It's the economy, Stupid!

Aspekte zur Rot-Grünen Steuer-, Finanz- und Sozialpolitik

Alexander Recht gibt einen Überblick über die Maßnahmen der Bundesregierung in den Bereichen Einkommensteuerpolitik, Unternehmensteuerreform, Ökologische Steuerreform und Rentenpolitik

Einkommensteuerpolitik

Die Bundesregierung stellt sich in ihrem Reichtums- und Armutsbericht in Bezug auf ihre eigene Steuerpolitik ein hervorragendes Zeugnis aus. Sie habe "soziale Gerechtigkeit wieder zu einer Kategorie der Steuerpolitik gemacht." [S. 220 des Reichstums- und Armutsberichts] Von besonderer Bedeutung seien dabei insbesondere die Änderungen des Grundfreibetrags und des Eingangssteuersatzes.

Der Eingangssteuersatz wurde von 25,9% (1998) auf heute 19,9% abgesenkt und wird bis 2005 - laut Plan - bis auf 15% sinken. Der steuerfreie Grundfreibetrag wurde von 12.300 DM (1998) auf heute 14.000 DM erhöht und soll 2005 bis auf 15.000 DM erweitert werden. Beide Maßnahmen für sich genommen entlasten in der Tat die unteren Einkommensgruppen. Ein Vergleich des alten Steuertarifs (bis 1998) mit dem geplanten im Jahre 2005 ergibt, dass die Steuerlast gering verdienender ArbeitnehmerInnen mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von z.B. 25.000 DM durch diese Maßnahmen von 3.433 DM auf 1.955 DM pro Jahr, mithin um 1.478 DM reduziert wird. Der Durchschnittssteuersatz wird also für diese Einkommen von 13,7% auf 7,8% sinken. Diese Entlastung um 5,9 Prozentpunkte ist zu begrüßen.

Allerdings handelt es sich beim Eingangssteuersatz um einen Grenzsteuersatz. Grenzsteuersätze geben die Steuerlast an, die zusätzlich anfällt, wenn das jeweilige Einkommen um 1 DM steigt. Nicht nur die Anhebung des steuerfreien Grundfreibetrags, sondern auch die Absenkung des Eingangssteuersatzes senkt den Durchschnittssteuersatz aller SteuerzahlerInnen, also auch der einkommensstarken. Selbst dann, wenn die Bundesregierung den Spitzensteuersatz konstant gelassen hätte, wäre die absolute Entlastung bei den höheren Einkommen immer noch am größten gewesen. Stattdessen hat sie jedoch als zusätzliche Entlastung der höchsten Einkommen auch den Spitzensteuersatz gesenkt, und zwar von 53% auf zunächst 48,5%. 2005 soll sogar ein Niveau von nur noch 42% erreicht werden.

Vergleicht man nun je nach zu versteuerndem Einkommen die Minderung des Durchschnittssteuersatzes in Prozentpunkten, so ergibt sich folgendes Bild:

Bis zum alten steuerfreien Existenzminimum in Höhe von 12.300 DM gibt es keine Entlastung. Von diesem Wert an bis zu einem zu versteuernden Einkommen von etwa 22.000 DM nimmt die Entlastung an Prozentpunkten bei der durchschnittlichen Besteuerung zu. Im Bereich zwischen 22.000 DM und 80.000 DM wird die durchschnittliche Steuerbelastung zwar auch verringert, aber die Entlastung selber nimmt mit zunehmendem zu versteuerndem Einkommen ab. Ab einem zu versteuernden Einkommen von etwa 85.000 DM nimmt die Entlastung wieder zu.

Damit zeigt sich, dass die reichsten EinkommensbezieherInnen hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Steuerbelastung die stärkste Minderung an Prozentpunkten genießen. Hinzu kommt noch, dass sie über weitaus bessere Möglichkeiten verfügen, das zu versteuernde Einkommen durch Abschreibungen zu senken. Mittlere Einkommensschichten hingegen, also etwa auch sozialdemokratische Stammwähler im Facharbeitermilieu, erfahren eine vergleichsweise geringe Entlastung.

