Bilanz(en) des Wertpapierkapitalismus

Deregulierung, Shareholder Value, Bilanzskandale

in (21.07.2003)

Im Februar 2000, auf dem Höhepunkt des Börsenbooms und der New Economy-Euphorie, wählte die US-amerikanische Wirtschaftszeitschrift Fortune zum fünften Mal in Folge Enron zum "innovativsten ...

... Unternehmen Amerikas".In nur 15 Jahren hatte sich das 1985 aus der Fusion zweier regionaler Erdgasversorger hervorgegangene, in Houston ansässige Unternehmen zu dem nach Umsatz siebtgrößten Konzern der USA entwickelt. Wie kein anderes Unternehmen schien Enron die Möglichkeit der Erneuerung auch der "Old Economy" zu verkörpern. Doch im Herbst des folgenden Jahres implodierte Enron in einem ungeheuren Bilanzskandal, der zum bis dahin größten Bankrott der US-amerikanischen Geschichte führte. Der Zusammenbruch von Enron sollte kein Einzelfall bleiben - er eröffnete vielmehr eine ganze Serie von Bilanzskandalen und Konkursen, die überwiegend Unternehmen der New Economy, also des Technologie- und Telekommunikationssektors betrafen. Es stellte sich heraus, dass zahlreiche Unternehmen mit fragwürdigen Geschäftspraktiken und Bilanzierungsmethoden Umsätze und Gewinne aufgebläht hatten, um die Aktienkurse in die Höhe zu treiben. Solange die Kurse stiegen, schien der Erfolg den Unternehmen Recht zu geben. Als die New Economy-Spekulation jedoch zusammenbrach, erschienen die vermeintlichen Erfolgsmodelle in einem neuen Licht. Gerade einige derjenigen Unternehmen, die in den 1990er Jahren die höchsten Wachstumsraten zu verzeichnen hatten, die am stärksten zur Produktion von "Shareholder Value" beigetragen und in den Augen der Investoren als vorbildlich gegolten hatten, fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen. Während Tausende von Beschäftigten ihre Arbeitsplätze und ihre Alterssicherung verloren, während Millionen von Sparern und Kleinaktionären um ihr Vermögen geprellt wurden, konnten die Topmanager der Unternehmen, die in Konkurs gingen, als "Insider" in der Regel rechtzeitig ihre Aktienoptionen zu Geld machen. Es lag nahe, zunächst die Geldgier der Manager, die die Öffentlichkeit über die reale Entwicklung ihrer Unternehmen getäuscht hatten, für das Desaster verantwortlich zu machen. Es greift jedoch zu kurz, die Ursachen dieser Entwicklung nur in individuellem Fehlverhalten von Managern zu suchen. Inwieweit die Bilanzskandale und Bankrotte mit Gesetzesverstößen verbunden waren, wird nun vor den Gerichten geklärt. Unabhängig davon kann heute schon gesagt werden, dass es nicht primär illegales Handeln war, das zur Katastrophe geführt hat (vgl. auch Rügemer 2002). Ebenso steht eine Kritik, die sich nur auf unmoralisches Handeln der Manager bezieht, auf schwachen Füssen. Es mag zwar zutreffen, dass die Manager rücksichtslos ihre eigenen Interessen verfolgten - doch gerade die rücksichtslose Verfolgung der eigenen Interessen soll ja nach der herrschenden liberalen Ideologie vermittelt durch das wunderbare Wirken der "unsichtbaren Hand" des Marktes ein Maximum an gesellschaftlicher Wohlfahrt garantieren. Wer letzteres ohnehin bezweifelt, sollte bei der Kritik an Betrug und Korruption nicht stehen bleiben, sondern die strukturellen Zusammenhänge beleuchten, die dieses Handeln hervorbringen, an dem während des Booms niemand Anstoß genommen hat, während es in der Krise plötzlich als anrüchig erscheint, weil die Konsequenzen dieses Handels sich nun ganz anders darstellen. Zwar wurden in der öffentlichen Diskussion über die Bilanzskandale neben dem individuellen Fehlverhalten der Manager auch einzelne institutionelle Probleme als Momente, die zu den Unternehmenszusammenbrüchen beigetragen hatten, thematisiert. Doch wurden die Shareholder Value-Orientierung oder das marktdominierte Finanzsystem, wie es sich vor allem in den angelsächsischen Ländern herausgebildet hat, aber auch in Kontinentaleuropa immer mehr an Einfluss gewinnt, ebenso wenig in Frage gestellt wie die neoliberale Deregulierung der Energieversorgung und der Telekommunikation, die die Voraussetzung für den Aufstieg der späteren Bankrotteure gebildet hatte. Im Gegenteil: Die Bilanzskandale und Unternehmenszusammenbrüche wurden oftmals als Beleg dafür gewertet, dass die Unternehmen den Aktionärsinteressen nicht ausreichend unterworfen worden waren, dass die Shareholder Value-Orientierung nicht nachhaltig genug durchgesetzt worden war. Hier soll dagegen die These vertreten werden, dass die Orientierung am Shareholder Value und die zunehmende Dominanz des fiktiven Kapitals (Marx) in den gesellschaftlichen Kapitalkreisläufen mit einer gewissen Notwendigkeit auch solche Phänomene wie Enron implizieren. Die folgende Darstellung bezieht sich vor allem auf Enron, weil der Fall Enron am besten dokumentiert ist und faszinierende Einblicke in die Praxis heutiger Großunternehmen gibt, aber es geht nicht nur um den Einzelfall. Auf den ersten Blick mögen die Praktiken von Enron extrem erscheinen, doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass sie weitgehend einem Entwicklungsstadium des Kapitalismus entsprechen, das durch die volle Entwicklung der Märkte für alle Arten von Vermögensgegenständen gekennzeichnet ist. Dazu gehört unter anderem auch die Kapitalisierung von Zukunftserwartungen und Risiken. Sie ist immer beides: Eine Form des Risikomanagements und riskante Spekulation. Die Bilanzskandale und Bankrotte sind nur ein Ausdruck der daraus resultierenden erhöhten systemischen Instabilität. Bevor ich näher auf Enron eingehe, möchte ich zunächst kurz erläutern, was ich unter der Dominanz des fiktiven Kapitals und der Shareholder Value-Orientierung verstehe, und welchen Stellenwert die Frage der Bilanzierung in diesem Zusammenhang hat (1). Daran anschließend werden der Zusammenhang zwischen der neoliberalen Deregulierung und dem Geschäftsmodell von Enron sowie die Verwandlung eines konventionellen Energieerzeugers in ein Unternehmen der New Economy dargestellt (2). Es folgt eine genauere Beleuchtung der finanziellen Seite dieses Geschäftsmodells und der "kreativen Bilanzierung" (3). Nach einer kurzen Darstellung des Zusammenbruchs von Enron (4) gehe ich auf die Rolle der "Komplizen" - vor allem Wirtschaftsprüfer, Banken und Analysten - bei den Bilanzskandalen ein (5). Abschließend geht es um die Folgen der Bilanzskandale und um die Frage, ob es sich um ein spezifisch US-amerikanisches oder um ein allgemeineres Problem handelt (6).

