Ende der Aufklärung

in (13.01.2006)

Die letzten Sitzungen des Bundestags im alten Jahr wurden groß angekündigt als eine "Woche der Aufklärung". Zu besichtigen war dann zweierlei: Erstens das Werfen von Nebelkerzen zur Verhinderung vo

Aufklärung, zweitens der Versuch, eine öffentliche Debatte auszunutzen, um (geistesgeschichtlich gesehen) hinter die Aufklärung zurückzufallen und mittelalterliche Methoden salonfähig zu machen.

Die Rede ist von Folter und deren Profiteuren, von Verschleppungen durch die CIA, von Apologetik einstmaliger Aufklärer sowie von alten und neuen Innenministern.

Vor Jahren entstand eine öffentliche Debatte über Folter, als der Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner einem der Kindesentführung Beschuldigten Schmerzen androhte, wie er sie noch nie erlebt habe. Schon damals geriet der frühere Konsens über die absolute Geltung des Folterverbots ins Wanken. Bundeswehr-Hochschulprofessor Michael Wolffsohn rechtfertigte Daschners Tabubruch. Aber immerhin: Der Polizeibeamte wurde strafrechtlich belangt und (allerdings zu einer kaum mehr als symbolischen Strafe) verurteilt.

Die aktuelle Folterdebatte kam auf, als bekannt wurde, daß der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sein Wissen über die Verschleppung des deutschen Staatsangehörigen Khaled el Masri durch die CIA für sich behalten hatte. Schilys Schweigen hatte einen Grund, der tiefer geht als seine Vertraulichkeitszusage gegenüber seinem Informanten, dem US-Botschafter Coates. Die deutsche Bundesregierung hätte sich öffentlich, laut und vernehmlich von den Machenschaften der USA und den Methoden der CIA distanzieren müssen. Dazu war sie nicht bereit. Und man hätte klarstellen müssen, daß das Grundgesetz auch im "Kampf gegen die terroristische Bedrohung" nicht alle Mittel erlaubt. Dazu war die alte Bundesregierung ebenfalls nicht bereit. Die neue ist noch dreister: Sie verkehrt das ursprüngliche Ziel der öffentlichen Auseinandersetzung, die Bürgerrechte zu stärken, ins Gegenteil, um neue Gesetzesverschärfungen einzufordern und durchzusetzen.

Zunächst verfolgte Frank Walter Steinmeier eine andere Taktik. Als neuem Außenminister ist ihm an einem guten Entree in Washington mehr gelegen als an kritischer Distanz zur westlichen Vormacht. Als ehemaliger Kanzleramtsminister hat er kein Interesse an öffentlicher Erörterung von Geheimdienstpraktiken. Daher glaubte die Bundesregierung, sie könne sich aus der Affäre ziehen, wenn sie die Berichterstattung in das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) abschiebe. Dieses Kalkül war aber leicht zu durchschauen. Die Mitglieder der PKG sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Aufklärung, von der die Öffentlichkeit nichts erfahren darf, ist keine. Die Opposition protestierte unisono. Die Bundesregierung mußte sich dazu bequemen, in Ausschüssen und im Plenum des Bundestags Rede und Antwort zu stehen. Dumm stand am Ende der neue Regierungssprecher Ulrich Wilhelm (CSU) da, der in der Bundespressekonferenz mehrmals behauptet hatte, öffentliche Auskünfte seien in solchen Fragen rechtlich unzulässig.

