Ein Auf ohne Schwung: Von der roten zur schwarzen Null

In ihrer Erklärung von Lissabon im März 2000 setzten die Regierungschefs der EU-Länder sich zum Ziel, bis 2010 die EU zur "wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsregion der Welt" zu machen und bis dahin

... Vollbeschäftigung zu erreichen. Im Jahresdurchschnitt sollte das Bruttoinlandsprodukt um 3 % wachsen. Diese "Perspektive von Lissabon hat sich weitgehend in Luft aufgelöst". (Jörg Huffschmid: Wachstumsmotor EU-Kapitalismus? In: Stagnation - neoliberale Agenda - Alternativen. Supplement der Zeitschrift Sozialismus 2/2004, S. 1f.) In Wahrheit brachten die EU-Länder es in den Jahren 2000 bis 2003 auf 1,6 % statt der avisierten 3 %. Von Jahr zu Jahr wurde das Ergebnis schlechter. 2002 waren es noch 0,9 %, 2003 nur noch 0,4 %. Ehemalige neoliberale Musterländer wie Holland (- 0,5 %) und Portugal ( - 0,8 %) stehen 2003 am Tabellenende. (Financial Times Deutschland, 19.12.03). Während die EU stagnierte, hielten sich die USA und Japan in den beiden letzten Jahren auf Wachstumsraten von rund 2,7 %. (WSI-Mitteilungen 12/2003, S. 696) Parallel zur Stagnation des Wirtschaftswachstums steigt seit 2002 die Arbeitslosigkeit im gesamten EU-Raum. Die deutsche Entwicklung verlief noch etwas negativer als der EU-Durchschnitt. Im Jahr 2000, als die vollmundige Lissaboner Erklärung in die Welt gesetzt wurde, wies Deutschland noch ein BIP-Wachstum von 2,9 % auf. Dann ging es stetig bergab: 2001: 0,8 %; 2002: 0,2 %; 2003: - 0,1 %. Schaut man sich die Quartalsergebnisse dieser Jahre im einzelnen an, so ist festzustellen, dass es sich nicht bloß um rückläufiges Wachstum, sondern um eine Stagnation mit eindeutigen Rezessionselementen handelt. Die Ökonomie spricht von Rezession, wenn die Produktion in (mindestens) zwei Quartalen hinter einander schrumpft. Dies war 2001 und 2002/2003 der Fall, und zwar jeweils über drei Quartale hinweg.

Die Bremsen der Konjunktur 2003

Ein Vergleich der tatsächlichen, negativen Entwicklung im Jahr 2003 mit den zu Jahresbeginn angestellten positiven Wachstumsprognosen von Regierung und Experten zeigt erstens, wo die wesentlichen Bremsen des Wachstums zu suchen sind und zweitens, worin sich die Experten in Regierung und Instituten typischerweise täuschen. Die entscheidenden Minusfaktoren sind der private Konsum und die Anlageinvestitionen. Vor allem prägend ist die Stagnation des privaten Konsums, denn dieser ist für rund drei Fünftel der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verantwortlich, mithin auch wesentlich verantwortlich für die Anlageinvestitionen, die reagieren auf die aktuelle und zukünftig erwartete Nachfrage. Sowohl die Regierung wie die "Fünf Weisen" und die wissenschaftlichen Institute setzten statt auf die Erweiterung der Binnennachfrage auf die Expansion der Exporte. Die Regierung hat sich hier um 300 % verschätzt, die Institute gar um über 400 %. Statt um die prognostizierten 4,5 % bzw. 5,3 % stiegen die Exporte nur um 1,2 %, während die Importe ihrerseits um 2,6 % stiegen. Der Außenbeitrag, von dem sich Regierung und Experten den wesentlichen Wachstumsimpuls erwarteten, fiel dementsprechend sogar negativ aus (- 0,4 % - siehe Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 19.2.04). Auch der geringe Zuwachs des Staatsverbrauchs konnte die Einbrüche des Konsums und der Investitionen natürlich nicht wettmachen. Als Erklärung für ihre absurde Fehleinschützung bietet die Bundesregierung "negative Effekte" im Gefolge des Irak-Konflikts und vor allem die "gesunkene preisliche Wettbewerbsfähigkeit durch die Euro-Aufwertung" an. (Jahreswirtschaftsbericht 2004, S. 79).

