Berliner PDS im Auge des Taifuns

in (11.06.2004)

Als kürzlich der PDS-Landesverband Berlin im Abacus-Hotel am Tierpark eine positive Halbzeitbilanz seiner Regierungsbeteiligung zog, stimmte Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner ein Klagelied an: ...

... "Es nutzt herzlich wenig, wenn meine persönliche Bilanz positiv ausfällt, ich aber gleichzeitig für alles in Haftung genommen werde, was die rot-grüne Bundespolitik den Einkommensschwachen, den Kranken oder den RentnerInnen gegenwärtig zumutet... Meine Postmappen sind voll von empörten und enttäuschten Briefen, die eigentlich auf den Tisch der Bundesregierung gehören. Aber die betroffenen Menschen unterscheiden nicht mehr, wer wofür die Verantwortung trägt, und ich kann es ihnen nicht einmal übelnehmen. Der allgemeine Frust über Sozialabbau, soziale Ungerechtigkeit und Deregulierung sitzt tief, und manche Enttäuschung über das, was wir in Berlin tun, und die Schärfe der Kritik erklären sich auch aus dieser allgemeinen Stimmungslage. Das müssen auch unsere Kritikerinnen und Kritiker zur Kenntnis nehmen."
Soweit die Klage der Senatorin. Als Kritiker der Regierungsbeteiligung nehme ich sie wunschgemäß zur Kenntnis, aber mein Mitleid hält sich in Grenzen. Schließlich ist es eine alte Weisheit: Wer mit dem Teufel tanzt, der riecht nach Pech und Schwefel. Und solange der Tanz anhält, wird der Geruch nicht verschwinden. Knake-Werner ahnt das, und so versuchte sie, mit einer erstaunlichen Argumentation neuerlicher Kritik vorzubeugen. Betonend, daß keine andere Partei als die PDS Schröders Agenda 2010 in Frage gestellt habe, rief sie aus. "Aber, Genossinnen und Genossen: Nein sagen allein reicht für Regierungsarbeit nicht! Die Bundesgesetze machen um Berlin deshalb noch lange keinen Bogen. Harald Wolf und ich werden nämlich dafür verantwortlich gemacht, wenn durch das Gezerre zwischen SPD und CDU auf Bundesebene die Betroffenen in Berlin ihr Geld nicht pünktlich am 1.1.2005 bekommen... Das setzt einen gewaltigen Umstrukturierungsprozeß voraus, auf den wir uns gemeinsam mit den Bezirken und Arbeitsagenturen vorbereiten. Und im Bundesvergleich stehen wir sehr gut da. Aber ich wette, auch hier kommt wieder ein Schlaumeier, der uns vorwirft, daß die PDS vorneweg in Berlin die Agenda 2010 umsetzt."
Die PDS-Senatorin hat die angebotene Wette schon gewonnen, denn sie selbst, jedem Schlaumeier zuvorkommend, ist es, die sich und ihren Kollegen Wirtschaftssenator rühmt, bei der Vorbereitung auf die Einführung des Arbeitslosengeldes II, des abscheulichen Kernstücks der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze, im Bundesvergleich sehr gut dazustehen. In ihrer Sorge darum, daß die Betroffenen ihr Geld pünktlich zum Jahresbeginn bekommen, geht sie stillschweigend darüber hinweg, daß den Zehntausenden von Langzeitarbeitslosen in der Hauptstadt ihre erbärmliche Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der noch jämmerlicheren Sozialhilfe abgesenkt oder - in Abhängigkeit vom Familieneinkommen - völlig gestrichen wird. Für letztere gibtÂ’s dann pünktlich nichts mehr.
Statt den Widerstand zu organisieren, beschränkt sich die Berliner PDS-Füh-rung auf eine verbale Verurteilung der Agenda 2010, um gleichzeitig dafür zu sorgen, daß dieser Sozialraub möglichst reibungslos über die Bühne geht. Ihr Vorgehen gleicht dem königlich-preußischer Beamten, die die Todesstrafe ablehnten, aber gleichzeitig dafür Sorge trugen, daß die Guillotine gut geschmiert und das Fallbeil schön scharf war. Dieser Widerspruch zwischen Wort und Tat, zwischen dem proklamierten Eintreten für eine "Agenda sozial" und der Mitwirkung an der Schröderschen "Agenda brutal" hat die PDS in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gestürzt, in der ihr Mitglieder davonlaufen, Wähler sich abwenden und linke und soziale Bewegungen die Zusammenarbeit verweigern.
Urteilt man nach dem Verlauf des letzten Parteitages der Berliner PDS, dann scheint es, daß die Delegierten diese von ihrer Führung verursachte Krise ziemlich gelassen betrachteten. Kein Meinungsstreit, mit Ausnahme einer kritischen Rede der Sprecherin der Kommunistischen Plattform, Ellen Brombacher, keine Auseinandersetzung über den künftigen Kurs. Stattdessen Friede, Freude, Eierkuchen. Die hauptstädtische Presse war sich einig, als sie feststellte, daß der Parteitag in "netter Stimmung" und in "Harmonie" verlief.
Landes- und bundesweit ist die PDS schweren Stürmen ausgesetzt, die ihre zerstörerische Energie vor allem von der opportunistischen Politik in Berlin beziehen, doch die im Abacus-Hotel Versammelten wähnten sich auf der sicheren Seite - im Auge des Taifuns begrüßten sie am trügerischen blauen Himmel die Sonne. Brav folgte die große Mehrheit der 110 Delegierten, über deren Zusammensetzung nach Beruf, Tätigkeit, hauptamtlicher oder ehrenamtlicher Funktion, Alter und anderem es erneut keine Informationen gab, ihren Vorderleuten, die ihre "Politik des kleineren Übels" rechtfertigten und die Interessen der Gesamtpartei wie auch aller linken Kräfte in Deutschland unbeachtet ließen. Selbst eine Forderung der Kommunistischen Plattform, im 1. Quartal 2005 eine Analyse über die Auswirkungen der PDS-Regierungsbeteiligung auf den Landesverband vorzulegen, wurde abgelehnt. Der Antrag wurde nicht einmal behandelt.
Augen zu und durch! Vorwärts auf dem schwierigen, aber leider alternativlosen Sparkurs der Haushaltskonsolidierung! Hier gleicht die Politik der Berliner PDS-Spitze der Linie der SED-Führung in der Endphase der DDR. "Vorwärts auf dem bewährten Kurs des IX. Parteitages!", forderte man damals, nahm aber die Auswirkungen dieser Politik und die gesellschaftlichen Realitäten der Einfachheit halber nicht mehr zur Kenntnis.
Ein Unterschied allerdings fällt ins Auge. Während die SED-Führung "perestroika und glasnost" à la Gorbatschow ablehnte - aus gutem Grunde, wie man heute klarer als damals sieht -, möchte PDS-Senator Harald Wolf sie wieder aufs Panier schreiben: "Angesichts der finanziellen und wirtschaftlichen Probleme, die Berlin hat, greift der vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit proklamierte Mentalitätswechsel zu kurz. Wir brauchen Perestroika und Glasnost für Berlin." Ob dieser Rückgriff auf die Losung eines vermeintlichen Hoffnungsträgers, der sich später öffentlich zum lange geplanten Verrat am Sozialismus bekannte, dazu beiträgt, daß Knake-Werner eines Tages statt Klagelieder Freudengesänge anstimmen kann, ist fraglich.

aus: Ossietzky 12/2004