Steuersystematisch könnte man zwar argumentieren, dass dieser Effekt durch die Glättung des Waigel-Knicks im Grenzsteuertarifverlauf unvermeidbar gewesen sei. Wir halten dem jedoch entgegen, dass auch ein ganz anderer Tarifverlauf bei den Grenzsteuersätzen möglich gewesen wäre. Gerade weil Absenkungen des Eingangssteuersatzes und Anhebungen des Steuergrundfreibetrages alle SteuerzahlerInnen entlasten, hätte eine Politik, die der Umverteilung verpflichtet ist, die Senkung des Eingangssteuersatzes um eine Erhöhung der Spitzensteuersatz ergänzen müssen. Doch eben weil die Bundesregierung hohe Einkommen besonders fördern möchte, unterlässt sie diese Maßnahme.

Dies hat zur Folge, dass die gesamte Steuerreform bis zum Jahre 2005 eine Deckungslücke von 93,4 Mrd. DM hinterlässt. Die Gegenfinanzierungsmaßnahmen sind bekannt: Sozialabbau durch das "Sparpaket" sowie Ausgabenkürzungen im Bundeshaushalt, die insbesondere Arme treffen. Als Beispiel hierfür sei an dieser Stelle angeführt, dass im Rahmen des "Sparpakets" die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitslosenhilfe-BezieherInnen von 80% des vor der Arbeitslosigkeit bezogenen Bruttoentgelts auf den Zahlbetrag der Arbeitslosenhilfe (53% des vorherigen Nettoentgelts) abgesenkt wurde, was erhebliche Leistungsminderungen etwa in der Rente zur Folge hat.

Wenn die Bundesregierung in ihrem Armuts- und Reichtumsbericht formuliert: "Die Ungleichheit der Einkommen ergibt sich aus dem Marktprozess. Sie wird allerdings durch Transferleistungen einerseits sowie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge andererseits wesentlich reduziert" [S. XVI], dann gibt diese Aussage nur die halbe Wahrheit wieder. Vollständig wird das Bild erst, wenn auch angegeben wird, inwiefern sich die primäre Einkommensverteilung, also jene zwischen Lohnarbeit und Kapital, durch die staatliche Umverteilung geändert hat. Hierbei dürfen dann nicht nur die isolierten Effekte der Einkommensteuerreform Gegenstand des Interesses sein, sondern auch die Effekte z.B. der Mehrwertsteuer, der Ökosteuer, des Sparpakets, der Sozialabgaben und aller weiteren fiskalischen Maßnahmen.

Im Jahre 2001 betrug die strukturbereinigte Bruttolohnquote 74,2% gegenüber einer Bruttogewinn- und Vermögenseinkommensquote von 25,8% (Primärverteilung). Nach der sozialstaatlichen Umverteilung betrug der Anteil der Nettolöhne und -gehälter am verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte 43,7%, jener der monetären Sozialleistungen 25,6% und jener der Gewinn- und Vermögenseinkommen 30,2% (Sekundärverteilung ohne Korrektorfaktor, der hier 0,5% beträgt).

Es ist also falsch zu behaupten, dass die Ungleichheit in der Primärverteilung zwischen Lohnabhängigen und den BezieherInnen von Gewinn- und Vermögenseinkommen durch die sozialstaatliche Umverteilung prinzipiell verringert würde. Der Anteil der Netto-Gewinn- und Vermögenseinkommen am verfügbaren Volkseinkommen ist vielmehr größer als der Anteil der Brutto-Gewinn- und Vermögenseinkommen am Volkseinkommen vor der Umverteilung. Sozialleistungen werden offensichtlich vor allem von den ArbeitnehmerInnen finanziert.

