Ohne Rente sehen alle ganz schön alt aus

Für ein solidarisches existenzsicherndes Rentensystem!

"Wir brauchen jetzt [...] eine politische Allianz von Kräften, die den Mut hat, einer selbstzufriedenen Generation die laufende Rechnung zu präsentieren: Rentenerhöhungen auch nur im Rahmen des Inflationsausgleichs sind bis auf weiteres auszusetzen [...]"1

Renten sind zu einem Jugendthema geworden. Immer unverhohlener behaupten v.a. jüngere Bundestagsabgeordnete von SPD und Grünen bis CDU / CSU und FPD, die Alten fräßen den Jungen die Haare vom Kopf. Deshalb müssten im Interesse der Jugend jetzt endlich auch mal die RentnerInnen den Gürtel enger schnallen. Unter dem populären Slogan "Generationengerechtigkeit" werden dann Verschärfungen für RentnerInnen gefordert: Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Kürzungen beim Rentenniveau oder sogar die schrittweise Privatisierung des Rentensystems. Alles im Interesse der jungen Generation, versteht sich. Die jungen Bundestagsabgeordneten behaupten, sie verträten mit solchen Forderungen die Interessen der Jugendlichen. Das ist falsch.

Gegen Panikmache mit der "Alterspyramide"
In einer Zeit, in der alle zu RentenexpertInnen werden können, die in der Lage sind, eine Pyramide aufs Blatt zu malen und dazu ein sorgenvolles Gesicht zu machen, haben es die Stimmen der Vernunft nicht leicht. Tatsächlich unterliegt das System der Altersversorgung strukturellen Problemen wie der steigenden Rentenbezugsdauer (aufgrund der verlängerten Lebenserwartung), der sinkenden Geburtenrate und sich verändernden Familienstrukturen. Diese demografischen Veränderungen müssen jedoch niemanden in Angst und Schrecken versetzen. Denn das Verhältnis zwischen Alten und Jungen ist nur ein Teil der Geschichte. Wenn z.B. die Produktivität steigt, dann können auch weniger mehr Menschen versorgen. Relevant ist somit die Relation zwischen gesellschaftlichem Reichtum und sozialen Ausgaben wie der Altersversorgung. Nach einer Prognose des DIW wird es im Jahr 2050 etwa so viele Menschen über 60 Jahre geben wie Menschen zwischen 20 und 60 Jahren (1999 lag das Verhältnis noch bei etwa 41 %). Allerdings stieg allein in den Jahren 1990 bis 1998 das Bruttoinlandsprodukt um 38 %, über den Zeitraum von 1950 bis 1990 gar um 473%2. Selbst wenn sich also in den nächsten 20 Jahren die Anzahl der RentnerInnen im Verhältnis zur erwerbstätigen Bevölkerung verdoppeln sollte, stellt das noch nicht automatisch ein Problem dar. Die Zahlen zeigen vielmehr, dass die Gesellschaft genügend Reichtum erwirtschaftet, der ein sorgenfreies Leben für Alte wie Junge ermöglicht.

Keine Frage der Generationen, sondern der Verteilung
Das bestehende umlagefinanzierte Rentensystem basiert zu großen Teilen auf den Rentenbeiträgen der Erwerbstätigen. Wie viel Geld sich in den Rentenkassen befindet, hängt maßgeblich von Lohnhöhe, Erwerbs- und Arbeitslosenquote ab. Die Reallöhne sind aber seit den 80er Jahren in vielen Bereichen trotz Produktivitätssteigerung gesunken oder haben stagniert. Dies hat die Finanzkrise der Rentenversicherung verschärft. Anders herum gilt: Eine saftige Bruttolohnerhöhung würde die Rentenkassen insgesamt deutlich entlasten. Die jährliche Anpassung der Renten an die Entwicklung der Nettolöhne bliebe dann beibehalten, ohne dass die Erwerbstätigen dadurch automatisch real schlechter gestellt würden. Das größte Problem für das bestehende Rentensystem ist jedoch die herrschende Massenarbeitslosigkeit, denn Arbeitslose fallen als BeitragszahlerInnen aus. Hinzu kommt die zunehmende Auflösung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse zugunsten prekärer und häufig scheinselbständiger Erwerbstätigkeiten - eine Entwicklung, die durch die rot-grüne Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre weiter vorangetrieben wurde.
Vor dem Hintergrund der herrschenden Massenarbeitslosigkeit ist es somit unsozial und ökonomisch widersinnig, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Dies würde nur zu mehr Arbeitslosigkeit führen.

