Frauenbewegung zwischen Gestern und Morgen

Gedanken zur weiblichen Wirklichkeit

Als die Berliner Jusos 1985 den Fotowettbewerb ,,Die weibliche Wirklichkeit ist anders" ausschrieben, geschah dies im Rahmen einer breit angelegten Diskussion.

Martina Naujoks, geb. 1957, Hamburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin, war von 1989 bis 1994 IUSY Vice-President und Koordinatorin der Feminist Working Group.

Hillevi Burmester, geb. 1958, Bonn, Dipl. Ing. (arch), war von 1986 bis 1988 stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende.

Als die Berliner Jusos 1985 den Fotowettbewerb ,,Die weibliche Wirklichkeit ist anders" ausschrieben, geschah dies im Rahmen einer breit angelegten Diskussion zur Klärung nicht nur des theoretischen Verhältnisses der Jusos zum Thema Frauen(politik). Der Bundeskongress 1984 hatte eine Quotierung beschlossen, die für Frauen einen Mindestanteil an Funktionen vorsah. In den Bezirken liefen die Vorbereitungen des 1986 beschlossenen Antrages Feminismus/Sozialismus.

Die Zeiten, in denen sich Frauen bei ,,Ausländern, Behinderten und anderen Minderheiten" ablegen ließen, waren vorbei. Die weibliche Form musste nicht mehr nur mitgedacht, sondern auch mitgeschrieben (aber noch nicht gelebt) werden. Kandidatinnen für Vorstände mussten gefunden werden, damit alle Funktionen besetzt werden konnten. Die Jusos hatten beschlossen, Frauenpolitik als integralen Bestandteil (von weiterhin männlich dominierten Politikformen) zu behandeln. Bisher war dieser integrale Bestandteil damit abzuhaken, dass im Bereich Erwerbsarbeit die Benachteiligung von Frauen beschrieben wurde. Jetzt kam die Diskussion über Gewalt gegen Frauen aus den Frauenarbeitskreisen in die Jahreshauptversammlungen aller Ebenen und sonstigen Antragsberatungen. Auf dem Prüfstand standen die Strukturen bei den Jusos. Die Diskussion erfasste die Beziehungen auf allen Ebenen. Thema waren die Organisationsstrukturen, persönliche Verhaltensweisen und die Überarbeitung der Theorie.

Das Thema Erwerbsarbeit nahm dabei auch deshalb einen breiten Raum ein, weil hier an einer der Grundlagen theoretischer Auseinandersetzung bei den Jusos gerüttelt wurde. Die Beteiligung an der Erwerbsarbeit war doch eine Voraussetzung zur Emanzipation des Individuums. Frauen stellten dies aus ihrer eigenen Lebenssituation heraus in Frage. Sie wußten und wissen, dass dies nur ein Teil sein konnte. Ihre Anwesenheit in allen Sphären des Lebens gibt ihnen einen Vorteil.

In dem Katalog zur ersten Ausstellung zeigt sich deutlich, welches Bedürfnis vorhanden war, die Positionsbestimmung der Frauen bei den Jusos öffentlich zu machen. Die Bilder werden Texten zugeordnet, die die Themen der Diskussion ganz gut widerspiegeln. Es gibt Fotos, die sich mit sexueller Gewalt und Aktionen dagegen, der Entdeckung des eigenen Körpers und der Befreiung aus fremden Ansprüchen beschäftigen. Fotos, die Frauen in der Friedensbewegung, bei der Erwerbs-, Haus- und Beziehungsarbeit zeigen oder einfach ihre Gesichter. Und es gibt Texte, die sich genau damit beschäftigen.

In dem Katalog der aktuellen Ausstellung (Teil 2) wurde weitgehend auf Texte verzichtet, die Bilder sprechen für sich. Sie bieten auch nicht mehr die Möglichkeit, sie als Illustrationen für Broschüren, Flugblätter oder Ähnliches zu verwenden. Ihre Botschaft ist nicht eindeutig, sondern erfordert die Herstellung eines eigenen Bezuges zu dem Gesehenen.

