Rhetorik der Auslassung

Vergewaltigung als Thema in südafrikanischen Romanen

Vergewaltigung wird in der südafrikanischen Literatur nicht als gewaltvolle Erfahrung der Opfer thematisiert, sondern als eine Art Symbolik für Rassenspannungen und nationale Identität. ...

... Die Romane aus den Jahren des Übergangs von der Apartheid zur multikulturellen Demokratie betonen die Kategorie "Rasse" weitaus mehr als die Kategorie "Gender". Damit aber steht der metaphorische Gebrauch von Frauenkörpern in einem krassen Gegensatz zu den tatsächlichen Erfahrungen von Vergewaltigungsopfern. In literarischen Texten der letzten zehn Jahre taucht ein auffälliges Muster in der Darstellung von Vergewaltigung auf, das sich in fünf bekannten Romanen zurückverfolgen lässt: in Arthur Maimanes Hate no more (2000), J.M. Coetzees Schande (1999), Andre Brinks Imaginings of Sand (1996), Lauretta Ngcobos And they didnÂ’t die (1990) und Farida Karodias Other Secrets (2000). In allen fünf Romanen ist die Kategorie "Rasse" in die Darstellung der Vergewaltigungsszenen eingeschrieben. Dabei liegt der Fokus immer auf so genannten "interracial" Vergewaltigungen. Als Konsequenz aus diesen Vergewaltigungen wird in den jeweiligen Geschichten ein Mischlingskind geboren. Was für die AutorInnen zwingend erscheint, hat jedoch mit der Realität wenig zu tun. Dort kommt es viel häufiger zu "intraracial" Vergewaltigungen, und äußerst selten führen sie zur Empfängnis. Und auch sonst verblüfft der Gegensatz zwischen literarischer Verarbeitung und Realität: So wird in den literarischen Arbeiten auch ausgeblendet, dass die Gewalt gegen Frauen häufig tödliche Konsequenzen durch die Ansteckung mit HIV hat.

Die weiße Göttin

In südafrikanischen Romanen wird sexuelle Gewalt in der Regel verschwiegen, wie Lynn Higgins und Brenda Silver in der Einleitung zu ihrer Sammlung kritischer Beiträge "Rape and Representation" bereits 1991 festhalten. Die Autorinnen stellen generell eine "Rhetorik der Auslassung" in den Erzählungen fest, bezüglich der Vergewaltigung selbst sogar eine "auffallende Abwesenheit", obwohl diese für die gesamte Erzählstruktur von zentraler Bedeutung ist: "Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist Ursprung sozialer Beziehungen, doch in den Erzählungen wird das Ereignis selbst konsequent ausgelassen." Dieses Nichtbenennen von Vergewaltigungen ist ein typisches Merkmal der Übergangszeit nach dem Ende der Apartheid. Das wird beispielsweise in Arthur Maimanes Hate no more deutlich. Erstmals 1976 unter dem Titel Victims veröffentlicht, wurde der Roman 2000 unter anderem Titel sowie leicht verändert und mit Prolog und Epilog versehen neu aufgelegt. Der Roman beginnt mit der Geschichte von Philip, einem Schwarzen, der eine weiße Frau vergewaltigt, nachdem er von einer Gruppe weißer Männer erniedrigt worden ist. Das Opfer Jean wird nach der Vergewaltigung schwanger und beschließt, das Kind zu behalten. In beiden Versionen des Romans wird besonderer Wert darauf gelegt, Philip als Täter zu entlasten. So streicht Maimane in der zweiten Fassung zwar die Darstellung, dass Jean die Vergewaltigung genießt, aber Philips Tat wird dennoch damit gerechtfertigt, dass "sie dalag wie ein Stück Holz, wie ein eiskalter Fisch", sie "fühlte nichts". Während Philip in der ersten Version noch durch das "Verletzen" von Jean Lust verspürt, wird er in Hate No More durch das "Beflecken" von ihr befriedigt. Philip will die "makellose Reinheit der weißen Göttin" trüben, die "Quelle der weißen Rasse". Er will die weiße Frau als wertvolles Symbol der weißen Ethnie in den Schmutz ziehen, den weißen Mutterleib besudeln - und somit auch die Grenze zur "Rassenreinheit". Die Gewalttätigkeit der Vergewaltigung wurde aus dem Text gestrichen, Jean wird rhetorisch entkörpert und ihr Körper verflüchtigt sich ins Symbolische.

