Privates versus gemeinschaftliches Eigentum

Begriffliche Klärung und Konsequenzen

Die konkrete Ausgestaltung von Eigentumsformen ist prägend für die Struktur einer Gesellschaft. Besonders relevant ist dabei die Eigentumsregelung hinsichtlich der gesellschaftlichen Produktionsmittel. So ist das Privateigentum Sinnbild für die Marktwirtschaft, während der Sozialismus eng mit dem Begriff Staatseigentum verbunden ist. Folgerichtig stellt die Abschaffung des Privateigentums einen zentralen Aspekt des Übergangs von der kapitalistischen zur postkapitalistischen Gesellschaft dar. Unklar ist dabei allerdings die konkrete Ausgestaltung dessen, was das private Eigentum ablösen soll. Der folgende Beitrag versucht, den Begriff des gemeinschaftlichen Eigentums mit Leben zu füllen und greift dabei vor allem auf die Ausführungen von Karl Marx zurück.
Der Begriff des Eigentums
Der Begriff 'Eigentum' beschreibt das Verhältnis der tätigen Menschen zu den mit der Produktion verbundenen Gegenständen, d. h. zu den Produktionsmitteln und den Produktionsergebnissen. Es geht dabei um "die Verfügung über Produktionsmittel und Produktionsbedingungen und die Aneignung von neuen Produkten" (Welti 2002, S. 37), was bei Karl Marx wie folgt umschrieben wird: "Eigentum meint also ursprünglich ... Verhalten des arbeitenden (produzierenden) Subjekts (oder sich reproduzierenden) zu den Bedingungen seiner Produktion oder Reproduktion als den seinen. Es wird daher auch verschiedne Formen haben nach den Bedingungen dieser Produktion" (Grundrisse, S. 395). Eine Regelung hinsichtlich der Fragen, wer wann und wo welche Produktionsmittel nutzen darf und wem die Ergebnisse dieser Tätigkeit zufallen, ist eine Aufgabe, die in jeder Gesellschaft gelöst werden muss. Konkret geht es um die Zuweisung folgender Rechte: das Recht, ein Gut zu gebrauchen; das Recht, Erträge aus dem Gut zu ziehen; das Recht, die Form und Substanz des Guts zu verändern; das Recht, das Gut an andere zu übertragen und das Recht, externe Effekte zu verursachen (vgl. Weise u. a. 1979, S. 131). Hierbei gibt es zwei theoretische Extremlösungen - Privateigentum und Staatseigentum -, die in der Realität bei fast keinem Gegenstand anzutreffen sind. Beim Privateigentum ist eine einzelne Person Inhaber aller genannten Rechte, während das gemeinschaftliche bzw. das Staatseigentum diese Rechte der Gesamtheit aller Gesellschaftsmitglieder einräumt. Eine Zwischenlösung stellt das Kollektiveigentum dar. Bei ihm werden die genannten Rechte einem Kollektiv, also einer Gruppe von Personen, zugestanden, wobei zahlreiche Personengruppen denkbar sind: Familie, Wohngemeinschaft, Betrieb, Stadtteil, Verein, Gemeinde bzw. Kommune oder schließlich die Gesamtheit aller Mitglieder einer Gesellschaft, was wiederum zum Staatseigentum führt.
In der Realität fällt es schwer, eine der beiden theoretischen Extremlösungen in Reinkultur anzutreffen. Die Verfügungsrechte an einem Privatauto oder einem Eigenheim sind auf den ersten Blick sicherlich als reines Privateigentum einzustufen. Tatsächlich aber nimmt die Gesellschaft in Form gesetzlicher Vorschriften und Auflagen erheblichen Einfluss auf die Nutzung dieser beiden Gegenstände. So muss sich der Eigentümer eines Autos bei der Nutzung seines Wagens an Höchstgeschwindigkeiten und Parkverbote halten, und er darf nicht ohne weiteres Personen oder Gefahrenstoffe transportieren. Zudem sind Veränderungen an seinem Auto ohne eine Abnahme durch den TÜV ebenso wenig zulässig wie das Fahren ohne eine gültige Fahrerlaubnis. Ähnliche Einschränkungen gelten für einen Hauseigentümer. Bauliche Maßnahmen dürfen nicht dem Bebauungsplan widersprechen, eine gewerbliche Nutzung in einem reinen Wohngebiet ist nicht erlaubt und der Verkauf eines Grundstücks kann nicht ohne eine notarielle Beglaubigung erfolgen.
