"Das hat nichts mit Sozialneid zu tun..."

in (05.12.2004)

"Die Zahl der Millionäre hat sich etwa verdoppelt, das Vermögen dieser Millionäre hat sich mehr als verdoppelt." - Interview zur privaten Reichtumsentwicklung in der BRD mit Dr. Werner Rügemer

"Das hat nichts mit Sozialneid zu tun..."
Dr. Werner Rügemer lebt und arbeitet als Publizist in Köln und ist Lehrbeauftragter an der Universität in
der gleichen Stadt. Er publiziert zu den Themen Korruption, Staatsverschuldung, Armut und Reichtum sowie zu Antonio Gramsci.

___Was ist eigentlich schlecht an Reichtum?
Der Reichtum eines Menschen ist an sich nicht das Problem, sondern Reichtum wird dann zu einem sozialen Problem, wenn die Art und Weise der Entstehung und Verwendung des Reichtums die Gesellschaft schädigt, z. B. zur Vernichtung von Arbeitsplätzen durch die erhöhte Gewinnerwartung oder zu einer gegen Null sinkenden Besteuerung führt und dadurch die Staatseinnahmen so sinken, dass dieser seinem grundgesetzlichen Anspruch, Sozialstaat zu sein, nicht mehr nachkommt.

___Wie sieht die private Reichtumsentwicklung seit 1989 in der BRD aus?
Die Vermögens- und Gewinnentwicklung hat seit 1989 einen ordentlichen Schub bekommen. Die Zahl der Millionäre hat sich etwa verdoppelt, das Vermögen dieser Millionäre mehr als verdoppelt. Und zwar deshalb, weil die Möglichkeiten der Gewinnentnahme in den entwickelten kapitalistischen Staaten in den neunziger Jahren enorm ausgeweitet wurden.

___Gleichzeitig hört man aber von allen Seiten, dass es nichts mehr zu verteilen gäbe und alle sparen müssten?
Die Aufforderung zum Sparen richtet sich aber eindeutig nur an Lohn-, Gehalts-, Sozialhilfe- und Arbeitslosengeldempfänger, nicht an die Großverdiener. Wir wissen aus den Unternehmensbilanzen, aus den Reichtumsanalysen der Vermögensanleger und der Banken, dass gleichzeitig Renditeerwartungen bei Vermögensanlagen ab eine Million aufwärts oder bei den Hauptaktionären der großen Firmen von jährlich 15 bis 20% erfüllt werden müssen, damit die Anleger nicht zur Konkurrenz abwandern.

___Wer in der BRD den zunehmenden privaten Reichtum - auch subjektiviert - kritisiert, setzt sich leicht dem Vorwurf
des Sozialneids aus.
Das Skandalisieren von Reichtum ist dann gefährlich oder instrumentalisierbar, wenn es tatsächlich nur von Neid getrieben wäre oder wenn es auf Reichtum als solchen kritisch abzielt. Aber wenn man darstellt, dass Reichtum dadurch entsteht, dass er gleichzeitig Armut produziert, dann hat das nichts mit Sozialneid zu tun. Wenn ich darauf bestehe, in dieser Gesellschaft ein menschenwürdiges Leben führen zu können, was immer gewisse finanzielle Voraussetzungen hat, während gleichzeitig der durchschnittliche Reichtum in der Gesellschaft wächst und wenn ich darauf bestehe, einen Arbeitsplatz zu haben, von dem ich leben kann, dann hat das nichts mit Sozialneid zu tun.

___Wie würden Sie also die ungleiche Reichtumsverteilung öffentlich thematisieren, was wären Ihre zentralen "Forderungen"?
Die öffentliche Diskussion darf nicht nur auf Hartz 4 konzentriert sein, sondern das gesamte Sparprogramm müsste angegriffen werden. Dieses richtet sich nicht nur gegen die Schwächsten, sondern es richtet sich auf die geringere Entlohnung von Arbeit und auf eine Verunsicherung der Situation derer, die arbeiten: durch Lockerung des Kündigungsschutzes, durch befristete Arbeitsverträge, durch Zeitarbeit, Ich-AG usw. Dem gegenüber müsste die Forderung stark gemacht werden, der Mehrheit der Bevölkerung ein Leben in Würde zu ermöglichen. Das wäre mit der Gesamtmenge des in dieser Gesellschaft produzierten Reichtums ohne Probleme möglich.