Die USA und das Problem der Biowaffen

Richter und Gasmasken reichen nicht

Im November 1997 hielt der damalige US-Verteidigungsminister Cohen eine fünf Pfund schwere Tüte Zucker in die Kameras des Sonntagmorgen-Fernsehens und verkündete, dass eine solche Tüte gefüllt mi

... Milzbrandsporen die Hälfte der Washingtoner Bevölkerung töten würde. Spätestens damit wurde deutlich, dass Bioterrorismus ganz oben auf der US-amerikanischen Bedrohungsliste steht. Millionen Dollar wurden seitdem für nationale Anti-Bioterrorismus-Programme ausgegeben. Bemühungen, die in Studien als "zersplitterte Unordnung" charakterisiert wurden, da es ihnen an Fokus, Führung und Kohärenz fehle.

Doch was als "Biowaffenpanik" belächeltet wurde, erscheint seit zwei Monaten etwas weniger übertrieben und deplaziert. Nach Hunderten von vorgetäuschten Anschlägen mit Milzbrand in den letzten Jahren, sind in den USA Briefe mit infektiösen Milzbranderregern aufgetaucht. Bis Mitte November waren 21 Menschen erkrankt; vier gestorben. Diese Ereignisse, so tragisch sie für die Betroffenen sind, sind weit entfernt von den Szenarien, die gewöhnlich die Runde machen, wenn von Bioterrorismus die Rede ist: Tausende von Toten, Massenflucht und Chaos, Zusammenbruch des medizinischen Systems, später der administrativen und politischen Strukturen. Sie belegen aber, dass es Individuen, Gruppen und/oder Staaten gibt, die das bisher weitgehend gültige Biowaffen-Tabu zu durchbrechen bereit und technisch dazu in der Lage sind. Die jüngsten Anschläge zeigen auch, wieviel Schaden allein durch die glaubhafte Drohung eines Biowaffeneinsatzes entsteht, durch Unterbrechungen des normalen Ablaufs von Wirtschaft und Politik, durch Angst und Panik und durch die notwendigen umfassenden medizinischen Untersuchungen.

In dieser Situation überrascht es nicht, dass die USA verstärkte weltweite Anstrengungen verlangen, um die Biowaffengefahr einzudämmen. Vielen muss das allerdings ironisch in den Ohren klingen, sind doch die USA hauptverantwortlich für das Scheitern internationaler Verhandlungen, bei denen genau das versucht wurde. Nach sechs Jahren halbherziger Teilnahme an den Verhandlungen zur Stärkung des Verbotes biologischer Waffen, das im internationalen Biowaffen-Übereinkommen (BWÜ) von 1972 fest geschrieben ist, hat die US-Delegation am 25. Juli diesen Jahres das Ergebnis als nicht effektiv abgelehnt.

Das Ergebnis der Verhandlungen ist tatsächlich nicht zufriedenstellend. Das Kontrollprotokoll hätte sehr viel weitreichender und "moderner" sein müssen. Insbesondere die Rechte der internationalen Kontrollorganisation und ihrer Inspektoren sind im Protokoll-Entwurf unnötig eingeschränkt. Das geht aber hauptsächlich auf die Uneinigkeit westlicher Staaten und den Widerstand großer Industrie-Staaten, vor allem der USA, zurück. Der vorgelegte Protokollentwurf sieht jährliche Deklarationen relevanter Einrichtungen und Aktivitäten vor, die dann stichprobenartig von internationalen Inspektoren überprüft werden. Ergänzt wird dieses System aus Deklarationen und Routineinspektionen durch Besuche, die das Ziel haben, Unstimmigkeiten bei der Umsetzung des BWÜ und des Protokolls auf kooperative Weise auszuräumen. Für den Fall des Verdachtes auf Produktion oder Einsatz biologischer Waffen sind Prozeduren für umfassende und unverzügliche Vor-Ort-Inspektionen entwickelt worden. Die Umsetzung der Protokollbestimmungen wird in die Hände einer internationalen Organisation gelegt, die der internationalen Chemiewaffen-Kontrollorganisation in Den Haag ähnelt.

Zusammen mit der Ablehnung der Verhandlungsergebnisse kam das US-amerikanische Versprechen, Alternativvorschläge zu unterbreiten. Diese Vorschläge wurden nach Monaten gespannten Wartens am 1. November diesen Jahres öffentlich gemacht. US-Präsident Bush charakterisierte in einer kurzen Rede an diesem Tag die Stärkung des BWÜ als Teil einer umfassenden Strategie gegen Massenvernichtungswaffen und Terrorismus und forderte die Staaten auf, Maßnahmen in drei Bereichen umzusetzen:

Nationale rechtliche Umsetzung der Verbote des BWÜ, insbesondere die Kriminalisierung von Beschaffung und Einsatz biologischer Waffen, die Implementierung umfassender Sicherheitsstandards für Lagerung und Handhabung gefährlicher Erreger, strikte Kontrollen risikobehafteter biologischer Experimente und die Entwicklung eines Ehrenkodex für Biowissenschaftler, ähnlich dem hippokratischen Eid der Ärzte.

Internationale Mechanismen für die Untersuchung von Vertragsverletzungen, insbesondere die Untersuchung auffälliger und ungewöhnlicher Krankheitsausbrüche unter Hoheit der VN. Vermutet ein Staat, dass in einem anderen Staat biologische Waffen entwickelt oder produziert werden, sollen Informationsaustausch und Besuche in gegenseitigem Einverständnis Klärung bringen.

Hilfe für Opfer und internationale technische Kooperation, insbesondere die Implementierung strikter Standards biologischer Sicherheit, die generelle Überwachung und Eindämmung von Epidemien und schnelle internationale Hilfe im Falle schwerer Krankheitsausbrüche.