Auch das Staatseigentum stellt eine theoretische Lösung dar, die sich praktisch nicht verwirklichen lässt. Exemplarisch lässt sich hierfür das Volkseigentum an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln im real existierenden Sozialismus heranziehen. Trotz aller Vorgaben hatte das Individuum in gewissen Spielräumen die Möglichkeit, die Nutzung der Produktionsmittel nach seinen Vorstellungen zu regeln, was unter anderem die Arbeitsintensität und Pausenregelungen betrifft. Ebenso konnten Teile der Produktionsergebnisse für eine private Nutzung verwendet werden und auch die unterlassene Wartung und Pflege der Produktionsmittel ist eine eigenständige Form der individuellen Nutzung.
Wie auch immer die konkrete Ausgestaltung der Verfügungsrechte einer Gesellschaft aussieht - ohne solche Regelungen ist ein gesellschaftliches Zusammenleben nicht möglich. Deshalb stellen Marx und Engels im "Manifest der Kommunistischen Partei" fest: "Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums" (MEW 4, S. 475).
Das individuelle Eigentum
Das Ziel von Marx ist die Verwirklichung des so genannten individuellen Eigentums, weil dies eine Voraussetzung für ein dem menschlichen Wesen entsprechendes Leben darstellt. Ausdrücklich weist Marx z. B. auf die Notwendigkeit des Vorliegens materieller Gegenstände für die Selbstverwirklichung des Individuums hin, wenn er feststellt, dass "das private Haus, die parzellenweise Bewirtschaftung des Ackerlandes und die private Aneignung der Früchte eine Entwicklung der Persönlichkeit gestatten" (MEW 19, S. 388). Darüber hinaus ist zu beachten, dass es zur produktiven Lebenstätigkeit des Menschen gehört, "sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen" (MEW 23, S. 192). Das Verbot einer individuellen Aneignung der Ergebnisse der eigenen produktiven Betätigung würde deshalb eine Entfremdung von dieser Lebenstätigkeit darstellen. Im "Manifest der Kommunistischen Partei" heißt es dazu: "Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen" (MEW 4, S. 477). Das auf der eigenen Tätigkeit basierende individuelle Eigentum an den Ergebnissen des Arbeitsprozesses ist in einer dem wahren menschlichen Wesen entsprechenden Gesellschaft beizubehalten bzw. erst noch zu etablieren, so dass für das Individuum ein "wirkliches Eigentum an den Früchten seiner Arbeit" (MEW 17, S. 552) ermöglicht wird.
Damit kann unmissverständlich festgestellt werden, dass es selbst in der postkapitalistischen Gesellschaft die Institution des 'individuellen Eigentums' gibt. Die genaue Ausgestaltung dieser Eigentumsform gilt es zu analysieren. Marx deutet seine Vorstellungen zu dieser Thematik in den Ausführungen "Der Bürgerkrieg in Frankreich" und zum Ende des ersten Bandes von "Das Kapital" in längeren Passagen an. "Jawohl, meine Herren, die Kommune wollte jenes Klasseneigentum abschaffen, das die Arbeit der vielen in den Reichtum der wenigen verwandelt. ... Sie wollte das individuelle Eigentum zu einer Wahrheit machen, indem sie die Produktionsmittel, den Erdboden und das Kapital, jetzt vor allem die Mittel zur Knechtung und Ausbeutung der Arbeit, in bloße Werkzeuge der freien und assoziierten Arbeit verwandelt" (MEW 17, S. 342). "Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigne Arbeit gegründeten Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigne Negation. Es ist Negation der Negation. Diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel" (MEW 23, S. 791). Das individuelle Eigentum ist danach auf das engste mit dem gemeinschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln verknüpft.
