Transformation in Russland

Die Illusion einer Marktwirtschaft als Ergebnis informeller Regulation

Analysen und Abhandlungen über die russische Transformationsökonomie ähneln zunehmend einem Drehbuch, welches einer russischen Variante von "Der Pate" als Vorlage dienen könnte.

Analysen und Abhandlungen über die russische Transformationsökonomie ähneln zunehmend einem Drehbuch, welches einer russischen Variante von ,,Der Pate" als Vorlage dienen könnte. Die Palette reicht von Verschwörungstheorien, die eine ,,System-Mafia" als Faktor der sowjetisch-russischen Transformation identifizieren (Knabe 1998), bis hin zu beschwichtigenden Äußerungen, dass es sich bei den gegenwärtigen nichtformellen Erscheinungen und Verhaltensweisen um ,,ganz normale" Geburtswehen einer Marktwirtschaft handle.1 Mitunter werden sogenannte ,,Auftragsmorde" als gesetzsubstituierende Regeln betrachtet, die nach Aussagen eines russischen Publizisten ,,exakt in das heutige System passen, das aus kriminellen Gemeinschaftskassen und Schutzdächern besteht" (Scharow 1997 zit. nach Knabe 1998: 38). Zehn Jahre nach dem Ende des real existierenden Sozialismus scheint die russische Wirtschaft demnach von Marktwirtschaft und Demokratie im westlichen Sinne weit entfernt zu sein. Die in der Literatur bemühte Terminologie zur Beschreibung der russischen Ökonomie bestätigt diesen Eindruck: ,,Nomenklaturawirtschaft", ,,Staatsbürokratischer Kapitalismus", ,,Politischer Kapitalismus", ,,Marktbolschewismus", ,,Surrealer Kapitalismus", ,,Mafiacracy" und ,,Korrumpierter Markt" sind nur einige Beispiele, die darlegen, dass sich in Russland etwas formiert, das sich erheblich von den marktwirtschaftlichen Verhältnissen der Länder des OECD-Typs unterscheidet. Die Transformationsforschung greift in der Hoffnung auf ein besseres Verständnis dieser ökonomischen und sozialen Formen in Transformationsländern zunehmend auf die Forschungen über den ,,informellen Sektor" zurück. Dieser Spur gilt es auch hier zu folgen, allerdings mit einer anderen Weichenstellung. Zunächst soll das Konzept des ,,informellen Sektors" kritisch sowohl hinsichtlich der Definition als auch auf seine Anwendbarkeit auf die post-sowjetische Transformationsökonomie untersucht werden. In einem weiteren Schritt wollen wir die bereits in der Sowjetunion und während der Perestroika existierenden ,,informellen" Phänomene aufgreifen. Dabei geht es nicht um das nochmalige Aufzählen der sattsam bekannten schattenwirtschaftlichen Aktivitäten in der Planwirtschaft. Vielmehr vermuten wir einen Zusammenhang zwischen den Formen von ,,Informalität" damals und heute, der auf die Ursachen der gegenwärtigen ,,informellen" sozio-ökonomischen Regulierung in Russland verweist. Diese liegen demnach weder im mangelnden marktwirtschaftlichen Know-How der russischen Betriebsdirektoren noch in einer besonders gut organisierten russischen System-Mafia. Unseres Erachtens sind sie in der Genese marktwirtschaftlicher Funktionselemente in Russland zu suchen, deren Implementation in die damalige sowjetische Planwirtschaft unter Gorbatschow die Perestroika einleitete. Die Etablierung der ,,marktwirtschaftlichen Methoden" hat, sicher nicht monokausal, aber doch maßgeblich zu genau dem geführt, was heute die Illusion eines Marktes in Russland vermittelt: ,,informelle" (vom OECD-Modell abweichende) Regulationsprozesse.2

