Ein selbstbewußtes Nein: NMD

DL21 startet Kampagne gegen NMD-Beteiligung

Vor allem wegen der sicherheitspolitischen Unwägbarkeiten, aber auch wegen der enormen Kosten, die mit einer Beteiligung an diesem Projekt verbunden wären, lehnt das Forum Demokratische Linke 21 die

Die Folgen der von der neuen US-Administration vorangetriebenen Entwicklung nationaler Raketenabwehrsystemen (NMD) sind in diesen Tagen in der Presseberichterstattung nachzulesen. So berichtet z.B. die taz am 07. März 2001, dass China eine deutliche Erhöhung seiner Militärausgaben angekündigt hat. Der Verteidigungshaushalt soll um 17,7 % erhöht werden. Diese Konsequenz war vorauszusehen, denn abschreckungstheoretisch ist die Modernisierung und Aufrüstung der offensiven Nukleararsenale die beste Maßnahme gegen die Einführung von Defensivkomponenten. Vieles deutet darauf hin, dass China diesen Weg mit der Erhöhung seines Militärhaushaltes einschlagen wird.

Sicherheitspolitische Maßstäbe

Diese aktuelle Entwicklung belegt, dass die Diskussion um NMD in Deutschland zur Zeit in die falsche Richtung läuft. "Ein eminentes wirtschaftliches und technologisches Interesse" darf nicht im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Staatliche Technologiepolitik kann in vielen Politikfeldern wirtschaftlich, sozial oder ökologisch positive Folgen haben. In der Rüstungspolitik sollten andere Folgen bedacht werden. Sicherheitspolitische Maßstäbe müssen wieder in das Zentrum der Debatte um NMD rücken.
Die Bundesregierung täte gut daran, sich in diesem Zusammenhang wieder der im Koalitionsvertrag genannten Ziele zu erinnern:
"Eine wesentliche Aufgabe sieht die neue Bundesregierung in der präventiven Rüstungskontrolle. Sie ergreift Initiativen, um im Rahmen der KSE-Verhandlungen die Rüstungsobergrenzen deutlich unter das heutige Niveau zu senken. Sie macht ihren Einfluß geltend, um ... die weitere Reduktion strategischer Atomwaffen zu befördern. ... Die neue Bundesregierung unterstützt Bemühungen zur Schaffung atomwaffenfreier Zonen."
Diese Ziele sind mit NMD nicht zu erreichen. Im Gegenteil: Das Beispiel China zeigt, dass ein neuer Rüstungswettlauf zu befürchten ist.
Und es gibt weitere Argumente, die darauf hindeuten, das NMD ein Irrweg ist.
Die amerikanische Rechtfertigung des NMD-Programmes mit dem Hinweis auf die wachsenden Bedrohung durch die sogenannten "Schurkenstaaten" scheint weit hergeholt. Diese Staaten verfügen meist nur über Raketen mittlerer Reichweite, und zu einer Weiterentwicklung fehlt diesen Ländern die industrielle Basis. Die wahrscheinlichere Bedrohung durch Terroranschläge, biologische oder chemische Waffen läßt sich aber durch NMD nicht einschränken. Somit bietet NMD vor diesen Staaten nur vermeintlichen Schutz. Daneben ist zu befürchten, dass durch das NMD-Programm, die als "Schurkenstaaten" bezeichneten Länder in dieser Rolle gehalten würden. Sicherheitspolitisch ist es sinnvoller, diese Staaten auf multilateraler Ebene in eine international abgestimmte langfristig angelegte Friedens- und Entwicklungskooperation einzubeziehen. Nur so kann eine globale Friedensordnung erreicht werden. NMD wäre für diese Ordnung kontraproduktiv.

Kooperation mit Russland?

Neben diesem übertrieben Bedrohungsszenario ist nicht abzusehen, wie die Gespräche zwischen Amerika und Russland enden werden. Beteiligt sich Russland zusammen mit den USA an einem europaweiten Abwehrschirm, so bedeutet dies, dass von Russland trotz der kostenintensiven wirtschaftlichen Reformmaßnahmen zusätzliche finanzielle Mittel für militärische Sicherheit aufzuwenden sind. Dies würde wieder auf Kosten der sozialen und zivilwirtschaftlichen Sicherheit in Russland geschehen und damit zu neuen internen Spannungen und Konflikten führen. Dies hätte wiederum Auswirkungen auf andere osteuropäische Staaten.
Gibt es keine Kooperation mit Russland und findet somit eine einseitige Aufkündigung des ABM-Vertrages von 1972 durch die USA statt, so hätte auch dies sicherheitspolitisch unabsehbare Folgen. Denn damit wäre die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Russland und den westlichen Staaten und damit das ganze System nuklearer Abrüstung und Rüstungskontrolle gefährdet. Wäre dies von den USA zu verantworten, so wären die Beziehungen zwischen den USA und Europa schweren Belastungen ausgesetzt.

Bedrohung heraufbeschworen

Außerdem zeigt das Beispiel Chinas, dass auch andere Staaten durch NMD zu Maßnahmen gezwungen werden, die Europas und Amerikas Sicherheit in Zukunft keinesfalls erhöhen. Gerade nach der Erhöhung des chinesischen Wehretats könnten Länder wie Indien und Pakistan die nächsten sein, die mit ähnlichen Schritten folgen. Die Rüstungsspirale ist in Gang gesetzt und eine Bedrohung wird heraufbeschworen, die eigentlich durch dieses Raketenabwehrsystem verhindert werden sollte. Neben diesen negativen Folgen für die europäische und amerikanische Sicherheit werden diese Staaten durch NMD zu Schritten gedrängt, an denen sie eigentlich kein Interesse haben. Sie benötigen das Geld, das sie für Nachrüstung ausgeben müssen viel dringender für ihren sozialen und wirtschaftlichen Aufbau. Vor allem China wird damit auf dem Weg zur Demokratisierung und Öffnung gebremst, alte Strukturen verfestigen sich.

Wo ist in der Auseinandersetzung um NMD das viel gepriesene neue Selbstbewußtsein Europas in der euro-atlantischen Partnerschaft? Dies wäre zu erkennen, wenn in dieser Diskussion die oben genannten sicherheitspolitischen Ziele und kritischen Einwände gegen NMD offensiv von deutscher und europäischer Seite vertreten würden.
Denn zu einer Freundschaft unter selbstbewußten, souveränen Partnern gehört, dass man in "partnerschaftlichen und vertrauensvollen" Gesprächen den Gespächspartner "deutlich darauf hinweist, wenn er dabei ist einen Fehler zu begehen".
Die stillschweigende Zustimmung zu den Luftangriffen auf den Irak und das Verhalten der Deutschen und Europäer bei der Diskussion um NMD zeugen jedoch nicht gerade von Selbstbewußtsein und es stellt sich die Frage, ob diese lavierende Zurückhaltung der richtige Weg ist, um als interessanter und vollwertiger Partner für die übermächtigen Amerikaner ernstgenommen zu werden.

Vor allem wegen der sicherheitspolitischen Unwägbarkeiten, aber auch wegen der enormen Kosten, die mit einer Beteiligung an diesem Projekt verbunden wären, lehnt das Forum Demokratische Linke 21 die Pläne für ein nationales Raketenabwehrsystem und die bundesdeutsche Beteiligung an diesem System ab.

* Andrea Nahles, MdB ist Vorsitzende des Forum DL 21