IG Metall auf dem Rückzug

in (29.02.2004)

Die sich selbst gern "größte Einzelgewerkschaft der Welt" nennende IG Metall möchte nach dem jüngsten Tarifabschluß der Öffentlichkeit weismachen, sie habe unter den gegebenen Umständen gut ver

... Das ist Schönfärberei. Die Verantwortlichen sollten ehrlich genug sein, ihre gegenwärtige Schwäche zuzugeben. Sie haben einen faulen Kompromiß geschlossen, einst mühsam errungene Positionen aufgegeben, den tarifpolitischen Rückzug beschleunigt.
Nach den Warnstreiks Anfang Februar hatte der Gewerkschaftsvorsitzende Jürgen Peters noch Hoffnung verbreitet: "Aus einer Tarifrunde ist jetzt eine Tarifbewegung der Belegschaften geworden" - eine "Bewegung", noch dazu derer, die die Suppe auszulöffeln haben, das klang gut. Endlich schien dem Klassenkampf von oben eine Gegenbewegung zu erwachsen, die mit Streiks und Massenprotesten in der Lage wäre, den neoliberalen Durchmarsch im Regierungs-, Wirtschafts-, Hochschul- und Medienlager zu stoppen.
Doch bevor überhaupt richtig zur Gegenwehr geblasen wurde, haben die Ta-
rifexperten auf ihrer "Runde" bestanden und die Kapitulationsurkunde ausgehandelt - nicht ohne dramatische Inszenierung bis nachts um 4.30 Uhr...
Auf allen drei Konfliktfeldern ist die Gewerkschaft eingeknickt: 1. Lohnangleichung, 2. Arbeitszeitverlängerung, 3. weitere Demontage des Flächentarifvertrages. Am schmählichsten scheiterte sie bei der Lohnangleichung. Mit der unverständlich niedrigen Forderung nach 4 Prozent war sie in die Tarifauseinandersetzung gegangen, begründet mit der geschätzten Steigerung der Preise um 1,5 Prozent und der Produktivität um 2,5 Prozent. Die Arbeitgeber waren so generös, 1,2 Prozent anzubieten. In der Rechnung der IG Metall fehlte nicht nur die Forderung nach Umverteilung der extrem gestiegenen Gewinnmargen (nachdem zum Beispiel der Daimler-Chrysler-Vorstand für 2003 sein "operatives Gewinnziel" mit 5,1 Milliarden Euro "leicht übertroffen" hatte). Auch war ein Ausgleich für die Belastungen durch die Demontage des Sozialstaates (Agenda 2010) offenbar gar kein Thema. Viel zu niedrig war die Forderung auch deshalb, weil überhaupt kein Verhandlungsspielraum eingerechnet war.
Wie nach solcher Demutsgeste zu erwarten, mußte sich die IG Metall jetzt mit ganzen 1,9 Prozent zufrieden geben, also mit nicht einmal der Hälfte ihrer Forderung. Diese exakte Prozentzahl unter der 2 wird jedoch von allen Seiten als 2,2 Prozent ausgegeben - eine glatte Lüge. Die regelmäßige Angleichung der Bruttomonatslöhne ab März liegt nur bei 1,5 Prozent, dazu gibt es im März einmalig 4,2 Prozent (Ausgleich für Januar und Februar) und einmalig im Oktober 4,5 Prozent Sonderzahlung. Diese Vereinbarung gilt bis einschließlich Februar 2005, also 14 Monate. Für die folgenden 12 Monate wurde eine Angleichung um 2 Prozent mit einigen weiteren Sonderzahlungen, beschlossen. Auf den Lohnabrechnungen der meisten Monate wird die Anpassung netto unter 1 Prozent liegen, wegen der Steuerprogression. Die Beschäftigten werden also mit einem "Ausgleich" unter der zu erwartenden Inflationsrate abgespeist. Die Kaufkraft wird demnach 2004 erneut zurückgehen. Damit ist wegen der lahmenden Binnenkonjunktur weiterer Arbeitsplatzabbau auch in anderen Branchen vorprogrammiert: Hinzu kommt, daß der Produktivitätszuwachs zur Gänze von der Unternehmerseite eingesackt und zu verschärfter Rationalisierung und "Verschlankung" führen wird.
Das zweite Thema "Arbeitszeitverlängerung" war von Arbeitgeberseite geschickt mit dem Reizthema "Lohnsenkung" verbunden worden: Sie verlangten bei Bedarf die Ausdehnung von 35 auf 40 Wochenstunden ohne Lohnausgleich, d.h. eine Senkung der Stundenlöhne um 12,5 Prozent. Dazu vermittelten die Unternehmerpropaganda-Medien die neoliberale Sicht der Dinge, wonach nur die IG Metall mit ihrer "Hochlohnpolitik" (Handelsblatt) schuld an der Arbeitslosigkeit sei: "Nach einer Untersuchung des Ifo-Instituts würde eine Lohnsenkung von durchschnittlich zehn bis 15 Prozent ausreichen, um die Arbeitslosigkeit weitgehend zu beseitigen." (HB 5. 2. 04) Nach dieser Logik müßte in den östlichen Landesteilen mit längeren Arbeitszeiten und rund zehn Prozent weniger Lohn längst Vollbeschäftigung herrschen. Tatsächlich aber sind dort doppelt so viele Menschen arbeitslos wie im Westen. Die Realitätstauglichkeit des neoliberalen Credos, wonach die Ware Arbeitskraft wie jede Ware ihren Käufer finden würde, sobald man ihr nur die Freiheit ließe, sich im Preis anzupassen, kann in jedem Dritte-Welt-Land überprüft werden. Das Handelsblatt aber bedauerte: "Bisher hat die IG-Metall die Warnung, keine Tarifpolitik gegen die Kräfte der Globalisierung zu betreiben, in den Wind geschlagen."
