sich Deutschland nicht einmal "offiziell" an dem Krieg gegen den Irak beteiligt hat. Umso mehr erstaunen Reaktionen in der Presse, die dem Major zum Austritt aus der Bundeswehr raten, da er einen "legitimen" Befehl verweigert habe.2 Es bleibt das Geheimnis des Autors, wie er zu der Bewertung "legitim" kommt.

Claudia Perlitius, Dresden

Anmerkungen:

1 BVerwG v. 21.06.2005, Az. 2 WD 12.04.
2 Kister, Süddeutsche Zeitung v. 24.06.2005.