Protestbewegung oder neue Partei?

Im gewerkschaftlichen Umfeld hat sich Anfang März eine Initiative "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" gebildet. Nun soll im Juni über das weitere Vorge­hen, namentlich über die Gründung einer Part

... , beraten werden. In ihrem Aufruf treten die Initiatoren, mehrere IG-Metall-Bevollmächtigte aus Bayern und der Wirtschaftswissenschaftler Herbert Schui, für ein "Bündnis mit allen politischen Kräften und Personen ein, die sich für die Erhaltung und den Aus­bau des Sozialstaats und für ein sozial gerecht finanziertes Gemeinwesen ein­setzen". Aus dem Bündnis, so heißt es weiter, könnte eine "bei der nächsten Bundestagswahl wählbare soziale Alternative entstehen".

Die SPD reagierte prompt und im Stil des Pawlowschen Reflexes. Kaum dass der Aufruf veröffentlicht war, leitete sie Parteiordnungs-Verfahren gegen die Initiatoren - soweit SPD-Mitglieder - ein. Auch ließ der Vorwurf nicht lange auf sich warten, der Aufruf nutze nur der CDU. Die Verantwor­tung für die nächsten Wahlniederlagen ist damit schon heute, gewissermaßen präventiv, geklärt. Offenkundig liegen die Nerven blank.

Wohlgemerkt, noch ist allein zur Bildung eines sozialen Bündnisses aufge­rufen, nicht zur Gründung einer Partei, wenngleich diese Perspektive einge­schlossen ist. Wenn bereits in diesem Stadium die Heilige Inquisition auf den Plan tritt, verrät dies, ganz im Gegensatz zur Aufbruchs-Proklamation des jüngsten Berliner Wahlparteitages, einen bemerkenswerten Verlust an Selbstbewusstsein. Das Echo mag selbst die Initiatoren überrascht haben. Doch wie ernst auch immer die SPD die Bedrohung einschätzt - damit ist noch wenig über Sinn und Erfolgsaussichten des Projekts gesagt. Hier wird man differenzieren müssen.

Auf der einen Seite springt die objektive Notwendigkeit einer Partei für Arbeit und soziale Gerechtigkeit ins Auge. Seit einigen Jahren liegt die wirt­schaftspolitische, soziale und gesellschaftliche Entwicklung in den Händen einer faktischen Allparteien-Koalition. Alle im Bundestag vertretenen Par­teien sehen in der Entfesselung von Markt und Wettbewerb durch Kostensen­kung, Deregulierung und Rückzug des Staates die Lösung der sozialen und ökonomischen Probleme. Zu diesem Zweck werden arbeits- und sozialrechtli­che Bindungen gelockert, wird die soziale Sicherung schrittweise privatisiert, zieht sich der Staat aus Einrichtungen und Leistungen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge zurück. Wir erleben den Wettlauf um die Senkung von Steu­ern und Staatsquote und um vieles andere mehr.

Dabei entpuppt sich die derzeitige parlamentarische Konstellation aus der Sicht der Opfer als schlechteste aller denkbaren Optionen: Eine soziale Oppo­sition findet nicht statt. Im Gegenteil: Was auch immer die Koalition an Deregulierungs-Projekten einbringt - die konservativ-liberale Opposition sattelt noch drauf. So ist es kein Zufall, dass Qualität, Wucht und Tempo neoliberalen Ab- und Umbaus unter Rot-Grün binnen weniger Jahre ein Ausmaß erreicht haben, das den 16jährigen Vorlauf unter Helmut Kohl deutlich übertrifft. Kein Wunder ist es auch, wenn unter diesen Bedingungen die Zahl der Nicht-Wähler/innen kontinuierlich wächst. Die CDU gewinnt ja die Wahlen nicht infolge absoluter Stimmenzuwächse, sondern weil sich potentielle SPD-Wähler/innen enthalten. Entgegen landläufigen Parolen muss dies auch durchaus keine Schande sein. Wenn der Bürger in Zeiten der TINA-Politik  von der PDS abgesehen nur noch die "Wahl" zwischen vier kaum unterscheidbaren For­mationen ein und derselben sozialen Wegelagerei hat, kann Wahlenthaltung zur politisch rationalen Entscheidung werden.1