Die auf die gesamte Bevölkerung bezogene Ungleichheit wird zwar durch Sozialleistungen im Rahmen sozialstaatlicher Umverteilung erfolgreich reduziert; die Ungleichheit in der Primärverteilung zwischen Einkommen aus abhängiger Erwerbsarbeit und Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen wird jedoch durch den Sozialstaat tendenziell auf die Sekundärverteilung reproduziert. Letzteres zu ändern bleibt weiterhin eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe.

Unternehmensteuerreform

Die Unternehmensteuerreform beinhaltet folgende Kernelemente:

- Einbehaltene Gewinne von Kapitalgesellschaften werden ab 2001 nur noch mit 25% statt wie bisher mit 40% Körperschaftsteuer belastet.

- Ausgeschüttete Gewinne (Rohdividenden) werden ab 2001 ebenfalls mit 25% statt wie bisher mit 30% Körperschaftsteuer belastet. Diese Belastung gilt auch für den Aktionär, denn er erhält nur die Bruttodividende, also die Rohdividende nach Abzug der Körperschaftsteuer. Zum Ausgleich muß er aber nur die Hälfte der Bruttodividende versteuern (Halbeinkünfteverfahren).

- Um Personengesellschaften und Selbständige hinsichtlich der Steuerbelastung mit Kapitalgesellschaften ähnlich zu stellen, können erstere ihre Einkommenssteuerlast mit ihrer Gewerbesteuerlast verrechnen, um einen Ausgleich zu erhalten.

- Unternehmerische Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen sind steuerfrei.

Das Halbeinkünfteverfahren ist abzulehnen, weil es reichere Aktionäre bevorteilt und weniger reiche Aktionäre benachteiligt.

Fälschlicherweise argumentiert die Bundesregierung, dass niedrigere nominale Steuersätze Investitionen fördern würden. Entscheidend ist jedoch die effektive Steuerbelastung, die in der BRD keineswegs zu groß ist. Folglich kann von einer eingeschränkten Wettbewerbsfähigkeit nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Die hohen Exportüberschüsse signalisieren hohe Wettbewerbsfähigkeit.

Das Hauptproblem der Unternehmensteuerreform ist, dass die Unternehmen netto mit massiv entlastet werden. Diese Entlastung ist nicht nur nicht beschäftigungsfördernd, sondern überdies auch problematisch aus kreislauftheoretischer Sicht. Es ist bereits als problematisch zu bewerten, dass die Regierung im Einkommensteuerbereich Nettoentlastungen vornimmt. Hierfür sprechen aber Selbstfinanzierungseffekte, da vor allem auch BezieherInnen niedriger bis mittlerer Einkommen entlastet werden, was über stärkeren Konsum wachstumsstimulierend wirkt mit der Folge höherer Steuereinnahmen.

Unternehmensteuersenkungen wirken jedoch gerade nicht wachstumsfördernd, da sie die vorhandene Überakkumulation nur verstärken. Unternehmensteuersenkungen, die das BIP konstant lassen, sind aber erstens ökonomisch problematisch und zweitens auch dadurch unsozial, dass die Gegenfinanzierung nur durch Sozialabbau, höhere indirekte Steuern oder höhere Staatsverschuldungen erfolgen kann. Die Bundesregierung betreibt diese Politik bewusst, weil sie leider große Teile der neoliberalen Angebotslehre in ihre Programmatik übernommen hat.

Die Entlastungen der Unternehmen durch Senkung der Körperschaftssteuer auf ausgeschüttete Gewinne bzw. durch Senkung des Spitzensteuersatzes sorgen aufgrund unzureichender Einschränkungen bei Abschreibungsregelungen für riesige Nettoentlastung. Dieses mit unsozialen Folgen versehene Loch wird nicht durch Beschäftigungszuwachs belohnt.

Die Bundesregierung sitzt nämlich demselben Irrtum auf wie ihre Vorgängerregierung, wenn sie annimmt, Steuerentlastungen für das Kapital brächten mehr Nettogewinne, folglich mehr Investitionen und schlussendlich mehr Arbeitsplätze. Diese Schlussfolgerung stimmt nicht. Nur die Aussicht auf höhere Absatzerwartungen motiviert Unternehmen zu realen Erweiterungsinvestitionen. Höhere Absatzerwartungen erfordern jedoch mehr Binnennachfrage - also höhere Löhne, mehr Investitionen und mehr staatliche Nachfrage - und keine Verbesserung der Angebotsbedingungen.

