"Intelligentes Sperma geht online"

Das Critical Art Ensemble über Formen partizipativer Kunst, Graffitiroboter und Biotechnologie

Anlässlich der Kriminalisierung des Critical Art Ensemble veröffentlicht ak Auszüge eines Interviews mit den Künstlern aus dem Jahr 2001.

Im Gespräch mit dem Medienwissenschaftler Ryan Griffis gibt das Kollektiv Auskunft über seine theoretischen Grundlagen und sein künstlerisches Selbstverständnis. Seit 1987 positioniert sich das Critical Art Ensemble (CAE) mit Medieninstallationen, Buchprojekten und Performances im Feld der kritischen Interventionskunst. Taktische Medienkünstler ist eines der Label, unter dem sie auftreten. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen neuer Technologien. So beschäftigen sich viele ihrer Projekte mit dem Thema Biotechnologie. Das Ensemble setzt dabei auf einen rationalen, partizipativen Umgang anstelle des gängigen Musters von hysterischer Ablehnung versus unkritischer Technikgläubigkeit.

Ryan Griffis: Wie hat sich das Critical Art Ensemble gegründet?

CAE: Es ist schade, aber das CAE hat keinen heroischen Gründungsmythos, wie er zum Beispiel von den Situationisten erzählt wird. Unsere Geschichte ist viel profaner. Wir waren Studenten mit der Idee, ein Netzwerk zu entwickeln, um kulturell Einfluss nehmen zu können. Wir wollten über finanzielle Ressourcen, Arbeitsmaterial und Arbeitskraft verfügen, um eine öffentliche Plattform zu schaffen. Kollektive Aktivität schien und scheint uns immer noch die beste Option dafür zu sein.

Das CAE hat eine ganze Menge Theorie produziert, die sich mit der Praxis von partizipativer Kunst beschäftigt. Zentral ist für euch die Möglichkeit der Einmischung. Wo positioniert sich eure Gruppe zur Zeit und in welchem Verhältnis seht ihr euch zu anderen künstlerischen Praktiken, zum Beispiel den sehr jugendorientierten Versuchen, elektronisch unterstützte Organisierung voranzutreiben?

CAE: Alles hängt davon ab, was du als Gruppe erreichen willst. Die letzten fünf Jahre hat das CAE den Schwerpunkt auf Biotechnologie gelegt und auf die Goldrauschstimmung, die in diesem Bereich herrscht. Dabei arbeiten wir auf sehr direkte Weise: Wir produzieren Ereignisse, die demonstrieren sollen, was gerade in diesem Feld passiert. Andere Gruppen, wie das Institute for Applied Autonomy, konzentrieren sich auf praktische Grundlagenentwicklung. Zum Beispiel mit Projekten wie ihrem Graffitti-Schreiber: einem fernlenkbaren, graffittischreibenden Roboter. Auch ihr GPS-Projekt, das entwickelt wurde, um Demonstranten Fluchtwege aufzuzeigen, fällt in diese Kategorie. Damit kann man sich der Überwachung entziehen, wenn man auf Demonstrationen schnell und sicher weg will. Es gibt so viel zu tun. Glücklicherweise gibt es nicht die eine Metaerzählung, die festlegen würde, in welchem Verhältnis unterschiedliche Gruppen zueinander stehen. Also diejenigen, die auf direkter materieller Ebene arbeiten, und jene, die auf der Ebene der kulturellen Repräsentation arbeiten.

Im Reich der Biotechnologie ist es unser Hauptziel, aus einem Diskurs von Spezialisten einen öffentlichen Diskurs zu machen. Wir befürchten, dass Laien generell die Bedeutung der biotechnischen Revolution nicht mehr verstehen können. Viele Elemente sind versteckt und es gibt so viel Desinformation durch Marktdirektiven und Science Fiction, dass es sehr schwierig ist, eine vernünftige Diskussion zu führen. Die zunehmende Spezialisierung ist unter diesen Bedingungen erschreckend. Anders als bei der Revolution im Kommunikationssektor gibt es nur sehr wenige Leute, die Anwendungs- und Wissensstand der Biorevolution ausreichend kennen, obwohl fast alle indirekt davon berührt werden. Da die Öffentlichkeit beinahe keine direkte Erfahrung mit Biotechnologie hat, scheint sie zu schwierig und abstrakt zu sein, um sie zu verstehen. Die Intervention von CAE in dieser Situation ist es, den Leuten direkte Erfahrungen und vertrauenswürdige Information zu vermitteln, damit sie sehen, dass es in ihrer Macht liegt, Biotechnologie zu verstehen und aktiv zu beeinflussen.

