Polemik für den Wind

Schöne, fast unberührte Naturlandschaften gibt es in Deutschland kaum noch. Vielmehr ist dieses Land durch jahrhundertelange Tätigkeit des Menschen geformt. Windkrafträder sind heute ein Teil von

Ihren Artikel "Windkraft - eine Märchenstunde" (Nr. 21/03; Autor: Klaus Hart) empfand ich als klare Polemik. Vielleicht haben Sie wenigstens eine gute Aufwandsentschädigung von konventionellen Stromerzeugern dafür bekommen, das würde manches erklären. Leider ist das wahrscheinlich nicht der Fall. Ich bin Mathematiker, kein Literaturkritiker, trotzdem lasse ich mir so einen Artikel an dieser Stelle nicht gefallen.
Ein bipolares Denken ist immer schon eine heikle Sache gewesen, unsere Welt ist nicht entweder gut oder böse. Sie ist nicht entweder schwarz oder weiß, nicht grau, vielleicht bunt. Aber sie ist auch laut und leise, verschmutzt und sauber, zerstört und intakt Â… Gerade bei wichtigen Entscheidungen verfällt der Polemiker gerne auf ein Schwarz-Weiß-Schema: "Sie sind doch für Frieden / Sozialismus / Standort Deutschland Â… oder?"
Daß der Autor sich über die die Landschaft verschandelnden Windräder ärgert, ist offensichtlich. Vielleicht hätte er das auch ehrlich und emotional darstellen können, ohne meine Empörung zu ernten. Doch zu den halbgewalkten Fakten möchte ich einige Anmerkungen machen:
"Schöne, fast unberührte Naturlandschaften" gibt es in Deutschland kaum noch. Vielmehr ist dieses Land durch jahrhundertelange Tätigkeit des Menschen geformt. Und das nicht vorrangig wegen der Ästhetik, sondern um das Land zum eigenen Vorteil zu nutzen. Der rauchende Schornstein wurde als Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs begrüßt. Warum wird an Windräder ein anderer "Schönheits"-Maßstab angelegt?
Der Kohleabbau verändert nicht nur Landschaften, er macht auch vor Dörfern nicht halt (Horno, Garzweiler).
Für Förderung von Gas und Öl wird die ursprüngliche Landschaft vernichtet, gewaltige Pipelines durchziehen ganze Kontinente, Raffinerien vergiften die Luft, Tanker verunglücken und zerstören (für uns unsichtbaren) Lebensraum in den Meeren. Dann erst der Brennstoff im Kraftwerk, wo still und friedlich Kohlendioxyd in die Atmosphäre gepustet wird. Ja, die Heizkraftwerke sind hierzulande sauberer geworden: Selbst fünf Schornsteinlängen von einem Kraftwerk entfernt kann man die Wäsche ohne Probleme an der frischen Luft trocknen. Und die Legende von der globalen Erwärmung ist vermutlich nur heiße Luft. Man wird sich dann schon etwas einfallen lassen Â…
Sichere Endlagerstätten für Kernkraftwerke gibt es nicht. Ebensowenig wie einen sicheren Transport und sichere Aufarbeitung von Brennelementen. Kleinere Reaktorunfälle treten immer wieder auf, es gibt keine absolute Sicherheit. Die Gefahren, die davon ausgehen sind für uns unsichtbar und haben vor allem eine Langzeitwirkung: Strahlung oder giftige Substanzen.
Die Schäden, die durch die Nutzung von Gas und Öl, Kohle und Atomenergie entstehen, treten vor allem an einem entfernten Ort oder erst in der Zukunft auf. Sie betreffen nicht den normalen Stromverbraucher. Nicht jetzt zumindest und nicht unbedingt.
Im Unterschied dazu werden Windräder von den hiesigen und jetzigen Menschen wahrgenommen. Die einen sehnen sich zurück nach den heilen Horizonten, nach dem weiten ungestörten Blick. Man beklagt Lärm und Schatten. Im Vergleich dazu, was einem Städter für Monstren vor die Nase gesetzt werden, ist das - in meinen Augen und Ohren - geradezu harmlos.
