Reformruine Zuwanderungsgesetz: moderne Fassade - marode Substanz

Migrations- und Flüchtlingspolitik

in (01.12.2005)

Vom ursprünglichen Reformimpuls zur Gestaltung eines modernen Einwanderungsrechts ist am Ende im Zuwanderungsgesetz wenig übrig geblieben.

Fast vier Jahre hat die ehemalige rot-grüne Bundesregierung zunächst informell, dann formell mit der CDU/CSU über das Zuwanderungsgesetz verhandelt. Vom ursprünglichen Reformimpuls zur Gestaltung eines modernen Einwanderungsrechts ist am Ende wenig übrig geblieben. Das seit dem 1. Januar 2005 geltende Zuwanderungsgesetz ist weit davon entfernt, den viel beschworenen Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik herbeizuführen.
Zwar hat das Reformwerk den rechtlichen Rahmen für die "Ausländerpolitik" gründlich durcheinander gewirbelt und das Ausländergesetz durch das neue Aufenthaltsgesetz ersetzt. Die neue Fassade ist aber nur äußerlich modern - die marode Substanz des Gesetzes ist dem alten vordemokratischen Abschottungsdenken verhaftet.

Flüchtlingsschutz
Immerhin wurde im Flüchtlingsrecht die Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention in der deutschen Asylpraxis mit der Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung teilweise beendet. Flüchtlinge aus zerfallenden Staaten, wie z.B. Somalia, deren Asylanträge bislang abgelehnt wurden, müssen nun anerkannt werden.
Hoffnungen, dass sich der Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland zukünftig grundlegend verbessert, sind aber trotzdem unbegründet. Strategien zur Flüchtlingsabwehr finden längst jenseits der Gesetze statt. Die Europäische Union forciert schon seit Jahren eine lückenlose Grenzabschottung ihres Territoriums. Die gemeinsame restriktive Visapolitik gegenüber fast allen Herkunftsländern verunmöglicht es Flüchtlingen zudem, nach Europa zu fliehen. Einher geht diese Abschottung mit politischen Vorstößen, den Flüchtlingsschutz in Herkunftsregionen von Flüchtlingen zu verlagern. Dieses Ziel verfolgte auch der damalige Bundesinnenminister Schily, der Ende Juli 2004 der EU vorgeschlagen hat, Flüchtlingslager in Nordafrika einzurichten. Nicht nur die beabsichtigte Auslagerung des Flüchtlingsschutzes ist ein Angriff auf den internationalen Flüchtlingsschutz - auch im Innern ist die Gangart gegenüber Flüchtlingen härter geworden. Schily lässt seit zwei Jahren zenhntausenden anerkannten Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus wieder entziehen - betroffen sind vor allem Iraker und Kosovo-Flüchtlinge. Die Entrechtung von bereits anerkannten Flüchtlingen ist eine neue Waffe im Kampf gegen Flüchtlinge. Die Flüchtlinge verlieren ihren Schutzstatus - im schlimmsten Fall werden sie in den Verfolgerstaat abgeschoben. Der Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention wird hierbei in Kauf genommen - nicht das erste Mal.

Einwanderungsland Deutschland?
In der Migrationspolitik hat die Debatte um das Zuwanderungsgesetz immerhin dafür gesorgt, dass mit einer Lebenslüge bundesrepublikanischer Politik aufgeräumt wurde: Die Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wird nicht länger bestritten. Dieser ideologische Sieg ändert jedoch nichts daran, dass bei der zukünftigen "Steuerung der Zuwanderung" die Begrenzung im Vordergrund steht. Faktisch vereinfacht das neue Gesetz nur für wenige privilegierte Gruppen die Einwanderungsmöglichkeiten: für Hochqualifizierte (mit einem Monatseinkommen von ca. 7.000 Euro) und Selbständige (ab 1 Mio. Investitionsvolumen). Tatsächlich wurden so gut wie keine neuen Einwanderungsmöglichkeiten geschaffen, die nicht zuvor durch Ausnahmeverordnungen ohnehin schon bestanden hätten.
Das Zuwanderungsgesetz setzt nach wie vor auf Abwehr und repressive Strategien. Ein Perspektivwechsel in der Migrationspolitik ist verpasst worden.