Die erste Fotoausstellung hat im Rahmen des deutsch-deutschen Verhältnisses Geschichte geschrieben. Anfang 1988 wurde sie in der Humboldt-Universität in Ostberlin und der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar ausgestellt. Es gab jeweils öffentliche Diskussionen in diesem Rahmen, an denen Vertreterinnen der Jusos teilnahmen und in denen über Frauenpolitik diskutiert wurde. Wie öffentlich diese Diskussionen waren, läßt sich bei Freya Klier nachlesen, die bei der Berliner Veranstaltung im Publikum saß und sich an der Diskussion beteiligte. Die Veränderungen, die sich seit 1989 ereigneten, machten diese Entwicklung obsolet.

1999 schrieben der DGB-Landesbezirk Berlin-Brandenburg und die Fontanestadt Neuruppin den zweiten Wettbewerb ,,Die weibliche Wirklichkeit ist anders" aus. Die abgedruckten Bilder zeigen noch immer eine Vielfalt von Frauenleben. Es wäre schön, wenn Ausstellung und Begleitheft für eine Diskussion über diese weibliche Wirklichkeit genutzt würden. Diese ist für jede Frau eine ganz besondere und andere, auch wenn es viele Gemeinsamkeiten gibt.

Lebenswelten - Lebenswirklichkeiten

Soviel steht schon mal fest: Die weibliche Wirklichkeit ist anders! Aber anders als was?

Als die männliche Wirklichkeit? Na klar! Männer haben nun mal andere Möglichkeiten in männlich geprägten und von Männern gestalteten Strukturen - wo auch immer auf der Welt.

Als die, die in den Medien stattfindet? Logo! Dort werden überwiegend männlich geprägte Leitbilder und keine Lebenswelten produziert.

Als die, die Politik wünscht? Auch klar! Auch dort werden ,,nur" Leitbilder, Entwürfe und Rahmenbedingungen gemacht.

Alle produzieren Schablonen, in die wir uns einpassen sollen, an die wir uns anpassen sollen, mit denen wir uns arrangieren sollen.

Das Private bleibt politisch!

Frauen von heute profitieren von den Auseinandersetzungen der Frauenbewegung der letzten 30 Jahre, genauso wie die Frauen der Generation der ersten Feministinnen von der Frauenbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts profitierten:

¬ Wer hätte um 1800 gedacht, dass Frauen jemals studieren würden?

¬ Wer hätte damals gedacht, dass Frauen irgend wann am politischen Geschehen beteiligt wären?

¬ Oder wer hätte Anfang des 20. Jahrhunderts gedacht, dass Ehefrauen über ihr eigenes Vermögen oder gar über ihren Körper bestimmen könnten, oder dass Vergewaltigung in der Ehe jemals öffentlich diskutiert, geschweige denn unter Strafe gestellt würde?

Und trotzdem hat sich an den Grundfesten patriarchalischer Strukturen nichts geändert. Halt! Doch - sie sind noch subtiler geworden.

Das Leitbild für Frauen in westlichen Industrienationen nach 30 Jahren neuer Frauenbewegung lässt sich vielleicht so beschreiben: Frauen sollen heute alles perfekt schaffen, für den eigenen Lebensunterhalt sorgen, möglichst in einem qualifizierten Beruf, der auch noch Spaß macht; die Kindererziehung, den Haushalt, die Beziehungen, die eigene Freizeit (welche eigentlich?) perfekt organisieren - immer mit einem Lächeln und immer schön locker und gepflegt bleiben. Da ist irgendetwas falsch angekommen bei den Herren aus Werbung, Medien, Wirtschaft und Politik.

(Das Leitbild für alle anderen Frauen der Welt lautet dagegen immer noch: Unterwerfung, Unterwerfung, Unterwerfung. Weiterhin rituelle Beschneidungen, Witwenverbrennungen, Frauenhandel, Sextourismus, Pornografie - was auch nicht ohne Auswirkungen auf andere Kulturkreise bleibt.)