Das gemeinschaftliche Eigentum
Das gemeinschaftliche Eigentum an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln ist die Basis für eine gemeinsame Entscheidung bezüglich der materiellen Produktion. Sinn des gemeinschaftlichen Eigentums ist es, dass die Gemeinschaft der assoziierten Produzenten kollektiv über die Ziele und den Ablauf der Produktionsprozesse sowie die Verwendung und Verteilung der hergestellten Produktionsergebnisse entscheidet. An dieser Entscheidung partizipieren alle Individuen und regeln insofern ihr individuelles Verhältnis zu den sachlichen Gegebenheiten der Produktion bewusst und selbstbestimmt. Dadurch, dass auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Eigentums die individuellen Verhältnisse zwischen den tätigen Menschen und den sachlichen Produktionsbedingungen geregelt werden, stellt das gemeinschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln zugleich das individuelle Eigentum dar, weil es jedem Individuum ermöglicht, sein eigenes Verhältnis zu den Produktionsbedingungen - wenn auch in Zusammenarbeit mit den Mitmenschen - selbst zu bestimmen. Anders ausgedrückt: Die demokratisch-egalitäre Leitung und Kontrolle der Produktionsprozesse erlaubt jedem Individuum die Einflussnahme auf die Produktion sowie auf sein Verhältnis zu den Produktionsmitteln und -ergebnissen und stellt dadurch das individuelle Eigentum im Sinne von Marx dar. Über die gemeinsame Entscheidung und Ausführung der materiellen Produktion ermöglicht das gemeinschaftliche Eigentum den Individuen, ihr Verhältnis zu den sachlichen Produktionsbedingungen selbstbestimmt festzulegen. Erst durch diesen Vorgang wird ein individuelles Eigentum im Marxschen Sinn etabliert, so dass die Idee des gemeinschaftlichen Besitzes an Produktionsmitteln keinesfalls die Eliminierung des individuellen Eigentums bedeutet. Und nur durch die Gemeinsamkeit in der Planung, Entscheidung, Ausführung und Distribution wird das gemeinsame Eigentum verwirklicht, denn erst das Vorliegen derartiger gemeinsamer Verfügungsrechte trennt das gemeinsame Eigentum bzw. das "Volkseigentum" (MEW 26.2, S. 97) vom bloßen "Staatseigentum" (MEW 26.2, S. 38). Entscheidend ist die "faktische Besitznahme sämtlicher Arbeitsinstrumente durch das arbeitende Volk" (MEW 18, S. 282).
Über diese mit dem gemeinsamen Eigentum verbundene "Selbstregierung der Produzenten" (MEW 17, S. 339) hinaus finden sich bei Marx nur noch wenige Ausführungen über die postkapitalistischen gesellschaftlichen Regelungen der Produktionsprozesse. Wiederholt stellt er fest, dass die Produktion der postkapitalistischen Gesellschaft eine "im großen Maßstab organisierte genossenschaftliche Arbeit" (MEW 19, S. 392) sein wird, dass also die Produktion - und mit ihr zugleich die Aneignung der erstellten Gegenstände - kollektiv erfolgen wird. Dabei werden alle Mitglieder der Gemeinschaft sowohl an der geistig planenden als auch an der körperlich ausführenden Tätigkeit teilnehmen, d. h. es "wird jeder Mensch ein Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein" (MEW 17, S. 342). Erst die Produktion "für gemeinschaftliche Rechnung, nach gemeinschaftlichem Plan und unter Beteiligung aller Mitglieder der Gesellschaft", also "die gemeinsame Benutzung aller Produktionsinstrumente und die Verteilung aller Produkte nach gemeinsamer Übereinkunft", bedeutet die Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums. Die geforderte Beseitigung des bürgerlichen Privateigentums ist folglich erst realisiert, wenn alle Mitglieder einer Gemeinschaft über die faktischen Verfügungsrechte hinsichtlich der Produktionsmittel und der Produktionsergebnisse verfügen, wenn sie also "als Mit-Produzent" (Przeworski 1990, S. 150) fungieren und gleichberechtigt über den Einsatz der Produktionsmittel sowie über die Verteilung der Ergebnisse der Produktionsprozesse entscheiden (vgl. Brus/Laski 1990, S. 12f.).
