Bericht aus einem Entwicklungsland

Zum Scheitern des Antidiskriminierungsgesetzes und den Perspektiven danach

in (28.01.2006)

Mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat am 8. Juli 2005 ist auch der zweite Versuch gescheitert, die europarechtlichen Vorgaben im Bereich Antidiskriminierung in Deutschland

Mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat am 8. Juli 2005 ist auch der zweite1 Versuch gescheitert, die europarechtlichen Vorgaben im Bereich Antidiskriminierung in Deutschland umzusetzen. In der dabei geführten öffentlichen Debatte wurde der Eindruck vermittelt, dass der Regierungsentwurf, wie er vom Bundestag verabschiedet wurde, über die Umsetzung der Richtlinien hinausgeht, während die Opposition eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinien fordert. Eine genauere Betrachtung hält dieser Sichtweise nicht stand. Ideologische Grabenkämpfe und polittaktische Überlegungen wurden auf den Rücken der Betroffenen ausgetragen. Trotzdem ist die rechtliche Lage für die Opfer von Diskriminierung nicht ganz so trostlos, wie das Scheitern des Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) vermittelt.

Tägliche Diskriminierungspraxis

Das Scheitern des Gesetzes und die polemische Diskussion2, die es begleitete, zeigen allerdings, dass Deutschland antidiskriminierungspolitisch immer noch ein Entwicklungsland ist. Dies wird auch durch Zahlen bestätigt. Die Eurobarometer-Studie der EU vom Mai 2003 hat bei einer Befragung festgestellt, dass nur ca. 2/3 aller BundesbürgerInnen eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, der Religion, der sexuellen Identität, des Alters, des Geschlechtes oder einer Behinderung ablehnen. Deutschland liegt damit weit unter dem europäischen Durchschnitt und mit Abstand an letzter Stelle im europäischen Ranking.
Bezeichnenderweise gibt es bisher keine Studie, welche das Ausmaß der Diskriminierung flächendeckend erfasst. Nur im Bereich der Arbeitswelt liegen einige Untersuchungen vor.3 Mit Ausnahme einer Untersuchung aus dem Jahr 2000 zum Einlassverhalten in Brandenburger Diskotheken fehlen diese weitgehend im allgemeinen zivilrechtlichen Bereich. Letztere kommt zu dem Ergebnis, dass 1/3 der besuchten Diskotheken eine eindeutig diskriminierende Einlasspraxis betreibt. Drei junge Männer nichtdeutscher Herkunft hatten als "Testbesucher" im Jahr 2000 insgesamt 15 Diskotheken in Brandenburg besucht. Während sie in sechs Diskotheken - meist unter dem Hinweis, die Diskothek sei voll - abgewiesen wurden, erhielten alle anderen weißen Gäste ungehinderten Zugang.4
Weitere Aussagen im zivilrechtlichen Bereich beschränken sich auf Zeitungsartikel. So liegen zahlreiche Berichte darüber vor, dass MaklerInnen und VermieterInnen tatsächlichen oder vermeintlichen AusländerInnen den Abschluss eines Mietvertrages verweigern.5 Nachdem deutsche Versicherungsunternehmen mit dem Versuch gescheitert waren, erhebliche Beitragszuschläge in der Kfz-Haftpflichtversicherung für türkische, damalige jugoslawische und griechische Staatsangehörige einzuführen, versuchten einige Unternehmen daraufhin, VersicherungsvertreterInnen von der Werbung ausländischer KundInnen abzuhalten, indem sie in diesen Fällen keine oder nur eine geringere Provision zahlten.6 Ein neueres Phänomen scheint die Abweisung interessierter KundInnen durch Fitness-Studios zu sein: "Kopftuchträgerinnen",7 AusländerInnen, aber auch türkischstämmige Deutsche werden nach Medienberichten bei Überschreitung geschäftsinterner "Ausländerquoten" nicht mehr als Mitglied aufgenommen.8 Mit ihrem Verhalten konfrontiert, verteidigen sich die Gewerbetreibenden damit, dass die Angehörigen der zurückgewiesenen Gruppe eine schlechte Zahlungsmoral besäßen, zu Vandalismus neigten und/oder andere KundInnen belästigen würden. Nicht selten wird zudem auf Forderungen oder gar Boykottdrohungen anderer KundInnen verwiesen. Im Bereich der Behindertendiskriminierung kommt es immer wieder zu Skandalurteilen.9

