Attac und die Tobin-Tax

in (03.11.2001)

Eigenem Selbstverständnis nach will Attac zu einer "gigantischen Pressuregroup der Zivilgesellschaft" werden. Damit dies gelingt müsste Attac gegenüber neoliberalen Konzepten kritischer werden.

Der US-amerikanische Ökonom James Tobin wartete 1972 mit der Idee auf, Börsengeschäfte im Devisenhandel international zu besteuern. Denn, so begründete er den Vorschlag, die Spekulation mit Währungsschwankungen sei verantwortlich für den Zusammenbruch ganzer Nationalökonomien. James Tobin ist ein Anhänger des Freihandels; er befürwortet die Weltbank, den Internationalen Währungsfond und die Welthandelsorganisation - also eben jene internationalen Organisationen des Kapitals, gegen welche sich der Protest der Globalisierungskritiker vehement richtet.

In einem Spiegel-Interview sagt Tobin sogar: "Der IWF muß gestärkt werden. Sicher hat er viele Fehler gemacht, kein Zweifel. Aber ihm steht, ebenso wie der Weltbank, viel zu wenig Geld zur Verfügung, um den Mitgliedsländern zu helfen, besonders den armen und unterentwickelten Volkswirtschaften. Weltbank und IWF sind nicht Teil einer Verschwörung, die Globalisierung heißt." Logisch also, daß seine Besteuerungsidee wenig mit den Absichten der Globalisierungskritiker von Attac gemein haben dürfte, wie er in dem Interview anmerkt.

Attac hat sich dennoch James Tobin als Galionsfigur auserkoren. Warum?

Dem Chefredakteur von Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramonet, der im Editorial der Dezemberausgabe 1997 in Frankreich zur Gründung von Attac ("Association pour une Taxation des Transactions financières pour l´Aide aux Citoyens", Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger) aufgerufen hatte, ist sicher keine Unwissenheit zu unterstellen. Ramonet schrieb damals, sich auf Tobin berufend: "Will man verhindern, daß die Welt sich im 21. Jahrhundert endgültig in einen Dschungel verwandelt, in welchem die Räuber den Ton angeben, wird die Entwaffnung der Finanzmärkte zur ersten Bürgerpflicht."

Die politischen Ideen, für die Ramonet und andere den 1981 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonomen eingespannen, gehen sicher über dessen eigene Vorstellungen hinaus. Tobins Devisenumsatzbesteuerungsvorschlag sollte dem Zweck dienen, Wechselkursschwankungen so gering wie möglich zu halten. Schwache Nationalökonomien, die drastische Kursverluste ihrer Währung aufgrund von Spekulationsgewinnen auf dem Parkett internationaler Finanzmärkte zu erleiden haben, sollten davor geschützt werden, diese Verluste durch hohe Zinsen ausgleichen zu müssen. Zum Beispiel Mexiko war dadurch wiederholt in schwere Krisen gestürzt. Die Tobin-Tax soll also Spekulanten abschrecken, damit eine solche die Volkswirtschaft lähmende staatliche Zinspolitik unnötig wird.

Die Einnahmen der Tobin-Tax sind für deren Erfinder eher ein Abfallprodukt; er schlug vor, sie der Weltbank zukommen zu lassen. James Tobin ist der festen Überzeugung, daß Armut nicht durch Almosen, sondern durch freien, kapitalistischen Handel bekämpft werden muß. Attac-Aktivisten sehen in den Einnahmen der Tobin-Tax dagegen eine Quelle, um die bitterste Armut in der Welt zu bekämpfen. Betrüge der Steuersatz 0,1 Prozent, ergäbe das schätzungsweise eine Summe von 100 Milliarden US-Dollar jährlich. Eine stolze Zahl, die zu Träumen anregt, für wieviel Gutes soviel Geld verwendet werden könnte. Doch in diesem Punkt dürfte Tobin Recht behalten: Die von ihm vorgeschlagene Finanztransaktionssteuer könnte eine bessere Kontrolle der Finanzmärkte bewirken, nicht aber auf Dauer genügend Geld bereitstellen, um wirksam die Armut in den Trikontstaaten zu bekämpfen. Denn sollte die Steuer tatsächlich fortwährend jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar oder mehr in die Kassen der Weltbank spülen, wäre sie mit ihrem Hauptanliegen, die Spekulation einzudämmen, gescheitert. Die Transaktionssteuer mache nur Sinn, so Tobin, wenn durch sie die Finanzspekulation an Profitabilität verlöre und stark zurückgedrängt würde. Bei erfolgreicher Praxis der Besteuerung müßten also in der Folge die Einnahmen durch die Steuer sinken. Einer Armutsbekämpfung mittels Tobin-Tax würden sukzessiv die finanziellen Möglichkeiten ausgehen.

Die Armut kann international nicht zufriedenstellend in Form von Entwicklungshilfe bekämpft werden, wenn weiterhin die kapitalistischen Produktionsverhältnisse über die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums entscheiden. Um diese Überlegung, die James Tobin fremd ist, wird Attac nicht herumkommen.

Mittlerweile zählt allein die französische Sektion von Attac über 30 000 Mitglieder, weltweit sind es über 50 000. Die deutsche Sektion erfährt seit Genua starken Zulauf. Attac ist zur größten und prominentesten Organisation von Globalisierungskritikern in Europa geworden. Das ist erfreulich. Eigenem Selbstverständnis nach will Attac zu einer "gigantischen Pressure-group der Zivilgesellschaft" (Igancio Ramonet) werden. Damit das gelingt, müßte Attac aber gegenüber neoliberalen Konzepten eine kritischere Haltung einnehmen. Dazu sollte Tobins Distanzierung von Attac anstacheln: "Im großen Ganzen sind deren Positionen gut gemeint und schlecht durchdacht. Ich will meinen Namen damit nicht assoziiert wissen."