Dies verdeutlicht, dass die Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums zugleich die Abschaffung der kapitalistischen Organisation der Reproduktion bedeutet. Die konkrete Ausgestaltung der neuen Form des Eigentums und der mit ihr verbundenen "Organisation der Arbeit" (MEW 7, S. 18f.) lässt sich skizzenhaft beschreiben.
Organisation der Reproduktion auf kommunaler Ebene
Beginnend bei der gemeinschaftlich erfolgenden Planung der gemeinsamen Produktion muss zuerst die Menge der herzustellenden Gebrauchsgegenstände festgelegt werden. Dazu verständigt sich die Gemeinschaft der tätig werdenden Individuen über die von ihnen zum Leben benötigten Gegenstände, so dass die Produktion "von seiten des Produzenten auf Befriedigung seines Selbstbedürfnisses oder bei etwas weitrer Entwicklung der Teilung der Arbeit, auf Befriedigung ihm bekannter Bedürfnisse seiner Co-Produzenten gerichtet" (MEW 26.2, S. 509) ist. Bei der Zusammenkunft aller Gemeinschaftsmitglieder teilt jedes Individuum mit, welche Gebrauchsgegenstände es in welcher Quantität und Qualität für das individuelle Überleben braucht. Außerdem verständigt sich die Gemeinschaft über die Gegenstände, die die Gemeinschaft als Ganzes benötigt, z. B. jene "zum Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel", für die "Ausdehnung der Produktion", für die Folgen unvorhergesehener Katastrophen, für arbeitsunfähige Personen sowie "zur gemeinschaftlichen Befriedigung von Bedürfnissen ... wie Schulen, Gesundheitsvorrichtungen etc." (vgl. MEW 19, S. 19, MEW 25, S. 827, 855, 884). Damit ist das zur Reproduktion der Gemeinschaft und jedes einzelnen Mitglieds erforderliche Quantum an Gebrauchsgegenständen bestimmt.
In einem nächsten Schritt erfolgt die gemeinsame Verteilung der Ressourcen auf die einzelnen Produktionszweige. Die "Gesellschaft verteilt Arbeitskraft und Produktionsmittel in die verschiednen Geschäftszweige" (MEW 24, S. 358), so dass "die richtige Proportion ... zu den verschiednen Bedürfnissen" gewährleistet ist (vgl. MEW 23, S. 93). Auch die Bewältigung gemeinschaftlicher Großprojekte wird derart geregelt, "daß die Gesellschaft im voraus berechnen muß, wieviel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die, wie Bau von Eisenbahnen z. B., für längre Zeit, ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebensmittel, noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehn" (MEW 24, S. 316f.).