Wir Jusos streiten nicht ab, dass zu Anfang der Regierungszeit mutige Schritte bei der Einschränkung von Abschreibungsmöglichkeiten vorgenommen wurden. Spätestens seit dem Rücktritt von Lafontaine nimmt die Regierung jedoch eine falsche Haltung ein, was die effektive Belastung von Unternehmen betrifft.

Manche Abschreibungsregelungen sind noch stets zu großzügig; andere Einschränkungen der Abschreibungsmöglichkeiten werden zu spät gewährt, nämlich erst nachdem die Nominaltarife gesenkt werden. Mindestens genauso problematisch ist, dass Unternehmen Kapitalveräußerungsgewinne steuerfrei gestellt bekommen. All dies zusammen bringt die inakzeptablen Nettoentlastungen der Unternehmen hervor.

Ökologische Steuerreform

Untersucht man die ökologische Steuerreform der Bundesregierung vor dem Hintergrund des angestrebten sozial-ökologischen Umbaus, so wird man enttäuscht.

Der erste Fehler besteht darin, dass die Bundesregierung die Einnahmen aus der Ökosteuer lediglich für die Senkung der Lohnnebenkosten verwendet, um die Unternehmen im Sinne einer Standortsicherungspolitik zu entlasten.

Das Beschäftigungsniveau wird als abhängige Größe allein der betrieblichen Kosten, vor allem der Arbeitskosten, aufgefasst. Eine solche Kausalität ist jedoch empirisch widerlegt. 16 Jahre Kohl haben verdeutlicht: Sinkende Reallöhne schaffen nicht mehr Beschäftigung. Im Gegenteil ist eine Steigerung der Binnennachfrage, keine Entlastung der unternehmerischen Angebotsseite erforderlich.

Der zweite Fehler besteht darin, dass durch die Senkung der Lohnnebenkosten der notwendige soziale Ausgleich nur unzureichend gewährleistet wird. Zum einen werden auch die Unternehmen durch sinkende Beiträge entlastet, obwohl dies nicht erforderlich ist. Zum anderen erfahren BezieherInnen von Sozialleistungen, d.h. RentnerInnen, Arbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen und Studierende, beim Konzept der Bundesregierung überhaupt keine Entlastung.

Der dritte Fehler besteht darin, dass weitere Formen sozialen Ausgleichs komplett ausgespart werden. Mögliche Maßnahmen sind z.B.:

- gezielte, nach sozialer Bedürftigkeit gestaffelte Transferleistungen an Haushalte mit niedrigem bis mittlerem Einkommen, etwa erhöhte Sozialhilfe- und BAföG-Sätze, RentnerInnen-Zuschüsse, Lastenausgleich für Familien und sonstige Lebensgemeinschaften;

- weitere Minderung der direkten Steuerbelastung von Haushalten mit niedrigem Einkommen, gegenfinanziert über stärkere Belastungen der Unternehmen;

- eine an eine Einkommensgrenze gebundene gezielte Bezuschussung von ökologisch sinnvollen Anschaffungen und Investitionen privater Haushalte (z.B. den Fahrradkauf oder die Wärmeisolierung der Wohnung);

- ermäßigte ÖPNV-Tarife für EmpfängerInnen von Sozialleistungen (BAföG, Sozialhilfe usw.).

Der vierte Fehler besteht darin, dass mit dem Steueraufkommen zu wenig ökologische Investitionen finanziert werden. Ein Öko-Zukunftsinvestitionsprogramm (Öko-ZIP) ist aber zur Schaffung ökologisch sinnvoller Alternativen notwendig.