Die Fehler von 2003 werden wiederholt

Umso abwegiger ist es nun, wenn Regierung und Experten jetzt die Fehler ihrer Politik und Prognosen des Jahres 2003 für 2004 exakt wiederholen. Wieder wird der private Konsum gering veranschlagt. Der angesetzte Zuwachs von 1,2 % (Bundesregierung) soll auch weniger von den Arbeitnehmerentgelten herrühren, deren Plus mit 1,0 % angegeben wird, sondern von den Unternehmer- und Vermögenseinkommen, die mit 4,28 %, also mehr als viermal so stark wachsen sollen. Je höher jedoch das Einkommen, desto geringer die zusätzliche "Neigung zum Konsum". Der Einkommenszuwachs der Reichen wird wieder mehr in die Börsenspekulation gehen als in den Verbrauch. Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen geben einen höheren Anteil ihres Einkommenszuwachses für Güter und Dienstleistungen aus. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass auch die bescheidenen Zuwächse der Arbeitnehmerentgelte von 1 % überhaupt zustande kommen. Nimmt man Lohnerhöhungen um 1,8 % und eine Inflationsrate von 1,2 % an, dann bleiben noch 0,6 % übrig, denen zusätzliche Kosten u.a. für Gesundheit und Altersvorsorge gegenüber stehen. Die Schieflage zwischen Masseneinkommen und höheren Einkommen wurde durch das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform noch verstärkt. Von der zusätzlichen Kaufkraft, die durch die Reform bei den privaten Haushalten anfallen soll, 14 Milliarden Euro, entfallen nämlich 6 Milliarden Euro auf die Bezieher hoher Einkommen, die den Spitzensteuersatz zahlen. (Verdi Bundesvorstand Berlin: Risiko Wirtschaftspolitik. Oktober 2003) Wieder wird nur ein Bruchteil der Summe am Markt als Nachfrage nach Gütern und Diensten wirksam. Die in diesem Jahr anstehende "Große Steuerreform" würde diese Schieflage noch verstärken. Nach dem CDU-Modell z.B. würden Steuerzahler mit einem Jahreseinkommen von 15.000 Euro um 787 Euro entlastet; bei einem Einkommen von 60.000 Euro macht die Entlastung schon 3.551 Euro aus, bei 150.000 Euro sind es 9.248 Euro und bei einem Einkommen von einer halben Million spart der Top-Verdiener 31.403 Euro an Steuern. Dem Staat würden mit dieser Steuerreform Ausfälle von 32 Milliarden Euro entstehen. (Süddeutsche Zeitung, 26.2.04; mittlerweile liegt ein Kompromiss von CDU und CSU zur sogenannten "Große Steuerreform" vor, die nach Vorstellung der Union erst nach der nächsten Bundestagswahl ins Werk gesetzt werden soll.) Die Gelder fehlen dem Staat also für den eigenen (konsumtiven und investiven) Verbrauch, ohne dass sie von den privaten Nutznießern im selben Ausmaß als kaufkräftige Nachfrage auf den Markt gebracht würden. Es ist unter diesen Umständen sehr zu bezweifeln, dass es zu dem prognostizierten Anstieg der privaten Konsumausgaben von 1,2 % kommen wird, während andererseits der Staatskonsum von der Bundesregierung selbst mit - 0,2 % veranschlagt wird. Dies letzte ist mehr als eine Prognose, es ist eine politische Willenserklärung. Mit diesem Minus als Ergebnis politischen Handelns muss fest gerechnet werden. Aus der Summe von privatem und staatlichem Konsum kann sich mithin kein Impuls für wirtschaftliches Wachstum ergeben. Mehr als fraglich ist auch, ob die prognostizierten Investitionszuwächse zustande kommen. Die Kapazitätsauslastung in Deutschland liegt Ende 2003 bei rund 82 %. Die Unternehmen könnten ihre Produktion um fast ein Fünftel erhöhen, ohne zusätzliche Investitionen vorzunehmen. Es wird also allenfalls zu Ersatz- und Rationalisierungs- und nicht zu Erweiterungsinvestitionen kommen. Nur solche aber würden den "Akzelerator-Effekt" bescheren, nämlich zusätzliche Produkte und Einkommen zu erzeugen, die das Wachstum ankurbeln würden. Die Rationalisierungsinvestitionen blieben schon 2003 hinter dem allgemeinen "Wachstum" zurück (- 2,9 % Investitionen gegen - 0,1 % BIP). Eine solche Diskrepanz ist auch 2004 zu erwarten.