1. Dominanz des fiktiven Kapitals, Shareholder Value-Orientierung und Bilanzierung

Die kapitalistische Wirtschaft wird durch Investitionen in Gang gehalten, bei denen es grundsätzlich darum geht, aus Geldkapital mehr Geldkapital zu machen. Diese Investitionskreisläufe können sehr verschiedenartige Formen annehmen. Grundlegend für den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess ist zunächst der Kreislauf des industriellen Kapitals (im Sinne von Marx), in dem Unternehmer mit Geldkapital Arbeitskräfte anheuern und in Produktionsmittel investieren, um Waren oder Dienstleistungen zu produzieren und mit Gewinn zu verkaufen. Da die kapitalistische Produktion den beständigen Austausch von Ware gegen Geld voraussetzt, kann sie nur in dem Maße stattfinden, in dem Geld vorhanden ist bzw. vorgeschossen wird. Es existiert also eine monetäre Restriktion für den Kreislauf des industriellen Kapitals. Daraus ergibt sich die große Bedeutung des von diesem zu unterscheidenden Kreislaufs des zinstragenden Leihkapitals, der Kreditverhältnisse zwischen Gläubigern und Schuldnern begründet. Der Kreislauf des industriellen Kapitals gewinnt seine Elastizität durch den Mechanismus des Kredits, der es gestattet, zu kaufen, ohne sofort zahlen zu müssen, und der folglich eine erhebliche Ausdehnung des im Produktionsprozess fungierenden Kapitals erlaubt. Ohne den Kredit würde es beständig zu Stockungen des Produktionsprozesses kommen, da dieser es erfordert, dass die notwendigen Produktionselemente stets in einer bestimmten Proportion vorhanden sind, während der Rückfluss des in einer Periode investierten Geldkapitals nicht unbedingt synchron mit den für die nächste Periode erforderlichen Neuinvestitionen erfolgt (vgl. u.a. MEW 24: 87ff, 181f, 260-295). Um zusätzliches Kapital zu mobilisieren, sind Unternehmen nicht unbedingt auf die Banken als Kreditgeber angewiesen, sondern können auch direkt an Geldvermögensbesitzer Aktien oder Anleihen verkaufen. Mit diesen Wertpapieren erhalten die Geldvermögensbesitzer einen verbrieften Rechtsanspruch auf einen Teil der zukünftigen Unternehmensgewinne in Form der Zahlung von Dividenden bzw. Zinsen. Der Inhaber einer Aktie wird formal zum Miteigentümer der betreffenden Aktiengesellschaft und erhält damit auch das Recht, über bestimmte Belange des Unternehmens wie die Wahl des Aufsichtsrats oder die Höhe der Dividenden mitzuentscheiden. Dafür hat er allerdings kein Recht auf die Rückzahlung seiner Kapitaleinlage. Demgegenüber fungiert die Anleihe zunächst wie ein einfaches Kreditverhältnis: Die Anleihe muss mit einer vorab bestimmten Verzinsung zurückgezahlt werden. Die grundlegende Differenz zum einfachen Kreditverhältnis ist allerdings, dass die Wertpapiere auf dem Kapitalmarkt weiterverkauft werden können. Dies hat für die Geldvermögensbesitzer den Vorteil, dass sie das mit ihren Investitionen verbundene Risiko in dem Maße minimieren können, in dem die Märkte für die jeweiligen Wertpapiere liquide sind. Gehandelt werden auf dem Kapitalmarkt also Ansprüche auf zukünftige Zahlungen, deren Wert sich an der Höhe und Sicherheit der erwarteten Zahlungen in Relation zu einer erwartbaren durchschnittlichen Verzinsung orientiert (vgl. Menz u.a. 1999, 34f.; Sablowski/Rupp 2001, 48f.). Die Preisbewegungen der Wertpapiere sind selbst - neben den Zins- bzw. Dividendenzahlungen - ein mehr oder weniger bedeutender Bestandteil ihrer Rendite. Angebot und Nachfrage nach den Wertpapieren - und damit auch die Erwartungen über die Erwartungen anderer Investoren - gehen in den Preisbildungsprozess ein und werden notwendigerweise zum Gegenstand der Spekulation. Dabei kann es zu kumulativen Prozessen kommen, in denen der "Herdentrieb" der Investoren mehr zählt als die fundamentalen Bewegungen, die die Preisbildung der Wertpapiere beeinflussen. Da der Kapitalwert, um den es hier geht, wesentlich auf Rechtsansprüchen und Zukunftserwartungen hinsichtlich der Erträge anderer Kapitalien beruht, macht es Sinn, im Anschluss an Marx von fiktivem Kapital zu sprechen (vgl. MEW 25, 482ff; Guttmann 1996, 178). Die mit dem fiktiven Kapital verbundene Finanzspekulation kann Krisen ebenso wie Aufschwünge der Kapitalakkumulation auslösen oder verstärken. Die volle Entwicklung des Kapitalismus ist erreicht, wenn nicht nur alle Arten von Vermögensgegenständen als Waren auf Märkten gehandelt werden können, sondern wenn auch die zukunftsbezogenen Risiken der Kapitalverwertung, die beispielsweise aus den Preisschwankungen dieser Waren resultieren, in Form von Derivaten selbst zur Ware werden. Durch Termin- und Optionsgeschäfte, Swaps sowie kompliziertere Mischformen dieser Grundtypen von Derivaten können Risiken in Bezug auf Bewegungen beliebiger unterliegender Größen wie Zinssätze, Devisenkurse oder Aktienindizes auf andere Vertragspartner transferiert werden. Was für den einen Vertragspartner eine Risikoabsicherung ist, ist für den anderen eine Spekulation auf einen hohen Gewinn. Zinstragendes Leihkapital, fiktives Kapital und derivative Finanzinstrumente können in Abgrenzung zum industriellen Kapital zusammenfassend als Finanzkapital bezeichnet werden (Guttmann 1994, 37ff; 1996). Finanzkapital und industrielles Kapital stehen in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander. Einerseits trägt das Finanzkapital zur erweiterten Reproduktion des industriellen Kapitals bei. Andererseits beruht die Akkumulation des Finanzkapitals wesentlich auf der Umverteilung von Einkommen, die im Kreislauf des industriellen Kapitals produziert werden. Gleichzeitig werden die Widersprüche und Krisentendenzen, die das Kapitalverhältnis generell kennzeichnen, erweitert reproduziert. Auch zwischen den verschiedenen Formen des Finanzkapitals bestehen widersprüchliche Verhältnisse. So können z.B. der operative Gewinn, die Eigenkapitalrendite einer Aktiengesellschaft und die Gewinnausschüttung an die Aktionäre durch die Ausweitung der Verschuldung, durch den Hebeleffekt des Fremdkapitals (Leverage) gesteigert werden. Andererseits können Dividenden nur aus dem nach Abzug von Zinszahlungen verbleibenden Gewinn gezahlt werden. Die quantitativen Relationen zwischen den verschiedenen Kapitalformen und die Machtverhältnisse zwischen den daran gebundenen Akteursgruppen sind historisch variabel und verdichten sich in spezifischen staatlichen Institutionensystemen, etwa in Grundsätzen der Rechnungslegung und in Formen der Regulierung von Banken und Kapitalmärkten. Funktional bauen die Kreisläufe des industriellen Kapitals, des zinstragenden Leihkapitals, des fiktiven Kapitals und der Derivate aufeinander auf. Sie bilden eine Pyramide, die allerdings - betrachtet man die Entwicklung seit den 1970er Jahren - zunehmend auf dem Kopf zu stehen scheint. Durch die Krise des Fordismus und die Deregulierung, Liberalisierung und Globalisierung der Finanzmärkte wurde eine im Vergleich zur Akkumulation des industriellen Kapitals beschleunigte Akkumulation des Finanzkapitals angestoßen. Gleichzeitig ist der Übergang von einem eher bankorientierten zu einem marktorientierten Finanzsystem zu verzeichnen, d.h. das fiktive Kapital und die derivativen Finanzinstrumente rücken gegenüber den einfachen Formen des Kredits in den Vordergrund. Dabei haben Akteursgruppen wie Investmentbanken und institutionelle Anleger (Versicherungen, Investment- und Pensionsfonds) an Einfluss gewonnen. Gegenüber der industriellen Kapitalakkumulation, deren Wachstumsraten rückläufig sind, türmen sich in immer größerem Umfang die aus dem fiktiven Kapital resultierenden Einkommensansprüche der Geldvermögensbesitzer auf. Diese Entwicklung führt auch bei industriellen Unternehmen zu einer "Finanzialisierung", d.h. zu einer kapitalmarktorientierten Unternehmensführung und zu einer stärkeren Hortung flüssiger Mittel, die in Wertpapieren angelegt werden. Gleichzeitig ändert sich das Verhalten der Sparer in dem entstehenden "Wertpapierkapitalismus", und es ergeben sich bedeutende Rückwirkungen auf der Makroebene mit der Tendenz zur Herausbildung eines "finanzgetriebenen Akkumulationsregimes" (vgl. Guttmann 1994, 1996, 1998; Huffschmid 2002; Aglietta/Breton 2001; Boyer 2000; Froud u.a. 2002; Sablowski/Alnasseri 2001). Diese Entwicklung darf nicht so verstanden werden, dass sie nur auf Kosten der industriellen Unternehmen oder der Handlungsfreiheit des Managements gegangen wäre. Zumindest für Großunternehmen, die den dominierenden Teil des gesellschaftlichen Produktionsapparats bilden, gilt, dass sie auch von den erweiterten Finanzierungsmöglichkeiten und den neuen Anlageformen auf den internationalen Finanzmärkten profitieren. Der Kapitalmarkt hat nicht nur unter dem Finanzierungsgesichtspunkt für die industriellen Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Die Restrukturierung und Globalisierung des industriellen Kapitals vollzieht sich primär in der Form eines beschleunigten Konzentrations- und Zentralisationsprozesses. In diesem Zusammenhang fungiert der Aktienmarkt als Markt für Unternehmenskontrolle. Um feindliche Übernahmen abzuwehren und um selbst günstig Akquisitionen tätigen und dabei eigene Aktien als "Übernahmewährung" nutzen zu können, ist ein hoher Aktienkurs für Aktiengesellschaften von zentraler Bedeutung. Auf der ideologischen Ebene war dieser Prozess mit der zunehmenden Verbreitung der Shareholder-Value-Orientierung verbunden. Diese zielt darauf, die Unternehmensführung primär auf die Interessen der Aktionäre bzw. die Steigerung der Aktienrendite auszurichten (vgl. Lazonick/OÂ’Sullivan 2000). Dies drückt sich beispielsweise darin aus, dass nicht mehr nur die Erwirtschaftung einer Kapitalrendite, die die Zahlung der Zinsen auf das Fremdkapital gestattet, als Mindestbedingung für Investitionen angesehen wird, sondern dass von vornherein in die angestrebte Mindestkapitalrendite eine durchschnittliche Verzinsung für das Eigenkapital einkalkuliert wird, die sich aus dem Zinssatz für weitgehend risikolose langfristige Kapitalanlagen (etwa Staatsanleihen) zuzüglich branchen- und unternehmensspezifischer Risikoaufschläge ergibt. Von der Schaffung von "Unternehmenswert" bzw. "Shareholder Value" kann aus dieser Perspektive nur dann die Rede sein, wenn diese - ohnehin höher kalkulierte - Mindestkapitalrendite übertroffen wird. Eine geringere Kapitalrendite gilt bereits als Wertvernichtung. Die Shareholder Value-Konzepte zielen also de facto auf die Realisierung einer überdurchschnittlichen Kapitalrendite. In dem Maße, in dem dies den Unternehmen gelingt, tragen sie dazu bei, die Meßlatte stets höher zu schrauben, d.h. eine selbstbezügliche, nach oben offene Renditespirale zu erzeugen (vgl. Sablowski/Rupp 2001). Frédéric Lordon (2002, 59ff.) hat treffend festgestellt, dass es hier im Grunde um die Durchsetzung eines "garantierten Mindesteinkommens" für Aktionäre geht. Die Shareholder Value-Konzepte beruhen als Systeme von Finanzkennzahlen und Rechnungslegungsverfahren auf der modernen Kapitalmarkt- und Portfoliotheorie, die bereits in den 1950er Jahren entwickelt wurde (Markowitz 1952, Modigliani/Miller 1958). Dies hat Unternehmensberatungen nicht daran gehindert, dieses Wissen zu privatisieren und in neuem Gewande als Ware, als Patentrezept zur Generierung von "Shareholder Value" zu verkaufen.1 Doch kein noch so raffiniertes Kennzahlensystem kann darüber hinwegtäuschen, dass eine überdurchschnittliche Kapitalrendite für die Masse der Unternehmen letztlich kaum zu realisieren ist (vgl. Froud u.a. 2000). Dies nicht nur aus rein logischen Gründen, sondern auch weil Unternehmen eben nicht nur den Anforderungen des Kapitalmarktes unterliegen, sondern auch den Anforderungen der Produktmärkte oder den Restriktionen, die sich aus dem Verhältnis von Kapital und Arbeit, aus den "industriellen Beziehungen" usw. ergeben. Diese widersprüchlichen Anforderungen sind häufig schwierig auszubalancieren. Andererseits heißt dies nicht, dass die Shareholder Value-Orientierung nicht wirksam wäre.2 Wenn die Anforderungen des Kapitalmarktes und des "Shareholder Value" im "operativen Geschäft" schwer zu realisieren sind, so gewinnt um so mehr die Rechnungslegung der Unternehmen als Kampffeld der Interessen der verschiedenen "Stakeholder" an Bedeutung. Es ist verkürzt und irreführend, die Bilanzen als Widerspiegelung der Realität der Unternehmen zu begreifen, und zwar nicht nur wegen der "schwarzen Schafe" unter den Unternehmen, wegen all der "gefälschten" Bilanzen. Vielmehr stellen die Bilanzen grundsätzlich eine eigene Realität dar, die die gesamte Unternehmenstätigkeit und die sozialen Beziehungen, die sich in den Unternehmen verdichten, überdeterminiert. Es gibt nicht jeweils "die richtige" Bilanz, weil die Bilanzierung grundsätzlich mit verschiedenen Entscheidungsproblemen und Bewertungsspielräumen verbunden ist: Es müssen Entscheidungen getroffen werden, zu welchem Zeitpunkt Umsätze und Gewinne verbucht werden, welche Abschreibungsmethoden verwendet werden, ob bestimmte Ausgaben als laufende Kosten oder als über einen längeren Zeitraum abzuschreibende Investitionen gelten usw. Besonders ausgeprägt sind die Bewertungsspielräume bei "immateriellen" Vermögensgegenständen und bei zukunftsbezogenen Vermögensgegenständen wie Derivaten und Wertpapieren - doch dazu später mehr. An den grundsätzlich vorhandenen Bewertungsspielräumen ändern auch die Vorgaben des Bilanz- und Steuerrechts nichts. So unterschiedlich die verschiedenen Rechnungslegungsgrundsätze wie die des deutschen Handelsgesetzbuches (HGB), die US-amerikanischen Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) oder die International Financial Reporting Standards (IFRS, früher als International Accounting Standards - IAS - firmierend) im Einzelnen sein mögen - sie zielen in keinem Fall darauf ab, den bilanziellen Entscheidungsspielraum, der ein wesentlicher Bestandteil der unternehmerischen Freiheit ist, ganz zu beseitigen. Allerdings reflektieren diese Rechnungslegungssysteme selbst bestimmte historisch-spezifische Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Akteursgruppen, den Stakeholdern, die um ihre Anteile an der Wertschöpfung kämpfen (Aktionäre, Kreditgeber, Manager, Beschäftigte und der Staat). So verweisen die Rechnungslegungsgrundsätze nach dem HGB, die eher am Gläubigerschutz und am Prinzip "kaufmännischer Vorsicht" (d.h. an der Minimierung des für die Besteuerung und die Ausschüttung an die Aktionäre zur Verfügung stehenden Bilanzgewinns) orientiert sind, auf den historisch stärkeren Einfluss der Banken und des Staates bei der Entwicklung der Industrie. Demgegenüber reflektieren die US-GAAP, die eher auf die Information der Kapitalanleger (und die Maximierung des Eigenkapitals sowie des Bilanzgewinns) zielen, die seit jeher größere Bedeutung des Kapitalmarktes in den USA. Im ersten Fall werden die Aktiva eines Unternehmens tendenziell niedrig bewertet, die Passiva dagegen hoch, im zweiten Fall ist es eher umgekehrt. In den 1970er Jahren haben Linke hierzulande die bilanzielle "Gewinnverschleierung" von Großunternehmen etwa durch überhöhte Abschreibungen kritisiert, mit der diese ihre Ressourcen dem Zugriff des Staates und der Lohnabhängigen entziehen (vgl. Flieshardt u.a. 1977). Doch diese Kritik ist aus heutiger Perspektive nur die halbe Wahrheit. Denn die Durchsetzung der Shareholder Value-Orientierung führt, wie die jüngsten Bilanzskandale zeigen, eher dazu, die Gewinne zu hoch auszuweisen, um dadurch den eigenen Aktienkurs in die Höhe zu treiben - mit der Folge einer wachsenden Instabilität der Unternehmensentwicklung. Wie sich die Dominanz des fiktiven Kapitals, die Shareholder Value-Orientierung und die widersprüchlichen Anforderungen von Produktmärkten und Finanzmärkten konkret auswirken können, soll nun am Beispiel von Enron näher dargestellt werden.