Bei der Verteilung der Arbeitskräfte auf die verschiedenen Geschäftszweige nimmt die Gemeinschaft Rücksicht auf die individuellen Neigungen und Entwicklungsbedürfnisse der produzierenden Menschen und gestaltet die erforderlichen Tätigkeiten so, dass einzelne Produzenten abwechselnd verschiedene Handlungen ausführen. Bei Engels findet sich zur Abwechslung der Tätigkeiten die Vorstellung, "daß es einmal keine Karrenschieber und keine Architekten von Profession mehr geben soll und daß der Mann, der eine halbe Stunde lang als Architekt Anweisungen gegeben hat, auch eine Zeitlang die Karre schiebt, bis seine Tätigkeit als Architekt wieder in Anspruch genommen wird" (MEW 20, S. 186). Gleichzeitig regelt die Gemeinschaft der tätigen Menschen jedoch nicht detailliert die einzelnen Arbeitsabläufe jedes Individuums, obwohl ein gewisses Maß an 'Oberaufsicht' bei jeder kooperativen Produktion erforderlich ist und daher bei der postkapitalistischen Produktionsweise stattfinden wird: "Die Arbeit der Oberaufsicht und Leitung entspringt notwendig überall, wo der unmittelbare Produktionsprozeß die Gestalt eines gesellschaftlich kombinierten Prozesses hat und nicht als vereinzelte Arbeit der selbständigen Produzenten auftritt. ... Es ist dies eine produktive Arbeit, die verrichtet werden muß in jeder kombinierten Produktionsweise" (MEW 25, S. 397).
Die Verteilung der gemeinschaftlich produzierten Gegenstände stellt kein neues Problem mehr dar. Weil die Produzenten bereits vor dem Beginn der Produktionsprozesse die Menge der erforderlichen Gebrauchsgegenstände bestimmt haben, legen sie damit zugleich deren Distribution fest. Jedes Individuum erhält die Gegenstände, die es vor Produktionsbeginn als benötigte Gegenstände angab. Die Distribution erfolgt nach dem Bedürfnisprinzip und unabhängig von den individuell erbrachten Arbeitsleistungen. Ebenso werden die für gemeinschaftliche Zwecke produzierten Gegenstände nach Produktionsende lediglich den Bestimmungen zugeführt, für die sie vor Produktionsbeginn vorgesehen waren.
Organisation der Reproduktion auf gesamtgesellschaftlicher Ebene
Die genannten Regelungen gelten für alle Gemeinschaften, d. h. sowohl für die Gemeinden, Kommunen oder Genossenschaften als auch für den Zusammenschluss dieser Gemeinden zu einem Gemeinwesen auf nationaler Ebene. Auch für diesen Zusammenschluss gilt, dass "die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln" wird, so dass eine "im großen Rahmen organisierte Arbeit" vorliegt (vgl. MEW 17, S. 343, 551). Aufgestellt wird dieser gemeinsame Plan von frei gewählten und jederzeit absetzbaren nationalen Abgeordneten (vgl. MEW 17, S. 339f., 596). Diese sind "an die bestimmten Instruktionen ihrer Wähler gebunden" (MEW 17, S. 340) und zudem "dauernd unter öffentlicher Kontrolle", denn alle Reden und Handlungen der Kommune werden veröffentlicht, so dass allen Gemeinschaftsmitgliedern eine Transparenz der Planungsabläufe zukommt und sie dadurch eine aktive Rolle bei der Entscheidungsfindung auf nationaler Ebene einnehmen können (vgl. MEW 17, S. 348, 543-545). Für die Aufstellung der Pläne gelten die Ausführungen, die auch auf kommunaler Ebene Anwendung finden. So herrscht zwischen dem Gemeinwesen auf nationaler Ebene und dem der einzelnen Kommune das gleiche Verhältnis wie zwischen der Kommune und einem einzelnen Produzenten. Der jeweils letztgenannten Einheit werden außer der Vorgabe der zu erbringenden Tätigkeitsergebnisse keine weiteren Vorschriften gemacht, so dass die Kommune weiterhin eine sich selbst regierende Kommune ist (vgl. MEW 17, S. 545). Mit diesen Vorschlägen wendet sich Marx gegen eine "zentralisierte und organisierte Regierungsgewalt", gegen "die großen zentralen Staatsorgane" und zusammenfassend gegen eine "Überzentralisation" (MEW 17, S. 341, 542), weil "die außerordentlichste Zentralisation eine Allgegenwart" (MEW 8, S. 150) hervorruft, die mit einer menschlichen Daseinsweise unvereinbar ist. Stattdessen spricht er sich für eine "De-facto-Selbstverwaltung" der Kommunen aus, bei deren politischer Föderation stets die "lokale, territoriale, städtische und provinzielle Unabhängigkeit" gewahrt bleibt (MEW 17, S. 538f.). Eine zentralistische Planung, die den Kommunen faktisch keine Selbstbestimmungsmöglichkeiten zulässt, ist daher mit der Marxschen Konzeption der wirklichen Selbstregierung unvereinbar. Sowohl für die einzelne Gemeinde als auch für deren Zusammenschluss auf nationaler Ebene gilt die Forderung nach einem Höchstmaß an faktischen Mitwirkungsmöglichkeiten aller Mitglieder dieses Zusammenschlusses.