Hoffnung auf den Export ist trügerisch

Es sei denn, die Regierung und ihre Experten hätten dieses Mal recht mit ihrer Prognose, der Export werde alles richten. Die Bundesregierung gibt, nach den weit verfehlten 4,5 % des Vorjahres, diesmal sogar einen Exportzuwachs von 5,8 % vor. Die Inlandsnachfrage wird strategisch vernachlässigt, alle Hoffnung ruht auf der Nachfrage des Auslandes. "Außenwirtschaft setzt konjunkturelle Erholung in Gang", heißt die programmatische Devise. (Jahreswirtschaftsbericht 2004, S. 73). Die Projektion der Bundesregierung wie auch der Sachverständigen steht und fällt mit ihren fundamentalen "Annahmen": Die Weltproduktion wird um über 4 % expandieren, der Welthandel steigt um 7 bis 8% und: "Es wird vom gegenwärtigen Zins- und Wechselkursgefüge ausgegangen." (A.a.O., S. 71/73) Als die Bundesregierung ihren Bericht herausgab, lag der Wechselkurs Dollar zu Euro bei 1,25. Vor allem die letzte, entscheidende Annahme über die Entwicklung der Wechselkurse ist außerordentlich fragwürdig. Wird der Euro stärker und dementsprechend die deutschen Produkte im Ausland wie relativ zu den importierten Waren auch im Inland teurer, dann kann die positive Konjunkturrechnung schon allein aus diesem Grund wieder einmal nicht aufgehen. Seit langem macht sich Deutschland in wachsendem Maß von den Bedingungen des Weltmarktes und besonders von der Richtgröße Dollar abhängig. Der sogenannte Offenheitsgrad der deutschen Wirtschaft (Exporte und Importe in % des realen BIP) stieg seit 1993 von 44,3 % über 57,2 % in 1998 auf 68,7 % im Jahr 2003. (A.a.O., S. 14). Dabei steigen die Exportanteile in den Dollarraum. 1996 wurden 57,1 % der Exporte in andere EU-Länder exportiert, 2002 nur noch 54,7 %. (A.a.O., S. 18). Entgegen der neoliberalen Propaganda "profitieren die deutschen Exporteure davon, dass die Lohnkosten nun schon seit Jahren langsamer steigen als bei der Konkurrenz". (Financial Times Deutschland, 16.1.04). Dementsprechend stieg der deutsche Anteil an den realen Weltexporten in den letzten 10 Jahren um 1,5 Punkte auf 10,5 Prozent. Die enorme "Offenheit" der deutschen Wirtschaft birgt enorme Risiken. Über 35 % der deutschen Produktion gehen in den Export, fast die Hälfte davon in den Dollar-Raum. Über 30 % der deutschen Nachfrage entfallen auf Importe. Es liegt auf der Hand, dass Veränderungen des Wechselkurses, die deutsche Produkte teurer, solche aus dem Dollar-Raum billiger machen, Produktion und Beschäftigung in Deutschland erheblich drücken können. Bis zu einem Kurs von 1,30 Dollar für den Euro, so schätzt die Deutsche Bank, "sollten die weltwirtschaftlichen Impulse überwiegen". (Die Zeit, 31.12.03). Steigt der Kurs höher, verlieren deutsche Produkte im Preiswettbewerb, und die Konjunktur weist wieder nach unten. Das Problem besteht darin, dass die Modell-Annahmen - einerseits Wachstum von Weltproduktion und Welthandel, andererseits stabile Wechselkurse - unter den gegebenen Umständen einander entgegen stehen. Die Umstände sind nämlich so, dass die Weltkonjunktur vor allem anderen von der Nachfrage des US-Marktes abhängt. In dem Leistungsbilanzdefizit der USA - 500 Milliarden Dollar Überschüsse der Importe über die Exporte - drückt sich der Markt aus, der in anderen Ländern - vor allem auch in