1. Der ,,informelle Sektor" in Russland: Schwierigkeiten der Definition

Im Rahmen der Transformationsforschung tauchen beim Rückgriff auf den informellen Sektor die ersten Schwierigkeiten bereits hinsichtlich der Definitionen auf: ,,Virtually all those who study informal economies preface their work with the disclaimer that there is no common definition for the diverse activities which comprise what is variously referred to as the ,shadow`, ,illegal`, ,parallel`, ,hidden`, ,gray`, ,brown`, ,unofficial`, ,unrecorded`, ,unreported` and ,informal` economy" (RAND 1997: 3). Der Begriff ,,informeller Sektor" versucht also verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten innerhalb eines Bereiches zusammenzufassen, der außerhalb des offiziellen, gesetzlich geregelten, in Steuer- und Sozialversicherungssysteme eingebundenen - ,,formellen" - Bereiches existiert. Um den ,,informellen Sektor" überhaupt zu identifizieren, ist es notwendig, die ,,formellen" Regelungen deutlich davon abgrenzen zu können. Die Studie Russia's Informal Economy (RAND 1997) beispielsweise versucht auf den ersten Blick den unterschiedlichen ,,Formalitäten" verschiedener Länder gerecht zu werden. Anhand des Entwicklungsgrades unterscheiden die Autoren entwickelte Marktökonomien, Entwicklungs- und schließlich Transformationsländer, und betrachten deren informelle Wirtschaften separat. Während danach in den Marktgesellschaften die Akteure des informellen Bereiches eher eine Randgruppe bilden, die mit ihrer Tätigkeit ihr Einkommen aufbessern (Rentner, Studenten), bzw. Kosten senken will (kleine Firmen), ist in den Entwicklungsländern ein weitaus größerer Teil der Bevölkerung, vor allem Arme und Landarbeiter, zu informeller Arbeit gezwungen, die oft die einzige Einkommensquelle darstellt. In den Transformationsländern schließlich scheint es die Ausnahme zu sein, sich überhaupt im formellen Bereich zu bewegen:

,,Few firms exist only in formal economy. Many firms (regardless of ownership structure) exist in both formal and informal sector or informal economy alone. Large as well as small firms" (RAND 1997: 8).

Die Einordnung der Länder nach ihrem Entwicklungsgrad ermöglicht also die Unterscheidung verschiedener Qualitäten und Quantitäten von informellen Sektoren in verschiedenen Ländern. Die Erkenntnis ist jedoch dürftig: Je entwickelter die Marktgesellschaft eines Landes, desto geringer der informelle Sektor. Sie trägt zudem wenig zum Verständnis und der Analyse der gegenwärtigen Wirtschaftsweisen in Russland bei: Wenn in Russland nur wenige Firmen nur in der ,,formellen Ökonomie" tätig sind, aus welchen Akteuren besteht sie dann, die ,,formelle Ökonomie"? Die ,,sektorale Gliederung" von Wirtschaftssystemen, bei der für den ,,formellen Sektor" in der Regel die Marktwirtschaft des OECD-Typs als Maßstab angelegt wird, birgt darüber hinaus die Gefahr, dass die in den Transformationsländern und vor allem in Russland ,,unverkennbare Tendenz zur Informalisierung von Wirtschaft, Politik und Staat faktisch als eine sekundäre Erscheinung abgetan (wird), die das spezifische, gesellschaftsprägende Gewicht neuartiger ,informeller` Strukturen und Regulationsformen eher zu gering bewertet und ... ihre möglichen Konsequenzen ... auf die westlichen Industrieländer unterschätzt" (Hopfmann 1997: 21).

Eine Kategorisierung der russischen Ökonomie in einen ,,formellen" und einen ,,informellen Sektor" bzw. in verschiedene Ausformungen des ,,informellen Sektors" (kriminell, korrupt usw.) zöge methodisch Grenzen, die es empirisch so nicht gibt. Vor diesem Hintergrund soll einem Vorschlag von Albrecht gefolgt werden, nämlich die Blickrichtung umzukehren und ,,die so beliebte Fixierung auf institutionelle Entwicklungen nach OECD-Muster zu unterlassen und statt dessen die diversen Manifestationen abweichenden Verhaltens in Transformationsgesellschaften als Prozesse informeller Regulierung zu fassen" (Albrecht 1998:2, Herv. i. Original). Mit anderen Worten: Das übliche Konzept der Gegenüberstellung von ,,formellem" und ,,informellem Sektor" impliziert zum einen, dass die ,,eigentliche" Regulierung im formellen Bereich stattfindet, während sich die Informalität lediglich auf eine parasitäre bzw. komplementäre Existenz beschränkt. Das heißt auch, in der Informalität erfolgt keine zentrale Regulierung, sie besetzt lediglich Nischen, in welche die dominante, mit der Formalität verbundene Regulierungsweise nicht hinreicht. Zum anderen wird ,,Formalität" dabei inhaltlich an den in westlich-kapitalistischen OECD-Ländern geltenden Maßstäben gemessen. In diesem Aufsatz dagegen soll der Versuch unternommen werden, die in Russland vorherrschende Regulierungsweise selbst, wie sie stattfand und stattfindet, abseits einer sektoralen Kategorisierung zu untersuchen.