Leerstelle "Gender"

Die Übertragung von Frauenkörpern in das Reich der Symbole wird auch im Prolog des überarbeiteten Buches deutlich. "Während meine rastlosen Hände diese weißen Brüste streicheln, ergreifen sie die weiße Zivilisation und Würde und machen diese zu meiner eigenen." Die Darstellung der Vergewaltigung als bildlicher Ausdruck für "Rassenspannungen" und Konflikte anstelle von geschlechtsspezifischer sexueller Gewalt hat viele blinde Flecken zur Folge, etwa hinsichtlich der Praktiken der "Entführung" von Frauen und der "Liebe im Kriegsrecht" (als Euphemismus für Vergewaltigung). Obwohl die Romanfigur Philip zugibt, dass er eine "Flut von Kindern über Sophiatown gebracht hat", legt er die Verantwortung für die Empfängnis stets in die Hand der Mütter. Das Negieren der Vergewaltigungen schwarzer Frauen durch schwarze Männer, wie wir es in diesem Roman vorfinden, gehört zu jener Kultur des Schweigens, die "Gender" als politische Kategorie wirkungsvoll verleugnet. Der Post-Apartheid-Rahmen der Geschichte im Prolog und Epilog ist ebenfalls bemerkenswert, da er sich auf das Kind konzentriert, das aus der Vergewaltigung hervorgeht. Das "Mischlingskind" Beatrice wird im Epilog zugunsten der "legitimen" schwarzen Tochter Bontle verdrängt. Bontle wird zur erlösenden Figur, die Philip in das neue Südafrika führt. Ermordet während der Apartheid bei einem Studentenprotest 1976, wird sie zum Katalysator, der Philip in die Politik und später in eine Post-Apartheid-Karriere als Vorsitzender einer Versammlung für Chancen- und Gendergleichheit führt. Laut Anne McClintock "verkörpern Frauen konservative, nationalistische Werte wie Kontinuität", während Männer "die fortschrittlichen, revolutionären, nationalistischen Prinzipien wie Diskontinuität verkörpern", die in die Zukunft führen. Die gegensätzlichen Leerstellen, die Frauen und Männer in einem nationalen Diskurs einnehmen, werden auch in J.M. Coetzees Schande aufgegriffen. Die Protagonistin Lucy ist eine "zukunftsorientierte Frau, die nicht zurückschaut." Ihr Vater David dagegen befürchtet, dass seine Tochter dazu gebracht wird, die Bürde der Vergangenheit zu tragen. "Du möchtest dich vor der Geschichte erniedrigen", sagt er zu ihr. Der gesamte Roman kann als Diptychon gelesen werden, denn es werden zwei Arten sexueller Beziehungen kontrastiert. Die erste ist in Kapstadt angesiedelt und umfasst Davids Arrangement mit Soraya, einer "exotischen" Prostituierten asiatischer Herkunft, sowie seine Affäre mit der schwarzen Studentin Melanie Isaacs. Die Handlung verlagert sich dann an das Ostkap, wo Davids Tochter Lucy Opfer einer Gruppenvergewaltigung durch drei schwarze Männer wird. Die beiden Orte sind mit historischer Bedeutung beladen. Kapstadt ruft das Vermächtnis der Sklaverei ins Gedächtnis, eine Institution, in der die Vergewaltigung schwarzer Frauen durch weiße Männer als entschuldbar galt. Das Salem-Milieu an der Ostküste hingegen beschwört eine Geschichte von Grenzkämpfen herauf, die zwischen den Xhosa und den britischen Siedlern gefochten wurden. Salem war einst Teil von "Old Kaffraria" und wurde später zum Herz des Siedlerlandes. Die Protagonistin Lucy ist lesbisch und besitzt hier ein Stück Land, das von der schwarzen Mehrheit zurückgefordert wird. Doch Lucy wehrt sich gegen den Verlust ihres Landes und ihrer lesbischen Identität und wird schließlich vergewaltigt.