- Öffentliche Verkehrsmittel, die ökologisch verträglich sind, müssen billiger angeboten und im Umfang ausgebaut werden. Insbesondere der ÖPNV und die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene müssen gefördert und ausgebaut werden.

- Der Einsatz alternativer Energien muss in jeder Hinsicht noch stärker gefördert werden.

- Eine ökologisch orientierte Stadtentwicklung ist voranzutreiben, welche das Prinzip der kurzen Wege beachtet und eine regionale Integration der Bereiche Wohnen, Arbeit, Einkaufen und Kultur forciert.

- Solche Investitionen sind ökologisch wie auch ökonomisch sinnvoll. Ökologisch, weil sie sinnvolle Ausweichmöglichkeiten bieten - ökonomisch, weil sie die Binnennachfrage erhöhen.

Der fünfte Fehler besteht darin, dass gerade die Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die für einen Großteil der Umweltbelastung verantwortlich sind, nur mit 20% belastet werden. Diese Sonderbehandlung schwächt bei energieintensiven Unternehmen den ökonomischen Anreiz, die Energieeffizienz zu erhöhen, und hat den unerfreulichen Nebeneffekt, dass die Hauptlast der ökologischen Steuerreform von privaten Haushalten getragen wird. Dies kann bestehende Nachfrageprobleme verschärfen, zumal untere Einkommensgruppen mit hoher Konsumquote überproportional belastet werden.

Zu begrüßen wäre zudem, wenn die Bundesregierung die beiden folgenden Aspekte beachtete:

- Der Steuersatz sollte mit dem Grad der Schädlichkeit der besteuerten Güter/Verwendungen steigen und hoch genug sein, damit die Belastung ökologisch schädlicher oder ressourcenintensiver Verhaltensweisen und Produktionsverfahren spürbar ist.

- Der Steuersatz sollte mit der Zeit ständig erhöht und frühzeitig in seiner Entwicklung bekannt gemacht werden, damit die Verhaltensänderungen innerhalb der gesamten Gesellschaft vollzogen werden und dauerhaften Charakter besitzen.

Sparpakete, Staatsausgaben und Staatsverschuldung

Im Jahre 1999 hat die Bundesregierung unter dem Namen "Deutsches Stabilitätsprogramm" leider aktiven Sozialabbau betrieben. Dieses Sparpaket umfasste Folgendes:

- Die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfe-BezieherInnen ist von 80% des Bemessungsentgeltes auf den Zahlbetrag der Alhi abgesenkt worden.

- Die originäre Arbeitslosenhilfe wurde komplett gestrichen.

- In 2002 und 2001 wurden die Rente und die Sozialhilfe nur entsprechend der Inflationsrate angehoben, nicht entsprechend des Anstiegs der Nettolöhne.

- Der Bundeszuschuss zur Gesetzlichen Rentenversicherung wurde gesenkt.

Die gesamten Ausgabenminderungen beliefen sich auf 68 Mrd. DM, 30 Mrd. hiervon sind unmittelbar wirkende Sozialkürzungen. Diese Sozialkürzungen sind inakzeptabel und führen zu einer sozialen Schieflage, denn sie treffen gerade die Schwachen der Gesellschaft, die Menschen ohne Lobby, die sich von der Sozialdemokratie Besserung erhofft haben. Und mit der Agenda 2010 wird dieser ruinöse Kurs fortgesetzt.

Die beschriebene Entlastung der SpitzenverdienerInnen und der Unternehmen wird also skandalöserweise zu einem beträchtlichen Teil durch Sozialabbau bei den Armen finanziert. Die Bundesregierung verwendet daher eine vorgeschobene Argumentation, wenn sie auf die vermeintliche Notwendigkeit zum Abbau der Staatsverschuldung hinweist. Diese Argumentation ist in ihrer Pauschalität aber auch grundsätzlich aus vielen Gründen unzutreffend.