Es kann ebenso wenig verwundern, dass der Hinweis auf die angeblich noch schlimmere konservative Alternative zunehmend seinen Schrecken ver­liert und der Lockruf des kleineren Übels nur noch wenige überzeugt. Man muss schon, um ein aktuelles Beispiel aufzugreifen, sehr naiv und vergesslich sein, um etwa die Tarifautonomie bei Rot-Grün noch in besseren Händen zu wähnen, ungeachtet allen derzeit von der CDU angezettelten Getöses: Den ersten Stein hat bekanntlich der Bundeskanzler geworfen; erst nach der Androhung gesetzlicher Öffnungsklauseln in der Agenda-Rede beeilten sich CDU und CSU, Gesetzentwürfe vorzulegen.

Daher entbehrt es auch nicht einer gewissen Komik, wenn ausgerechnet aus der SPD der Vorwurf erhoben wird, eine neue Linkspartei nütze der CDU. Wenn jemand Tag für Tag der konservativ-liberalen Opposition in die Hände spielt, dann die derzeitige Regierungsmehrheit. So erfolgreich könnte eine linke Alternative gar nicht sein, als dass sie die rot-grünen Morgengaben noch überbieten könnte, die CDU und FDP derzeit täglich erfahren.

Fehlende parlamentarische Alternative

Die Kehrseite jenes parlamentarischen "Konsenses" liegt auf der Hand: Die Alternative einer solidarischen Gesellschaft, die mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit Ernst macht, die auf staatliche Wachstumsimpulse und auf den Ausbau der gesellschaftlichen Infrastruktur setzt, anstatt Staat und Gesellschaft zu Tode zu sparen, die soziale Risiken gesellschaftlich auffängt, deren Menschenbild nicht durch Ich-AG, Eliten-Förderung und Hinnahme sozialer Ungleichheit geprägt ist, die vielmehr um den Zusammenhang zwi­schen Emanzipation, demokratischer Freiheit auf der einen und sozialer Vor­sorge auf der anderen Seite weiß - eine solche Alternative findet derzeit im Bundestag nicht statt. Dementsprechend spielt sie auch in den Medien bestenfalls eine stiefmütterliche Rolle. Angesichts eines solchen Defizits fehlt in der Tat eine Partei links von Rot-Grün.

Auch die PDS kann diesen Part nicht übernehmen. Sie hat ihre Funktion in den neuen Bundesländern, nicht zuletzt als Hort der Identifikation gegen die täglich schmerzenden Spuren westlicher Inbesitznahme. Doch das Projekt einer emanzipatorischen Entwicklung, die neben der sozialen Sicherung auch die freiheitlichen Chancen der gesellschaftlichen Veränderungen auf­greift, verheißt die PDS derzeit nicht. Zum Beleg muss man noch nicht einmal das rot-rote Trauerspiel im Berliner Senat und die dabei offenbarte Substanzarmut der PDS anführen. Es genügt, an das westdeutsche Wählervotum der letzten Bundestagswahl zu erinnern. Offenkundig gelingt es der PDS nicht, sich aus der Enge ostdeutscher Geborgenheits-Sehnsucht zu befreien.

Bleibt die Hoffnung auf eine Erneuerung der SPD. Doch die scheint nicht in Sicht. Wer sollte auch dafür stehen? Der neue Vorsitzende und sein General­sekretär wohl kaum. Eines muss man dem soeben abgetretenen Parteivorsit­zenden lassen: Er hat die Partei, soweit sie sich im Weltbild und Verhalten der Aktiven manifestiert, auf Kurs gebracht und auf die von ihm betriebene Poli­tik eingeschworen. Der Mut, mit dem einzelne Abgeordnete und Funktionäre sich individuell auflehnen und verweigern, ist aller Ehren wert. Doch Abtei­lungen, Arbeitsgemeinschaften und andere Kräfte, von denen ein Kurswech­sel ausgehen könnte, sind derzeit nicht erkennbar. Eine Erneuerung könnte aus heutiger Sicht nur von außen kommen. Selbst dazu bedürfte es erheb­licher interner wie externer Veränderungen; der Liebesentzug seitens der Gewerkschaften jedenfalls hat bisher keinen sonderlichen Eindruck gemacht.