Welche Interessen verfolgt ihr mit der Visualisierung von gentechnischen und humanmedizinischen Entwicklungen im Gesundheitswesen? Wie kann man sich eure Projekte vorstellen?

CAE: Als taktische Medienkünstler haben wir vier Projekte entwickelt, die sich auf eine szenische Art mit verschiedenen Aspekten der biotechnischen Revolution befassen. Wir laden das Publikum ein, sich zu beteiligen, und zwar durch eine Art partizipatorisches Theater. Im Projekt Flesh Machine stellen wir die Frage, inwieweit eugenisches Denken Eingang in die Reproduktionsmedizin gefunden hat. Bei dem Projekt Society for Reproductive Anachronisms geht es um die extreme medizinische Einmischung in die Reproduktion und den Angriff der Medizin auf die menschliche Sexualität. Der Versuch, fittes, also hochwertiges, organisches Material zu gewinnen, ist Thema bei Intelligent Sperm On-line. Und in Cult of the New Eve beschäftigen wir uns mit den utopischen Verheißungen des Human Genom Project.

Wenn wir über Biotechnologie sprechen, scheint es mir, dass es sehr viele Überschneidungen zu bedenken gibt, die auch gegenüber der Kommunikationstechnologie formuliert werden. Kannst du darstellen, welche Überschneidungen es eurer Meinung nach zwischen Biotechnologie und Kommunikationstechnologie gibt?

CAE: Was diese Technologien betrifft, gibt es zwei zentrale Diskurse. Der eine bezieht sich auf Digitalität und der andere auf Kontrolle. Die jüngsten Entwicklungen in der Informationstechnologie und in der Biotechnologie finden fast parallel statt. Zurzeit haben die Informationstechnologien den Kopf etwas vorn im Rennen, aber beide sind das Produkt der digitalen Ära. Wenn wir über das Digitale sprechen, meinen wir das in einem weiteren Sinn als nur den technischen Aspekt. Wir sprechen von einer Weltsicht, von einer neuen Kosmologie. Wenn wir das Wort digital benutzen, beziehen wir uns auf die Idee der Reproduktion, der Kopie. Die westliche Kosmologie war traditionellerweise analog. Das heißt, ein Prozess wurde gedacht als Bewegung von Chaos zu Ordnung und zurück zum Chaos. Produkte existierten in einem binären Muster - das Original und das Abbild. Über Jahrhunderte war das Prinzip, dass Ordnung aus Chaos hervorgeht und aus Ordnung wieder Chaos wird, unhinterfragt gültig. Diese Situation änderte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der fordistischen Massenproduktion. Ford hat intuitiv den Vorzug digitalen Denkens in Bezug auf die Produktion verstanden. Er verstand, dass die Unterscheidung zwischen Original und Abbild tatsächlich ein Hindernis für die Profitmaximierung darstellte und das Profitabilität gesteigert werden konnte, wenn man die Prinzipien von Kopie und Äquivalenz anwendete. Dieses neue Modell wurde sofort verstanden und überführt in digitale Technologie - die Technologie der Kopie und der Äquivalenz. Das Modell basiert auf dem Prinzip, dass Ordnung von Ordnung kommt. So eine Idee hatte einen enormen Einfluss auf die Biologie, weil ohne sie der Reproduktionsprozess nicht verstanden werden konnte. Der biologische Reproduktionsprozess beruht ja gerade auf Kopie, auf Vervielfältigung. Als diese Idee erst einmal akzeptiert war, wurde es möglich, die DNA auf eine ganz neue Art und Weise zu verstehen. Informationstechnologie und Biotechnologie, die prinzipiellen Marker des 20. Jahrhunderts, sind dadurch miteinander verbunden, dass sie auf diesem neuen Prinzip basieren: Ordnung entsteht aus Ordnung.

Und welche Rolle spielt die Kontrolle?

CAE: Auch der Kontrolldiskurs verbindet Informationstechnologie mit Biotechnologie. In beiden wissenschaftlichen Revolutionen geht es um die Möglichkeit, komplexe Systeme so weit wie möglich einer Kontrolle zu unterwerfen. Informationstechnologie bedeutet hauptsächlich die Maximierung des Gewinnens, des Speicherns und des Verteilens von Informationen in der virtuellen Welt. Bei Biotechnologie geht es um dasselbe im Bereich des Organischen. Durch die verbesserte Kontrolle von komplexen Systemen kann das Kapital, ohne an seine eigenen Grenzen zu stoßen, größere und effektivere Profit-Maschinen konstruieren und gleichzeitig die sozialen Hierarchien schaffen, die am besten geeignet sind, um diese Maschinen am Laufen zu halten. Nehmen wir das Beispiel der Arbeit. Informationstechnologie hat die Intensivierung der Arbeit an einen Punkt getrieben, an dem der Körper des Arbeiters nicht mehr schnell genug ist, um in der Welt der Hochgeschwindigkeitsmarktplätze des Kapitals angemessen zu funktionieren. Der Körper ist eine langsame Konstellation. Biotechnologie kann auch gelesen werden als Versuch, den Körper aufzupeppen, ihn umzudesignen, so dass er mit den Anforderungen der Hochgeschwindigkeitsgesellschaft mithalten kann.