Die Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums
Die Abschaffung des Privateigentums ist - dies ist eine wesentliche Erkenntnis der bisherigen Ausführungen - gleichbedeutend mit der Abschaffung der kapitalistischen Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion. Beides ist nach Überzeugung von Marx erst möglich, wenn ein hohes technisch-organisatorisches Niveau der materiellen Produktion vorliegt, das sich im Zuge der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft einstellt. Dadurch, daß das kapitalistische Produktionssystem durch den Konkurrenzdruck die "Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit" vorantreibt, "schafft es unbewußt die materiellen Bedingungen einer höhern Produktionsform" (MEW 25, S. 269).
Der technische Fortschritt schafft aber nicht nur die Voraussetzung für die postkapitalistische Gesellschaft, sondern er führt zudem auch die Abschaffung des kapitalistischen Systems herbei. Wenn wegen des technischen Fortschritts die Produktion materieller Gegenstände immer weniger von der direkt angewendeten menschlichen Arbeit abhängt, zieht diese Entwicklung Einkommenseinbußen für den Arbeiter nach sich. Eine vollautomatische Produktion, bei der die notwendige Arbeitszeit zur Herstellung der zum Überleben der Gesellschaft erforderlichen Güter - inklusive der sie herstellenden Maschinen - Null ist, bedeutet für die Lohnarbeiter die vollkommene Einkommenslosigkeit. Die Arbeiter müssen sich gegen ein derartiges Produktionsverfahren wehren, weil es ihnen die Befriedigung ihrer materiellen Bedürfnisse unmöglich macht. "Eine Entwicklung der Produktivkräfte, welche die absolute Anzahl der Arbeiter verminderte, d. h., in der Tat die ganze Nation befähigte, in einem geringern Zeitteil ihre Gesamtproduktion zu vollziehn, würde Revolution herbeiführen, weil sie die Mehrzahl der Bevölkerung außer Kurs setzen würde. Hierin erscheint wieder die spezifische Schranke der kapitalistischen Produktion" (MEW 25, S. 274).
Die Unmöglichkeit, ein Produktionsverfahren im Rahmen der kapitalistischen Produktion zu implementieren, welches die notwendige Arbeitszeit zur Herstellung der die gesellschaftliche Reproduktion sicherstellenden materiellen Güter gegen Null gehen läßt, beschreibt Marx bereits in den "Grundrissen". Bezüglich einer vollautomatischen Produktion, bei der der Mensch nur noch Funktionen "als Wächter und Regulator" (Grundrisse, S. 592) wahrnimmt, stellt er fest: "In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder - deren powerful effectiveness - selbst wieder in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, ... Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. ... Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen" (Grundrisse, S. 592f.).
Der Zusammenbruch des kapitalistischen Systems der Produktion mit dem dazu gehörenden Privateigentum ergibt sich somit für Marx als logische Konsequenz eines sich entwickelnden Kapitalismus. Abgelöst wird dieses System durch das gemeinschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und der gemeinschaftlichen Produktion aller Gesellschaftsmitglieder in der skizzierten Form.