Generation Teneriffa? Denkste!
Immer wieder bekommt man zu hören, die Gesetzliche Rentenversicherung ermögliche den RentnerInnen einen Lebensabend in Saus und Braus. Die nackten Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache: So beliefen sich im Jahre 2001 die durchschnittlichen Altersrenten in der Arbeiterrentenversicherung auf 1.624 DM (Männer) bzw. 691 DM (Frauen). In der Angestelltenversicherung lagen die Durchschnittswerte bei 1.113 DM (Männer) und 1.098 DM (Frauen). Eine Rente von 2.500 DM und mehr erhielten in der Arbeiterrentenversicherung 5,5 % der Männer und 0 % der Frauen. In der Angestelltenversicherung wird dieser Betrag von 37,2 % der Männer und 1,8 % der Frauen erreicht. Renten von mehr als 3.000 DM ließen sich in beiden Versicherungszweigen nur für Männer feststellen, bei der Arbeiterrentenversicherung erhielten diesen Betrag 0,5 % und bei der Angestelltenversicherung 5,3 % der Männer.
Mit einer Rente von weniger als 1.000 DM hingegen mussten in der Arbeiterrentenversicherung 22,6 % der Männer und 70,4 % der Frauen zurecht kommen, in der Angestelltenversicherung 11,3 % der Männer und 45,8 % der Frauen3.
Im Ergebnis widerspiegelt diese Rentenschichtung die Erwerbsposition und die Hierarchie der Erwerbseinkommen. Zwar ist es richtig, dass Alter nicht für alle Menschen Armut bedeutet (und das ist eine große historische Errungenschaft!), für einige aber sehr wohl. Beispielsweise Frauen, die aufgrund von Erziehungszeiten keine ausreichenden Versorgungsansprüche erwerben konnten oder MigrantInnen, v.a. der ersten Generation, die erst spät versicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse aufnehmen konnten oder die auf dem Arbeitsmarkt rassistische Ausgrenzung erfahren, sind potenziell im Alter von Armut betroffen. Das gleiche gilt für Personen, deren Erwerbsbiographien aus anderen Gründen (z.B. in Folge von Behinderung oder lediglich geringfügiger Beschäftigung) unterbrochen sind und natürlich solche Menschen, die über längere Zeit arbeitslos waren und somit auch nur geringere Ansprüche erwerben.
Viele Menschen sind hier gleich mehrfach betroffen. Jede weitere pauschale Leistungskürzung bei der gesetzlichen Rente würde die Situation für diese Menschen nur weiter verschärfen. Gleichzeitig ist Reichtum im Alter gerade nicht in erster Linie auf opulente Zahlungen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung zurückzuführen, sondern viel mehr auf Immobilienbesitz oder anderes Vermögen, das im Laufe des Lebens angehäuft wurde. Eine Politik der Umverteilung muss hier ansetzen, um soziale Ungerechtigkeiten zu reduzieren, z.B. durch eine allgemeine Vermögenssteuer für Alt und Jung.

Gezielte Panikmache zur Demontage des Rentensystems
Die Entwicklung der letzten Jahre gehen jedoch noch über diese quantitativen Verschlechterungen hinaus. So wird inzwischen ganz offen die gesetzliche Rentenversicherung in Frage gestellt und die Privatisierung der Altersversorgung gefordert.
Mit der "Riester-Rente" wurden bereits entscheidende Weichenstellungen weg von der umlagefinanzierten hin zu einer kapitalgedeckten Altersversorgung vorgenommen. Praktisch bedeutet eine Umstellung auf Kapitaldeckung, dass der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung gesenkt werden und die abhängig Beschäftigten statt dessen einen Teil ihres Nettolohnes mittels privater Sparverträge am Kapitalmarkt anlegen sollen. Mit der Umstellung werden damit also im Ergebnis nur die Unternehmen entlastet, da der wegfallende Arbeitgeberanteil nicht an die Beschäftigten ausgezahlt wird. Faktisch ist das also eine Lohnkürzung, denn natürlich gehört auch der so genannte Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungen zum Lohn. Eine kapitalgedeckte Altersversorgung bringt zudem offensichtlich auch keineswegs die häufig behauptete Entlastung der abhängig Beschäftigten. Schließlich müssen die Lohnabhängigen die eingesparten Sozialversicherungsbeiträge sofort wieder anlegen, um künftig überhaupt noch eine Rente zu erhalten. Insbesondere Frauen diskriminiert die Privatisierung von Elementen des Rentensystems.4 Ein vollständig individualisiertes Kapitaldeckungsverfahren, wie es die unter Rot-Grün eingeführte "Riester-Rente" vorsieht, setzt den bestehenden sozialen Ungleichheiten zwischen arm und reich nichts entgegen, sondern verschärft diese und überträgt die Risiken auf die Individuen.
Zudem ist es auch ökonomisch nicht haltbar, dass sich mit einer kapitalgedeckten Altersversorgung aus dem Generationenbezug aussteigen ließe. Bei jedem Finanzierungssystem wird entschieden, welche Belastungen auf die Jüngeren durch Konsumeinbußen zukommen und welche Belastungen die Älteren durch verminderte Rentenansprüche tragen. Beim Umlageverfahren erfolgt diese Entscheidung über den politisch-demokratischen Prozess, bei kapitalgedeckten Systemen über "anonyme" Marktprozesse - mit all ihren politisch nicht kontrollierbaren Risiken - hinter dem Rücken der Akteure.