Deshalb vielleicht auch der verdeckt verzweifelte Blick einiger Porträtfrauen im Ausstellungskatalog ,,Die weibliche Wirklichkeit ist anders" (Teil 2), durch den die Fragen der Betrachterin in die Augen und Ohren springen:

¬ ,,Was kann ich schon erreichen?"

¬ ,,Wieviele Kämpfe muss ich denn noch führen, bevor er mal von selbst sieht, was im Haushalt zu tun ist?"

¬ ,,Wie oft muss ich meinem Chef noch sagen, dass meine Kinder zu Hause auf mich warten und ich meine Arbeitszeit einhalten muss, damit die nicht im Regen stehen und mein ganzer persönlicher Zeitplan durcheinander gerät und davon ja auch wieder andere (Betreuungspersonen) betroffen sind?"

¬ ,,Wie lange muss ich noch darum kämpfen, dass ich mit meiner Freundin so leben kann, wie ich möchte, ohne komische Blicke, Sprüche und rechtliche Benachteiligungen? Wann wird meine Lebenswirklichkeit endlich Normalität?"

¬ ,,Wie lange soll ich denn noch darauf warten, bis ich wirklich alles gut miteinander vereinbaren kann? Das bleibt der Mehrheit der erwerbstätigen Mütter doch selbst überlassen. Gute Organisation ist eben alles! Mit einem Wisch ist alles weg - aber leider nur in der Werbung - nicht im Alltag."

Wo finden denn heute die Auseinandersetzungen um Frauenrechte noch öffentlich statt?

Wo sind die Bündnisse von Frauen vor Ort? Frauenwochen, Frauenuniversitäten, Frauenprojekte, Frauenfeste, Frauendemos, Frauenworkshops, Frauennetzwerke, Frauenparteien ...

Institutionalisierung macht Bewegungen tot

Die Umsetzung einer von vielen Forderungen der neuen Frauenbewegung hat mit dazu beigetragen, die Auflösungstendenzen der Frauenbewegung voranzutreiben: Die Einsetzung von Gleichstellungsbeauftragten auf möglichst vielen Ebenen. Viele glaubten, nun seien ihre Forderungen, wenn schon nicht erfüllt, so doch in guten Händen. Dabei wäre es wichtig gewesen, am Ball zu bleiben und die Arbeit fortzusetzen. Die ungeliebten Frauenbeauftragten auf dem Land und überall sonst müssen sich mühsam eine Frauenbasis schaffen und ihr Vorhandensein legitimieren. Sie müssen Betroffenheit herstellen, Themen finden, die von Interesse sind und nicht nur Erziehungs-, Ernährungs- und Gesundheitsfragen betreffen.

Natürlich wird an Rahmenbedingungen gearbeitet - auf Regierungsebene - weltweit.

Vor ein paar Wochen gerade hat die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen unter der Überschrift ,,Frauen 2000 - Gleichstellung, Entwicklung und Frieden für das 21. Jahrhundert" nochmals Bilanz gezogen und u.a. zu den Themen Armut, Gewalt, Ungleichheit bei der Machtteilung, Auswirkungen der Globalisierung, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Verbesserung der Mädchen- und Frauenbildung diskutiert. Und wieder einmal musste festgestellt werden, dass das öffentliche Bewusstsein für die Situation und die Diskriminierung von Frauen gewachsen ist, dass aber trotzdem Einkommensungleichheiten, Frauenarbeitslosigkeit, Unvereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, ungenügende vorbeugende Maßnahmen gegen alle Arten von Gewalt, Unterrepräsentanz von Frauen in Entscheidungspositionen und fortdauernde Verletzung der Frauenrechte als Defizite auszumachen sind.

Und auch die Bundesregierung unseres Landes ist fleißig in Sachen Frauenpolitik; schafft Rahmenbedingungen, die den Lebensalltag von Frauen verbessern helfen: eigenständige Alterssicherung für Frauen, (scheinbare) Gleichstellung unterschiedlicher Lebensgemeinschaften, neues Erziehungsgeldgesetz, Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen - um nur ein paar Stichworte im Rahmen von ,,Gender-Mainstreaming" zu nennen.