Bei einer konkurrierenden linken Partei mag das jedoch anders sein - wie die aufgeregten Reaktionen unserer Tage vermuten lassen. Dabei sei freilich vor der Fehldeutung gewarnt, eine neue Linkspartei könnte sich auf die Rolle eines Katalysators zur Erneuerung der SPD beschränken. Eine Neugründung, die sich - positiv wie negativ - über die SPD definiert, würde ersichtlich zu kurz springen. Kurzum, das Land braucht eine soziale und emanzipatorische Alternative - auch zum Wohle der Demokratie. Denn Enttäuschung und Resignation, die sich derzeit in Wahlenthaltung niederschlagen, können, durchsetzt von Abstiegsängsten, auch für rechtsextreme Botschaften em­pfänglich machen.

Derzeit allerdings überwiegt ein anderes Verhalten: Der demokratische "Lümmel" spielt schlicht nicht länger mit. Er kehrt der Regierung den Rücken und verweigert sich der Wahl. Er zeichnet nicht die Riesterrente, setzt immer noch auf die BfA, glaubt nicht an Hartz und Agenda und deren beschäfti­gungspolitische Erfolgsmächtigkeit, sieht im Wegfall des Kündigungsschut­zes keinen Fortschritt, spart trotz Steuerreform statt zu konsumieren und ahnt angesichts unternehmerischer Leistungsnachweise von Esser, Ackermann und anderen, dass etwas aus den Fugen geraten ist und dass womöglich ganz im Gegensatz zur herrschenden Verzichtstheologie noch nie so viel zu vertei­len war wie heute.

Es sind nicht wenige, die sich mit ihren Interessen, Sorgen und Hoffnungen in der Politik nicht wiederfinden. Diese potentiellen Wähler/innen wird im Blick haben, wer über eine neue Partei nachsinnt. Warum sollten sie nicht mit einer überzeugenden Alternative bewogen werden können, zu wählen, anstatt sich zu enthalten? Und ist es nicht gerade ein Vierteljahrhundert her, dass dieses Land eine durchaus erfolgreiche Neugründung erlebte, die der Grünen? Ist also die Zeit reif?

Gerade an diesem Punkt setzen jedoch die Zweifel ein. Noch fehlt das linke, also soziale und emanzipatorische, ökologische und weltoffene Projekt. Erst die Vision einer besseren Zukunft schafft Identifikation, Anziehungskraft und die Bereitschaft mitzuarbeiten. Ein solches Projekt lässt sich jedoch weder dekretieren noch am Schreibtisch oder in gelehrten Hinterzimmern entwickeln. Es kann nur das Ergebnis konkreter Auseinandersetzungen mit den Widersprüchen der herrschenden Politik, ebenso konkreter Konflikte und Aktionen und deren Verallgemeinerung sein. Wer den historischen Vergleich mag: Die Gründung der Grünen Partei stand am Ende, war gleichsam die Frucht eines vorangegangenen, gut zehnjährigen demokratischen Auf­bruchs, die Folge auch einer Friedens-, Frauen- und Ökologie-Bewegung.

Um vergleichbare Ausgangsbedingungen zu erreichen, ist noch einiges zu tun. Verdruss und Enttäuschung über Rot-Grün bieten jedenfalls noch keine ausreichende Plattform für den Aufbruch. Man wird wohl mehr bieten müs­sen als ein bloßes Ventil für potentielle Protestwähler. Hinzu kommt: Die Basis, die eine neue Linkspartei im Blick haben muss, sind ja nicht die leicht­füßigen Wechselwähler/innen, die, aus welchen Gründen auch immer, die Fronten wechseln. Gedacht ist vorrangig an die wachsende Zahl langjähriger SPD-Wähler/innen, die sich mit Partei und Wahlaussagen identifiziert und eine politische Wende erwartet haben und die sich nunmehr verbittert abwenden. Nur macht man es sich vermutlich zu leicht, diesen über längere Zeit von der SPD überzeugten Wählern und Wählerinnen von heute auf mor­gen, ohne programmatischen Vorlauf, eine neue Identifikation bieten zu kön­nen. Die PDS hat dies zum Beispiel nicht geschafft, und zwar nicht nur aus den Gründen, die bereits erörtert wurden.

