Aus dem System heraustreten

Horst Afheldt über Wege aus der Arbeitslosigkeit

Am 9.März brachte hr2 in der Reihe "Der Tag" eine Sendung mit dem Titel: "Agenda Klassenkampf - Wie lange hält der soziale Friede?" Darin führte u.a. Alf Mentzer ein Interview mit HORST AFHELDT über Wege aus der Krise. Das Interview ist symptomatisch für die wachsende Bereitschaft, sich Gedanken über ein anderes als das kapitalistische Wirtschaftssystem zu machen.

Herr Afheldt, Wirtschaft, die arm macht, das ist eine Frage der Perspektive. Deutschland ist ja mitnichten ein armes Land. Warum gerät unser bundesdeutscher Sozialstaat so unweigerlich unter Druck? Wo liegt das Problem?
Das Problem liegt darin, dass der derzeitige Zustand Deutschlands, den Sie richtig beschreiben, als ein noch nicht armes Land ein Übergangszustand in die Armut ist - siehe die wachsende Arbeitslosigkeit. Wir stehen vor der Frage: Woher kommt das, was kann gemacht werden?

Sie schreiben in Ihrem Buch: Das Sozialprodukt verschiebt sich weg von der Arbeit hin zum Kapital. Was bedeutet das?
Seit Mitte der 70er Jahre verdoppelte sich unser Sozialprodukt. Diese 100% Wachstum brachten aber nur die Erhöhung der Arbeitslosigkeit von 250000 auf 5, 6 oder 8 Millionen, je nachdem, wie Sie rechnen wollen. Das ist bereits eine Verschiebung.
Der zweite Punkt, der daraus hervorgeht, lautet: Wie wollen Sie durch Wachstum Arbeitslosigkeit beseitigen, wenn 100% in der Vergangenheit schon nicht genügt haben? So kommt man doch nicht weiter! Da schließe ich an: Dann handelt es sich doch wohl um doch ein Verteilungsproblem.

Wo wird denn hinverteilt? Von den Arbeitskräften, von den Lohnempfängern hin zu den Kapitalgesellschaften, nehme ich an?
Es ist ein mehrfaches Verteilungsproblem. Die erste Frage ist: Warum schwinden die Einkommen der Lohnabhängigen? Da stellt man fest, dass aus der Wirtschaft immer weniger herauskommt. Die Wirtschaft verbraucht von dem, was sie produziert, immer mehr für sich selbst. Sie bekommt es einmal in der Form von Subventionen, dazu kommen Zuleistungen, wie beim Airbus 380 z.B. eine Landbahn durch ein Naturschutzgebiet, es geht um Flussvertiefungen für Handelsschiffe oder Werften, die Grundstücksaufschließungen und andere Hilfen aller Art, die alle Gemeinden für Firmen bieten, die mit der Ansiedlung neuer Unternehmen winken, dann ist da der Straßenbau für die unendlichen Lastwagenkolonnen, die diese Form von Wirtschaft braucht - das steigt und steigtÂ…

Warum resultiert das nicht in mehr Arbeitsplätzen? Es wird viel investiert, es werden den Unternehmen viele Mittel zur Verfügung gestellt, warum tut sich dann auf der Arbeitsplatzseite nichts?
Zunächst einmal müssen wir feststellen, wo das Produzierte bleibt, dann können wir sehen, warum es bei der Arbeit nicht ankommt. Das Produzierte bleibt eben - z.B. bei den Zuleistungen - bei relativ kapitalstarken Unternehmen. Der weitere Punkt aber ist, dass die öffentlichen Leistungen wie Universitäten, Schulen, Kindergärten, immer schwieriger zu bezahlen sind, weil genau diese Wirtschaft, die mehr verbraucht, immer weniger Steuern bezahlt.
Drittens haben wir eine Aufspaltung der Gesellschaft in sinkende Einkommen der abhängig Beschäftigten und schnell steigende Einkommen aus Eigentum, Unternehmen und Vermögen. Aber diese Einkommen wiederum konzentrieren sich noch einmal zugunsten der großen Unternehmen und der großen Vermögen.
Aber das ist ein allgemeiner Trend dieses Wirtschaftssystems, wir sind da noch relativ zurück.

Zurück hinter andere Staaten im westeuropäischen Bereich? Wo führt diese Entwicklung hin? Was sind die real existierenden Vorbilder, an denen wir uns orientieren müssen?
Schauen wir uns das doch mal an: In der Bundesrepublik haben die reichsten 10% aller Haushalte über 47% der Vermögen. Das ist wie gesagt noch zurück. Die Engländer sind schon weiter auf dem Weg, den wir auch gehen. 1% der Bevölkerung haben 23% des englischen Vermögens. Die USA liegen an der Spitze. Die geben ja die Richtung an. Dort haben 1% der Bevölkerung nicht 23% der Vermögen wie in England, sondern 45%. Und schon zwischen 1983 und 1998 verloren die ärmsten 40% der Amerikaner mehr als drei Viertel ihres bescheidenen Vermögens.

Wie kann der Staat da gegensteuern? Wie kann man die Entwicklung aufhalten?
Diese Entwicklung können Sie innerhalb des bestehenden Systems überhaupt nicht aufhalten. Das System ist so angelegt, dass sich im Konkurrenzkampf der Stärkere durchsetzt. Innerhalb des Systems des offenen Weltmarkts für Wohlstand für alle dauerhaft zu sorgen, den Weg gibt es nicht. In diesem System ist die Aufspaltung nach dem Vorbild der Sozialstruktur der Entwicklungsländer unvermeidlich: eine reiche Oberschicht, eine schwache Mittelschicht, arme Massen.

Das heißt, wie müssten uns aus dem globalen Wettbewerb auskoppeln, um gegensteuern zu können?
Jetzt sind Sie bei dem Versuch, eine Lösung zu finden, dieser Versuch ist außerordentlich schwierig, darüber muss man nachdenken. Da kein Mensch darüber arbeitet, weil die meisten noch versuchen, innerhalb des Systems eine Lösung zu finden, liegt dazu auch noch nichts vor.

Nachtrag des Interviewten:
Neben den in dem kurzen Rundfunkinterview angesprochenen Verteilungsproblemen haben selbstverständlich auch andere Gründe zu der ökonomischen Misere und dem drohenden Abstieg der meisten Lohnabhängigen beigetragen. In erster Linie gibt es hier zwei "Entstehungsprobleme". Da ist einmal die Verschiebung der Wertschöpfung in der Produktion und bei den Dienstleistungen von der Arbeit zum Kapital: Der technische Fortschritt ersetzt Menschen durch Maschinen. Da ist zum zweiten die weltweite Öffnung des Marktes, die als Lohndruck in den europäischen Ländern ankommt und die Produktion mehr und mehr in die Länder niedriger Einkommen verschiebt.
Vom Autor ist gerade in der 2.Auflage erschienen: Wirtschaft, die arm macht. Vom Sozialstaat zur gespaltenen Gesellschaft, München: Kunstmann, 2005, 12 Euro.