Keiner der US-amerikanischen Vorschläge ist wirklich neu. Die eine Hälfte der Vorschläge liest sich wie eine handverlesene Auswahl von Mechanismen, die bereits im abgelehnten Protokollentwurf enthalten sind. Die andere Hälfte der Vorschläge erinnert an Vereinbarungen, die bereits 1996, 1991 und 1986 von Staaten politisch bindend beschlossen, aber nie umfassend umgesetzt wurden. Neu ist allerdings die politische Richtung, in die der Vorschlagskatalog zielt, weg von multilateralen präventiven Mechanismen, hin zu nationalen Maßnahmen und zu Bestrafungsmechanismen.

Völlig unklar bleibt im US-amerikanischen Vorschlag, ob und wie die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen kontrolliert werden soll. Das BWÜ hat in seiner gesamten Geschichte nicht an einem Mangel an allgemein akzeptierten Verbesserungsvorschlägen gelitten. Woran es bisher fehlt ist eine spezialisierte internationale Organisation, die die Vorschläge koordiniert, die Umsetzung fördert und kontrolliert, und die gegebenenfalls Sanktionen verhängen kann. Lehnen die USA eine solche Organisation ab, werden die US-amerikanischen Vorschläge enden wie so viele politische Willenserklärungen von BWÜ Mitgliedstaaten vorher - begrüßt und für gut befunden, aber nur von wenigen Staaten umgesetzt.

Ein weiteres Thema, bei dem die USA ihre eigene Position kritisch hinterfragen müssen, ist die Interpretation des Biowaffen-Verbotes. Die USA führen Programme durch, die die Produktion und Ausbringung biologischer Waffen simulieren. Nach Ansicht vieler Experten bewegen sich diese Programme am Rande der Legalität, auch wenn sie mit dem Ziel des B-Schutzes betrieben werden. Was die Situation noch gravierender macht, ist die Tatsache, dass die USA diese Programme nicht im Rahmen des 1986 vereinbarten jährlichen Informationsaustausches gemeldet haben. Freiwillige Offenheit ist aber eines der Mittel, um sich bei der Durchführung mehrdeutiger Aktivitäten, insbesondere sensibler B-Schutz-Aktivitäten, nicht dem Verdacht der Vertragsverletzung auszusetzen.

Darüber hinaus riskieren einige Arbeiten der USA mit biologischen Agenzien eine Unterhöhlung des umfassenden Verbotes biologischer Waffen aller Kategorien. Nach Artikel 1 des BWÜ ist der Einsatz biologischer Agenzien dann verboten, wenn der Zweck ein nicht-friedlicher ist. Das US-amerikanische Nachdenken über benzinfressende Bakterien für den Einsatz in militärischen Konflikten oder über die Ausbringung mohnpflanzenzerstörender Pilze in einem anderen Land, ohne dessen Zustimmung, stellt aber genau dieses Verbot in Frage.

Wenn den USA wirklich die Eindämmung der Biowaffen-Gefahr so sehr am Herzen liegt, dann sollten sie solche B-Schutz- und biologischen Forschungsprogramme nicht im nationalen Alleingang und nicht ohne internationale Zustimmung und Überwachung durchführen.

Die gescheiterten Protokoll-Verhandlungen und die Gegenvorschläge der USA, sowie die Interpretation des BWÜ-Verbotes sind die großen Themen, die vom 19. November bis 7. Dezember diesen Jahres beraten werden, wenn sich die Mitgliedsstaaten des BWÜ in Genf treffen, um das Übereinkommen einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen.

Soll die Überprüfungskonferenz erfolgreich sein, so muss sie mindestens die umfassende Gültigkeit des BWÜ-Verbotes bestätigen, nach dem jegliche nicht-friedliche Nutzung biologischer Agenzien verboten ist und Ausnahmen für polizeiliche Maßnahmen gleich welcher Art nicht zulässig sind. Weiterhin muss ein zeitlich und inhaltlich konkretisierter Plan für die Beendigung der Verhandlungen eines multilateralen Kontrollprotokolls verabschiedet werden, das eine starke Präventionskomponente enthält und jährliche Deklarationen und Routineinspektionen einschließt. Die Vorschläge Bushs können in rechtlich verbindlicher Form Teil eines solchen Protokolls sein.

Die Haltung der USA wird entscheidend sein für den Ausgang der Überprüfungskonferenz, Erfolg oder Misserfolg hängen aber nicht allein von den USA ab. Die Genfer Verhandlungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass es auch eine Reihe anderer Staaten gibt, die der Transparenz eigener biologischer Aktivitäten, die einer Offenlegungsverpflichtung und die Inspektionen ablehnend gegenüber stehen. Wer den implosionsartigen Zerfall der Verhandlungen im Juli und August diesen Jahres beobachten konnte, muss auch an der Ernsthaftigkeit des Interesses einiger europäischer Staaten, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, zweifeln.

Am Ende der letzten Verhandlungsrunde waren die Teilnehmerstaaten nicht einmal mehr in der Lage, sich auf einen kurzen Bericht der vierwöchigen Sitzung zu einigen. Als "worst-case" Szenarium steht diese Möglichkeit des völligen Scheiterns auch während der Fünften Überprüfungskonferenz des BWÜ im Raum. Das Biowaffen-Tabu, was bisher die Kontrolle biologischer Waffen weitgehend erfolgreich geleitet hat, wäre dann ernsthaft geschädigt.

Iris Hunger ist Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt. Von 1997 bis 2001 hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der BWÜ Ad Hoc Gruppe in Genf gearbeitet.