Historisch betrachtet ist die hohe Staatsverschuldung in erheblichem Umfang der falschen Finanzierung der deutschen Einheit durch die Kohl-Regierung geschuldet, die auf Steuerbelastung von Unternehmen und Reichen gänzlich verzichtet, diese vielmehr stets entlastet und folglich eine Beschränkung auf Staatsverschuldung betrieben hat. Eine solche schwere Bürde wird in Zukunft aber nicht zu erwarten sein. Die Argumentation der Bundesregierung ist aber auch theoretisch falsch.

Zum ersten muss der Staat öffentliche Investitionen per Kredite finanzieren. Das Gerede von der ungerechten Politik gegenüber den nachfolgenden Generationen ist Unsinn, denn diese profitieren von sinnvollen Investitionen in den Ausbau von Infrastruktur, öffentlicher Beschäftigung, Bildung und Sozialstaat. Hierauf zu verzichten wäre weitaus schlimmer als höhere Zinsbelastungen in der Zukunft. Es bedarf sowohl bei sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Kindergärten als auch bei Schulen und Hochschulen und im Umweltschutz einer Mittelerweiterung, um das Leistungsniveau mindestens zu sichern. Es besteht die Gefahr, dass gerade in diesen Bereichen Kürzungen vorgenommen werden. Stärkere Lernmittelbeteiligung und Hochschulgebührendiskussion sind sicherlich (auch) Folge des proklamierten "Zwangs zum Sparen".

Zum zweiten zieht eine Streichung von Ausgaben, wie sie die Bundesregierung vornimmt, Absatz- und Produktionsausfälle nach sich. Über multiplikative Effekte sinken anschließend Produktion, Einkommen und Beschäftigung. Es folgt eine Verminderung der Staatseinnahmen und eine Erhöhung der Staatsausgaben, wodurch die Haushaltssituation wieder verschärft würde.

Zum dritten muss der Staat die Überschüsse der privaten Haushalte abschöpfen, da die Kreditfinanzierung der privaten Unternehmen und des Auslands tendenziell zurückgehen. Dabei werden private Investitionen nicht durch Staatsverschuldung verdrängt, weil ein Zinsanstieg zum einen politisch vermeidbar ist und zum anderen Investitionen in Unterbeschäftigungssituationen kaum auf die Zinshöhe, sondern vor allem auf die Nachfrage reagieren.

Viertens gilt: Wenn der Realzins, also der Nominalzins abzgl. der Inflationsrate, kleiner ist als das reale Wachstum, wird der Anteil der gesamten Staatsschuld am BIP auf die Dauer sogar kleiner. Wenn etwa mit 1 Euro Neuverschuldung bei einem Zinssatz von 4% p.a. eine Investition des Staates getätigt würde, die über Multiplikatorwirkungen das BIP um 1,20 Euro steigen ließe, spräche nichts gegen die Verschuldung.

Nun besteht allerdings bei Staatsverschuldung in der Tat darin ein gewisses Problem, dass die Finanzierung zu großen Teilen über den privaten Kapitalmarkt erfolgt und aufgrund der bereits bestehenden ungleichen Vermögensverteilung die Zinserträge nur wenigen zukommen, obwohl die Tilgung durch alle zu erfolgen hat. Als Alternative zur staatlichen Finanzierung über den Kapitalmarkt bietet sich allerdings die Verschuldung des Staates über zinslose Kredite der Notenbank an, wozu die Bundesregierung jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ändern bereit sein müsste.

Letztlich führt aber kein Weg daran vorbei, staatliche Ausgaben auch durch Steuern zu finanzieren, was auch möglich ist. Offenbar verfolgt aber Rot-Grün den Weg, die Steuern zu senken, leider vor allem auch für die Unternehmen. Das Ziel von Rot-Grün lautet, Senkungsprogramme bei den direkten Steuern über höhere indirekte Steuern und Sozialabbau zu finanzieren, d.h. insbesondere über die Mehrwert-, die Öko- und weitere Verbrauchssteuern sowie Sparpakete. Diese Umverteilung von direkten zu indirekten Steuereinnahmen sowie Sozialabbau ist problematisch, weil sie vor allem geringverdienende Haushalte mit hoher Konsumquote trifft und insofern ökonomisch schädlich und unsozial zugleich ist.