Flußläufe werden begradigt, Autobahnen werden durch sensible Biotope geführt, doch erst bei den weit sichtbaren Windrädern entdecken einige ihr Herz für Tiere. Nein, nicht für häßliche Kröten oder fast ausgerottete und scheue Ufervögel (die man ja eh nicht sieht). Es geht um die Herren der Lüfte, allen voran: der Adler, des Deutschen Wappentier. Ein zerschnittener brandenburgischer Greifvogel wird vermutlich als schlimmer empfunden als tausend verölt-verendete Seevögel nach einem Tankerunglück vor den Küsten ferner Meere!
Ja, auch die Nutzung der Windenergie hat Nachteile. Die Standorte sollten so gewählt werden, daß die Beeinträchtigungen von Mensch und Natur minimal sind. Dafür ist weitere Forschung notwendig, zum Beispiel für Offshore-Windparks. Doch selbst unter der rosa-olivgrünen Regierung
betragen die jährlichen Subventionen des Bundes für regenerative Energien mit 124 Millionen Euro nur etwa den dreißigsten Teil der Steinkohle-Subventionen, von den Geldern für die Kernenergie-Forschung ganz zu schweigen. Angesichts dessen und trotz gestiegener Militärausgaben noch größeren Ausmaßes die Defizite im Bildungs- und Gesundheitsbereich zu zitieren, suggeriert zu Unrecht einen Zusammenhang zwischen Windenergie und dem sozialen Bereich. Auf den Punkt gebracht, hieße das: "Wollen Sie teure Windräder oder ein funktionierendes Gesundheitswesen?" Nicht mit mir und nicht in diesem Blättchen!
"Im extrem heißen Sommer merkten Â…" auch die Franzosen, daß Kernkraftwerke Kühlwasser benötigen. Man stand vor den Möglichkeiten, die Anlagen mit geringerer Last zu betreiben oder Umweltrichtlinien zu verletzen. Beide Alternativen wurden beschritten.
Die Probleme mit Schwankungen bei der Bereitstellung von Windenergie müssen bewältigt werden. Sicher sind konventionelle Wärmekraftwerke dafür weniger geeignet. Doch in den nächsten zwanzig Jahren muß sowieso die Hälfte der deutschen Kraftwerke aus Altersgründen ersetzt/modernisiert werden. Damit ergibt sich die Chance, effiziente Gaskraftwerke für den Ausgleich der Schwankungen zu installieren.
Aus welchem Grund der Autor versucht, es als ein Manko der Windenergienutzung hinzustellen, daß damit auch Geld verdient wird, kann ich nicht nachvollziehen. Nur dann, wenn hohe Profite zu erwarten sind, wird hierzulande in der Industrie etwas bewegt. Und daß Anlagenbauer für Kernkraftwerke die Windenergie als Betätigungsfeld eentdecken, ist sicher kein Argument gegen die Windnutzung. Daß sich Minister und Ministerpräsidenten gegen "Abzocke" in Zusammenhang mit der Subventionierung regenerativer Energien wenden, hat vielleicht nur den Grund, daß sie selbst nicht an den Gewinnen beteiligt sind Â…
Ich leugne nicht die Nachteile und Probleme bei der Nutzung des Windes. Er ist ein sehr junger industrieller Energieträger. Deshalb besteht hier verstärkter Forschungsbedarf. Es wird kein Entweder-Oder geben. Ich bin der Meinung, daß man eher einen probaten Weg zum Ausgleich der Windenergie-Schwankungen findet als eine sichere Endlagerstätte für Atommüll. Ich empfinde eine Ölpest auf dem Meer schlimmer als verendete Tiere in Windrädern. Venedig ist vielleicht auch interessant, wenn der Wasserspiegel einen halben Meter höher liegt, aber mir gefällt es so besser.
Ich gehöre zu denen, die sich darüber freuen, daß wir mit Hilfe des Windes etwas weniger auf Kosten anderer leben. Und, wer weiß, vielleicht sind ja störende Windräder auch geeignet, uns daran zu erinnern, Strom zu sparen.

in: Des Blättchens 6. Jahrgang (VI) Berlin, 27. Oktober 2003, Heft 22