Was möglich wäre

Eine spürbare Verbesserung des Rechtsschutzes von Diskriminierungsopfern sollen verschiedene Antidiskriminierungsrichtlinien (RL) der EU bringen. In unterschiedlichem Umfang fordern die Richtlinien die Mitgliedstaaten auf, wirksame rechtliche Schutzmechanismen bei Diskriminierungen aufgrund der dort genannten Diskriminierungsmerkmale zu schaffen.10 Die Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland, sind europarechtlich verpflichtet, die Richtlinien innerhalb bestimmter Fristen in nationales Recht umzusetzen. Für die Antirassismus- und die Rahmenrichtlinie ist die Umsetzungsfrist bereits abgelaufen.
Bei den Diskriminierungsmerkmalen Geschlecht und ethnische Herkunft geht der Schutz sehr weit, da er sich auch auf viele zivilrechtliche Verträge erstreckt und nicht nur Arbeitsverträge im weitesten Sinne erfasst.11 Leider wurde dieser umfassendere Schutz nicht auch auf die anderen Merkmale ausgedehnt. Ebenso zu bedauern ist, dass bereits in den Richtlinien die strukturelle Diskriminierung von Flüchtlingen umfassend aus dem Regelungsbereich herausgenommen wurde, so dass ein diskriminierungsfreies Flüchtlingsrecht nicht verlangt wird. Dies kann im Zuge der flüchtlingsfeindlichen Politik, die sich mehr und mehr auch auf europäischer Ebene durchsetzt, kaum überraschen.
Auch die Verpflichtung zur Beweiserleichterung lässt zu wünschen übrig. Zwar stellt diese einen Schritt in die richtige Richtung dar, besser wäre es gewesen eine eingeschränkte Beweislastumkehr einzuführen, da selbst die Beibringung von Tatsachen für die Betroffenen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann.12 Auch ist mit der Schaffung von Individualklagemöglichkeiten im Bereich Antidiskriminierung noch nicht der Weisheit letzter Schluss getroffen.13 Trotzdem hätte eine Umsetzung der Richtlinien in Form des ADG einen großen Forschritt bedeutet.

Politische Scheingefechte

Um so tragischer ist es, dass dieser Entwurf durch die Verzögerungstaktik der CDU/CSU und der FDP im Zuge der Neuwahlen scheiterte, obwohl selbst die sachliche Kritik, die eine Verweigerung der Zustimmung hätte rechtfertigen können, häufig die europarechtlichen Vorgaben ignorierte. Im Mittelpunkt stand dabei, dass das ADG schwerwiegend in die grundrechtlich geschützte Vertrags- und Handlungsfreiheit eingreifen und damit den Rechtsverkehr unter Geschäfts- wie unter Privatleuten erheblich erschweren würde. Aus der Perspektive der Richtlinien stellt sich dieses Problem allerdings nicht. Diese sehen eine Einschränkung einfach vor. Zwar geht der Gesetzentwurf über die Richtlinien hinaus, indem er den zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz auf die Merkmale Religion, Weltanschauung, Alter und Behinderung ausweitet.14 Verfassungsrechtlich stellt aber weder das eine noch das andere ein Problem dar.15
Außerdem wird unterstellt, dass die im Gesetzentwurf verankerte Beweisumkehr geradezu einlädt, Diskriminierungen dort geltend zu machen, wo eigentlich keine stattfinden. Dabei wird verkannt, dass es sich lediglich um eine Beweiserleichterung handelt, die so von den Richtlinien vorgegeben wird. Ebenso verhält es sich mit der Kritik an der Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle.16 Allerdings beschränken sich die Richtlinien bei Verpflichtung zur Schaffung einer Antidiskriminierungsstelle auf die Merkmale Geschlecht und ethnische Herkunft. Der gescheiterte Gesetzentwurf ging diesbezüglich über die Vorgaben der Richtlinien hinaus, indem er eine Stelle für alle in den Richtlinien genannten Merkmale schaffen wollte.17
Auch bei der Argumentation gegen eine Ausweitung der Befugnisse von Betriebsräten bzw. Gewerkschaften, um Diskriminierungen im Betrieb besser bekämpfen zu können18, und der Einführung des Rechts der Antidiskriminierungsverbände, die Rechte der ArbeitnehmerInnen im Fall von Diskriminierung wahrzunehmen19, wird verkannt, dass die Richtlinien keinen Spielraum lassen. Ebenso ins Leere geht die Kritik, dass eine generelle Entschädigungspflicht unabhängig vom konkreten Schadenseintritt nicht in das deutsche Haftungssystem passe.20 Die Richtlinien lassen hier dem Gesetzgeber zwar einen weiten Spielraum, sehen aber ausdrücklich den Schadensersatz vor.