Konsequenzen
Die Abschaffung des Privateigentums bedeutet im Kern die Abkehr von der exklusiven Nutzung der gesellschaftlichen Produktionsmittel (vgl. Welti 2002, S. 37) und zugleich die Abkehr von der kapitalistischen Organisation von Produktionsprozessen. Damit wird das gesamte System der gesellschaftlichen Reproduktion in Frage gestellt. Das an die Stelle des bürgerlichen Privateigentums tretende gemeinschaftliche Eigentum ist allerdings keinesfalls gleichbedeutend mit dem Begriff des Staatseigentums, den wir aus dem real existierenden Sozialismus kennen. Auch dort waren die Gesellschaftsmitglieder von der Planung und Organisation der Produktion weitgehend ausgeschlossen. Gemeinschaftliches Eigentum aber verlangt die Beteiligung aller an den Entscheidungsprozessen zur gesellschaftlichen Reproduktion sowie an der Verteilung der gesellschaftlich erstellten Produkte. Damit verbunden ist eine neue Form der Produktionsweise. Die in Umrissen beschriebene politische Gestaltung der postkapitalistischen Gesellschaft lässt sich durch die folgenden Schlagworte charakterisieren: die gemeinschaftliche Nutzung der gesellschaftlichen Produktionsmittel, ein Höchstmaß an Demokratie und ein Ausbau aller Formen der direkten Demokratie - auch und gerade in der Arbeitswelt -; die Wahl, Verantwortlichkeit und jederzeitige Absetzbarkeit der Abgeordneten, Beamten und Richter; eine weitreichende Dezentralisierung aller gesellschaftlichen Entscheidungen; die Auflösung aller staatlichen Repressionsorgane und schließlich der dienende Charakter aller Staatsdiener. Damit wird eine Mischung aus Zentralisation und Dezentralisation erreicht, die einerseits die Gefahr des ökonomischen Chaos verhindert und andererseits jedem Individuum eine aktive Mitbestimmung bei der Produktion und beim Leben in der Gemeinschaft erlaubt. Nur vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zur gesellschaftlichen Reproduktion ist die "Abschaffung des Privateigentums ... die kürzeste und bezeichnendste Zusammenfassung der ... Umgestaltung der gesamten Gesellschaftsordnung" (vgl. MEW 4, S. 370f.). Die Weiterentwicklung der Wirtschaftsdemokratie, die "Gewährleistung des allgemeinen Zugangs zu gemeinschaftlichen Ressourcen" und die "Entwicklung eines genossenschaftlich geprägten Unternehmenssektor", wie sie anlässlich der spw-Jahrestagung 2001 gefordert wurden (vgl. spw 2002, S. 28); sind sinnvolle Schritte in diese Richtung. Wer allerdings das individuelle Eigentum im dargestellten Sinne realisieren will, muss weitere Schritte folgen lassen.
Literatur
Brus, Wlodzimierz / Laski, Kazimierz, (1990), Von Marx zum Markt, aus dem Englischen übersetzt von Silvia Zendron, Marburg.
Marx, Karl / Engels, Friedrich: Karl Marx / Friedrich Engels, Werke (MEW), Bd. 1ff., Berlin 1956ff.
Marx, Karl, (1857/58), Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Frankfurt, o. J.
Przeworski, Adam, (1990), Warum hungern Kinder, obwohl wir alle ernähren könnten? Irrationalität des Kapitalismus - Unmöglichkeit des Sozialismus, in: Prokla, Heft 78, 20. Jahrgang, S. 138 - 171.
spw, (2002), Flexibler Kapitalismus - Moderner Sozialismus: Thesen zur spw-Jahrestagung 2002, in: spw, Heft 123, S. 25 - 28.
Weise, Peter, u. a. (1979), Neue Mikroökonomie, 1. Auflage, Heidelberg.
Welti, Felix, (2002), Eigentum und Zugang - Herausforderung für den modernen Sozialismus, in: spw, Heft 123, S. 37 - 39.

Dr. Thieß Petersen, arbeitet im ver.di-Forum Landebezirk Nord, lebt in Kiel

Der Beitrag ist erschienen in spw 130, März/April 2003