Hessen vorn / DKP- und Linkspartei-Erfolge im Westen

Ein Gespenst geht um - von Butzbach nach Ueberau

Die Grenzen des Wachstums der DKP und die Chancen einer neuen Linkspartei - ein hessischer Rückblick...

Nachdem Moskau und die Hauptstadt der DDR gefallen sind, schauen wir nach Ueberau. Ausgerechnet in der kleinen Gemeinde im Süden des Odenwald-Städtchens Reinheim überwand die Linkspartei bei der vorgezogenen Bundestagswahl - anders als generell ansonsten im alten Bundesgebiet - leicht die Fünf-Prozent-Hürde. Solche Wahlergebnisse haben in Ueberau Tradition.

Bei der letzten Landtagswahl in Hessen bekam die DKP in Reinheim 5,2 Prozent der Stimmen. Und DKP-Plakate der letzten Kommunalwahl kündeten, in jenem Dorf, in Ueberau, wäre "Che in der DKP" - die dann 28,2 Prozent bekam. Bis 1960 kommunistisch, wird Ueberau jetzt sozialdemokratisch regiert. Fastnachtsmotto: "Auch die DKP is wirrer dabei, bei Iwweros Theater zur Narretei".

Wird im Odenwald der Niedergang des Kommunismus gestoppt? Wohl kaum, denn beim DKP-Wählen galt bundesweit bisher in DKP-Hochburgen - bevor das neue Angebot einer Linkspartei mit einem ehemaligen SPD-Vorsitzenden auftauchte: je programmatischer die Entscheidung, desto geringer die Zustimmung; viele Stimmen bei Kommunalwahlen, etwa weniger bei Landtags- und nochmals weniger bei Bundestagswahlen. Ueberaus Bürger nutzen den Einsatz der Familie Grieger & Genossen gegen defekte Bürgersteige, aber den DKP-Weg gen Kommunismus mag man deswegen noch lange nicht gehen.

Solche Wähler-Schizophrenie diagnostizierte erstmals 1977 die DKP-Broschüre "Bottroper Erfahrungen", half damals doch die DKP-Lokalgröße Clemens Kraienhorst, die sogar in die Suhrkamp-Kultur vorstieß (Erika Runge "Bottroper Protokolle"), über die 5-Prozent-Hürde. Man goutiert den konsequenten Einsatz von Kommunisten, die sich bei den Probleme vor Ort abrackern, aber Zustimmung zu deren Fernziel bedeutet dies keineswegs.

Und wo es doch einmal Wählerzustimmung auch im Prinzipiellen gab, da vereitelte die reformunwillige DKP wählbare sozialistische Inhalte: "Im Stadtgebiet von Butzbach verdreifachte die DKP ihren Stimmenanteil von 5 auf 15 Prozent", meldete stolz der DKP-Pressedienst Nr. 209/1972. Aber schon wenig später, 1973, traten in Butzbach, wo es den ersten DKP-Stadtverordneten Hessens gab, 56 frustrierte Mitglieder kollektiv aus der DKP aus. Als Revisionisten hatte die Parteiführung sie ausgebremst.

Den populären Gewerkschafter Karl Ludwig, der 1957 der illegalen KPD beigetreten war, ereilte 1978 in Kassel der DKP-Parteiausschluß - weil er Rudolf Bahros Analyse "Die Alternative - Zur Kritik des real existierenden Sozialismus" befürwortete.

In Marburg bekam die DKP Mitte der 70er Jahre um die 10 Prozent wegen der Ausstrahlung der linken Uni (die im CDU-Jargon als "DKP-Kaderschmiede" galt). Diese gebar neben Nachdenkern viele Vordenker, die sich die DKP, finanziell und ideologisch an der SED-Nabelschnur hängend, amputierte. Schon auf dem ersten DKP-Parteitag 1969 traten Marburger undogmatisch auf. Und als der Eurokommunist Christoph Kievenheim sich im Januar 1978 das Leben nahm, rügten Hardliner die Parteizeitung "uz", weil darin Genossen und Freunde wie Wolfgang Abendroth, Frank Deppe, Hannes Heer und Urs Jaeggi sich per Todesanzeige hätten "als Fraktion vorstellen" können.

Wäre die hessische DKP nicht von Dogmatikern beherrscht worden (als Vorsitzender der Landesschiedskommission wachte Peter Gingold), was hätte aus Hubert Kleinert, der 1954 in Melsungen geboren wurde und dort einst mit der DKP geflirtet hat, werden können - statt eines Grünen-Spitzenpolitikers? Welchen Weg hätten andere hessische, von der DKP vergraulte Ex-Reformkommunisten genommen, die man in den letzten Jahren als Staatssekretärin im schleswig-holsteinischen oder als Naturschutz-Abteilungsleiter im hessischen Umweltministerium, als Atemtherapeut zwischen badischen Weinen, als Gesundheitsforscher beim Wissenschaftszentrum Berlin, als Professoren in Aix-en-Provence sowie Konstanz antreffen konnte? Oder der Marburg AStA-Vorsitzende Anfang der 70er Jahre, für den sich damals sogar die New York Times interessierte, der nun Gewerkschafter in Hattingen schult?