Ein Gesetzentwurf mit Defiziten

Bei aller Kritik, dass der Gesetzentwurf zu weit gehen würde, gerät aus dem Blick, dass der Entwurf an drei Stellen hinter die Vorgaben der Richtlinien zurückfällt. Dies betrifft den Viktimisierungsschutz, der nur auf das Arbeitsrecht beschränkt ist.21 Europarechtlich ist eine Regelung aber auch im Hinblick auf das allgemeine Vertragsrecht bei Diskriminierungen aufgrund von ethnischer Herkunft und Geschlecht vorgesehen.
Außerdem nimmt der Entwurf im allgemeinen Vertragsrecht Näheverhältnisse grundsätzlich von der Anwendung des Diskriminierungsverbots aus.22 Schließlich rechtfertigt der Entwurf eine unterschiedliche Behandlung bei der Vermietung von Wohnraum im Hinblick auf die "Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse".23
Die beiden Einschränkungen sind neben der politischen Implikation, dass Diskriminierung manchmal erlaubt ist, so auch juristisch nicht haltbar. Dies betrifft allerdings ausschließlich das Diskriminierungsmerkmal ethnische Herkunft. In der Antirassismusrichtlinie finden sich keinerlei Anknüpfungspunkte für eine solche Einschränkung. Zwar hält die Richtlinie im vierten Erwägungsgrund fest: "Ferner ist es wichtig, dass im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleibt". Dieser der eigentlichen Richtlinie vorangestellte Erwägungsgrund bildet jedoch keine Grundlage für eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen aufgrund von "Rasse" und ethnischer Herkunft. Die Erwägungsgründe dürfen nur zur Auslegung der Richtlinie herangezogen werden, aber nicht deren Wortlaut ins Gegenteil verkehren. Nach der Richtlinie sind Ungleichbehandlungen jedoch nur zulässig, wenn sie wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen (Art. 4 RL) oder positive Maßnahmen (Art. 5 RL)betreffen.24
Außerdem ist es auch systemwidrig, wenn InhaberInnen von Kleinbetrieben, in denen zweifellos ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis besteht bzw. entsteht, arbeitsrechtlich eine Diskriminierung wegen der Hautfarbe untersagt wird, während die VermieterInnen einer Wohnanlage mit einhundert Wohnungen wegen der Hautfarbe benachteiligen dürfen, weil sonst die "soziale Bewohnerstruktur instabil" würde. Hier ergibt sich auch ein Wertungswiderspruch mit dem Strafrecht: Die ausdrückliche Weigerung, jemandem wegen dessen Hautfarbe eine Wohnung zu vermieten, dürfte eine Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) darstellen, wäre aber nach dem Gesetzesentwurf zivilrechtlich unbedenklich. Hieraus könnte sogar gefolgert werden, dass auch eine Haftung nach § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 185 StGB entfallen müsste.25