2. Enron als "Market Maker"

Dass im allgemeinen nur die freie Konkurrenz auf dem Markt ein Höchstmaß an gesellschaftlicher Wohlfahrt schafft und dass es im besonderen notwendig und möglich ist, jene durch Deregulierung auch in bisher primär durch öffentliche Monopole regulierten Infrastrukturbereichen wie der Strom-, Gas- und Wasserversorgung, der Telekommunikation, dem Schienenverkehr, dem Bildungs- und Gesundheitswesen herzustellen, ist ein zentrales Credo des Neoliberalismus. Das Resultat der Deregulierungspolitik ist jedoch in der Regel nicht die freie Konkurrenz, sondern die Herausbildung privater Monopole bzw. Oligopole, wie sie in den meisten Branchen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschend sind.3 Der Aufstieg und Niedergang von Enron und von zahlreichen Telekommunikationsunternehmen wie Worldcom, Global Crossing und Quest im Zuge der Deregulierung der Energieversorgung und der Telekommunikationsnetze in den 80er und 90er Jahren zeigt, dass letztlich vor allem diejenigen Unternehmen in den neu geschaffenen Märkten überleben, die "innovativ" in dem Sinne sind, dass es ihnen gelingt, first mover advantages geltend zu machen oder Markteintrittsbarrieren für potentielle Konkurrenten zu errichten und zu verteidigen. Die möglichst schnelle Konzentration und Zentralisation des Kapitals ist dabei in jedem Fall ein wesentlicher Faktor. Überleben können häufig jene Unternehmen, denen es zuerst gelingt, etwa durch externes Wachstum, also durch Fusionen und Übernahmen eine kritische Größe zu erreichen. Der Modus des externen Wachstums kann jedoch auch zu einer Überdehnung und zum Zusammenbruch führen. Monopolist oder Bankrotteur - das ist die Alternative, die Frage von sein oder nicht sein, zu der die Deregulierung notwendig führt. Was Enron anbelangt, so war dieses Unternehmen nicht nur Nutznießer der Deregulierung par excellence, sondern trieb diese durch massive Einflussnahme auf Politiker auch wesentlich mit voran. Offensichtlich reichte die Verbreitung der neoliberalen Ideologie alleine auch in den USA nicht aus, um die Deregulierung zentraler gesellschaftlicher Infrastrukturbereiche politisch durchzusetzen. Notwendig war vielmehr der massive Einsatz von "Bakschisch". Da dieses für die politische Willensbildung in der bürgerlichen Gesellschaft offenbar mindestens ebenso unverzichtbar ist wie gelegentliche Wahlen, gibt es dafür in der Regel auch ganz legale Kanäle in Form von - steuerlich absetzbaren - Parteispenden, Wahlkampfspenden etc. Daher ist zumindest ein Teil der Zahlungen allgemein bekannt und nachprüfbar.4 Enrons Investitionen in die Politik zahlten sich aus. Nachdem George W. Bush, der schon als Gouverneur von Texas die Deregulierung der dortigen Energieversorgung vorangetrieben hatte, das Präsidentenamt übernahm, konnte Enron auf die Formulierung der Energiepolitik der Bundesregierung entscheidenden Einfluss nehmen. Und politischer Einfluss war für ein Unternehmen, dessen eigentliches Produkt letztlich die Schaffung von immer neuen Märkten war, ein zentraler "Rohstoff". Der Aufstieg von Enron begann mit der schrittweisen Deregulierung der Gasversorgung in den 1980er Jahren. Sie hat zur Entwicklung eines "Spotmarktes" geführt, über den inzwischen mehr als 75% des Gasgroßhandels abgewickelt werden und der eine enorme Volatilität des gesamten Gasmarktes mit sich gebracht hat. Dadurch entstand für die Akteure am Gasmarkt die Notwendigkeit, kurz- und langfristige Preis- und Mengenrisiken handhabbar zu machen. Die Lösung für dieses Problem lag in der Entwicklung von Termin- und Optionsgeschäften sowie Swaps, durch die der Risikotransfer zwischen verschiedenen Akteuren ermöglicht wurde. Genau in diesem Feld sah Enron seine Wachstumsmöglichkeiten. Das Unternehmen war als Eigentümer von Gaspipelines nicht nur Lieferant von Gas, sondern entwickelte sich Ende der 1980er Jahre zunehmend zu einer "Gasbank": Gasproduzenten und Großhändler konnten Gas an Enron verkaufen oder von Enron kaufen und sich gegen Preis- und Mengenschwankungen durch maßgeschneiderte (Derivat-) Kontrakte absichern. Enron ermöglichte den anderen Akteuren auf dem Gasmarkt nicht nur das Hedging gegen die marktspezifischen Risiken, sondern offerierte ihnen darüber hinaus auch Finanzdienstleistungen (Fusaro/Miller 2002, 30ff). 1990 begann Enron mit dem Handel von Futures und Optionen auf Erdgaslieferungen an der New York Mercantile Exchange, einer der großen Börsen für Warentermin- und -optionsgeschäfte. Von besonderer Bedeutung für die Derivatgeschäfte von Enron war jedoch der außerbörsliche Over-the-counter-(OTC-)Markt. Dabei kam Enron zu gute, dass Derivatgeschäfte mit Energieprodukten noch weniger reguliert waren als entsprechende Geschäfte im Finanzsektor. Während Warentermin- und -optionsgeschäfte normalerweise der Aufsicht der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) unterlagen, waren Swapgeschäfte mit Energieprodukten von der Überwachung durch diese Bundesbehörde ausgenommen worden, so dass Enron hier einen unbeschränkten Handlungsspielraum hatte. Interessanterweise übernahm Wendy Gramm, die dafür damals verantwortliche Leiterin der CFTC, 1993, nachdem sie unter der Regierung Clinton ihr Amt aufgeben musste, einen Sitz im Board of directors (Verwaltungsrat) von Enron (ebd., 167). Enron entwickelte sich zum Market Maker für Erdgas im doppelten Sinne: Zum einen trug das Unternehmen entscheidend zur Entstehung eines Sekundärmarktes für Erdgas ähnlich den Sekundärmärkten für andere Rohstoffe und Wertpapiere wie Aktien und Anleihen bei. Zum anderen nahm Enron auf dem selbst geschaffenen Markt eine dominierende Position ein, die dem Unternehmen die Realisierung von Extraprofiten erlaubte. Enron nahm eine Vermittlerposition bei den meisten Geschäften ein und verfügte dadurch über einen Informationsvorsprung bezüglich der Marktentwicklung gegenüber den anderen Marktteilnehmern. Schließlich profitierte Enron von der Aufwertung seines Gasvermögens, die sich durch die zunehmende Liquidität des Sekundärmarktes ergab. Denn für Liquidität, also für die Möglichkeit, einen Vermögensgegenstand jederzeit zu kaufen und zu verkaufen, sind die Marktteilnehmer in der Regel bereit, einen Preis zu bezahlen. Zu der Liquidität des Gasmarktes trug auch die Entwicklung standardisierter Kontrakte bei. Darüber hinaus profitierte Enron von der Doppelfunktion als Gashändler und Finanzdienstleister. So schloss Enron z.B. günstige langfristige Lieferverträge mit Gasproduzenten, die in finanziellen Schwierigkeiten steckten, und vermittelte ihnen im Gegenzug neue Kredite. Dabei verfügte Enron selbst nicht über die überschüssigen flüssigen Mittel, um in großem Umfang als Kreditgeber auftreten zu können. Vielmehr nahm Enron hier eine Vermittlerposition zwischen Gasproduzenten und Finanzinvestoren ein. Enron war von Anfang an stark verschuldet. Das Unternehmen konnte die für die Funktion als "Gasbank" notwendige zentrale Position als "Market Maker" auf dem Gasmarkt nur durch eine aggressive Strategie externen Wachstums gewinnen. Dies implizierte zum einen die Übernahme anderer Gasunternehmen und setzte zum anderen eine umfangreiche Zufuhr von Fremdkapital voraus. Dabei kam Enron die Entwicklung des Marktes für "Junk Bonds" zugute. Während der Markt für Unternehmensanleihen früher nur bekannten Großunternehmen mit erstklassiger Bonität und einem entsprechenden Rating offen stand, hatte die Entwicklung des Junk Bond-Marktes in den 1980er Jahren dazu geführt, dass auch zweitrangige Unternehmen sich auf diese Weise mit Kapital versorgen und so ihre Finanzierungsmöglichkeiten über die klassische Kreditaufnahme bei Banken hinaus erweitern konnten (vgl. ebd., 5ff). Um die jeweils fälligen Zinszahlungen und Rückzahlungen der Anleihen leisten zu können, ging Enron dazu über, einen Teil der durch die Übernahme anderer Energieunternehmen erworbenen Vermögenswerte wieder zu verkaufen. Enron behielt vor allem das Pipelinenetz, während die Erdöl- und Erdgasfördereinrichtungen nach und nach abgestoßen wurden. Spätestens Mitte der 1990er Jahre wurde deutlich, dass Enron sich - neben der internationalen Expansion5 - nach neuen Geschäften umschauen musste, um die eigene Wachstumsrate und Profitabilität aufrechtzuerhalten. Hier bot sich zunächst der Einstieg in die Elektrizitätswirtschaft an, da es in diesem Bereich Synergien mit dem Gasgeschäft gab und ein ähnlicher Prozess der Deregulierung und Privatisierung im Gange war. Enron gelang es tatsächlich, das im Gashandel erprobte Erfolgsmodell im Stromhandel noch einmal zu wiederholen. Ab 1997 stieg Enron in den Handel mit weiteren "Commodities" wie Kohle, Wasser, Papier, Kunststoffe, Metalle und mit Wetterderivaten ein. Nicht überall war Enron jedoch so erfolgreich wie im Strom- und Gasgeschäft. In der Wasserwirtschaft gelang es Enron nicht, die kritische Größe für eine Monopolposition zu gewinnen, und die Beteiligungen in diesem Bereich erwiesen sich als Verlustbringer. Von diesen Verlusten erfuhr die Öffentlichkeit jedoch nichts, da Ergebnisse der einzelnen Sparten in den Bilanzen nicht separat ausgewiesen wurden und da Verluste außerdem durch spezielle bilanztechnische Konstruktionen versteckt wurden. So blieb das Bild eines innovativen Unternehmens, das einen hohen Shareholder Value generierte, bestehen. Um letzteres weiterhin zu erreichen, versuchte Enron Ende der 1990er Jahre auch, sich als New Economy-Unternehmen zu profilieren. So konnte Enron von der Präferenz der Kapitalanleger für die Unternehmen des so genannten "Technologiesektors" profitieren. Einerseits wurde mit EnronOnline 1999 eine recht erfolgreiche Plattform für den Onlinehandel etabliert (Fusaro/Miller 2002, 74f). Enron beschränkte sich hier nicht auf den Energiehandel, sondern handelte schließlich mit 1800 verschiedenen Produkten. Dabei fungierte EnronOnline nicht nur als Börse, vielmehr war Enron selbst bei allen Transaktionen die Gegenpartei. Während Investmentbanken beim Wertpapierhandel nur die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis als Umsatz verbuchen, wird beim Handel mit Energie und anderen Waren, die nicht als Finanzinstrumente gelten, der Gesamtbetrag eines Verkaufs als Umsatz gebucht. Dies erklärt - neben anderen Aspekten der "kreativen Bilanzierung" - den enormen Umsatzanstieg bei Enron um 150% von 40 Mrd. Dollar im Jahr 1999 auf 100 Mrd. Dollar im Jahr 2000 (ebd., 79). Dieser trug stark zu der positiven Bewertung von Enron durch die Finanzinvestoren und Analysten bei, zumal gerade bei "New Economy"-Unternehmen - und Enron verkaufte sich ja als ein solches - stärker auf den Umsatz als auf den Gewinn geachtet wurde. War Enrons Einstieg in den Onlinehandel zunächst ein großer Erfolg, so erwies sich das zweite New Economy-Standbein, die Expansion in den Telekommunikationssektor, schnell als kostspieliger Fehler. Es erwies sich, dass es nicht möglich war, eine Kostendeckung oder gar einen Gewinn in diesem Geschäft zu erreichen. Enron war hier mit den gleichen Problemen wie die anderen Telekommunikationsunternehmen konfrontiert: Die Erwartungen in das Wachstum des Datenverkehrs, die Grundlage des Ausbaus der Breitbandnetze waren und zu dem New Economy-Boom beitrugen, erwiesen sich als weit überzogen. Gangbare Geschäftsmodelle bzw. eine so genannte Killer Application, eine Anwendung, die das Wachstum der Telekommunikation hätte beflügeln können, waren und sind nicht in Sicht (Feng u.a. 2001; Fransman 2002). Es blieb im Telekommunikationssektor noch der Sekundärmarkt für den Handel mit Bandbreite, mit Netzkapazität, in dem Enron sich engagierte. Enron verzeichnete bald monatlich Hunderte von Geschäften in diesem Bereich. Allerdings sollte sich später herausstellen, dass es sich dabei vielfach um Scheingeschäfte handelte, mit denen Liquidität im Telekommunikationsmarkt vorgetäuscht wurde. So tauschte Enron mit Quest, einem anderen Netzbetreiber, Netzkapazitäten hin und her, wodurch fiktive Umsätze und Gewinne gebucht werden konnten (Fusaro/Miller 2002, 89). All dies konnte jedoch nicht verhindern, dass Enron schließlich, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung, von dem Abwärtssog mitgerissen wurde, der seit dem Frühjahr 2000 die New Economy erfasste. Während der Fall des Nasdaq Composite Index im März 2000 einsetzte, erreichte der Kurs der Enron-Aktie seinen Höchststand von fast 90 Dollar erst im August 2000. Zu diesem Zeitpunkt begannen Spitzenmanager von Enron, ihre Enronaktien zu verkaufen (ebd., 173). Dass Enron seinen Abstieg hinauszögern konnte, liegt unter anderem daran, dass das Unternehmen im Energiesektor nach wie vor Geld verdiente. Dabei kam Enron nicht zuletzt der Anstieg der Elektrizitätspreise im Zuge der kalifornischen Energiekrise der Jahre 2000/2001 zugute. Mit dem hohen Wachstum der US-amerikanischen Wirtschaft boomte auch die Nachfrage nach Energie, gleichzeitig hatte der Ausbau der Kraftwerkskapazitäten mit der Nachfrage nicht Schritt gehalten. Die zurückbleibende Entwicklung der öffentlichen Infrastruktur hängt auch mit den enormen Renditeerwartungen im Zuge der Durchsetzung der Shareholder Value-Ideologie und des Börsenbooms sowie mit der sich in den 1990er Jahren zunehmend öffnenden Schere in der Bewertung von Old Economy und New Economy seitens der Investoren zusammen. Investitionen in den Kraftwerksbau waren vergleichsweise unattraktiv, da sie viel Kapital banden und man in anderen Bereichen - etwa im Finanzsektor oder im Technologie- und Telekommunikationssektor - wesentlich höhere Renditen erwarten konnte (vgl. Blackburn 2002, 33). Am gravierendsten war die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage nach Strom im Zentrum der New Economy, in Kalifornien, wo die Elektrizitätsmärkte 1996 teilweise dereguliert worden waren. Administrativ reguliert blieben die Preise für die Endverbraucher im größten Teil Kaliforniens. Die beiden großen kalifornischen Stromversorger, Pacific Gas & Electric und Southern California Edison, die nicht nur die Verbraucher belieferten, sondern den Strom in ihren eigenen Kraftwerken auch produziert hatten, waren durch die Deregulierung gezwungen worden, Kraftwerke an andere Unternehmen zu verkaufen und dann selbst täglich Strom hinzu zu kaufen. Da die Endverbraucherpreise weitgehend eingefroren waren, der Stromverbrauch jedoch rasch anstieg, gerieten die kalifornischen Stromversorger in die Klemme. Zu Spitzenverbrauchszeiten, etwa während der Abendessenszeit an heißen Sommerwochenenden, konnte der Einkaufspreis für Strom auf das Hundertfache des normalen Preises steigen. Aufgrund der hohen Auslastung der Kraftwerke im Sommer 2000 wurden notwendige Wartungsarbeiten auf den Winter verschoben, was dann - trotz abnehmender Stromnachfrage6 - zu Stromausfällen führte. Enron hatte zwar seine eigenen Elektrizitätserzeugungskapazitäten überwiegend abgestoßen, nachdem sich der Fokus des Unternehmens auf den Handel und die New Economy verlagert hatte, profitierte jedoch als Stromhändler auf dem Sekundärmarkt von den steigenden Strompreisen Ende der 1990er Jahre. Dabei versuchte Enron, ähnlich wie im Telekommunikationsmarkt durch zirkuläre Geschäfte mit eigenen Tochterunternehmen sowie mit anderen Unternehmen den Markt zu manipulieren. So wurde auf bestimmten Überlandleitungen zwischen Nord- und Südkalifornien Überlast simuliert, um die Preise in die Höhe zu treiben (Fusaro/Miller 2002, 91ff). Die Grenze zwischen legalen Geschäften zum eigenen Vorteil und einer illegalen Manipulation des Marktes ist im Einzelfall sehr schwer zu ziehen. Klar ist jedoch, dass Enron vor allem den durch die Deregulierung geschaffenen Rechtsrahmen und die damit verbundenen Widersprüche zum eigenen Vorteil ausnutzte, wo es nur ging. In welchem Maße Enron die kalifornische Energiekrise, die zwischen Januar und März 2001 mit Stromausfällen und dem Bankrott von Pacific Gas & Electric ihren Höhepunkt erreichte, mitverursacht hat, lässt sich nicht genau bestimmen. Es wäre interessant, dies näher zu untersuchen, denn hier stellt sich die über den konkreten Fall hinaus relevante Frage, inwieweit einzelne große Marktteilnehmer die Preisbildung von Waren über Sekundärmärkte (Spotmärkte oder Derivatmärkte) alleine durch Generierung eines großen Transaktionsvolumens beeinflussen können - unabhängig von der zu Grunde liegenden Produktion dieser Waren (vgl. Hafner 2002). Enron geriet bezeichnenderweise zu dem Zeitpunkt in Schwierigkeiten, als die kalifornische Energiekrise vorüber war und die Großhandelspreise für Strom wieder ihr normales Vorkrisenniveau erreichten. Im Frühjahr und Sommer 2001 häuften sich für Enron die Probleme: Zu den Verlusten im Wassergeschäft, im Telekommunikationsmarkt und im Zusammenhang mit einem überdimensionierten Kraftwerksprojekt im indischen Dabhol kamen der Rückgang der Strompreise und die allgemeine Konjunkturkrise. Die PROKLA Erzeugung von Umsätzen und Gewinnen durch Scheingeschäfte und eine kreative Bilanzierung konnte nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass Enron knapp bei Kasse war. Die Investoren begannen skeptisch zu werden. Das Unternehmen hatte, um eine außerordentlich hohe Wachstumsrate realisieren zu können, zum einen immer neue Produktmärkte erschlossen und sich dabei überdehnt. Zum anderen hatte Enron dieses Wachstum in hohem Maße durch den Rückgriff auf die Finanzmärkte finanziert. Die Orientierung am Shareholder Value und an der New Economy haben das Wachstum von Enron zunächst enorm beschleunigt - und dann zum Bankrott geführt. Um dies zu begreifen, ist es notwendig, die Finanzierungsseite des Geschäftsmodells von Enron genauer in den Blick zu nehmen.