Die nationale Maria

Dem Land kommen hiermit vielfache Bedeutungen zu: Zum einen muss Lucy als Landbesitzerin ihr Eigentum für einen Staat im Übergang opfern, zum anderen soll sie als Frau in eine patriarchale Gesellschaftsordnung zurückgeführt werden. Ihr Verhalten, das als "sexuell abweichend" bezeichnet wird, bedeutet Sexualität jenseits der Reproduktionsbedürfnisse. Die Vergewaltigung, die der Logik der Hexenverfolgung folgt, führt Lucy als reproduktiven Körper zurück in die patriarchale Familie und vernichtet damit die Bedrohung durch eine sich selbst genügsame Frau, die eigenes Land besitzt. Die historisierende Repräsentation von Vergewaltigung in Schande gleicht einer Demonstration von Macht und Gewalt über den weiblichen Körper. Während David die Versöhnung verweigert und keine Reue zeigt, ist es Lucy, die sagt, "Frauen können überraschend vergebend sein", und sie scheint darin gefangen zu sein. Sie lebt an der Seite eines ihrer Vergewaltiger, sie ist "bereit etwas zu tun, ein Oper zu bringen für den Frieden" und schlägt vor, dass ihre Vergewaltigung und Schwängerung "der Preis sind, den man zahlen muss, um weiterzumachen". Salem, der Ort, den Lucy nicht verlassen will, bedeutet wörtlich "Friede" und geht auf eine historische Versöhnung zwischen Siedlergruppen zurück. Lucys Standort ist somit im Diskurs der Versöhnung verortet, gemeinsam mit dem Aufruf an Frauen, den "Sohn des Messias" zu gebären. Lucy ist "glücklich, die eine Auserwählte zu sein", sagt sie am Anfang des Kapitels, in dem die Vergewaltigung stattfindet. Diese Metaphorik verwandelt den weiblichen Körper in ein Gefäß, das die Zukunft (des Messias) in sich trägt. Lucy verwandelt sich in die Jungfrau Maria, eine "Brücke und Fürsprecherin", und die grausame Gruppenvergewaltigung wird zu einer unbefleckten Empfängnis. Auf diese Weise wird sexuelle Gewalt ausgelöscht, auch wenn sie zuvor beschrieben wurde. Lucys Mutterleib ist das Gefäß für eine zukunftsorientierte Versöhnung und Erlösung und stellt als "Mater Dolorosa" die Frucht ihres Mutterleibes als nationales Gut zur Verfügung. Weniger zurückhaltend in seinem Wunsch, das "Andere" zu repräsentieren, und gleichzeitig weniger ambivalent in seiner Beziehung zu dem gefeierten Diskurs des "neuen" Südafrikas ist André Brinks Imaginings of Sand. Hierbei geht es um die Geschichten von Kristien, einer weißen südafrikanischen Rückkehrerin, und von Trui, der schwarzen Hausangestellten. Kristien findet heraus, dass Trui mit ihr verwandt ist, weil in der Vergangenheit "interracial" Vergewaltigungen zwischen ihren beiden Familien stattgefunden haben. Beide Frauen erkennen ihre familiären Beziehungen an, schlussendlich aber bedeutet die ethnische Vermischung sehr Unterschiedliches für sie. Die Anerkennung des "durchmischten Blutes" für eine Weiße wie Kristien ist positiv und schafft für sie einen Bezug zu ihrer nationalen Herkunft. Ihre Entscheidung, in Südafrika zu bleiben, ist eine, "die in mir selbst als Kind im Mutterleib geschärft wurde", indem sie mit dem Blut von Truis Familie durchtränkt wurde. Aber so wie der Roman konstruiert ist, wird das Farbig-Sein selbstverständlich durch Truis Blick betrachtet: "Zuerst brachten uns die Weißen die Hölle, nun sind es die Schwarzen", sagt sie. "Für uns Menschen dazwischen wird sich nie etwas ändern."

Vergewaltigung als Invasion

Wenn Autorinnen von Vergewaltigung berichten oder über sie aus einer weiblichen Sicht schreiben, eröffnen sie ganz andere Sichtweisen. Lauretta Ngcobos And They Didn´d Die und Farida Karodias Other Secrets zertrümmern erfolgreich die symbolischen Zuschreibungen, die bei Vergewaltigungen vorherrschen, und erfüllen Higgins und Silvers Forderung, "die Körper von Frauen nicht als bloße Symbolfiguren zu sehen". Der Roman And They Didn´t Die ist in einer Welt angesiedelt, die von Einwanderungsstop und Passkontrollen überschattet ist. Das Buch stellt die soziale Realität von Vergewaltigungen in den Vordergrund und degradiert sie nicht zum literarischen Stilmittel, sondern zeigt auf, wie oft schwarze Frauen der sexuellen Aggression weißer Männer ausgesetzt sind. Die Protagonistin Jezile sucht als Hausangestellte Arbeit in der Stadt, weil sie ihre Kinder und sich selbst in den Ländern von Bantustan nicht ernähren kann. Dort wird sie von ihrem weißen Arbeitgeber vergewaltigt und schwanger, um schlussendlich nach Hause zurückzukehren und von der Familie ihres Ehemannes verbannt zu werden. Laureta Ngcobo stellt die "Allmacht des Patriarchats" und dessen unzählige Widersprüchlichkeiten in den Vordergrund. Aber selbst hier ist die Positionierung der aus der Vergewaltigung entstandenen Kinder enttäuschend. So kämpft Jeziles Sohn Lungu den Anti-Apartheid-Kampf. Aber die Autorin lässt ihn während der Studentenproteste von 1976 niederschießen, fortan ist er "von der Hüfte ab gelähmt". Als Mischlingskind kann er in der südafrikanischen Realität nicht bestehen.