Fast schutzlos ausgeliefert

Trotz des defizitären Entwurfs wäre dessen Umsetzung noch ein Fortschritt gewesen. Denn der bisherige Schutz ist bis auf einige Ausnahmen so gut wie nicht existent. Neben dem Schadensersatzanspruch wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung im Arbeitsrecht gemäß § 611a BGB ist nur im Versicherungsrecht die Kalkulation von Versicherungsprämien, die auf der Nationalität oder der ethnischen Herkunft basiert, verboten.
Außerdem können sich die Betroffenen in Fällen von Diskriminierung durch einen Gewerbetreibenden an die entsprechenden Aufsichtsbehörden wenden.26 Denn das Gewerberecht, insbesondere das Gaststättengesetz, sieht im Wiederholungsfall die Möglichkeit vor, dem Gewerbetreibenden wegen fehlender Zuverlässigkeit das Betreiben des Gewerbes zu untersagen. Dies wäre denkbar, wenn die Diskriminierung beleidigenden Charakter besitzt. Allerdings wird von der Untersagung von Behördenseite nur sehr selten Gebrauch gemacht.
Ebenso kann die für die gewerbliche Personenbeförderung erforderliche Erlaubnis bei mangelnder Zuverlässigkeit entzogen werden, was u.a. bei einem Verstoß gegen § 25
Personenbeförderungsgesetz möglich ist. Dieser schreibt BeförderungsunternehmerInnen die Beförderung jeder Person vor, sofern die Beförderung möglich und die/der KundIn zur Einhaltung der Beförderungsbedingungen bereit ist. Dies bietet die Möglichkeit, TaxifahrerInnen, die die Beförderung von Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft ablehnen, die Erlaubnis zu entziehen.
§ 2 der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung, welche die Mindestanforderungen für den Kundenschutz für private Telekommunikationsgesellschaften festlegt, besagt, dass marktbeherrschende AnbieterInnen von Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit ihre Leistungen allen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung zu stellen haben, es sei denn, dass unterschiedliche Bedingungen sachlich gerechtfertigt sind. Somit verstoßen marktbeherrschende AnbieterInnen von Telekommunikationsdienstleistungen gegen § 2, wenn Kunden aus Gründen der ethnischen Herkunft diskriminiert werden.27

Verbesserungen auch ohne Gesetz?