Das alles verteidigen und noch viel mehr
Der Kampf um die Beibehaltung der bestehenden umlagefinanzierten Altersvorsorge ist nicht mehr als eine Abwehrmaßnahme gegen den neoliberalen Umbau der sozialstaatlichen Sicherungssysteme. Auch wenn fortschrittliche Menschen momentan gezwungen sind, die umlagefinanzierte Rentenversicherung zu verteidigen, so muss festgestellt werden, dass diese in der Tat reformbedürftig ist - allerdings, weil es viel zu vielen alten Menschen noch viel zu schlecht geht! Eine stabile Existenz sichernde Alterversorgung kann mittelfristig nur durch den Abbau der Arbeitslosigkeit und eine Politik der Umverteilung von oben nach unten gewährleistet werden. Zudem ist der BeitragszahlerInnenkreis auf Selbständige und BeamtInnen auszuweiten. Und es müssen alle Einkommensarten, etwa auch aus Unternehmensgewinnen, Kapitaleinkünften oder Vermietung, in die Beitragsgrundlage einbezogen werden. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb nur die abhängig Beschäftigten mit ihrem Einkommen die Altersversorgung absichern sollten.
Vorsicht ist allerdings dabei geboten, umstandslos eine verschiedentlich ins Spiel gebrachte "Bürgerversicherung" zu befürworten: Oftmals verbergen sich hinter diesem Schlagwort unsoziale Konzepte, die Ansprüche von DurchschnittsverdienerInnen weiter beschneiden und insb. die Unternehmen von Lohnnebenkosten weiter entlasten sollen. Prinzipiell ist eine Reform der Rentenfinanzierung auf die - politisch stärker eingriffsfähige - Steuerfinanzierung zu begrüßen; dies darf jedoch nicht zur Entlastung der Unternehmensanteile am Finanzierungsaufkommen führen, sondern muss - im Gegenteil - Gewinnerträge noch deutlich stärker zur Überwindung von Altersarmut heranziehen. Langfristiges Ziel muss eine von der Erwerbsarbeit unabhängige Mindestsicherung sein. Hierzu sind weit reichende Veränderungen im Steuersystem nötig, so dass eine Entkopplung der Finanzierung der Altersicherung von den Löhnen in der Summe gerade nicht zugunsten des Kapitals ausfällt!
Die aktuell unter dem Schlagwort "Generationengerechtigkeit" diskutierten Pläne hingegen sind grob irreführend. Sie dienen dazu, soziale Errungenschaften abzubauen und die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme weiter voranzutreiben. Denn noch immer gilt: Der entscheidende Verteilungskonflikt verläuft nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeit und Kapital!

Jörg Schindler ist Jurist und Mitglied im Bundesarbeitskreis Wirtschaft und Soziales der JungdemokratInnen - Junge Linke.

Anmerkungen:

1 Schubert, Die Generation Teneriffa, taz vom 21./22.06.2003.
2 Schlecht, Agenda 2010: Lohnsenkung statt Zukunftsinvestitionen?, in: Sozialismus 6/2003.
3 Alle Zahlen aus Datenreport 2002.
4 Vgl. Bieback, Forum Recht (FoR) 2001, 48 ff.; Perlitius, FoR 2002, 87ff.