Vieles von dem, was die neue Frauenbewegung an Themen und Problemlagen in die Öffentlichkeit getragen hat, ist oben angekommen und wird allmählich umgesetzt.

Trotzdem müssen viele Dinge auch wieder herunter gebrochen werden, um in das alltägliche Bewusstsein von Männern und auch von Frauen zu gelangen.

Zum Beispiel, dass Erziehung auch Vätersache ist: Erziehungsurlaub wird zu über 98% von Frauen in Anspruch genommen; Männer mit Kindern haben die höchste Vollzeiterwerbsquote.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist noch immer ein hochbrisantes Thema

Familie und Kinder sind weitgehend ganz überwiegend Frauensache. Frauen sind im Durchschnitt dreimal so lange mit Haushalt und Kindern beschäftigt wie Männer. Noch immer dominiert die Erwerbsarbeit im männlichen Lebensentwurf auf Kosten der Familie. Teilzeitarbeit ist noch immer eine reine Frauendomäne. Rund 90% aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Hier gilt es neben Rahmenbedingungen für mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze und flexible Arbeitszeitmodelle vor allem im Bewusstsein der Männer etwas zu verändern: Wenn ich mich für Kinder entscheide, bedeutet das immer auch Verzicht und gleichzeitig Veränderung und Bereicherung des eigenen Lebens. Frauen erfahren das ständig und stellen sich darauf ein, gehen mit der neuen Situation um. Männer verhalten sich dazu mehr oder weniger passiv.

Es besteht eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Bei Männern ist eine ,,verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" (Ulrich Beck) festzustellen.

Frauen haben in den letzten 30 Jahren vieles auf den Weg gebracht und vieles im Bewusstein verändert, aber die männlichen Standards sind geblieben, Hierarchien immer noch vorhanden, rein männlich besetzte Expertenrunden noch immer keine Seltenheit. Es hat kein Durchbrechen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung stattgefunden. Strukturen sind zwar neu gedacht und auch ausprobiert worden, aber möglichst viele Möglichkeiten für eine selbstbestimmte Lebensführung haben sich bisher noch nicht durchgesetzt.

Ehe und Familie stehen weiterhin unter dem besonderen Schutz des Staates und der Verfassung. D.h. alle anderen Lebensgemeinschaften sind nachrangig. Es findet auch hier die Ausrichtung an einem Standard statt, der nicht hinterfragt wird, damit aber einen höheren Wert erhält. Welche Auswirkungen hat das im Denken der Menschen? Und welchen besonderen Schutz genießen denn Ehe und Familie? Schutz- und Schonraum für prügelnde Männer; Privatsphäre, in die nicht so ohne weiteres eingegriffen werden darf, selbst wenn dort Straftaten begangen werden: Frauen werden geschlagen, vergewaltigt, Kinder sexuell mißbraucht.

Ein bürgerlicher Wert wird von Staats wegen geschützt. Das ist Ideologie und verkehrt Forderungen der Frauenbewegung in ihr Gegenteil.

Die traditionellen Geschlechterrollen bleiben weiterhin bestehen und werden nur selten hinterfragt und diese verhindern die Selbstverwirklichung. Das Festhalten an alten Werten verhindert auch die erfolgreiche Umsetzung vieler Projekte für Mädchen und Frauen überall auf der Welt. ,,Die ihnen traditionell zugedachten Geschlechterrollen begrenzen die Wahlmöglichkeiten der Frauen bei Bildung und Karriere und zwingen sie, die Last der Verantwortung für den Haushalt auf sich zu nehmen." (so nachzulesen im Bericht der Vereinten Nationen vom Juni 2000).

Es bleibt eben noch viel zu tun bis alle Frauen (und auch Männer) wirklich die Möglichkeit haben, herauszufinden, ,,wer wir sind und das zu leben" - wie es eine Frau im Ausstellungskatalog formuliert hat.