3. "Kreative" Bilanzierung und neue Finanzinstrumente

Analysiert man die Finanzierung und die Bilanzierung von Enron, so stechen mindestens drei Aspekte hervor: Die strategische Minimierung des fixen Kapitals, die marktorientierte Bilanzierung von Vermögensgegenständen und der große Umfang von außerbilanziellen Geschäften und Tochterunternehmen (Special Purpose Entities), mit denen die Gewinne aufgebläht und Verbindlichkeiten versteckt wurden. Alle drei hängen nicht zuletzt mit einer am Kapitalmarkt und am Shareholder Value orientierten Unternehmensführung zusammen.

Die Minimierung des fixen Kapitals

Wie bereits erwähnt hatte Enron durch sein forciertes externes Wachstum und durch das spezifische Geschäftsmodell, das vor allem auf der Verbindung von Energie- und Derivatehandel, Risikomanagement- und Finanzdienstleistungen beruhte, von Beginn an einen hohen Kapitalbedarf, der einerseits nur durch die ständige Zufuhr von Fremdkapital gedeckt werden konnte und andererseits den Verkauf von Vermögensgegenständen zu Finanzierungszwecken notwendig machte. Letzterer wurde ab 1997, als Enron sich zunehmend diversifizierte und sich der New Economy-Diskurs ausbreitete, im Rahmen einer strategischen Minimierung des Anlagevermögens, des fixen Kapitals radikalisiert. Im Jahr 2000 entfielen weniger als 20% der Bilanzsumme von Enron auf das Anlagevermögen, was im Vergleich zu traditionellen Unternehmen der Energiewirtschaft, die sehr kapitalintensiv sind, extrem wenig ist. Enron stand freilich mit dieser Strategie, die Kapitalbindung zu reduzieren und die Bilanz "leichter zu machen", keineswegs alleine da. "Harte Assets" galten - gerade in Märkten mit scharfer Konkurrenz und hohen Preisschwankungen - vielfach als Ballast; die Bindung von fixem Kapital sollte soweit wie möglich reduziert werden, um so die Gesamtkapitalrendite und damit den Aktienkurs zu erhöhen. Diese Sichtweise betraf sowohl das Management des Geschäftsportfolios in diversifizierten Unternehmen als auch das Management von vergleichsweise fokussierten Unternehmen. Selbst die so genannten "Cash Cows" diversifizierter Konzerne, d.h. "reife", profitable Geschäftsbereiche mit hohen Marktanteilen, aber geringen Wachstumsaussichten, galten nun als verzichtbar. Die veränderte Auffassung des Portfoliomanagements hing mit der Ausdehnung der Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen auf den Finanzmärkten im Allgemeinen, mit der Entwicklung des Junk-Bond-Marktes und dem Börsenboom im Besonderen zusammen: Wenn Unternehmen jederzeit genügend neues Eigen- oder Fremdkapital für neue Geschäfte mobilisieren konnten, warum sollten sie sich dann nicht von vornherein auf die wachstums- und renditeträchtigsten, riskantesten Geschäfte konzentrieren? Für bereits auf eine Branche fokussierte Unternehmen galt entsprechend, dass sie sich möglichst auf die profitabelsten Segmente einer Wertschöpfungskette konzentrieren und den Rest anderen überlassen sollten. Verstärkt wurde die Auffassung "harter Assets" als Ballast noch durch die im Rahmen des New Economy-Diskurses populäre Sichtweise, wonach vor allem Wissen und "geistiges Eigentum" Quelle von Profiten waren. Übertragen auf Enron hieß dies: Nicht so sehr Bohrtürme, Pipelines oder Kraftwerke generierten Gewinne, sondern das Know-how in Energiehandel, Finanz- und Risikomanagement. Übersehen wurde dabei allerdings, dass "harte Assets" auch dazu beigetragen hatten, dass Enron Market Maker werden konnte. Das fixe Kapital stellte eine Eintrittsbarriere für andere Unternehmen dar. Ohne Kontrolle über relevante Kapazitäten der Energieproduktion und -distribution war auch Enrons Rolle als zentraler Zwischenhändler leicht angreifbar, stieg die Gefahr, dass andere Unternehmen versuchten, Enrons Position einzunehmen.7 Gleichzeitig mussten die Extraprofite, die aus dem Risiko- und Finanzmanagement resultierten, in dem Maße erodieren, in dem sich diese Kompetenzen verallgemeinerten.

Die Bilanzierung des "fair value"

Zielte die strategische Minimierung des fixen Kapitals auf die Erhöhung der Kapitalrendite durch Beschränkung der Kapitalbasis, so setzten andere Maßnahmen direkt beim Gewinn an. Die Einfädelung von Scheingeschäften bzw. zirkulären Geschäften mit eigenen Tochterunternehmen oder mit Dritten als eine Methode zur Aufblähung von Umsätzen und Gewinnen wurde oben schon dargestellt. Diese wurde auch durch andere Maßnahmen der so genannten "kreativen" oder "aggressiven" Bilanzierung erreicht. Wichtig war in diesem Zusammenhang vor allem die 1991 eingeführte Bewertung von Vermögensgegenständen auf der Basis von aktuellen Marktpreisen (mark to market) anstatt von historischen Kosten. So konnte Enron z.B. in den 1990er Jahren im Zuge des Börsenbooms - unabhängig vom Verlauf des eigenen operativen Geschäfts - Kursgewinne bei den eigenen Wertpapierbeständen als Bilanzgewinn ausweisen. Umgekehrt gilt natürlich, dass sich auch der Kursverfall von Wertpapieren bei der Mark-to-market-Bilanzierung direkt niederschlägt. Insofern erhöht sich bei dieser Art der Rechnungslegung insgesamt die Volatilität und die finanzielle Instabilität. Während für Aktien und andere börsengängige Wertpapiere aktuelle Marktpreise einfach zu ermitteln sind, ist die Bewertung von komplizierteren Konstrukten wie maßgeschneiderten Derivaten, für die keine liquiden Sekundärmärkte existieren, schwieriger. Wie sollten etwa die langfristigen Strom- oder Gaskontrakte, die einen großen Teil des Vermögens von Enron bildeten, bilanziell bewertet werden? Hier gibt es keine eindeutige, richtige Methode. Die Bewertung erfolgt in diesen Fällen auf der Basis von Modellen unter Zugrundelegung bestimmter finanztheoretischer Annahmen (mark to model). So wird der "Gegenwartswert" eines zukunftsbezogenen Kontrakts oder Investments etwa ermittelt, indem die für die Zukunft erwarteten Zahlungsströme aufsummiert und mit einem bestimmten Zinssatz diskontiert werden. Diese so ermittelten Modellpreise dürfen jedoch nicht mit realen Marktpreisen verwechselt werden. Die Ermittlung des so genannten fair value von Vermögensgegenständen anhand finanztheoretischer Modelle beruht letztlich auf willkürlichen Annahmen über Zukunftsentwicklungen und bietet so notwendigerweise einen breiten Spielraum für Manipulationen.8 Enron war einer der Pioniere bei der Bilanzierung auf der Basis des fair value und wusste diesen Handlungsspielraum zum eigenen Vorteil, d.h. zur Ausweisung möglichst hoher und stetiger Gewinne zu nutzen. Die Bewertungsspielräume eines Unternehmens bei der Bilanzierung des fair value sind um so größer, je größer der Anteil von Derivaten und immateriellen Vermögensgegenständen ist, der in die Bilanz eingebracht werden kann9. Bei Enron machten die Derivate im Jahr 2000 etwa ein Drittel der Bilanzsumme aus und lagen damit höher als das Anlagevermögen. Über vergleichsweise große Bewertungsspielräume verfügen auch die Unternehmen des Technologie-Sektors, da sie in der Regel einen hohen Anteil immaterieller Vermögensgegenstände geltend machen können. Ferner ist festzustellen, dass auch branchenübergreifend der Bestand an Wertpapieren in den Bilanzen der Unternehmen aus verschiedenen Gründen tendenziell anwächst. Daher hat die "Fair value"-Bilanzierung insgesamt an Bedeutung gewonnen. Sie wird gemäß den allgemein anerkannten Rechnungslegungsgrundsätzen in bestimmten Bereichen nicht nur akzeptiert, sondern sogar gefordert (vgl. The Economist, 18.8.2001, 55f). In dem Maße, in dem sich die neuen Bilanzierungsmethoden jedoch verallgemeinerten, erodierte der Extraprofit, den Enron daraus ziehen konnte. Dies wiederum erhöhte den Druck auf Enron, durch die Übernahme immer höherer Risiken neue Handlungsspielräume, neue first mover advantages zu erschließen (Fusaro/Miller 2002, 13f, 35f; Zimmermann 2002, 304, 310f).