Notwendig sind linke Alternativen zu einer unsozialen Sparpolitik: eine stärkere Belastung von Vermögenden, die Erhöhung der Erbschaftssteuer, Anhebung des Spitzensteuersatzes. Neuverschuldung in Zeiten konjunktureller Tiefs ist sinnvoll, Zinssenkungen sind zu befürworten. Schuldenabbau in Boomzeiten ist nur akzeptabel, sofern keine Sozial- und Investitionskürzungen vorgenommen werden. Ärmere Bevölkerungsteile sollen steuerlich entlastet werden, reichere belastet. Staatliche Leistungen sind auszubauen. Umfairteilung ist und bleibt daher die Maxime.

Rentenpolitik

Mit Blick auf die eigene Rentenreform schreibt die Bundesregierung in ihrem Reichtums- und Armutsbericht: "Auch die nachhaltige Sicherung der Alterseinkommen und die Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge sind ein zentrales Ziel der Bundesregierung." [S. XIX]

Auch hier benennt die Bundesregierung nur die halbe Wahrheit: Gesichert werden nämlich nur die Rentenversicherungsbeiträge der Arbeitgeber. Die Arbeitnehmer werden hingegen bei der Finanzierung der Rente belastet, indem ihre Beiträge von 11,8% auf 15% steigen.

Leider steht es auch um die Leistungsseite der Rente nicht besonders gut, denn das Nettorentenniveau wird von heute 69% auf 64,3% im Jahre 2030 gesenkt. Diesen Sozialabbau möchte die Bundesregierung durch Förderung kapitalgedeckter Vorsorge kompensieren: "Ziel der Einführung einer freiwilligen zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge ist, dass künftig im Alter zur Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung noch Leistungen aus einer geförderten zusätzlichen Altersvorsorge hinzu kommen. Im Ergebnis werden diese beiden Alterseinkommen ein höheres Absicherungsniveau gewährleisten als es heute allein durch die gesetzliche Rente möglich ist." [S. XX]

Allerdings beläuft sich dieses Plus an Absicherungsniveau gegenüber der Regelung vor der Reform auf gerade einmal 215 DM pro Monat (ohne Preisbereinigung!) im Jahre 2030. Dieses Plus wird jedoch durch Nettoeinkommenseinbußen um 2 Prozentpunkte für die Gesamtdauer der Beitragsjahre finanziert, mithin durch einen gewaltigen, über viele Jahre andauernden Verzicht gegenüber dem Kapital! Geringes Leistungsplus und deutliche Mehrbelastung bei der Finanzierung stehen in einem deutlichen Missverhältnis.

Doch selbst wenn man dieses Missverhältnis vernachlässigt, bleibt zweifelhaft, ob die Riestersche Reform der Rente überhaupt ein Leitungsplus erzielt. Das Problem besteht darin, dass die von der Regierung vorausgesetzten Erträge der Privatvorsorge in Höhe einer 4%igen Verzinsung p.a. erst in der Realwirtschaft verdient werden müssen. Jedoch "gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß". Da die zur Verteilung an die RentnerInnen zu Verfügung stehende Masse beim Kapitaldeckungsverfahren nicht höher ist als beim Umlageverfahren, ist eine höhere Rente unwahrscheinlich, zumal bei privaten Anlagen die Kapitalverwaltungsstellen die Renten um ihren eigenen Profit kürzen.