Deutschland - binnenwirtschaftlich nicht vorhanden ist. "Das historische Zinstief und das gewaltige Haushaltsdefizit der USA, das das privat verfügbare Jahreseinkommen in den letzten drei Jahren für sich genommen um 700 Mrd. Dollar erhöht hat, zeigen weltweite Multiplikatorwirkungen, wie sie im Lehrbuch des Keynesianismus beschrieben sind." (Hans-Werner Sinn, ifo-Pressemitteilung, 19.12.03) Diese zusätzlichen 700 Mrd. Dollar waren also Zusatznachfrage auf Pump, und gepumpt haben vor allem ausländische Geldgeber. Dem Leistungsbilanzdefizit der USA steht ein ständiger Geldstrom aus dem Ausland in etwa der selben Höhe gegenüber. Das Ausland verschafft sich auf diese Art einen Markt in den USA für die Produkte, für die es im eigenen Land keine kaufkräftige Nachfrage gibt.

Das Dilemma der USA

Die USA geraten mit dieser Politik in ein sich verschärfendes Dilemma. Sie können die Strategie des vom Ausland kreditierten Wachstums natürlich nur fortsetzen, wenn dieser Geldstrom von außen unvermindert weiter fließt. Der Diskontsatz in den USA ist mit 1 % extrem niedrig (halb so hoch wie in der EU), zudem wächst für die Geldgeber mit dem wachsenden Schuldenberg das Risiko, ihr Geld auch wirklich wieder zurück zu bekommen. Das marktwirtschaftlich gebotene Mittel wäre das der Zinserhöhung, um Geldanlagen in den USA attraktiver zu machen. Dies aber können sich die USA angesichts der riesigen Schulden von Staat und Privathaushalten nicht leisten. Eine Zinserhöhung würde Konsum und Investitionen drastisch senken und hätte den Absturz der Konjunktur zur Folge. Da die USA also - jedenfalls im Wahljahr 2004 - weder ihre Ausgaben verringern noch ihren Zinssatz erhöhen wollen bzw. können, ruht der gesamte Anpassungsdruck zur Verminderung ihres Außenhandelsdefizits auf einem dritten Faktor - nämlich den Wechselkursen. Wenn der Dollar schwächer wird, werden die Importe relativ niedriger ausfallen, die Exporte werden steigen. Dadurch verringert sich nicht nur das Minus des Außenbeitrags, vielmehr wird auch die Produktion im Inland angekurbelt. Ein Blick auf die Daten der US-Wirtschaft 2003 belegt, dass die USA diesen Weg konsequent beschreiten. Seit Ende Januar 2002 hat der Dollar gegenüber dem Euro um 30 % abgewertet. (Financial Times Deutschland, 18.12.03) Marktveränderungen über Wechselkursänderungen brauchen ihre Zeit, doch im 4. Quartal 2003 erweisen sich nun die US-Exporte als der dynamischste Faktor des US-Wachstums, während die Faktoren der Inlandsnachfrage allesamt zurück gehen. Im dritten wie im vierten Quartal 2003 weist der Außenbeitrag eine positive Wachstumsrate auf, stellt also einen Wachstumsimpuls für die US-Wirtschaft. Aufschlussreich ist, dass die Dollarabwertung gegenüber den Konkurrenten EU und Japan, und auch da unterschiedlich, vorgenommen wurde. Der Euro wurde 30 % teurer, der japanische Yen nur 18 %, doch der chinesische Renmimbi blieb stabil, und auch die indische Rupie, der koreanische Won, der Singapur-Dollar und der russische Rubel bewegten sich kaum. (FTD, a.a.O.) Ein wesentlicher Grund für diese unterschiedliche Entwicklung liegt im Vorgehen der asiatischen Zentralbanken, die mit Dollarkäufen ihre Währungen schützten, um sich ihre Exportchancen in den USA zu erhalten. Mit dem Kauf von US-Staatspapieren