"Special Purpose Entities" und "strukturierte Finanztransaktionen"

Für die Abwicklung der Geschäfte nutzte Enron in großem Umfang so genannte Special Purpose Entities (SPEs), d.h. eigens für bestimmte Finanztransaktionen gegründete Gesellschaften, die nach dem US-amerikanischen Steuer- und Bilanzrecht den Vorteil hatten, dass sie - bei Einhaltung bestimmter Bedingungen - von dem Initiator (d.h. Enron) nicht in den Bilanzen erfasst werden mussten. Anstatt selbst einen Kredit aufzunehmen, konnte Enron z.B. eine SPE gründen, dieser bestimmte Vermögensgegenstände wie etwa eigene Aktien oder den Anspruch auf eine Erdgaslieferung zu einem zukünftigen Termin gegen bares Geld verkaufen, und die SPE konnte sich das dafür notwendige Geld durch einen Kredit bei einer Bank besorgen. Enron selbst hatte damit offiziell keine Schulden gemacht, sondern konnte vielmehr einen zusätzlichen Umsatz verbuchen. So konnte Enron in großem Umfang Schulden verstecken und die eigene Kapitalrendite aufblähen. Enron hatte mehrere tausend dieser SPEs, die überwiegend in Off-shore-Finanzzentren angesiedelt waren, wodurch auch Steuerzahlungen vermieden werden konnten. Es muss unterstrichen werden, dass die SPEs an sich ebenso wie etwa die Mark-to-market-Bilanzierung vollkommen legal sind. Enron war auch nicht der alleinige Erfinder der SPEs, vielmehr handelt es sich um weitverbreitete Instrumente im Bereich der so genannten "strukturierten Finanzierung" (structured finance)10, die z.B. für die Finanzierung von einzelnen Projekten genutzt werden. Die Konstruktion der SPEs ist nicht nur im Interesse der Unternehmen, die ihre Bilanzen entlasten wollen, sondern auch im Interesse von Kreditgebern und anderen Finanzinvestoren, die auf eine Trennung von Geschäften mit unterschiedlichem Risikoprofil und unterschiedlichen Renditeaussichten Wert legen. So können z.B. Ölkonzerne die riskantere Erdölexploration von dem Betrieb einer Raffinerie bilanziell trennen und separat finanzieren (vgl. Chaffin/Hill 2002). Während die Minimierung von Steuerzahlungen durch die Off-Shore-Lokalisierung wie oben erwähnt ein Aspekt neben anderen bei vielen SPEs war, wurden einige dieser Gesellschaften auch speziell zum Zweck der Vermeidung von Steuerzahlungen gegründet. Transaktionen zur Steuervermeidung sind freilich weder ein neues noch ein nur für Enron spezifisches Phänomen. Doch während derartige Transaktionen in der Regel äußerst diskret behandelt werden, wurden durch den Enron-Skandal und die nachfolgenden Untersuchungen Dokumente bekannt, die einen außergewöhnlich guten Einblick in die Steuervermeidungsgeschäfte geben (vgl. France 2003). Seit den 1970er Jahren hat sich eine regelrechte Steuervermeidungsbranche entwickelt. War das Steuervermeidungsgeschäft zunächst ein Geschäftszweig der Wirtschaftsprüfungs- und Consultinggesellschaften, so nahmen seit den späten 1980er Jahren die Investmentbanken hier eine führende Rolle ein. Sie entdeckten diesen Geschäftszweig, als die Übernahmeschlachten der 1980er Jahre abebbten und sie nach neuen Einkommensquellen suchten, um den Rückgang im Geschäft mit Fusionen und Übernahmen zu kompensieren. Ging es früher darum, beispielsweise steuermindernde Verluste etwa durch Investitionen in unprofitable Rinderfarmen oder Ölbohrungen zu organisieren, so bieten heute komplexe "strukturierte Finanztransaktionen", Wertpapier- und Derivatgeschäfte viel größere Handlungsspielräume auch für Steuervermeidungsstrategien. Nach wie vor geht es dabei um die Maximierung von steuerlich absetzbaren Ausgaben, Krediten und Verlusten. Beispielsweise gründeten Enron und der heute zur Deutschen Bank gehörende Bankers Trust 1997 eine Tochtergesellschaft, in die Bankers Trust ein Bündel von Mortgage Backed Securities (verbriefte Hypothekenkredite) einbrachte, die Verluste gebracht hatten und daher steuermindernd geltend gemacht werden konnten. Die gemeinsame Tochtergesellschaft erlaubte letztlich beiden Partnern, die Verluste für sich zu nutzen. Bankers Trust kassierte für die Transaktion eine Gebühr von 11 Mio. Dollar, während Enron durch das Geschäft Steuern in Höhe von 78 Mio. Dollar sparte (ebd., 50). Während Verluste oftmals mit Gewinnen der aktuellen Periode verrechnet werden, um den aktuell zu versteuernden Gewinn zu senken, nutzte Enron die Verluste, um zukünftige Steuereinsparungen geltend zu machen. Dieses hypothetische Vermögen wurde dann durch "aggressive" Bilanzierung in einen Gewinn für die laufende Periode umgewandelt. Durch zwölf derartige Transaktionen realisierte Enron zwischen 1995 und 2001 Steuereinsparungen in Höhe von 2,02 Mrd. Dollar - und verwandelte sie in Gewinne von 2,079 Mrd. Dollar (ebd. 52). Neben den Investmentbanken und den Wirtschaftsprüfern sind vor allem die großen Anwaltsfirmen als zentrale Akteure der Steuervermeidungsbranche hervorzuheben. Die auf das Steuerrecht spezialisierten Anwälte haben nicht nur die Funktion, neue Möglichkeiten für Steuervermeidungsgeschäfte aufzutun, sondern vor allem auch die Rechtmäßigkeit dieser Geschäfte zu bestätigen. Denn ein Opinion Letter einer Anwaltsfirma genügt der zuständigen US-amerikanischen Steuerbehörde, dem Internal Revenue Service (IRS), um die betreffende Transaktion als rechtlich unbedenklich zu akzeptieren. Dies schützt die beteiligten Unternehmen vor rechtlichen Konsequenzen. Dabei sind eine Reihe dieser Anwälte selbst ehemalige Angestellte des IRS (ebd.). Eine der Voraussetzungen, damit SPEs nach US-GAAP nicht bilanziell erfasst werden müssen, ist die Beteiligung anderer Investoren mit mindestens 3% des Eigenkapitals der SPE. Enron musste also andere ins Boot holen, was überwiegend auch ohne Schwierigkeiten gelang. "Die halbe Wall Street" sei damit beschäftigt gewesen, Anteile an Enrons SPEs zu verkaufen, so Robin Blackburn (2002, 39). Ein Meilenstein für Enron war die Gründung von Joint Energy Development Investments (JEDI) zusammen mit CalPERS (California Public EmployeesÂ’ Retirement System), dem Pensionsfonds der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Kalifornien, im Jahr 1993. Das Gemeinschaftsunternehmen mit CalPERS, einem der angesehensten institutionellen Investoren, erhöhte die Glaubwürdigkeit von Enron und fungierte auch als Türöffner gegenüber anderen Investoren (Fusaro/Miller 2002, 61). CalPERS verdiente eine Rendite von 23% an den 250 Mio. Dollar, die der Fonds in JEDI investierte hatte. 1996 ließ CalPERS sich überreden, dieses Investment in eine andere SPE (JEDI II) mit einem erhöhten Einsatz von 500 Mio. Dollar umzuwandeln (Blackburn 2002, 32). Erst im Dezember 2000 entschied CalPERS, sich nicht noch an einer weiteren SPE (LMJ 3) zu beteiligen, weil Andrew Fastow, der Chief Financial Officer (CFO) von Enron, gleichzeitig Geschäftsführer der SPE war. Es lag nahe, dass aus dieser Doppelfunktion Interessenkonflikte resultieren konnten. Gleichwohl unternahm CalPERS nichts, um Bedenken wegen der SPEs öffentlich zu machen (Blackburn 2002, 40). Das Verhalten von CalPERS ist besonders interessant, weil der Pensionsfonds ansonsten als einer der in Fragen der Corporate Governance "aktivsten" und unnachgiebigsten institutionellen Investoren gilt. Aber die außerbilanzielle Verschuldung von Enron oder die Aufblähung des Umsatzes durch den Handel zwischen Enron und den SPEs wurde offenbar nicht als problematisch angesehen. Dass die SPEs genau dem Zweck dienten, die Bilanzen zu entlasten und den Gewinnerwartungen der Investoren gerecht zu werden, wussten auch die Banken und andere institutionelle und private Investoren, die sich an den SPEs beteiligten bzw. diese im Markt platzierten (vgl. Hill u.a. 2002). Die Konstruktionen, die sich die Enron-Manager im Zusammenhang mit den SPEs einfallen ließen, nahmen in dem Maße bizarrere Züge an, in dem die Aktienkurse zunehmend steiler in die Höhe schossen und zugleich ihr Absturz immer wahrscheinlicher wurde. Dabei kam es auch zu eindeutigen Regelverletzungen. So wurde das Kriterium, wonach mindestens drei Prozent des Eigenkapitals einer SPE von externen Investoren kommen müssen, damit diese außerhalb der Bilanzen verbleiben kann, nicht immer erfüllt, bzw. der CFO Fastow und andere Enron-Manager oder andere Enron-Tochterunternehmen traten selbst als "externe" Partner dieser SPEs auf. Auf diesem Weg konnten sich diese Manager auch erhebliche Summen in die eigenen Taschen schaufeln. So kassierte alleine Fastow etwa 40 Mio. Dollar, und auch einige seiner Gefolgsleute wurden über die SPEs zu Millionären. Gleichzeitig wurden die SPEs dazu genutzt, Verluste zu verstecken. Dazu wurden z.B. Derivat-Transaktionen genutzt, mit denen Enron das Risiko des Wertverlustes eigener Kapitalbeteiligungen auf SPEs übertrug. Enron machte mit den eigenen SPEs Absicherungsgeschäfte. Freilich war das so erzielte Hedging fiktiv - bekanntlich kann man sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Als der Wertverlust der so "abgesicherten" Kapitalbeteiligungen dann erwartungsgemäß eintrat, konnte Enron sogar einen Gewinn aus den Derivatgeschäften verbuchen. Allerdings liefen die Verluste bei den SPEs auf, die sie dann durch Kredite bzw. durch ihr Eigenkapital, das hauptsächlich aus Enron-Aktien bestand, decken mussten. Je größer die Verluste wurden, desto stärker musste Enron die SPEs kapitalisieren. In dem Maße, in dem aber der Kurs der Enron-Aktie selbst sank, sank auch das Eigenkapital der SPEs. Irgendwann konnten die auflaufenden Verluste nicht mehr durch die Kreditkapazität der SPEs gedeckt werden. Hatte der Einsatz der eigenen Aktien in zahlreichen Transaktionen während der boomenden Kurse positive Rückkopplungseffekte auf die Gewinne gehabt, so wirkten die sinkenden Kurse ebenso verstärkend auf die Verluste.

