Die Hoffnung nach der Niederlage

Wird es in Polen eine neue Linke geben?

Ende September wurde in Polen ein neues Parlament gewählt. Eins ist sicher: Die politische Konstellation nach den Parlamentswahlen in Polen ...

... spiegelt das vorherrschende ideologische Chaos und die Apathie der Mehrheit der Bevölkerung wider. Und: Die Linke hat eine herbe Niederlage erlitten. Dies betrifft vor allem die Postkommunisten aus den Reihen des Linksbündnisses SLD und ihrer "Abtrünnigen", die sich um die SDPL versammelt haben. Die Partei, die im Jahr 2001 mit 42 % der Stimmen (und damit dem höchsten Stimmenanteil, den je eine politische Kraft nach 1989 für sich verbuchen konnte) an die Macht kam, erzielte am Wahl-Sonntag nicht einmal ein Viertel davon. Damit hat sie die Grenze ihrer Überlebensfähigkeit erreicht. Das neue Parlament hat sich damit gefährlich an den äußersten rechten Rand verlagert. Die Sozialdemokratie hat das enorme Vertrauen, über das sie vier Jahre lang verfügt hatte, verloren.

Hegemonie der Rechten ...,

Die Bewertung durch die WählerInnen legt sich wie ein Schatten auch auf andere linke Gruppierungen in Polen. Die Ursache der Niederlage der Postkommunisten liegt vor allem in ihrer neoliberalen Ideologie, ihrem demoralisierenden Opportunismus in Bezug auf Frauen- und sexuelle-Minderheiten-Rechte sowie in ihrem unkritischen Pro-Amerikanismus in der Außenpolitik, der in der Teilnahme Polens am Überfall auf den Irak gipfelte. Es bedarf keiner besonderen Fähigkeiten um zu bemerken, dass die Postkommunisten außerdem vor allem deshalb verloren haben, weil sie die letzten Reste ihrer vermeintlichen linken Positionen gegen Bündnisse mit Arbeitgebern und für eine Reihe materieller Begünstigungen eingetauscht haben. Doch es stellt sich die Frage, warum aus diesem Desaster die Rechte und nicht die Linke Kapital schlagen konnte. Die Ursache liegt einerseits in der Monopolisierung des Linksseins durch die SLD. Eine Kompromittierung dieser Partei ist deshalb in Polen gleich bedeutend mit einer Kompromittierung der Linken überhaupt. Die Niederlage folgt deshalb letztlich auch aus einer Schwäche der radikalen Linken, aus der diskursiven Hegemonie der Rechten und vor allem als Ergebnis des neoliberalen Wirtschaftskurses. Die defensive Taktik der Gewerkschaft OPZZ legt es den Arbeitgeberverbänden außerdem geradezu nahe, immer schärfere Forderungen aufzustellen. Die neueste dieser Forderungen zielt auf das Recht der Arbeitgeber zum lock-out gegen Streikende. Eine linke Opposition gegen die SLD ist praktisch kaum wahrnehmbar. Die "Neue Linke" von Piotr Ikonowicz fristet ein Schattendasein und wirkt nur noch auf Demonstrationen und unter ausgegrenzten und marginalisierten Gruppen auf der Straße. Die von Ikonowicz mitinitiierte "Union der Linken" zerfiel - aufgrund personeller Differenzen und dem Doppel-Spiel ihrer Begründerin Izabela Jaruga-Nowacka - noch bevor sie richtig entstehen konnte. Jaruga-Nowacka hatte vorgegeben, eine Opposition bilden zu wollen, obwohl sie gleichzeitig als Vize-Premierministerin die neoliberale Regierung von Marek Belka stützte. Eine Ausnahme hätte die Neugründung Polska Partia Pracy (PPP) sein können, aber sie spielte nur sehr kurzfristig eine Rolle - und das "Linkssein" dieser Partei bedarf wohl noch einer Überprüfung: Der charismatische PPP-Führer Daniel Podrzycki pflegte in der Vergangenheit zahlreiche Verbindungen zu Rechtsextremisten. Nach seinem Tod am Tag vor den Wahlen steht die Zukunft der PPP gänzlich in Frage.