Ohne an dieser Stelle zu sehr ins Detail gehen zu wollen, gibt es noch weitere Gründe, die an der Behauptung der Regierung zweifeln lassen, dass gekürzte gesetzliche Rente plus private Vorsorge "ein höheres Absicherungsniveau gewährleisten als es heute allein durch die gesetzliche Rente möglich ist". [S. XX] Zum einen ist die mit der Kapitaldeckung erhoffte Wachstumssteigerung unwahrscheinlich, zum zweiten drohen aufgrund des ungleichen Verhältnisses von Kapitalanlage und Kapitalauflösung Entwertungsgefahren der Anlagen, und zuletzt ist zu bedenken, dass aufgrund von Turbulenzen auf den weltweiten Finanzmärkten die privaten Anlagen einem höheren Risiko ausgesetzt sind als Anwartschaften des umlagefinanzierten Rentensystems.

Ein weiterer gewichtiger Einwand richtet sich dagegen, dass private Anlageformen keinen Solidarausgleich kennen und höhere Risiken mit höheren Prämien bestrafen. Arme, Kranke, aber auch Frauen müssen folglich tiefer in die Taschen greifen. Zudem werden Risiken wie Invalidität, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Kindererziehung etc. durch private Anlageformen nicht berücksichtigt. Die Ungleichverteilung zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen nimmt genauso zu wie jene zwischen Personen mit hohem und solchen mit niedrigem Risiko.

Ein schwerwiegender Einwand besteht zudem darin, dass ein Großteil der ArbeitnehmerInnen mit geringem Einkommen als zukünftige RentnerInnen durch die Rentenreform unter Sozialhilfeniveau fallen wird, sind doch bei einem reduzierten Nettorentenniveau von 64% für Alleinstehende, die 75% der durchschnittlichen Bruttoentgelts verdienen, 39 Beitragsjahre erforderlich, um die Sozialhilfeschwelle zu erreichen, was angesichts von Arbeitslosigkeit und diskontinuierlichen Erwerbsbiographien vielen zukünftigen RentnerInnen kaum gelingen wird.

Die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung zur Bekämpfung versteckter Armut, die eigentlich positiv zu würdigen ist, erführe bei breiter Armut unter RentnerInnen einen tragischen Funktionswechsel. Ursprünglich dazu gedacht, im Ausnahmefall all jenen, deren Renten unter Sozialhilfeniveau liegen, automatisch ihre Leistungen aufzustocken, würde sie zu einer Art "Regelrente", weil immer mehr RentnerInnen nur Ansprüche unterhalb des Sozialhilfeniveaus besitzen.

Die Einführung einer kapitalgedeckten Rente ist der falsche Schritt. Verändern wird sich nicht das gesamtgesellschaftliche Rentenvolumen, sondern dessen Verteilung. Ärmere EinkommensbezieherInnen werden trotz steuerlicher Förderung kaum Vorsorge treffen und geringere Renten erhalten als heute; es besteht die Gefahr, dass nur einige wenige Reiche - übrigens am stärksten durch den Staat gefördert - rentable Anlagen tätigen werden, deren Rendite höher ist als die "Verzinsung" beim Umlageverfahren, wohingegen mittlere EinkommensbezieherInnen keine größere Änderung bei den Renten erfahren werden, aber die steuerliche Förderung finanzieren dürfen.

Wichtige und richtige Modifikationen der umlagefinanzierten Rente wie die Verbreiterung des EinzahlerInnenkreises auf Selbständige und FreiberuflerInnen, die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe sowie die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze bei unterproportionalem Anstieg der Höchstrente wurden leider ausgelassen.

Weder die Steuer- noch die Rentenreform der Bundesregierung sind also Schritte zum Abbau der sozialen Ungleichheit. Im Gegenteil: An einigen Stellen wird die Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung sogar noch verschärft. Und nicht zuletzt werden auch Arme mit Einschnitten konfrontiert: Sie werden durch Sozialabbau im Rahmen des Sparpakets geschwächt, sie erfahren als Arbeitslose oder Niedrigverdienende durch die Steuerreform keine Entlastung, ihre gesetzliche Rente wird ein derart niedriges Niveau erreichen, dass sie durch Sozialhilfe aufgestockt werden muss, private Vorsorge können sie sich nicht leisten, und die Zunahme indirekter Steuerbelastungen durch Ökosteuer trifft sie besonders hart.