Ihr beschäftigt euch auch mit der so genannten Life Science. Kannst du etwas zu der Bedeutung des dahinterliegenden Konzepts sagen?

CAE: Es geht um die Entwicklung neuer Genkombinationen, in dem man Gene eines Organismus isoliert und sie in einen anderen Organismus einführt. Ewig wurde geglaubt, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Spezies unüberwindbar seien. Heute sind alle Wetten offen. Jede Spezies kann theoretisch mit jeder anderen Spezies kombiniert werden, obwohl die Grenzen dieser Technologie noch nicht bekannt sind. Wenn erst alle Genome kartiert und dechiffriert sind, können hoch funktionale Organismen kreiert werden, um die Interessen der Firmen oder Staaten, die das kontrollieren, zu bedienen. Daher die Rieseninvestitionen des öffentlichen und des privaten Sektors in die verschiedenen Genomprojekte.

Die ideologischen Auswirkungen sind überwältigend. Durch die genetische Forschung sind die Möglichkeiten der Life Designer ins Unermessliche gewachsen. Sie sind nicht länger an den Katalog von Lebewesen gebunden, die bis jetzt existierten. Sie könnten theoretisch eine unendliche Anzahl von Rekombinationen zusammenmixen. Neue Organismen werden schon heute beinahe täglich entwickelt. Die Frage, was passiert, wenn diese Spezies in die Umwelt gelangen, ist von zentraler Bedeutung für ihre spätere Anwendbarkeit. In der Tat testet der Rohstoffmarkt dies schon jetzt, indem er transgene Bakterien, Farmtiere und Pflanzen in die Umwelt aussetzt. Diese Form des Testens ist eine relative Grauzone. Was letztlich passieren wird, ist noch offen. Beides liegt im Bereich des Vorstellbaren: die positiv utopische Variante (die Verheißungen der Gentechnik erfüllen sich ohne Nebenwirkungen für die Umwelt) sowie die negativ utopische Variante (die Horrorszenarien der Gegner werden wahr). Aber das Misstrauen gegenüber der Gentechnik auf der einen Seite und die Propaganda der Befürworter auf der anderen machen eine öffentliche Diskussion extrem schwierig.

Um die Situation noch komplizierter zu machen, befindet sich das Kapital selber mitten in einem ideologisch schizophrenen Moment. Auf der einen Seite ist die Ideologie gegen das Mixen von Kategorien und Spezies immer benutzt worden, um den Anderen zu markieren und Kolonialisierung zu rechtfertigen. Die Kolonialisierten wurden als gefährlich stigmatisiert, weil sie sich nicht an angeblich natürliche Grenzen hielten. Für das westliche koloniale Denken bedeutete das, dass diese Menschen außerhalb der Ordnung standen. Solches Treiben endet in der westlichen Mythologie in dem Erschaffen von Monstern: Bei Verletzung der Reinheitsgebote entstehen Vampire, Werwölfe und Hexen. Aber jetzt, wo dieses Naturgesetz (das Gleiche paart sich mit dem Gleichen) zu einer simplen Grenze wird, die es zwecks Profitmaximierung zu überschreiten gilt, muss das Kapital eine Art schizophrenes Denken produzieren. Koloniale Signifikanten müssen erhalten bleiben, aber gleichzeitig muss das Rekombinieren von Leben akzeptiert werden und soll Eingang in das Alltagsleben finden. Nun, wo das neue organische Reich auf seine Eroberung wartet, müssen Jahrhunderte von ideologischer Setzung neu designt werden. Der erbitterte Streit zwischen Befürwortern der Gentechnik und deren Gegnern ist ein Zeichen dafür. Der Kampf zwischen der utopischen und der desastrischen Form, diese neuen Technologien zu präsentieren, bietet eine dramatische Bühne für ein Theater des Transgenetischen.

Interview Ryan Griffis; Übersetzung Miriam Edding

aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 486 / 20.08.2004