Trotzdem haben sich die Möglichkeiten für die Betroffenen von Diskriminierung auch ohne das ADG allein aufgrund der Existenz der Richtlinien verbessert. Handelt es sich bei denjenigen, die diskriminieren, um den Staat oder eine öffentliche Einrichtung, können die Bestimmungen der Richtlinien, die klar, eindeutig und unbedingt sind, direkt vor nationalen Gerichten geltend gemacht werden. Diese Bestimmungen haben definitionsgemäß "unmittelbare vertikale Wirkung". Dies bedeutet, dass sich, wenn ein Mitgliedstaat die Richtlinien nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, Einzelpersonen, die geltend machen, von einer staatlichen Stelle diskriminiert worden zu sein, trotzdem auf die Richtlinienbestimmungen berufen können.
Handelt es sich bei denjenigen, die diskriminieren, um Einzelpersonen oder private Körperschaften, müssen die nationalen Gerichte von der "mittelbaren Wirkung" der Richtlinien ausgehen und alles tun, um das nationale Recht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht auszulegen. Dies bedeutet, dass sie das nationale Recht so weit wie möglich nach dem Wortlaut und dem Zweck der Richtlinie auslegen müssen, damit das von der Richtlinie beabsichtigte Ergebnis erreicht wird. Dabei ist unerheblich, ob das nationale Recht vor oder nach der Richtlinie erlassen wurde.28
Ein erster Versuch, eine gemeinschaftskonforme Auslegung von zivilrechtlichen Normen im Bereich der Antidiskriminierung zu erreichen, wurde im Falle einer Verweigerung des Zutritts zu einer Partyveranstaltung unternommen. Der Betroffene versuchte, eine Entschädigung zu erhalten. Allerdings meinte das Gericht, eine richtlinienkonforme Auslegung sprenge den Rahmen des nationalen Rechts, weil diese die Privatautonomie aufhebe, was der deutschen Rechtsordnung fremd sei.29 Die ideologischen Polemiken haben hier ihre Wirkung gezeigt. Unter völliger Missachtung des Prinzips, dass Freiheit und Gleichheit zu einem Ausgleich gebracht werden müssen, und der Ignorierung der Tatsache, dass z.B. § 611a BGB im Bereich von Arbeitsverträgen die Einschränkung der Privatautonomie vorsieht, meint das Gericht, die Rechtsordnung zu verteidigen. Erfolgsversprechender scheint die richtlinienkonforme Auslegung im Bereich des Arbeitsrechts, wo sich ein behinderter Mensch gegen die Einstellungsverweigerung seitens einer Behörde wehrte.30
Als weitere Möglichkeit, sich zumindest gegen die Folgen der Diskriminierung zu wehren, kann der Betroffene auch Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland gelten machen. Denn nach Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie gilt, dass der Mitgliedstaat den Schaden, der durch die Nichtumsetzung der Richtlinie entsteht, ausgleichen muss. Für die Haftung des Staates müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein: 1. Das Ziel der Gemeinschaftsbestimmung, gegen die verstoßen wurde, muss darin bestehen, dem/ der Einzelnen Rechte zu gewähren. 2. Der Verstoß muss schwerwiegend genug sein. 3. Es muss ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Versäumnis des Staates und dem Schaden bestehen, der den Betroffenen entstanden ist. Auch hier gibt es erste Verfahren. Ein Kameruner machte einen Schadensersatzanspruch wegen der Verweigerung des Zugangs zu einer Gaststätte geltend. Auch hier scheiterte der Versuch. Das Gericht begründete den Beschluss damit, dass die Richtlinie als Sanktion nicht zwingend einen Schadensersatz vorsehe. Dies sei lediglich eine Möglichkeit, über die aber der Gesetzgeber zu entscheiden habe. Daher fehle es für den Schadensersatz an der erforderlichen Kausalität.31

Ohne Gesetz geht's nicht

Die genannten Beispiele für einen Antidiskriminierungsschutz auch ohne ADG zeigen, dass dieser bei weitem nicht ausreicht. Entweder die Betroffenen klagen sich durch mehrere Instanzen, weil die unteren Gerichte nicht bereit sind, antidiskriminierungsfreundliche Entscheidungen zu treffen, oder das Opfer ist vom guten Willen der Behörden abhängig, gegen DiskriminiererInnen tatsächlich konsequent vorzugehen. Ein ADG tut also dringend Not. Allerdings ist zu befürchten, dass der neue Anlauf noch weiter hinter die Richtlinie zurückfällt als der letzte. Dann bleibt wieder nur der Gang zum EuGH, um dem Entwicklungsland Deutschland auf die Sprünge zu helfen.

Marcus Lippe lebt in Berlin und arbeitet im Bereich Flüchtlinge und Antidiskriminierung.

Anmerkungen:

1 Vgl. zum ersten Versuch Armbrüster, Christian, Zeitschrift für Rechtspolitik 2005, 41, Fn. 6 und 7.
2 Vgl. Obermeyer, in diesem Heft, 117 ff.
3 Vgl. z. B. Knoll, Christopher/ Bittner, Monika u.a., Lesben und Schwule in der Arbeitswelt. Ergebnisse zur Diskriminierung von Lesben und Schwulen in der Arbeitssituation, München 1996; Golderg, Andreas & Mourinho, Dora: "The occurrence of discrimination in Germany", in: Zegers de Beijl, Roger: Documenting discrimination against migrant workers in the labour market - A comparative study of four European countries, ILO, Geneva 2000, 53-63; Eurostat, Das Leben von Frauen und Männern in Europa. Ein statistisches Porträt. Themenkreis 3 - Bevölkerung und soziale Bedingungen, Luxemburg 2002.
4 Bericht der Ausländerbeauftragten im Land Brandenburg Almuth Berger, in: Klein, Eckart (Hrsg.), Rassische Diskriminierung - Erscheinungsformen und Bekämpfungsmöglichkeiten, 2002, 41, 43.
5 Vgl. Nickel, 81 ff. m.w.N.; s. a. das Beispiel einer türkischen Familie in: Berliner Mietermagazine 3/2005, 9.
6 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rainer Funke im BMJ auf die Frage der FDP-Abgeordneten Dr. Gisela Babel v. 07.04.1995, Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 13/1127, 25f.
7 Vgl. taz v. 18.02.2000.
8 Manuskript der Sendung "Kontraste" v. 10.06.2004, www.rbb-online.de/_/kontraste/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_1143477.html.
9 Vgl. z. B. so genanntes "Behindertenlärmurteil", OLG Köln, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1998, 764.
10 S. Kästen.
11 S. Kästen.
12 S. Kasten.
13 Vgl. Dern, in diesem Heft, 120 ff.
14 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien (ADG-E), BT-Drs. 15/4538 v. 18.03.2005, § 19 Abs. 1.
15 Vgl. Obermeyer, in diesem Heft, 117 ff.
16 Vgl. Pressemitteilung der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag anlässlich der 1. Lesung des ADG am 21.01.2005.
17 Vgl. ADG-E, BT-Drs. 15/4538, § 27 Abs. 2.
18 Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Presse-Information Nr. 79/2004 v. 15.12.2004.
19 Vgl. Steinau-Steinbrücke, Robert von/ Schneider, Volker/ Wagner, Tobias, Der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes: Ein Beitrag zur Kultur der Antidiskriminierung?, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2005, 28, 31.
20 Vgl. Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien - Artikel 1, Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung, Berlin, 25.02.2005, 3.
21 Vgl. ADG-E, BT-Drs. 15/4538, § 16.
22 Vgl. ADG-E, BT-Drs. 15/4538, § 19 Abs. 5.
23 Vgl. ADG-E, BT-Drs. 15/4538, § 19 Abs. 3.
24 Vgl. Mahlmann, Matthias, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien vor dem Ausschuss des Deutschen Bundestages für Familie, Senioren, Frauen und Jugend v. 07.03.2005 (Stellungnahme), 5 f.
25 Vgl. Nickel, Rainer, Stellungnahme, 7.
26 Vgl. Klose, Alexander, "Gewerberecht und Rassendiskriminierung", Gutachten im Auftrag des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg e.V., Berlin 2005 (im Erscheinen).
27 Mahlmann, Matthias, Gesetzgebung über Antidiskriminierung in den Mitgliedstaaten der EU - Ein Vergleich einzelstaatlicher Rechtsvorschriften gegen Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung mit den Richtlinien des Rates: Deutschland, Wien 2002, 25 f.
28 Vgl. Thüsing, Gregor, Richtlinienkonforme Auslegung und unmittelbare Geltung von EG-Richtlinien im Anti-Diskriminierungsrecht, NJW 2003, 3441-3445.
29 Vgl. Informationsbrief Ausländerrecht 2005, 162-116.
30 Urteil ArbG Berlin v. 13.07.2005, Az. 86 Ca 24618/04.
31 Beschluss des LG Berlin v. 12.04.2005, Az. 23 O 43/05.

Literatur:

Europäische Zeitschrift zum Antidiskriminierungsrecht 01/2005, download: europa.eu.int/comm/employment_social/fundamental_rights/index_de.htm.
Nickel, Rainer, Gleichheit und Differenz in der vielfältigen Republik, Baden-Baden 1999.
Stellungnahmen der ExpertInnenanhörung zum ADG vom 07.03.2005, download: www.bundestag.de/parlament/gremien15/a12/oeffentliche_sitzungen/20050307/.