4. Der Zusammenbruch von Enron

Die Pro-forma-Zahlen, die Enron am 17.4.2001 veröffentlichte, wiesen zwar für das erste Quartal des Geschäftsjahres einen Gewinnzuwachs um 18% und einen Umsatzanstieg gegenüber dem gleichen Quartal des Vorjahres um 280% aus. Als Enron jedoch wenig später den ausführlicheren, offiziellen Quartalsbericht bei der Securities and Exchange Commission (SEC), der Börsenaufsichtsbehörde vorlegte, wurde klar, dass diesen Gewinnen kein realer Zuwachs an flüssigen Mitteln entsprach. Enron wies zwar einen Gewinn von 425 Mio. Dollar aus, hatte jedoch im operativen Geschäft einen negativen Cashflow von 464 Mio. Dollar zu verzeichnen (Fusaro/Miller 2002, 109). Der Aktienkurs begann nun langsam zu sinken. Im Quartalsbericht an die SEC für das zweite Quartal 2001, der am 14.8.2001 veröffentlicht wurde, wies Enron erneut einen negativen Cashflow im operativen Geschäft in Höhe von 1337 Mio. Dollar aus (ebd. 113). Am gleichen Tag trat Jeffrey Skilling nach einer Amtszeit von nur einem halben Jahr als Chief Executive Officer (CEO) "aus persönlichen Gründen" zurück - ein äußerst ungewöhnlicher Schritt, der zu einem erheblichen Vertrauensverlust bei den Investoren und bei den Beschäftigten des Unternehmens führte. Damit beschleunigte sich der Kursverfall der Enronaktie. Die Beschäftigten hatten nicht nur Angst um ihre Arbeitsplätze, sie hatten auch häufig im Rahmen ihrer Rentensparpläne - der so genannten "401(k) pension plans" - massiv in die Aktien des eigenen Unternehmens investiert und sahen nun ihre Alterssicherung dahin schwinden. Nach Skillings Rücktritt übernahm der Chairman und frühere CEO Kenneth Lay erneut das Amt des CEO. Lay versuchte in den folgenden Tagen durch eine interne E-mail-Kampagne die Bedenken der Beschäftigten zu zerstreuen und sie zum Halten ihrer Enronaktien zu bewegen: Enrons Wachstum sei niemals sicherer gewesen, versicherte er. Dagegen hatte er selbst in den 18 Monaten vor dem Ausbruch der Krise Enronaktien im Wert von 100 Mio. Dollar verkauft. Insgesamt hatten die Insider des Topmanagements Enronaktien im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar verkauft und damit nicht unwesentlich zum Kursverfall der Aktie beigetragen. Dagegen wurde die Masse der Beschäftigten während der Krise einige Wochen lang von der Administration des Unternehmens daran gehindert, die Aktien aus ihren 401(k)-Rentensparplänen zu verkaufen. Die Beschäftigten mussten dem Wertverlust untätig zusehen (ebd., 115f.). Im dritten Quartal 2001 musste Enron als Reaktion auf die sich verschlechternden Geschäftsbedingungen eine Sonderabschreibung von 1,01 Mrd. Dollar vornehmen und einen Verlust von 618 Mio. Dollar ausweisen. Gleichzeitig gelangten Dokumente an die Presse, die Unregelmäßigkeiten bei den SPEs und die Bereicherung von CFO Fastow und anderen Managern belegten. Am 22.10.2001 kündigte die SEC eine Untersuchung der von Fastow geschaffenen und geleiteten SPEs an. In der zweiten Oktoberhälfte halbierte sich der Kurs der Enronaktie nochmals - sie hatte nun gegenüber ihrem Höchststand mehr als 80% des Wertes verloren. Da die Kreditaufnahme über die SPEs wie bereits erwähnt zum Teil durch Enrons eigene Aktien gedeckt war, führte der Kursverfall zu Kreditengpässen. Bei einigen Verträgen waren Kreditrückzahlungen automatisch fällig, wenn der Aktienkurs unter eine bestimmte Schwelle sank (ebd., 123). Im November 2001 wurde ein Aufkäufer gesucht, der Enron retten sollte, bevor die Rating-Agenturen dem Unternehmen den Junk-Status zuwiesen und damit seinen Bankrott unausweichlich machten.11 Während der Verhandlungen mit dem einzigen Kaufinteressenten, dem Enron-Konkurrenten Dynegy, korrigierte Enron offiziell die eigenen Bilanzen der letzten viereinhalb Jahre, was zur Ausradierung von Gewinnen in Höhe von 586 Mio. Dollar und zu zusätzlichen Schulden in Höhe von 2,5 Mrd. Dollar führte. Nunmehr geriet auch Arthur Andersen, das Rechnungsprüfungsunternehmen, das die Abschlüsse von Enron testiert hatte, ins Visier der Öffentlichkeit. Nachdem die Übernahmeverhandlungen mit Dynegy am 28.11.2001 scheiterten, stuften die Rating-Agenturen Enrons Rating auf den Junk-Status herab. Angesichts der engen Verbindungen von Enron zur Bush-Administration war keine politische Rettungsaktion möglich, ohne dass die Regierung unmittelbar mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert worden wäre. Am 2.12.2001 ging Enron in Konkurs. Nach der Bankrotterklärung häuften sich die Klagen gegen Enron, und der Fall entwickelte sich von einem Finanzdebakel zu einem ausgewachsenen Skandal. Am 9.1.2002 eröffnete die Justizbehörde des Bundes ein Ermittlungsverfahren gegen Enron wegen möglicher Verstöße gegen Bundesgesetze. Der Justizbehörde in Houston wurde der Fall entzogen, da viele der dortigen Beschäftigten familiäre Beziehungen zur dortigen Unternehmenszentrale hatten. Auch die Schlinge um Arthur Andersen zog sich enger, nachdem bekannt wurde, dass Beschäftigte des Unternehmens in Houston Dokumente über Enron vernichtet hatten. Das Unternehmen wurde wegen Behinderung der Justiz angeklagt, verlor rasch seine Kunden und brach schließlich zusammen.

5. Komplizen

Reflektiert man über das Verhalten des Managements im Fall Enron und in den zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen, so ist die Wirkung der Aktienoptionspläne als Anreizmechanismus hervorzuheben. Aktienoptionen als Form der Managementvergütung galten im Rahmen des Shareholder Value-Konzepts bis zu den Bilanzskandalen als Mittel der Wahl, um das Management von Aktiengesellschaften zu einem Handeln im Interesse der Aktionäre, d.h. zu einer primär an der Steigerung des Aktienkurses orientierten Unternehmensführung zu bewegen.12 Der besondere Charme von Aktienoptionen bestand aus der Shareholder Value-Perspektive außerdem darin, dass sie nach US-amerikanischem Recht im Gegensatz zu regulären Lohnzahlungen nicht gewinnmindernd als Ausgaben oder Rückstellungen verbucht werden mussten.13 Die exorbitanten Summen, die das Topmanagement vieler Aktiengesellschaften während des New Economy-Booms kassieren konnte, sind zum großen Teil auf die Verbreitung der Aktienoptionspläne und die immensen Kurssteigerungen der Aktien in den späten 1990er Jahren zurückzuführen. Heute wird auch von Vertretern des Shareholder Value-Konzepts zugestanden, dass die Aktienoptionsprogramme häufig den Charakter einer Selbstbedienung des Managements hatten. Zum einen wurden viele Aktienoptionsprogramme auf Initiative des Managements eingeführt, zum anderen waren sie oftmals so konstruiert, dass für die Ausübung der Optionen so geringe Hürden vorgesehen waren, dass das Management bereits von einer allgemeinen Aktienhausse profitieren konnte, ohne Besonderes leisten zu müssen. Hinzu kommt der maßlose Umfang der Optionen, die das Topmanagement erhielt. 1992 verfügten die CEOs der US-amerikanischen Aktiengesellschaften über 2% des gesamten Aktienkapitals, zehn Jahre später über 12% (vgl. Brenner 2002)! Soweit die Kritik sich jedoch bloß auf die Ausgestaltung der Aktienoptionsprogramme bezieht, greift sie zu kurz. Was Enron und andere Bankrotteure anbelangt, so wird man sagen müssen, dass die Aktienoptionsprogramme durchaus als Anreizsystem "funktioniert" haben: Die Unternehmensführung des Managements hat sich - dem Shareholder Value-Konzept entsprechend - primär an der Steigerung des Aktienkurses orientiert und hat es ja auch - mit allen Mitteln - tatsächlich geschafft, den Aktienkurs enorm in die Höhe zu treiben. In dem Maße, in dem der Aktienkurs den Bezug zum operativen Geschäft verlor, konnten die Kurssteigerungen freilich nicht nachhaltig sein. Dass die Topmanager und andere Insider im Gegensatz zu der Masse der Kleinaktionäre und Sparer ihre Kursgewinne rechtzeitig vor dem Zusammenbruch realisieren konnte, kann nicht verwundern. Auch das Verbot des Insiderhandels kann nicht verhindern, dass es Insider und Outsider gibt und dass sich für die Insider immer Mittel und Wege finden, ihre Vorteile auszunutzen. Im übrigen hätte auch ein Anreizsystem, das sich nicht am Aktienkurs, sondern beispielsweise am Gewinn, an der Kapitalrendite oder an irgendeiner anderen Kennzahl orientiert hätte, eine Entwicklung wie die von Enron nicht unbedingt verhindern können. Enrons Bilanzierungspraktiken zielten ja auch auf die Aufblähung der Bilanzgewinne und der Kapitalrendite. Solange es Bewertungsspielräume und Möglichkeiten einer "kreativen" Bilanzierung gibt, wird das Management eines Unternehmens auch beliebige Kennzahlen beeinflussen können. Dass keine Bedenken wegen fragwürdiger Geschäfts- und Bilanzierungspraktiken im Unternehmen laut wurden, wurde nicht nur durch Anreizsysteme wie Aktienoptions- oder Belegschaftsaktienprogramme verhindert, sondern auch durch rigide Verfahren der persönlichen Leistungsbeurteilung durch Vorgesetzte. Im Falle von Enron wurden die Beschäftigten alle sechs Monate einem Ranking auf einer Skala von 1 bis 5 unterworfen. Dabei mussten 15% der Beschäftigten in die unterste Kategorie eingeordnet werden, um sie dann zu feuern. Um dem Ganzen den Anschein von Fairness zu geben, wurde den Beschäftigten der untersten Kategorie allerdings noch Gelegenheit gegeben, sich individuell bis zum nächsten halbjährlichen Ranking zu verbessern. Dies änderte jedoch nichts daran, dass regelmäßig 15% der Belegschaft ausgesiebt wurden. Auch den Beschäftigten der beiden nächsten Kategorien wurde mitgeteilt, dass ihnen beim nächsten Ranking der weitere Abstieg und damit die Entlassung drohen würde. Indem die Hälfte der Belegschaft permanent mit der Entlassung bedroht wurde, wurde eine erbarmungslose interne Konkurrenz aller gegen alle organisiert. Es muss nicht weiter betont werden, dass dieses System der Leistungsbeurteilung der persönlichen Willkür Tür und Tor öffnete und tendenziell unterwürfiges Verhalten belohnte. Unter diesen Bedingungen mussten die Beschäftigten Angst haben, Dissens zu äußern oder problematische Geschäftspraktiken anzugreifen. Nach Schätzungen verwenden etwa 20% der US-amerikanischen Unternehmen ein solches System des forced ranking. Dabei werden in der Regel die unteren 10% der Belegschaft einmal pro Jahr entlassen. Bei Enron wurde also eine verschärfte Version dieses Systems praktiziert (Fusaro/Miller 2002, 51f). Um die Entwicklung der Bankrotteure zu begreifen, reicht es jedoch nicht aus, die Motivationen der Beschäftigten dieser Unternehmen zu untersuchen. Da zu ihren fragwürdigen Geschäften immer noch andere Parteien gehörten, ist es notwendig, deren Rolle in den Blick zu nehmen. Wichtig waren zunächst die Wirtschaftsprüfer wie Arthur Andersen, die zu bestätigen hatten, dass die jeweiligen Unternehmensbilanzen korrekt waren. Ein solches Testat durch einen von der SEC lizenzierten Rechnungsprüfer ist für Aktiengesellschaften eine zwingende Voraussetzung, um an der Börse notiert werden zu können. Indem die Wirtschaftsprüfer den Bilanzfälschern die Absolution erteilten, sorgten sie dafür, dass die Bilanzen in den Augen der Investoren glaubwürdig waren. Da die großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen oftmals gleichzeitig als Unternehmensberater in denselben Unternehmen tätig sind, deren Bilanzen sie zu begutachten haben, und da diese Beratungstätigkeit ihnen im Vergleich zu der bloßen Prüfung der Bilanzen ein mehrfaches an Umsätzen und Gewinnen beschert, liegt es nahe, dass sie kein Interesse haben, mit ihren Kunden wegen Bilanzierungsfragen Konflikte auszutragen, die sie möglicherweise ihren Auftrag kosten könnten. Hinzu kommt, dass die Tätigkeit in den Wirtschaftsprüfungs- und Consultingunternehmen ein typischer Karriereweg für die jungen Absolventen der Business Schools ist. Oftmals rekrutieren Unternehmen Berater, die bei ihnen gearbeitet haben und die sie so bereits kennen gelernt haben. Wer auf einen Job bei dem Unternehmen spekuliert, bei dem er oder sie als Rechnungsprüfer oder Unternehmensberater tätig ist, wird sich entsprechend verhalten und keinen Konflikt riskieren. Als Unternehmensberater waren die Wirtschaftsprüfer wesentlich daran beteiligt, neue Methoden der "kreativen Bilanzierung" ausfindig zu machen. So schrieb sich beispielsweise Arthur Andersen die Erfindung des capacity swaps, also des Tauschs von Netzwerkkapazitäten zu und versuchte, diese Erfindung außer an Enron auch an andere Unternehmen der Energiebranche zu verkaufen. Eine ähnliche Rolle wie die Wirtschaftsprüfer spielten die Anwaltsunternehmen, deren Empfehlungen seit Mitte der 1990er Jahre, nachdem die Clinton-Regierung die Haftungsgrenzen drastisch gesenkt hatte, immer riskanter wurden (vgl. Matzner 2002). Ebenso bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Funktion der Analysten und der Investmentbanken. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass Analysten, die ja zumeist von den Investmentbanken beschäftigt werden, zumindest dann zu positiven Gewinnprognosen und zu Kaufempfehlungen für Aktien neigen, wenn diese geeignet sind, den Umsatz mit anderen Geschäftsbereichen ihres Unternehmens zu steigern (vgl. Lin/McNichols 1998, 116f; Dechow u.a. 2000, 27). Zwischen dem Interesse der Investmentbanken an möglichst hohen Einnahmen aus dem Wertpapierhandel oder dem Wertpapieremissionsgeschäft einerseits und einem objektiven "Research" andererseits besteht offensichtlich ein ähnlicher Widerspruch wie zwischen dem Unternehmensberatungsgeschäft und dem Rechnungsprüfungsgeschäft der Wirtschaftsprüfer. Selbst in der zweiten Oktoberhälfte des Jahres 2001, nachdem die Enron-Aktie bereits 80% ihres Werts eingebüßt hatte, gaben noch immer zehn von 17 Analysten, die Enron beobachteten, eine Kaufempfehlung (strong buy) für die Aktie ab (Fusaro/Miller 2002, 119f). Bekannt geworden ist der Fall des Analysten Chung Wu bei UBS Paine Webber, der Kunden der Bank wegen der Verschlechterung der finanziellen Lage von Enron gewarnt hatte. Nachdem Enron davon erfuhr, widerriefen die Vorgesetzten des Analysten dessen Warnung und gaben stattdessen eine Kaufempfehlung für die Enron-Aktie ab. Chung Wu wurde am gleichen Tag mit der Begründung entlassen, er habe gegen Regeln des Unternehmens bezüglich der elektronischen Kommunikation verstoßen, er hätte sich das Rundschreiben an die Investoren von seinem Vorgesetzten genehmigen lassen müssen (ebd. 72f). Auf den ersten Blick frappierend ist, das Enron bis zuletzt auch Kredite von großen Banken wie Citigroup und JP MorganChase erhalten hat. Hätten nicht zumindest die Gläubiger oder genauer die Kreditabteilungen der Banken einen Überblick über die Situation ihres Kunden haben und rechtzeitig gewarnt sein müssen? Dass die Banken ihre Kreditvergabe sehr locker handhabten, hängt zum einen damit zusammen, dass das klassische Kreditgeschäft für die Banken im Zuge der Verbriefung von Krediten, des Booms an den Kapitalmärkten und der Abschaffung des Trennbankensystems14 in den USA im Vergleich zum Investment Banking relativ an Bedeutung verloren hat. Billige Kredite wurden wahrscheinlich als Köder genutzt, um mit Großunternehmen im lukrativeren Bereich des Investment Banking ins Geschäft zu kommen (Economist, 26.1.2002, 65). Dass die Banken fast bis zuletzt große Kredite an Enron bzw. an die SPEs vergaben, dürfte zum anderen dadurch zu erklären sein, dass sie selbst einen großen Teil des Kreditrisikos an andere Akteure weiterreichen konnten: Die Banken verkauften ihre Forderungen an Dritte in Form von so genannten Collateralized Debt Obligations (CDOs) oder Asset Backed Securities (ABS) (vgl. Blackburn 2002, 30). Gerade die Nutzung von Kreditderivaten hat in den letzten Jahren enorm zugenommen - mit Wachstumsraten von mehr als 50% jährlich15 (Rehm/Rudolf 2001, 6). Die Versicherungen, Investment- und Pensionsfonds, die diese Kreditderivate kauften, konnten bei regulären Zins- und Tilgungszahlungen mit hohen Profiten rechnen, trugen dann aber auch das Ausfallrisiko. In diesem Prozess des Risikotransfers wurden einzelne Risiken verwischt, da die Technik der Kreditderivate unter anderem darauf beruht, Risiken zu zerlegen, neu zu bündeln und so handelbar zu machen. Letztlich wurde das Kreditrisiko von den Millionen Sparern getragen, die ihr Geld bei den Investment- und Pensionsfonds investiert hatten. Es wird geschätzt, dass der Zusammenbruch von Enron Vermögenswerte von 60 Mrd. Dollar vernichtet hat. Dass sich die großen Banken, die allesamt mit Enron im Geschäft waren, im Gegensatz zu der Krise des Hedge-Fonds LTCM 1998 nicht zu einem Bail-out, zu einer Rettungsaktion bereit fanden, dürfte damit zusammenhängen, dass sie im Fall von Enron besser vorbereitet waren und die Risiken zu einem großen Teil bereits an andere transferiert hatten (vgl. Blackburn 2002, 31). Der Fall Enron macht deutlich, dass die Weiterentwicklung der Instrumente des Risikomanagements es zwar den einzelnen Akteuren erlaubt, ihre Risiken zu minimieren und handhabbar zu machen, dass es aber gerade deshalb zu einer Ausweitung der Kreditvergabe kommt, die einerseits zwar das Wachstum der Kapitalakkumulation begünstigt, andererseits aber auch das systemische Risiko erhöht und den Moral Hazard individueller Akteure begünstigt.