Doch Klarheit über das skandalöse Vorgehen der CIA gegen el Masri hat die parlamentarische Behandlung im Dezember nicht gebracht. Die Abgeordneten wurden zwar beispielsweise von Minister Steinmeier in seiner Plenarrede mit Details zugemüllt, wie Mitteilungen des Anwalts von el Masri über die Verschleppung aktenmäßig behandelt worden seien. Eine Lehrstunde über deutsche Bürokratie. Aber das war nicht das Thema. Mit vielen Worten umging der neue Außenminister das entscheidende Problem: Wie konnte es die alte Bundesregierung hinnehmen, daß der Geheimdienst einer fremden Macht die Souveränität der BRD verletzt, einen deutschen Staatsangehörigen wegen undefinierter, vager Verdachtsmomente ergreift, ihn verschleppt, niemanden informiert und ihn ohne anwaltlichen Beistand, ohne richterlichen Beschluß in Afghanistan inhaftiert? Wieso hat die Bundesregierung zu Mißhandlung und Folter öffentlich geschwiegen? Warum ist nur der Innenminister und nicht der damalige Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) Anfang Februar 2005 in den USA vorstellig geworden? Schily rühmte sich, daß er sogar Präsident Bush persönlich für eine halbe Stunde zu Gesicht bekommen habe. Das hat er damals publizistisch groß ausgeschlachtet. Daß Schily aber, wie jetzt von mehreren Zeitungen berichtet wurde, beim CIA-Chef eine glatte Abfuhr erhalten hat und ohne Zusage, daß die USA künftig die Souveränität der BRD achten würden, zurückkam, erwähnte Steinmeier im Bundestag nicht. Eigentlich hätte er sagen müssen: Mein Amtsvorgänger Joseph Fischer hat keinen Finger krumm gemacht, als die Bundesregierung erfuhr, daß ein deutscher Staatsangehöriger von der CIA verschleppt und gefoltert worden ist. Steinmeier hätte sagen müssen: Das ist ein Versagen der damaligen Regierung und des damaligen Außenministers, das weit schwerer wiegt als der künstlich aufgebauschte Visa-"Skandal". Aber Steinmeier hat zum Versagen Fischers geschwiegen.

Der Bundestag muß daher im neuen Jahr kritisch beleuchten, aus welchen Gründen die damalige rot/grüne Koalition derart leisetreterisch gegenüber den USA agiert hat. Tatsache ist, daß die alte Bundesregierung nur ein einziges Mal in einer wichtigen Frage George W. Bush widersprochen hat, nämlich als sie eine direkte Beteiligung der Bundeswehr am Irak-Krieg verweigerte. Doch selbst dies war nur eine vordergründige Abweichung vom sonst stets praktizierten "Schulterschluß mit unserem amerikanischen Verbündeten". Wären Schröder und Fischer beim Irak-Krieg konsequent gewesen, hätten sie der US-Luftwaffe keine Überflugrechte und keine Nutzung von Militärflughäfen in der BRD erlauben dürfen. An anderen Militäraktionen der USA nahmen sie stets aktiv teil, beispielsweise in Afghanistan. Die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des internationalen Kapitals war der Bundesregierung wichtiger als die Einhaltung des Völkerrechts. Die BRD war für die imperialistische Globalisierungspolitik Washingtons ein zuverlässiger Verbündeter. Daher paßt es in das Gesamtbild rot/grüner Außenpolitik, daß entschiedener Protest gegen die Machenschaften der CIA unterblieb.

Fischer äußerte sich bisher im Bundestag nicht. Sowohl im Plenum als auch im Auswärtigen Ausschuß glänzte er durch Abwesenheit. Erst in einem Gespräch mit der Zeit, das am 22. Dezember veröffentlicht wurde, ließ er wissen: Wegen der Entführung el Masris habe man mit den Amerikanern "nicht den großen Krach anzetteln" wollen. Hinsichtlich der Vernehmungen in Guantanamo und Syrien verteidigte Fischer das Vorgehen der deutschen Behörden. Auch wenn die Umstände in den Gefängnissen dort eindeutig nicht seiner Vorstellung von Rechtmäßigkeit entsprächen, sei es wichtig gewesen, die Verdächtigen selber zu vernehmen, meinte er. "Es ging eben nicht anders."

Aus diesem "Es ging nicht anders" macht Bundesinnenminister Schäuble (CDU) inzwischen ein "Es muß auch so sein". Er bemüht sich sichtlich um ein theoretisches Fundament für die Verwertung erfolterter Aussagen. Er bezeichnet es als geradezu verantwortungslos, solche Informationen nicht zu verwenden. Damit erscheint Schäubles Rolle in der Dezember-Debatte über die Verschleppung el Masris in einem neuen Licht. Denn damals hatte er als einziges Mitglied der Bundesregierung öffentlich gemacht, daß deutsche Beamte zu Vernehmungen in Guantanamo waren und daß BND und BKA den deutschen Staatsangehörigen Mahammed Haidar Sammar in Syrien befragt haben, obwohl Sammar in einem berüchtigten syrischen Folterknast mißhandelt worden war. Schäuble wurde daraufhin in der Presse als "Aufklärer" gewürdigt, der - anders als die Vorgängerregierung - die rote Linie des Folterverbots nicht überschreiten wolle.