haben allein die Notenbanken aus China und Japan 2003 75 % des US-Leistungsbilanzdefizits finanziert. (SZ, 12.1.04) Der systematische Verfall des Dollars erweist sich also auch als Instrument, den Geldfluss in die USA weiter aufrecht zu erhalten. So eindeutig die Wirkungen bereits auf die US-Leistungsbilanz sind - die Exporte wachsen schneller als die Importe, die Änderung des Außenbeitrag dreht ins Positive - so steht das Defizit der Leistungsbilanz immer noch bei rund 5 % des BIP. Würden die USA weiter nur auf die Waffe der Dollarabwertung setzen, so müsste der Dollar weltweit - also gegenüber allen anderen Währungen - um weitere 34 % fallen, um das Leistungsbilanzdefizit auf 2 % des BIP zu drücken. (FTD, a.a.O.) Harvard-Professor Kenneth Rogoff, bis September 2003 Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, meint, dass "ein Kurs von 1,40 sich leicht vorstellen lässt, 1,50 oder 1,60 sind möglich". (Wirtschaftswoche, 15.1.2004). Als Gegenmittel sieht er den Kauf von US-Staatsanleihen und vor allem die Senkung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank. Beides würde die internationalen Geldströme in Richtung USA lenken, ohne dass die USA ihre Zinsen erhöhen müssten. Deutsche Global Players haben Interesse an schwachem Dollar Die Appelle von Bundeskanzler Schröder und anderen Vertretern der deutschen Wirtschaft an die EZB zeigen, dass der Druck aus den USA auch hier seine Wirkung erzielt. Angesichts der Wirtschaftslage in den USA, wo die Exporte zu einem zunehmend wichtigen Wachs¬tumsfaktor werden, ist jedoch damit zu rechnen, dass die Politik des schwachen Dollars von den US-Behörden fortgesetzt wird. Die von der Deutschen Bank errechnete Höchstgrenze von 1,30, bis zu der noch die globalen Wachstumsimpulse überwiegen, wird möglicherweise überschritten. So sagt denn auch der New Yorker Währungsstratege der Deutschen Bank zum Jahresende einen Kurs von 1,35 Dollar gegenüber dem Euro voraus. (Handelsblatt, 6.2.04). Die deutschen Global Player haben ihrerseits auch ein Interesse an einem möglichst schwachen Dollar. Denn sie stellen immer mehr um von einem Export von Gütern und Diensten auf den Export von Kapital, auf Direktinvestitionen in den Ländern, wo sie ihre Märkte haben und vor allem auch billigere Arbeitskräfte einsetzen können. Wertet der Dollar gegenüber dem Euro um 30 % ab, kosten die neuen ausländischen Produktionsanlagen im Dollar-Raum (wozu auch Asien-Pazifik gehört) die deutschen Investoren 30 % weniger. So investierten deutsche Investoren im ersten Halbjahr 2003 - als der Streit um den Irak-Krieg angeblich die USA und das "alte Europa" prinzipiell entzweite - mit der Rekordsumme von 6,4 Milliarden Dollar in den USA 30 % mehr Ausländische Direktinvestitionen in den USA als umgekehrt US-Investoren in Deutschland. (Süddeutsche Zeitung, 27.2.04). Die Einschätzung, dass der Dollar noch billiger wird, wird offenbar vom Gros der deutschen Unternehmen geteilt. Nach neun Monaten ununterbrochenen Anstiegs ist der ifo-Geschäftsklimaindex im Februar 2004 zurück gegangen. Die aktuelle Lage wird zwar als unverändert bewertet, die Zukunftserwartungen aber sind rapide gesunken. Als wesentlichen Faktor benennen die Unternehmer die verschlechterten Wechselkursbedingungen. (ifo Geschäftsklima