6. Reaktionen

Die durch die Bankrotte von Enron und anderen Unternehmen angestoßenen Rechtsstreitigkeiten sind bei weitem noch nicht abgeschlossen. Gekämpft wird nun zwischen den verschiedenen Akteursgruppen darum, wer in welchem Maße die Auswirkungen des Desasters zu tragen hat16. Die Interessen der Lohnabhängigen, die ihre Arbeitsplätze, Ersparnisse und Rentenansprüche verloren haben, spielen dabei in der Öffentlichkeit im Vergleich zu den Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen, Banken, Versicherungen, institutionellen Investoren, Wirtschaftsprüfern und ihren jeweiligen Lobbyisten eine ganz und gar untergeordnete Rolle. So unterschiedlich die Interessen dieser Akteursgruppen im einzelnen sein mögen, so sehr stimmen sie doch darin überein, das marktorientierte Finanzsystem, das den Humus bildet, auf dem sich Enron erst entwickeln konnte, nicht grundlegend in Frage zu stellen. Dies erklärt auch die Zurückhaltung, mit der die US-amerikanische Politik auf die Bilanzskandale reagierte. Trotz des Ausmaßes des Enron-Skandals wurden zunächst nur kosmetische Veränderungen vorgenommen. Erst nachdem im Juli 2002 die Bilanzfälschungen bei Worldcom öffentlich wurden, deren Ausmaß die bei Enron noch übertraf, wurde der Entwurf des im April 2002 im Repräsentantenhaus verabschiedeten Corporate and Auditing Accountability, Responsibility, and Transparency Act of 2002 nochmals verschärft. Doch auch die endgültige Version des als Sarbanes-Oxley-Act besser bekannten Gesetzes sieht keinen grundlegenden institutionellen Umbau in den meisten der involvierten Bereiche vor. Es ist hier nicht möglich, im Detail auf den Sarbanes-Oxley-Act einzugehen, doch sollen zumindest die wichtigsten Regelungen kurz angesprochen werden. Der Sarbanes-Oxley-Act konzentriert sich vor allem auf die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer, die gewissermaßen als Sündenböcke herhalten müssen. Sie sollen künftig durch eine neue Institution, das Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB), überwacht werden. Den Wirtschaftsprüfern wird es untersagt, gleichzeitig bestimmte weitere Dienstleistungen für die Unternehmen zu erbringen, deren Bilanzen sie prüfen. Dabei werden allerdings Ausnahmen zugelassen, so dass Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung im Ergebnis doch nicht vollständig getrennt werden. Weiterhin kann ein Wirtschaftsprüfer nicht für ein Unternehmen tätig werden, dessen CEO, CFO, Controller oder Chief Accounting Officer bei dem Wirtschaftsprüfer beschäftigt und innerhalb des letzten Jahres an Wirtschaftsprüfungsaktivitäten in jenem Unternehmen beteiligt war. Damit wird die Rekrutierung des Personals der Wirtschaftsprüfungs- und Consultingfirmen durch ihre Kunden nur geringfügig eingeschränkt. Die Tätigkeit eines Wirtschaftsprüfungsunternehmens für einen Kunden wird auch nicht befristet; lediglich die für die Bilanzprüfung jeweils verantwortlichen Personen sollen nach maximal fünf Jahren ausgetauscht werden. Der CEO und der CFO einer börsennotierten Gesellschaft müssen fortan eigens bestätigen, dass die Quartals- und Geschäftsberichte die finanzielle Lage und die operative Geschäftstätigkeit ihres Unternehmens richtig widerspiegeln. Bestätigen sie dies fälschlicherweise, so droht ihnen eine Gefängnis- oder Geldstrafe. Hier wurde nicht nur ein neuer Straftatbestand eingeführt, es wurde auch bei einer Reihe bereits existierender Straftatbestände das Strafmaß verschärft. Die Präferenz der Kongress- und Senatsmehrheit für ein strafrechtliches Vorgehen kontrastiert eigentümlich mit dem Unwillen, weitergehende institutionelle Veränderungen vorzunehmen. In zentralen, konfliktiven Bereichen sieht der Sarbanes-Oxley-Act nur vor, dass Studien durchgeführt werden, um institutionelle Maßnahmen auf dieser Basis weiter zu diskutieren. So sollen Studien über die Konsolidierung in der Wirtschaftsprüferbranche, über die Vor- und Nachteile einer Rotation der Wirtschaftsprüfungsunternehmen, über die Leistungsfähigkeit von Ratingagenturen und über die Rolle der Investmentbanken bei den Bilanzmanipulationen börsennotierter Gesellschaften durchgeführt werden. Auch die Selbstregulierung der Wirtschaft hinsichtlich der Rechnungslegungsgrundsätze17 tastet das Gesetz nicht an. Sind die institutionellen Veränderungen, die der Sarbanes-Oxley-Act vorsieht, bereits relativ geringfügig und den Problemen nicht angemessen, so zeigen die Konflikte um die Implementation des Gesetzes, dass der Höhepunkt der Re-Regulierung mit seiner Verabschiedung wahrscheinlich schon überschritten wurde (Economist, 1.2.2003, 60). Zum Vorsitzenden des neu geschaffenen PCAOB nominierte die Mehrheit der SEC-Führung unter dem Druck der Republikaner und des Weißen Hauses mit dem ehemaligen Bundesrichter, CIA- und FBI-Chef William Webster jemanden, der nicht gerade als besonderer Bilanzierungsexperte, dafür aber als Kandidat der Wirtschaftsprüferlobby und anderer konservativer Interessen gilt (Economist, 12.10.2002, 79; 2.11.2002, 73). Auch der neue Chef der SEC, der Mitbegründer der Investmentbank Donaldson, Lufkin & Jenrette, der Bush-Freund und frühere Chef der NYSE, William Donaldson, dürfte kein Interesse an einer stärkeren Regulierung des Wertpapierkapitalismus haben. Als Mitglied des Verwaltungsrats diverser Unternehmen war er an genau den Praktiken beteiligt, die nun in Verruf geraten sind. Donaldson hat unter anderem die Fair Disclosure-Regulierung, mit der sichergestellt werden sollte, dass alle Marktteilnehmer und nicht nur besonders bevorzugte Insider rechtzeitig kursrelevante Informationen erhalten, als "verrückt" bezeichnet. Als Chef der New Yorker Aktienbörse hat er vermutlich illegale Parketthandelsaktivitäten der großen Brokerunternehmen gedeckt (Business Week, 10.2.2003, 38f). All dies zeigt, dass die Politik von Kräften bestimmt wird, die kein Interesse daran haben, den Unternehmen und den großen Kapitaleignern Fesseln anzulegen - auch nicht im Namen einer imaginären Gemeinschaft der Investoren, die ihr Vertrauen in den Markt verloren haben. Ein Punkt soll abschließend noch betont werden: Es wäre falsch, anzunehmen, dass die Bilanzskandale ein spezifisch US-amerikanisches Problem wären. Verstöße gegen Vorschriften sind offenbar auch in Deutschland "ein ständig zunehmendes Phänomen", wie ein Vorstand des Instituts der Wirtschaftsprüfer im Januar 2002 feststellte. Eine Ursache dafür sei der mit dem Vordringen des Shareholder Value-Konzepts verbundene "Performance-Druck". Die Unternehmen würden auch durch die Abgabe von Gewinnprognosen unter Zugzwang geraten. Man versuche diese unbedingt einzuhalten, "weil einen sonst die Börse abstraft". Durch die Beteiligung von Managern am Firmengewinn werde die Motivation multipliziert, "einmal Fünfe gerade sein zu lassen" (Bilanzdelikte nehmen dramatisch zu, Süddeutsche Zeitung, 28.1.2002). In ganz Europa hat es vergleichbare Fälle gegeben (Business Week, 10.3.2003, 38f.; Schmid 2002). Die Unternehmen, die ins Zwielicht geraten sind, sind typischerweise solche, die einen forcierten Expansionskurs durch Akquisitionen verfolgt haben, die einen "US-amerikanischen" Managementstil und Aktienoptionen eingeführt haben oder die sich - wie beispielsweise viele Aktiengesellschaften am "Neuen Markt" - als New Economy-Unternehmen zu profilieren suchten. Auch in Europa haben die Bilanzskandale und Bankrotte nicht zu einer politischen Umorientierung geführt. Im Gegenteil: Die Weichen sind so gestellt, dass für die Zukunft gerade in Europa noch größere Katastrophen zu erwarten sind. Denn die Anpassung an das "angelsächsische", marktorientierte Finanzsystem ist noch längst nicht abgeschlossen und läuft weiter. Ablesbar ist dies z.B. im Bereich der Rechnungslegung. Jüngst hat die EU die Fair value-Bilanzierung von Wertpapieren und Derivaten akzeptiert. Ab 2005 werden für die börsennotierten Gesellschaften im EU-Raum die IFRS, die sich in vieler Hinsicht an den US-GAAP orientieren, auch wenn sie weniger an Einzelfällen und mehr an Prinzipien orientiert sind, verbindlich. Auch das International Accounting Standards Board (IASB), das die IFRS ausarbeitet, ist wie das US-amerikanische FASB eine private Regulierungsinstitution. Vorsitzender des IASB ist übrigens der ehemalige Chairman der US-amerikanischen Zentralbank, Paul Volcker, einer der Hauptakteure bei der neoliberalen Wende Ende der 1970er Jahre. Pikanterweise versuchte Volcker noch im Februar 2001, Enron zu einer Spende für die Arbeit des IASB zu bewegen. Enron zeigte sich interessiert daran, die Entwicklung der Rechnungslegungsgrundsätze zu beeinflussen, und wollte wissen, inwieweit mit einer Spende Einfluss auf die Arbeit des IASB verbunden wäre (vgl. Spiegel/Peel 2002). Gravierender noch als die Veränderungen im Bereich der Rechnungslegungsstandards sind in Deutschland die fortgesetzten Bemühungen, das Leistungsniveau der staatlichen Rentenversicherung abzusenken und stattdessen eine Ausweitung der kapitalgedeckten, privaten Altersvorsorge durchzusetzen. Die Privatisierung der Altersvorsorge könnte der entscheidende Hebel sein, um auch hierzulande ein stärker marktorientiertes Finanzsystem durchzusetzen und den Kreislauf des fiktiven Kapitals noch mehr auszuweiten. Dabei haben nicht nur der Zusammenbruch von Enron und anderen Unternehmen, sondern der Kursverfall an den Aktienmärkten insgesamt die Risiken dieser Politik bereits deutlich gemacht. Lebensversicherer und Pensionsfonds sind durch die Entwertung ihres zu großen Teilen in Aktien angelegten Vermögens ins Schleudern geraten. Unternehmen müssen nun in großem Umfang Geld für ihre betrieblichen Rentenkassen nachschießen, um ihren Verpflichtungen weiterhin gerecht werden zu können. In den USA und in Großbritannien wie auch hierzulande wird bereits laut darüber nachgedacht, wie sich die Unternehmen, die eigene betriebliche Pensionsfonds haben, ihrer zunehmenden Verpflichtungen, die auf Bilanzen und Gewinne drücken, entledigen können. Eine noch weitergehende Verschiebung der Risiken auf die einzelnen Lohnabhängigen deutet sich an. Doch die Erkenntnis, dass auch die privaten Rentensparpläne, seien sie individuell, betrieblich oder branchenweit organisiert, weder gegen ökonomische Verwerfungen noch gegen demographische Verschiebungen, zu deren Bewältigung sie ja eigentlich dienen sollten, immun sind, wird in Deutschland weitgehend verdrängt.18 Mit der Privatisierung des Rentensystems und der Kapitalisierung der Rentenbeiträge wird eine Dynamik in Gang gesetzt, die als extreme Konsequenz auch einen Totalverlust sozialer Sicherheit impliziert, wie ihn die Beschäftigten von Enron erfahren mussten. Doch für die Lohnabhängigen beginnt das Unglück in einer Welt "globalisierter Unsicherheit" (Altvater/Mahnkopf 2002) vielfach nicht erst mit Bilanzfälschungen oder mit dem Bankrott "ihres" Unternehmens, sondern schon mit dem "normalen" Funktionieren kapitalistischer Produktion.