Nun erscheint es aber so, als habe Schäuble diese "Enthüllungen" nur gemacht, um die Initiative in der Folterdebatte zu übernehmen und sie in die ihm genehme Richtung zu leiten. Er wird seit Wochen nicht müde, verbal das Folterverbot zu betonen, aber zugleich die Nutzung der Folter-Ergebnisse zu propagieren.

Mit der Aufklärung war es schon deshalb nicht weit her, weil die Bundesregierung dem Parlament einen anderen gravierenden Fall gar nicht nannte: die Beteiligung des Bundeskriminalamts an Verhaftungen und Vernehmungen im Libanon. Wegen der dort praktizierten Folter hatten die Beamten Anweisung, keine regulären Protokolle anzufertigen, sonder nur sogenannte "non papers". Dies enthüllte der in den Libanon entsandte BKA-Kriminaloberkommissar Ralph Trede im ARD-Magazin Kontraste am 22. Dezember 2005. Der Focus, ein eher der CSU nahestehendes Magazin, hatte am 19. Dezember 2005 außerdem gemeldet, daß ein Mitarbeiter des bayerischen Verfassungsschutzamtes im April 2004 ein Dossier über el Masri der CIA übergeben habe. Damit wäre die Ausrede, deutsche Behörden hätten in diesem Verschleppungsfall nicht mit den USA zusammengearbeitet, widerlegt. Die Focus-Meldung wurde zwar ebenso dementiert wie die Angaben des Insiders Trede, aber allgemein fiel auf, daß sich Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), der sonst kein Mikrofon ausläßt, zum Skandal um Masri in totales Schweigen gehüllt hat.

In einer solchen Lage würde man sich völlige Transparenz wünschen und ein mutiges Vorgehen gegen Rechtsbrecher. In Italien, wo Ministerpräsident Berlusconi die Justiz als "kommunistisch unterwandert" bezeichnet, hat ein Mailänder Richter Europäische Haftbefehle gegen 23 CIA-Agenten erlassen, die einen ägyptischen Geistlichen nach Kairo entführt und dort der Folter überantwortet haben. In der BRD hat jetzt wenigstens der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in Bild am Sonntag (nicht gerade ein juristisches Fachblatt) klargestellt, daß nicht alles erlaubt sei, was die Sicherheitsbehörden gerne wollten. Papier erinnerte an die Geltung des Folterverbots im internationalen Recht und setzte damit einen Kontrapunkt zu Schäuble und Beckstein. Aber auch der höchste Verfassungsrichter ließ eine Hintertür offen: Er widersprach zwar der Verwertung von Folteraussagen "in Verfahren" (also etwa als Beweismittel in Strafprozessen), wollte aber nicht ausschließen, daß Folteraussagen "zur Gefahrenabwehr" verwendet werden.

Um sich nicht zu weit nach vorn zu wagen, schlug CSU-Mitglied Papier noch eine weitere Volte. Eine Ausweitung des (vorbeugenden) Sicherheitsgewahrsams und eine neue Vorschrift, wonach schon die Teilnahme an einem "Ausbildungslager" in Afghanistan strafbar werden soll, bezeichnete er als möglich. Eine solche Strafnorm, die Innenminister Schäuble vehement fordert, wurde bisher als Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Grundgesetzes angesehen. Schützenhilfe erhielt Schäuble auch von Beckstein, der in der Welt vom 24. Dezember von einer "Gesetzeslücke" sprach. Man müsse dieses "Gefährdungsdelikt" verfolgen, weil man die Mitgliedschaft in "Terrornetzen" häufig nicht nachweisen könne. So wird die Debatte über einen Gesetzesbruch, die Verschleppung el Masris, benutzt, um wieder einmal Gesetze zu verschärfen. Und schlimmer noch: Die BRD ist im Begriff, sich wieder einmal an der US-Regierung ein falsches Vorbild zu nehmen und sich vom Folterverbot zu verabschieden. Ende der Aufklärung.

Ossietzky Heft 1/06