Deutschland.) Für Hans-Werner Sinn, den Präsidenten des ifo-Institutes, ist der Klimawechsel Anlass, ein Fortführen der "Reformen" und die Kontrolle des Wechselkurses zu fordern. Auf die Idee, eine Stärkung der Binnennachfrage in die Wege zu leiten, um den Risiken und negativen Folgen der Exportorientierung zu entgehen, kommt der neoliberale Propagandist nicht. Die auf die ausländische Nachfrage setzende Konjunkturpolitik ist, wie oben beschrieben, schon kurzfristig zum Scheitern verurteilt. In den USA hat sich das Wirtschaftswachstum abgekühlt (von 8,2 % im 3. Quartal auf 4,0 % im 4. Quartal). Ein nachhaltiger Aufschwung ist schon aufgrund der niedrigen Kapazitätsauslastung ausgeschlossen. Mit 76 % Auslastung des Produktionspotenzials (WSI Mitteilungen 12/2003) liegen die USA noch sechs Prozentpunkte unter der deutschen Quote. Es kommt zu keinen Erweiterungsinvestitionen, stattdessen wird rigoros rationalisiert. Der Produktivitätszuwachs in den USA kam zustande bei einem gleichzeitigen Abbau von Kapital und Beschäftigung. Die Investitionen sind seit 2001 um ein Sechstel gefallen, die Arbeitsplätze wurden um 3 Millionen abgebaut. (FTD, 22.8.03) Der Nachfrageschwung in den USA ist also "künstlich", er ist die Folge des kreditfinanzierten staatlichen Ausgabenprogramms und der Käufe von US-Staatspapieren vor allem aus China und Japan. Wollen die USA ihre eigene Produktion hoch fahren, müssen sie weiter den Dollarkurs schwächen, was offenbar neben dem Schuldenmachen ihr einziges konjunkturpolitisches Instrument ist. Mit dieser Politik aber stellen sie sich quer zur Strategie der deutschen Wirtschaftspolitik, die einzig auf Zuwächse in der Außenwirtschaft, vor allem auch im Dollar-Raum, setzt. Mit dem schwächeren Dollar aber werden die US-Unternehmen sowohl in den USA wie außerhalb den deutschen Konkurrenten Anteile abnehmen oder ihr Wachstum beeinträchtigen.

Deutsches Wachstum nahe bei Null

Das deutsche Wachstum wird also eindeutig schwächer ausfallen als prognostiziert. Dass es überhaupt über Null liegt, ist der Tatsache zu verdanken, dass sich die USA in einem Wahljahr befinden, und die Regierung deshalb bemüht ist, Zinsen und Steuern niedrig und den privaten Konsum möglichst hoch zu halten, womit die USA weiterhin als Nachfrager "der letzten Instanz" für die Weltproduktion fungieren können. Nach den Wahlen aber wird die Frage der Reduzierung der Ungleichgewichte der US-Wirtschaft wieder oben auf der Tagesordnung stehen. Für die USA geht es um die Alternative: Fangen sie an, ihren Gläubigern die Billionen-Schulden zurückzuzahlen, oder finden sie Wege, den Rest der Welt weiter zur Kreditierung ihrer gewaltigen Überschüsse zu veranlassen. Die Rückzahlung der Schulden an die internationalen Gläubiger würde die Weltwirtschaft, allen voran die extrem exportbestimmte deutsche Wirtschaft, in große Schwierigkeiten bringen. Denn die USA würden, um ihre Defizite zu senken, ihre eigene Nachfrage dämpfen und gleichzeitig den Dollarkurs senken müssen, um die Höhe ihrer Schulden, die in Dollar gelten, zu reduzieren. Der Markt in den USA würde enger und die Preise der Waren aus Nicht-Dollar-Ländern würden steigen. Seine Exportorientierung würde Deutschland dann eine ernste Wirtschaftskrise bescheren. Für die