Unvergleichliche Tortur

Auch das Kind aus der Vergewaltigung in Other Secrets von Farida Karodia leidet auf ähnliche Weise. Das Buch ist die überarbeitete und ausgebaute Version des früheren Romans Daughters of the Twilight von 1986. Beide erzählen die Geschichte von Yasmins Vergewaltigung durch den Sohn einer einflussreichen Afrikaans-Familie. Es gibt deutliche Unterschiede in der Darstellung der beiden Vergewaltigungsszenen und deren Nachwirkungen. Während im früheren Roman die Vergewaltigung als eine Metapher für die Invasion unter dem Group Areas Act gesehen wird, distanziert sich Other Secrets von dieser Darstellung und treibt einen Keil zwischen das Trauma der erzwungenen Beseitigung und die Schrecken der Vergewaltigung. "Nichts", so sagt Yasmins jüngere Schwester Meena, könne mit der Tortur des Vergewaltigungsopfers verglichen werden. Deshalb weist Yasmin ihre Tochter Soraya, die aus der Vergewaltigung hervorgegangen ist, in beiden Romanen zurück, aber die Betonung ist wiederum unterschiedlich. Während die Protagonistin in Daughters noch befürchtet, das ungeborene Kind "würde nicht in der Welt des Vaters zuhause und zudem in der Welt der Mutter verachtet sein können", realisiert Meena in Other Secrets, dass Yasmin "nicht fähig war, ein Kind zu lieben, das eine ständige Erinnerung an die Vergewaltigung ist". Auch wenn die ethnische ‚DurchmischungÂ’ durch Vergewaltigung hier ohne die Ambivalenzen eingeführt wird, die in anderen Romanen auftauchen, so wird Soraya, dem Schicksal von Lungu folgend, durch einen Verkehrsunfall getötet. Der Unfall geschieht kurz nachdem Soraya die Geschichte ihrer gewaltvollen Herkunft erzählt wird. Die Unfähigkeit von Karodia, sich für eine Frau wie Soraya ein Leben in Südafrika nach diesen Enthüllungen vorzustellen - ähnlich wie Ngcobo keine Vorstellung davon hat, wie eine positive Zukunft für Lungu aussehen könnte - ist ernüchternd. Beide Autorinnen gehen von einem symbolischen Text aus, um die historischen Bedingungen für "interracial" Vergewaltigungen aufzeigen zu können, beide fallen in eine Allegorie zurück, sobald sie mit den Ergebnissen dieser Vergewaltigungen, also deren Nachkommen, konfrontiert werden. Den bemerkenswerten Unterschieden dieser Romane von fünf verschiedenen Autoren und Autorinnen mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund zum Trotz sind die Gemeinsamkeiten bei der Darstellung der Vergewaltigungsopfer äußerst groß. Selbst die Protagonistinnen, die die reale Vergewaltigung als einen Gewaltakt gegen sie als weibliche Individuen beschreiben, oder diejenigen, die ernsthaft mit der Konstruktion ihrer Identität als Mischling kämpfen, scheitern. Die Vergewaltigung wird auf ein allegorisches Schema reduziert, das die Aufmerksamkeit auf die Bürde der südafrikanischen Vergangenheit und auf die Zukunft lenkt. Die Geschichten der Vergewaltigungen sind denen untergeordnet, die "ethnische Durchmischung", Hass und Gewalt im nationalen Diskurs thematisieren. Deren Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Nationenbildung ist in der schrecklichen Situation der Vergewaltigungsopfer und den tragischen Schicksalen ihrer Kinder ausgedrückt. Der Apartheidsdiskurs von "ethnischer Reinheit" wird über den weiblichen reproduktiven Körper im wahrsten Sinne des Wortes "ausgetragen". Das hybride Subjekt, das durch Vergewaltigung "entsteht", bestätigt die Kategorien von weiß und schwarz als "rein", anstatt einen Weg zwischen den Polaritäten zu eröffnen. Literatur: - Brinks, André: Imaginings of Sand, London 1996 - Coetzee, J.M.: Schande, Frankfurt a.M. 2000 - Karodia, Farida: Other Secrets, London 2000 - Maimane, Arthur: Hate No More, London 2000 - Ngcobo, Lauretta: And they didnÂ’t die, London 1990 - Higgins, Lynn/Silver, Brenda (Ed.): Rape and Representation, New York 1991 - McClintock, Anne: Dangerous Liaisons. Gender, Nation and Postcolonial Perspectives, Minneapolis 1997 Meg Samuelson arbeitet am Dept. of English Language & Linguistics der Univerity of Cape Town. Die ungekürzte Originalfassung des Artikels erscheint in "Modernity, Modernism and Civil Society", hg. von Tobias Robert Klein und Frank Schulze-Engler, Amsterdam/Atlanta, Ende 2003. Übersetzung: Iris Erbach und Rosaly Magg. aus: IZ3W 270