Arbeit am Programm

Die politische Botschaft der Initiative "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" kon­zentriert sich derzeit noch auf die Themen Beschäftigung und Verteidigung des Sozialstaats, festgemacht an den Beispielen Steuern, Renten, Gesundheit, Bildung und Tarifautonomie. Der Text verrät eindeutig die Handschrift der Gewerkschafter.

Kein Zweifel, die Beschneidung sozialer Leistungen und Rechte löst derzeit die größte Empörung aus. In der Tat muss gerade eine linke Alternative einen Schwerpunkt darauf setzen, die sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft zu erhalten und auszubauen. Doch das kann nicht alles sein. Ein gewerkschaftli­ches Programm für Sozialstaat und soziale Gerechtigkeit wäre zu schmal, um den Aufbruch in eine neue Zukunft zu signalisieren. Programmatische Ver­breiterungen sind daher notwendig.

Tatsächlich werden unter anderem Werte wie Autonomie und Individua­lität größeres Gewicht erhalten müssen. In einem Punkt haben die Kritiker des Sozialstaats durchaus Recht: Wichtige Elemente sozialer und arbeits­rechtlicher Sicherung spiegeln in ihrer Fixierung auf abhängige Erwerbsar­beit und auf das Leitbild des kontinuierlichen, männlich dominierten Vollzeit-Arbeitsverhältnisses eine gesellschaftliche Realität von gestern wider. Insofern sind Reformen überfällig - allerdings nicht solche des Abbaus, son­dern jene der Ausdehnung sozialen Schutzes. Dabei geht es um mehr als allein um zusätzliche Finanzierungsquellen, auch um mehr als um die Bürgerversicherung. Differenzierung ist angesagt. Die Frage lautet: Ist es eigentlich nur dem Mangel geschuldet, wenn Teilzeitarbeit zunimmt, diskontinuierliche Erwerbsbiographien und Beschäftigungswech­sel Verbreitung finden? Ist die Delegation von Verantwortung im Arbeitspro­zess nur die Leimrute zur Selbstausbeutung? Oder liegen in alledem nicht tat­sächlich auch Chancen der Emanzipation, auch unter Nutzung immanenter Widersprüche jener Angebote?

Dies setzt jedoch voraus, dass arbeitsrechtlicher Schutz und soziale Siche­rung auf andere Beschäftigungsformen, gegebenenfalls auch auf Arbeits­unterbrechungen, wie etwa Qualifikations- und Elternzeiten, ausgedehnt werden. Die gesellschaftliche Diskussion darüber steht allerdings noch aus. Wer Arbeitslosigkeit überwinden will, muss Arbeit umverteilen. Geboten ist also das Gegenteil von dem, was uns derzeit in einem Wettlauf kollektiven Wahnsinns angesonnen wird: In Zeiten der Arbeitslosigkeit denen, die Arbeit haben, längere Arbeitszeiten abzuverlangen, bedeutet, noch mehr Menschen den Zugang zur Arbeit zu versperren.

Ein neuer Anlauf zur Arbeitszeitverkürzung kommt freilich nicht umhin, den unterschiedlichen Bedürfnissen, Arbeitsanforderungen und Lebenslagen Rechnung zu tragen und folglich differenzierte Ansprüche auf selbstbe­stimmte Freizeit zu begründen. Jede Arbeitszeitverkürzung muss überdies flankiert werden von Einrichtungen und Anreizen, die Familien- und Repro­duktionsarbeit zwischen den Geschlechtern gerecht zu verteilen. Eine Partei der sozialen Alternative wird aus dem Dunst männlicher Weltsicht heraustre­ten und der Geschlechterdemokratie hohen Rang einräumen müssen - nicht nur bei der Arbeitszeitgestaltung, sondern ebenso in Sachen Entgeltgleich­heit und bei der Überwindung prekärer Beschäftigung.