Den Tarifexperten der IG Metall wird es in der "Runde" mit der Arbeitgeberseite - unter Augenzwinkern - nicht schwer gefallen sein, das Thema "generelle Senkung der Stundenlöhne" vom Tisch zu schieben (um es unter der Hand weiter zu traktieren) und sich so als Retter vor Lohnraub auszugeben. Dafür mußten sie aber einen Preis zahlen, nämlich die Ausweitung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden (zunächst begrenzt auf 50 Prozent der Beschäftigten), sobald die Auftragslage in den Betrieben es verlangt. Zwar soll die Mehrarbeit in der Regel bezahlt werden, aber der bisher für Überstunden fällige Zuschlag von 25 Prozent entfällt. Insofern sinken die Bruttolöhne. Das eigentliche Ziel aber war die Abschaffung der in langen Jahren von IG Metallern erkämpften 35-Stunden-Woche. Die Bild-Zeitung brachte deshalb völlig zu Recht am 13. Februar die Schlagzeile "40-Stunden-Woche offiziell wieder da!"
Die Metall-Unternehmer hatten sich als drittes Ziel gesetzt, den Flächentarifvertrag weiter zu demontieren. Sie waren mit der Maximalforderung in die Verhandlung gegangen, über Ausweitung der Arbeitszeit und Senkung der Löhne allein in den Unternehmen zwischen Chef und Betriebsrat beschließen zu lassen, ohne Mitwirkung der Gewerkschaft. Eine derartige Praxis kann vor allem im Osten studiert werden, wo mehr als die Hälfte der Betriebe den Flächentarifvertrag nicht für sich gelten lassen, so daß die Betriebsräte regelmäßig zu Vereinbarungen unter Tarif gezwungen sind. Im Vorfeld der Verhandlungen verwies die IG Metall darauf, daß sie bisher schon sehr flexibel agiert und in 30 Prozent der Betriebe Abweichungen vom Flächentarifvertrag zugelassen habe. So versicherte der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann: "Selbstverständlich gibt es Unternehmen wie die Werft HDW, bei denen die IG Metall Mehrarbeit ohne Lohnausgleich zugestimmt hat."
Und genau so kam es dann: Gesamtmetall zog die Forderung nach Ausschluß der Gewerkschaft von den Betriebsvereinbarungen zurück, dafür machte die IG Metall weitere Zugeständnisse in Richtung "Flexibilisierung" des Flächentarifvertrages. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt sprach von "einem ›bemerkenswerten Ansatz‹, da eine Erhöhung oder Senkung der Wochenarbeitszeit mit oder ohne vollen Lohnausgleich künftig nicht nur in Härtefällen, sondern auch zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Investitionsbedingungen ermöglich werden soll" (FAZ). Hundt drohte: "Wir werden die IG Metall beim unterzeichneten Wort nehmen, und es muß sich erweisen, inwieweit diese Zielsetzung in den Betrieben umgesetzt wird." Die Metallgewerkschaft saß in der Zwickmühle: Sollte sie ihrem Ausschluß aus den Betriebsvereinbarungen zustimmen oder ihre weitere Anpassung an die Kapitalinteressen unterschreiben? Sie entschied sich für Letzteres, womit sie wohl noch mehr Mitglieder verprellen wird. Denn seit wann werden Lohnsenkungen erträglicher, sobald meine Gewerkschaft sie mitbeschlossen hat?
Nach außen wird der Tarifabschluß als "ein guter Kompromiß" (Bild) verkauft, der Kanzler ist "erleichtert", und sein Wirtschaftsminister wertet das Ergebnis als "Stützungsmaßnahme für den sich abzeichnenden Aufschwung" (FR). Auch der Arbeitgeberpräsident war zunächst zufrieden. Daß inzwischen die Scharfmacher der Kapitalseite das Ergebnis schlechtreden, "ein tarifpolitisches Waterloo" (FAZ) an die Wand malen oder die Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite beschimpfen, sie seien als "Bettvorleger" (Handelsblatt) geendet, gehört zum Handwerk und dient der Positionierung für die nächste Runde im Klassenkampf von oben. Und es hilft der IG Metall, sich als Hans im Glück darzustellen, stolz auf jedes Verlustgeschäft.

aus: Ossietzky 04-04