Alte Neue Welt

Vor dem dritten Golfkrieg

Ein großes Problem der Vereinigten Staaten von Amerika ist ihr Sendungsbewußtsein. Es wurzelt in der Entstehungsgeschichte des Landes. Die Neue Welt war die Hoffnung vieler Menschen in der Alten Wel

Und das aus verständlichen Gründen. Grenzenlose Freiheit und Demokratie hatten fortan eine Heimat. Aus diesem Wissen wuchs in Jahrzehnten das Gefühl, Vorbild für alle Staaten und Völker zu sein. Und in dem Maße, wie die eigene ökonomische und militärische Macht zunahm (was als Ausweis dieses Erfolges galt), wurde aus dem vermeintlichen Vorbild aller auch ein selbsternannter Richter und Weltgendarm. Wenn denn die Völker der Welt nicht freiwillig dem Beispiel der USA folgten, mußte man sie eben zu ihrem Glück zwingen: politisch, ökonomisch, militärisch. Mitunter war dies durchaus sinnvoll und notwendig: Man denke nur an den Beitrag der Vereinigten Staaten in der Antihitlerkoalition.
Aber daraus läßt sich kein Freibrief ableiten.
Vor allem aus einem Grunde nicht: Die USA waren (und sind) eben nicht nur eine Gemeinschaft von Erzdemokraten, nicht nur melting pot von Menschen vieler Kulturen und Hort von freedom and democracy, sondern ein imperialistischer Staat. In den USA gelten nicht nur die Gesetze der Profitmacherei, sie wurden und werden dort auch gemacht, zumindest diktiert. Und das bedeutet, wie schon P. J. Dunning lange vor Karl Marx wußte: "Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, und es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens."
So lange die Bipolarität der Welt bestand, hatten die USA in Gestalt der Sowjetunion einen Widerpart, der diesen Drang ein wenig zügelte. Die beiden Supermächte hatten die Welt in Einflußsphären aufgeteilt und sich arrangiert, als man gegen Ende der sechziger Jahre das atomare Patt konstatierte. Washington wußte so gut wie Moskau: Wer als erster schösse, stürbe als zweiter.
Die Bipolarität fand jedoch ihr Ende, weil die eine Seite den Rüstungswettlauf nicht durchhielt. Deren Wirtschaft war nicht so leistungsfähig wie notwendig. Und so bekamen die sozialistischen Klassiker mit ihrer Prognose recht, daß jene Gesellschaftsordnung sich am Ende durchsetze, die über die höhere Arbeitsproduktivität verfüge.
Die westliche Seite blieb also übrig - mit vollen Waffenarsenalen und dem Ehrgeiz ihrer Führungsmacht, nunmehr eine neue Weltordnung nach unwidersprochenen Vorstellungen zu gestalten. Dies erweist sich als schwierig: mangels mitreißender Visionen und tatsächlicher Verbesserungen, mangels Bereitschaft anderer Staaten, bedingungslos dem amerikanischen Beispiel zu folgen oder deren Vorherrschaft überhaupt hinzunehmen. Es zeigt sich immer deutlicher, daß es nicht wirklich um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit geht, um Gerechtigkeit weltweit, um die Schaffung menschenwürdiger, demokratischer Verhältnisse in allen Gegenden der Erde. Es geht unverändert um die Durchsetzung der Machtinteressen des Kapitals.
Der vermeintliche Kampf für die Durchsetzung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, der "Krieg gegen den Terror", liefert allenfalls das propagandistische Mäntelchen, das man über den Bruch von Recht und Gesetz und Völkermord legt. Doch die Legende vom "Kampf gegen den Terror" greift immer weniger. Die behauptete Verbindung zwischen der irakischen Führung und dem Terrornetzwerk Al Qaida existiert nicht. Zu dieser Schlußfolgerung kam die CIA schon am Vorabend des ersten Jahrestages der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon.
Daraufhin begründete Präsident George W. Bush seine Kriegsabsichten mit der Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen, vor denen die Welt gerettet werden müsse. Dabei berief er sich unter anderem auf die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. Diese habe die Existenz eines irakischen Nuklearwaffenprogramms bestätigt. Es gab umgehend einen Protest der IAEA-Sprecherin Melissa Fleming. Den von Bush zitierten Irak- Bericht gebe es überhaupt nicht, sagte sie. Auch ein weiterer "Kronzeuge" der USA erwies sich als wenig überzeugend. Das Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) hatte am 9. September 2002 einen Bericht über die angebliche irakische Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen vorgelegt. Während Washington und London den IISS-Bericht als "Beweis" für die Gefährlichkeit des Iraks interpretierten, ging aus dem Gutachten eigentlich das Gegenteil hervor: Bagdad sei heute in allen militärischen Bereichen weitaus schwächer als vor dem Golfkrieg 1991, hieß es da. Die Möglichkeit, daß der Irak "ohne massive Hilfe von außen" Atomwaffen entwickele, sei viele Jahre entfernt.
Im ersten Großen Spiel, wie die Briten den Kampf um die Sicherung der unermeßlichen Bodenschätze der Region zu Beginn des 20. Jahrhunderts nannten, rang das imperialistische England mit dem imperialen Rußland um Macht und Einfluß im rohstoffreichen Zentralasien. Bei diesem "Spiel" sind Hunderttausende Menschen in blutigen Kriegen getötet worden. Der Zugriff der Briten scheiterte an der russischen Revolution und der Gründung der Sowjetunion. Im Zweiten Weltkrieg zerbrachen die Pläne der deutschen Nazis, mit Hilfe der transkaukasischen Ölquellen ihre Kriegsmaschinerie zu schmieren, an Stalingrad.
Bemerkenswert, daß Willy Wimmer (CDU-MdB) in einem Interview darauf aufmerksam machte, daß wir es "mit einem global-strategischen Spiel zu tun haben, wo es um Rohstoffe wie Öl und Gas geht".
Im Sommer 1998 artikulierte der damalige stellvertretende Direktor im Büro des Staatssekretärs im US-Verteidigungsministerium, David Tucker, zuständig für Sonderoperationen und Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle, in einem richtungsweisenden Beitrag in Parameters, der Zeitschrift des US-War-College, einer renommierten Offiziersschule, sehr deutlich die Absichten in dieser Region. Er schrieb, daß es für die USA eigentlich nur eine einzige Region gebe, für die es sich wirklich lohnt zu kämpfen, nämlich "das Gebiet vom Persischen Golf nördlich bis zum Kaspischen Meer und östlich bis nach Zentralasien."

Aus: Rainer Rupp, Burchard Brentjes, Siegwart-Horst Günther: Vor dem dritten Golfkrieg, edition ost Berlin, 240 Seiten, 14.90 Euro

in: Des Blättchens 6. Jahrgang (VI) Berlin, 17. März 2003, Heft 6, S. 4 - 6