... Niederlage der Linken

Mit ganzer Schärfe wird die Niederlage der polnischen Linken und die ideologische Hegemonie der Rechten im öffentlichen Diskurs sichtbar. In den Medien herrscht ein unausgesprochenes Verbot, so genannte "christliche Werte" in Frage zu stellen. Die Neoliberalen monopolisieren den gesamten ökonomischen Diskurs und auch das staatliche Fernsehen, das durch einen Parteifunktionär der Platforma Obywatelska (PO) "regiert" wird. Das Fernsehen bemüht sich nicht einmal um den Anschein von Objektivität. Zwar geben manche linke PolitikerInnen hin und wieder auch mal artig Contra. Konsequenzen ziehen sie jedoch daraus keine. In den politischen Vorstellungen der SLD und SDPL wurden dafür andererseits mehrmals Einsparungen im öffentlichen Haushalt, eine Verschärfung des Strafgesetzbuches und die Einschränkung der Bürgerrechte im Namen der Nationalen Sicherheit befürwortet. Zur sprachlichen Norm wurden ideologische Kampfbegriffe wie "ungeborenes Kind" statt "Fötus", "Heiliger Vater" statt "Papst", "Arbeitervorteile" statt "Arbeiterrechte", "die Schwächsten" statt "Lohnarbeiter", "Reformen" statt "Monetarismus". In dieser Situation präsentiert sich die neoliberale Rechte in Gestalt der PO als neutrales politisches Zentrum. Ihr Programm sieht eine faktische drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer für Basisprodukte (1), eine Kommerzialisierung des Bildungswesens und der Gesundheitsversorgung sowie Beschränkungen der Sozialausgaben vor. Diese ideologische Hegemonie wäre nicht so desaströs, wenn sie nicht mit einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage zusammenträfe. Der Zuwachs der Erlöse bei niedrigem Wachstum des Bruttosozialproduktes, eine Umverteilung von unten nach oben, die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und das Einfrieren der Gehälter drängen die Mehrheit der Gesellschaft in den politischen Nihilismus und treffen vor allem die potenzielle Wählerschaft der Linken. Mehr als die Hälfte der Polen lebt unter dem sozialen Existenzminimum. Die Arbeitslosigkeit und halb-barbarische Arbeitsverhältnisse, in der die Überstundenarbeit unbezahlt bleibt und Gehälter nicht pünktlich ausgezahlt werden, sind zum Normalfall geworden. Dabei erhalten lediglich 20% der fast drei Millionen Arbeitslosen eine finanzielle Unterstützung. Diese Zustände haben die LohnarbeiterInnen wirksam von der Politik weggesogen. Mehr als die Hälfte von ihnen nimmt an Wahlen nicht teil. Den Kampf um ihre Rechte ist vom Kampf ums einfache Überleben abgelöst worden.

"Heiliger Vater" statt "Papst"

Die Linke begründet ihre Hoffnungen auf Erneuerung mit den nunmehr gewalttätig ausgetragenen gesellschaftlichen Protesten. In den Jahren 2002-2003 haben diese dazu geführt, dass die SLD-geführte Regierung ihren neoliberalen Kurs ändern musste, was zugleich Arbeitsplätze rettete. Im Juli erkämpften Bergarbeiter ihre Rente erst, nachdem sie das Parlamentsgebäude stürmen wollten. Leider fehlt den Protesten eine politische Ausrichtung. Versuche, die Erhebungen im ganzen Land durch Gründung eines Allgemeinpolnischen Komitees der Proteste zu koordinieren, sind erfolglos geblieben. Unter diesen Umständen sammeln Populisten der "Samoobronna" (Selbstverteidigung) und die nationalistisch-klerikale "Liga der Polnischen Familien" Teile des unzufriedenen Potenzials und beackern es mit ihren autoritären bzw. antisemitischen Erklärungsmustern. Seit einiger Zeit gibt es jedoch auch ein paar Lichtblicke. Einer davon ist die Initiative "Stoppt den Krieg", die aus den Protesten gegen den Irakkrieg entstanden ist; ebenso wie Aktionen polnischer Saison-ArbeiterInnen in Großbritannien, Irland und Frankreich, die in diesem Jahr durch die anarchistische "Arbeits-Initiative" und die "Konföderation für Arbeit" zusammen mit der OPZZ und anderen Gewerkschaften aus dem Westen organisiert wurden.

Träume von Erneuerung

Optimistisch stimmen auch - leider noch schüchterne - Veränderungen in der ideologischen Konjunktur. Nach Jahren der Konservatismus-Mode bekunden immer mehr polnische Intellektuelle ihre linken Ansichten. Zeitschriften wie Nowy Robotnik, Lewa Noga, Bez Dogmatu oder Krytyka Polityczna verzeichnen immer mehr LeserInnen. Leider ist dies, wenn überhaupt, nur ein bescheidener Anfang. Ohne eine Zusammenarbeit der radikalen Linken und linker Intellektueller mit ArbeiterInnenbewegungen wird man von einer Erneuerung der Linken in Polen nur träumen können. Przemyslaw Wielgosz Übersetzung: Kamil Majchrzak Przemyslaw Wielgosz ist Publizist, Schriftsteller und Mitherausgeber der Zeitschrift Lewa Noga. Vor kurzem erschien sein Buch "Opium der Globalisierung". ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 499/21.10.2005