Der Aufruf erwähnt die Bildungspolitik und fordert Chancengleichheit und eine bessere Ausstattung der Bildungseinrichtungen. Die weiter gehende Frage müsste jedoch auch auf das Menschenbild hinter den Bildungszielen gerichtet sein. Welche Anlagen sollen gefördert werden: mit Vorrang instru­mentelle Vernunft und ökonomisch verwertbare Tüchtigkeit oder nicht auch gleichrangig musische Begabung, Phantasie und soziale Kompetenz? Obwohl wir die PISA-Ergebnisse kennen, fahren wir fort mit Konkurrenz, Leistungsdruck und Punkte-Drill, noch dazu in verkürzter Schulzeit - und wundern uns über Verkrüppelungen und soziale Auslese.

Dass der Ausverkauf öffentlicher Güter gestoppt werden soll und Privatisie­rungen rückgängig zu machen sind, wird unter Linken kein Streitpunkt sein. Doch welche Gestalt öffentliche Einrichtungen im Interesse von Bürgernähe, Transparenz und demokratischer Teilhabe annehmen müssen, darüber wäre eine breite politische Debatte anzuzetteln.

Öffentliche Einrichtungen stehen unter anderem für Versorgungsgerech­tigkeit. Die Teilhabe an gesellschaftlich notwendigen Leistungen dagegen allein Markt und Kaufkraft anheim zu geben, erzeugt Ungleichheit. Diese wird von konservativer Seite unverhohlen eingefordert und auch vom neuen sozialdemokratischen "Gerechtigkeits"-Diskurs keineswegs ausgeschlossen. Aufgabe der Linken müsste es deshalb sein, dem Gleichheitsgebot wieder Geltung zu verschaffen.

Jüngst erteilte uns das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Lauschangriff eine Lektion in Sachen Selbstbestimmung und Menschen­würde. Gleiches wäre im Bereich der Arbeitsvermittlung vonnöten. Die gänz­liche Aufhebung der Zumutbarkeitssperre, also die Befugnis, Langzeitar­beitslosen das Arbeitslosengeld II selbst dann zu sperren, wenn sie unzumutbare Arbeit ablehnen, ist, vorsichtig formuliert, nicht weit von Zwangsarbeit entfernt. Man bedient sich des Modeworts "Kunde" und nähert sich den Armen- und Arbeitshäusern calvinistischer Provenienz. Hier hätte grundsätzliche Kritik am Menschen- und Gesellschaftsbild der herrschenden Agenda-Politik anzusetzen.

Natürlich ist ein Aufruf (noch) kein Programm. Zu Recht ruft die Initiative deshalb primär zu einem sozialen Bündnis auf und schließt erst in einem zwei­ten Schritt eine "wählbare soziale Alternative" ein. Aufgabe des Bündnisses müsste es tatsächlich sein, zur Debatte einzuladen, sich an konkreten Ausein­andersetzungen zu beteiligen und an deren Verallgemeinerung mitzuwirken. Erst auf dem Boden gesellschaftlicher Vorarbeit erwachsen programmatische Antworten, die Zukunft verheißen, bildet sich eine politische Kultur, die zugleich persönliche Anziehungskraft verspricht, und entsteht ein Mindest­maß an organisatorischer Stabilität und Kontinuität, ohne die politische Ver­bindlichkeit nicht zu haben ist.

Fehlt es an diesen Voraussetzungen, käme die neue Partei auf den Stelzen einer Honoratioren-Vereinigung daher, die sich noch dazu mit beachtlichem Aufwand des Zustroms der Sektierer aller Städte und Gemeinden zu erweh­ren hätte. In einem solchen Zustand wird man bei Wahlen schwerlich reüssie­ren. Begreift sich die Initiative dagegen vorerst als Aufruf zur Sammlung im vorparlamentarischen Raum, könnte ihr durchaus Erfolg beschieden sein.

aus: Blätter für deutsche und internationale Politik Mai/2004