Transnationalen Konzerne wie selbstverständlich auch für die US-Politik wäre wohl die Alternative vorzuziehen: Weiterhin werden Exportüberschuss-Länder ihre Kapitalüberschüsse in die USA umleiten, die so auch in Zukunft als Markt für die Waren zur Verfügung stehen, für die es in ihren Ursprungsländern keine kaufkräftige Nachfrage gibt. Diese Strategie würde bedeuten, dass ein immer größerer Teil der Menschheit - einschließlich Deutschlands - einen immer größeren Teil seines Produkts an die USA abgibt. Da die deutschen Transnationalen Konzerne sich immer stärker in den USA und im übrigen Dollar-Raum engagieren und längst zur dortigen Elite des Finanzkapitals zählen, kann ihnen die zunehmende Ausdünnung der deutschen Binnennachfrage relativ gleichgültig sein. Der großen Mehrheit der Arbeiter und Angestellten allerdings nicht. Ihre Arbeitsplätze werden exportiert, und ihr Anteil an dem von ihnen geschaffenen Sozialprodukt wird immer kleiner. Für die Arbeitslosen und die Beschäftigten, die um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, sieht die Perspektive auch dann düster aus, wenn die Projektion der Bundesregierung für 2004 zuträfe. Im Jahreswirtschaftsbericht wird formuliert, dass "im Durchschnitt des Jahres die Zahl der registrierten Arbeitslosen (Definition der Bundesagentur für Arbeit) voraussichtlich 4,28 Mio. betragen" (Jahreswirtschaftsbericht 2004, S. 77) wird. Dies wären 100.000 Arbeitslose weniger als im letzten Jahr. Doch handelt es sich hierbei bloß um einen statistischen Trick. Denn ab dem 1.1.2004 werden Arbeitslose, die an geförderten Trainingsmaßnahmen teilnehmen, nicht mehr als solche gezählt. Allein diese Umdefinierung mindert die Arbeitslosenstatistik um 100.000 Personen. Dazu kommt, dass nach den verschärften Prüfungen und Auflagen sich viele nicht mehr als arbeitslos melden. "Vom Verstecken der Arbeitslosen wird die deutsche Wirtschaft nicht gesunden." Im Jahresdurchschnitt werde "ein nochmaliger Beschäftigungsabbau in der Größenordnung von 170.000 Personen zu verzeichnen sein". (Ifo, Pressemitteilung 19.12.03, S. 5) Auch diese negative Prognose ist immer noch unrealistisch. Seine Annahme trifft das Ifo-Institut unter der Voraussetzung eines Wachstums von 1,7 %. Wären es, was sehr viel realistischer ist, nur 0,2 %, dann müsste man mit dem Abbau von weiteren rund 500.000 Vollzeit-Arbeitsplätzen rechnen. Alle diese Faktoren und Prognosen sind nicht ökonomische "Sachzwänge", sondern Voraussagen, welche Entwicklung die Wirtschaft unter bestimmten politischen Bedingungen und Entscheidungen nehmen wird. Weder der Wechselkurs noch die Lohnhöhe oder die Steuerreform oder die Kürzung der Sozialtransfers sind ökonomisch zwangsläufig. Die prognostizierten Parameter sind von der neoliberalen Doktrin des großen Kapitals diktiert und nur in dessen Interesse. Für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft sind sie unsinnig, für die Lebenslage der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung außerordentlich abträglich. Die Wirtschaftspolitik der deutschen Regierung ist eine Gefahrenquelle erster Güte. Auf der Tagesordnung steht die Entwicklung einer gesellschaftlichen Gegenkraft, die der herrschenden neoliberalen Diktatur wirksam entgegen tritt. Conrad Schuhler (isw e.V.)