Resümee

Die Analyse sollte deutlich machen, dass es sich bei den Bilanzskandalen und Bankrotten von Enron und Konsorten nicht um einen Betriebsunfall einer ansonsten "unschuldigen" Marktwirtschaft handelt. In der kapitalistischen Konkurrenz werden gerade die Unternehmen belohnt, die in jeder Hinsicht bis an die Grenzen des Machbaren und Zulässigen gehen. Dass es dabei immer wieder auch zu Grenzüberschreitungen kommt, liegt in der Natur der Sache. Und die Trennlinie zwischen gefälschten und regulären Bilanzen ist ebenso unscharf wie die zwischen Bestechung und Lobbyarbeit. Mit der Globalisierung der Finanzmärkte und der Durchsetzung der Shareholder Value-Orientierung ist der Stachel der Konkurrenz jedoch deutlich schärfer geworden. Gleichzeitig ist durch das zunehmende Gewicht des fiktiven Kapitals die Grauzone erheblich ausgeweitet worden, die für bilanzielle Manipulationen zur Verfügung steht. Angesichts der Restriktionen, die sich aus der Konkurrenz auf den Produktmärkten und aus den industriellen Beziehungen ergeben, ist die "kreative" Bilanzierung für viele Unternehmen unverzichtbar, um den Anforderungen des Kapitalmarktes zu genügen. Angetrieben schließlich durch die New Economy-Euphorie und die Perspektive des schnellen Reichtums auf der Basis von Aktien, versuchten viele Akteure, den Schranken der Kapitalverwertung zu entkommen, die sich dann in dem nachfolgenden Börsencrash wieder geltend machten. Business as usual sozusagen.

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Dies ist in den meisten Branchen der Fall, auch wenn diese in der Regel nicht durch ein einzelnes Unternehmen beherrscht werden, sondern durch stratifizierte Oligopole gekennzeichnet sind, d.h. durch die Dominanz einer mehr oder weniger kleinen Gruppe von Unternehmen, deren Profitraten systematisch voneinander abweichen (vgl. dazu Aglietta 1979, 297ff). 4 Vgl. dazu Rügemer in diesem Heft sowie www.thedailyenron.com/enron101/political.asp 5 Enron war nicht zuletzt in zahlreichen Ländern der kapitalistischen Peripherie - mit zum Teil fragwürdigen Methoden - aktiv (vgl. Prashad 2002 und Rügemer in diesem Heft). 6 In Kalifornien wird im Sommer mehr Strom zur Kühlung und Klimatisierung von Räumen verbraucht als im Winter zur Heizung und Beleuchtung. 7 Die Entwicklung des Telekommunikationsmarktes ist in dieser Hinsicht lehrreich: Hier haben sich nach der Deregulierung letztlich vor allem jene Netzbetreiber behauptet, die in bestimmten Netzsegmenten noch über regionale Monopole verfügten, d.h. eben die alten nationalen Telefongesellschaften. Diensteanbieter ohne eigenes Netz, deren einzige, aber keineswegs einzigartige Kompetenz darin besteht, immer neue Tarif- und Abrechnungsmodelle zu entwickeln, haben dagegen arge Schwierigkeiten zu überleben. 8 Besondere Möglichkeiten bietet die mark-to-model-Bilanzierung von Derivaten. Je komplexer die Derivate sind, je mehr Referenzgrößen ihnen unterliegen und je länger die Laufzeit der Kontrakte ist, desto größer sind in der Regel die bilanziellen Manipulationsmöglichkeiten. Obwohl bei Derivatkontrakten letztendlich, wenn Zahlungen fällig werden, eine Vertragspartei verliert, wenn die Gegenpartei gewinnt, können beide Vertragsparteien während der Laufzeit des Kontrakts, bevor irgendwelche Zahlungen stattfinden, unter Umständen Gewinne verbuchen, wenn sie unterschiedliche Modellannahmen zugrunde legen (vgl. Buffett 2003, 60). 9 Zur Bilanzierung immaterieller Vermögensgegenstände vgl. Ip 2002, London 2002. 10 Bei der "strukturierten Finanzierung" werden Ansprüche auf zukünftige Zahlungsströme aus konkreten unterliegenden Transaktionen - ob es sich nun um Kreditkartenzahlungen, um Hypothekenkredite, Automobilleasingverträge oder Erdgasverkäufe handelt - gebündelt verbrieft und - nach Risikoklassen segmentiert - als Wertpapiere an Investoren verkauft. Es handelt sich hier um neuere Formen des fiktiven Kapitals, die in überaus raschem Wachstum begriffen sind. Die Verkäufer der jeweiligen Assets können dabei Zahlungs- und Kreditrisiken auf andere abwälzen und unmittelbar flüssige Mittel erlangen. Die Käufer können diese Wertpapiere zur Portfoliodiversifizierung nutzen und zwischen verschiedenen Risiko- und Ertragsklassen wählen. Investmentbanken vermitteln diese Geschäfte und streichen entsprechende Gebühren ein. Eine kritische Betrachtung des in ständiger Weiterentwicklung begriffenen Bereichs der "strukturierten Finanzierung" hat erst infolge des Enron-Skandals begonnen (vgl. Timmons 2002). 11 Die negativen Auswirkungen einer Verschlechterung des Kreditratings auf die Finanzierung eines Unternehmens können durch Derivatverträge erheblich verstärkt werden, da letztere häufig unmittelbar zusätzliche Sicherheiten erfordern, wenn die Bonität herabgestuft wird. Dies erzeugt einen höheren Bedarf an flüssigen Mitteln, was wiederum zu einer weiteren Abstufung des Ratings führen kann - eine Spirale wird in Gang gesetzt, die zu einer Liquiditätskrise und zum Bankrott führen kann (vgl. Buffett 2003, 61). Dies dürfte auch im Fall von Enron eine Rolle gespielt haben. 12 In den meisten Fällen erhalten nicht alle Beschäftigten eines Unternehmens Aktienoptionen, sondern nur ausgewählte Gruppen wie das Management und Beschäftigte, deren Bindung für das Unternehmen besonders wichtig ist. Insgesamt hat die Verbreitung von Aktienoptionen in den 1990er Jahren jedoch stark zugenommen. Das National Center for Employee Ownership schätzte, das im Jahr 2000 in den USA fast zehn Millionen Beschäftigte Aktienoptionen erhalten haben, 1990 waren es noch weniger als eine Million (vgl. Bodie u.a. 2003, 63). 13 Hätte z.B. der Medienkonzern AOL Time Warner im Jahr 2001 für die Ausgabe von Aktienoptionen auf der Basis der gängigen Optionspreismodelle Kosten verbucht, wie es die - nicht bindende - Empfehlung des Financial Accounting Standards Board (FASB) vorsieht, so hätte der Konzern für das Geschäftsjahr anstelle eines operativen Gewinns von 700 Mio. Dollar einen Verlust von 1,7 Mrd. Dollar ausweisen müssen (Bodie u.a. 2003, 64). 14 Mit dem Glass Steagall Act von 1933, der als Reaktion auf die damalige Weltwirtschaftskrise verabschiedet wurde, wurde es den US-amerikanischen Banken weitgehend verboten, gleichzeitig das Kreditgeschäft und das Wertpapiergeschäft zu betreiben. Außerdem wurde das Bankwesen vom Versicherungswesen getrennt, und wechselseitige Beteiligungen von Banken und Industrie- oder Handelsunternehmen wurden begrenzt. Diese Barrieren wurden jedoch durch diverse Umgehungsstrategien der Banken zunehmend ausgehöhlt und 1999 mit dem Financial Services Modernization Act, auch Gramm Leach Bliley Act genannt, weitgehend abgeschafft (vgl. Steiner 2003). 15 Es gibt hier nur Schätzungen, da die meisten Kreditderivate over the counter, also außerbörslich gehandelt und statistisch nicht erfasst werden. 16 Vgl. zu den Auseinandersetzungen zwischen Banken und Versicherungen z.B. The Economist, 26.1.2002, 66; ebd., 11.1.2003, 62. 17 Die Rechnungslegungsgrundsätze werden von dem privaten Financial Accounting Standards Board (FASB) entwickelt. Die Börsenaufsicht (SEC) erkennt in der Regel dessen erlassenen Grundsätze an, wodurch sie für börsennotierte Gesellschaften verbindlich werden. Das FASB selbst wird von der Financial Accounting Foundation (FAF) kontrolliert, die von Vertretern der Wirtschaftsprüfer, der Finanzdienstleister und der Industrie beherrscht wird. 18 Vgl. zur Diskussion um die Alterssicherung die kritischen Darstellungen von Steffen (2000) und Christen u.a. (2003). Thomas Sablowski Bilanz(en) des Wertpapierkapitalismus PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 131, 33. Jg., 2003, Nr. 2, //-//