2. Eigentumswandel in der Sowjetunion

a) Informelle Prozesse in der Planwirtschaft

Grundlegendes und systemdeterminierendes Merkmal (quasi die ,,fundamentale Formalität") der sowjetischen Wirtschaft und Gesellschaft vor der Perestroika war das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln in der Form des staatlichen und des genossenschaftlich-kooperativen Eigentums, aus dem sich das gesellschaftliche Eigentum an den Ergebnissen der Produktion, inklusive der Konsumgüter ableitete. Die Allokation der Erzeugnisse (und auch die der Produktionsressourcen) wurde von der ,,Gesellschaft in organisierter Form" vorgenommen, was in der Praxis bedeutete: durch die staatliche Verwaltung. Nach sowjetischer Auffassung konnte es Privateigentum an Produktionsmitteln innerhalb der sozialistischen Ordnung nicht geben. Zwar existierte schon immer eine kleine Privatwirtschaft mit Kleinstbetrieben, diese wurde jedoch in der Sowjetunion als offiziell existierende Eigentumsform in der Regel ignoriert, als sich ,,im Aussterben" befindend verstanden bzw. oft auch dem persönlichen Eigentum zugeordnet (vgl. dazu: Jakobs 1965: 53, 93; Chalfina 1976: 105ff). Dieser offiziell gültige Eigentumsbegriff und die darauf basierenden Verhältnisse in der sowjetischen Wirtschaft wurden (und werden zum Teil noch immer) oft ,,von außen" betrachtet und als ,,Kommandowirtschaft" beschrieben. Tatsächlich traf diese Bezeichnung für die sowjetische Wirtschaft und Gesellschaft schon lange vor dem Machtantritt Michail Gorbatschows nicht mehr zu. Mit dem stetigen Rückgang der Wachstumsraten des sowjetischen Nationaleinkommens seit dem 8. Fünfjahrplan (1966-1970) setzte sich vielmehr die Ansicht durch, dass ,,tragende Elemente der Wirtschaftspolitik und des ökonomischen Mechanismus erschöpft waren". Die ,,Funktionsdefekte und Steuerungsdefizite" des sowjetischen zentral-wirtschaftlichen Plansystems wurden immer offensichtlicher durch ,,informelle Wirtschaftsaktivitäten" (Segbers 1989: 181f) kompensiert.

Parallel zur offiziellen Planwirtschaft entwickelte sich ein System der ,,Verhandlungswirtschaft auf Gegenseitigkeit". Die Führungsspitzen beispielsweise hatten nur noch verschwommene Vorstellungen von den realen Möglichkeiten und Ressourcen der ihnen untergeordneten Betriebe, so dass von ihnen kaum klare Anweisungen und Befehle erwartet werden konnten.

,,Indessen müssen die leitenden Organe wenigstens ein Mindestmaß ihrer Funktionen erfüllen. Darum sind sie genötigt, bewusst oder unbewusst, offen oder heimlich, zu einer neuen Form, nämlich den Verhandlungen auf Gegenseitigkeit zwischen Behörden und Betrieben überzugehen. (...) Im Rahmen dieses Systems erteilen nicht einfach die oberen Instanzen Befehle an die unteren (obwohl auch diese ,artreine` Form der Befehlserteilung erhalten blieb), sondern beginnen mit ihnen eine Art Dialog, der zu einer beide Seiten zufriedenstellenden Vereinbarung führt. Im Zuge der Verhandlung operiert jeder Teilnehmer mit den spezifischen potentiellen ,Werten`, über die er verfügt. Bei den Entscheidungsträgern sind das vor allem die zu verteilenden Ressourcen, Gelder, zentralisierte Investitionsvorhaben, Preise bei neuen Erzeugnissen, Normrichtlinien zur Gewinnverteilung zwischen Betrieb und Staat, verschiedene Anreizmethoden für wirtschaftliche Führungskräfte, Beförderung auf höhere Posten etc. Mit diesen Druckmitteln besteht ,oben` die Möglichkeit, Entgegenkommen von ,unten` zu belohnen und ,Widerspenstigkeit` und ,Aufbegehren` zu bestrafen. Die untergeordneten Instanzen und insbesondere die Betriebe verfügen bei der Verhandlung über Argumente wie Annahme (oder Ablehnung) des vorgegebenen Plansolls, Bereitschaft, zusätzliche Aufgaben und höhere Planauflagen zu übernehmen oder an periodischen Kampagnen z.B. zur Entlastung der Landwirtschaft bei Erntearbeiten oder der Bauwirtschaft bei Arbeitsspitzen teilzunehmen etc." (Saslawskaja 1989: 96f).

Hinsichtlich der Ressourcenallokation entwickelte sich neben dieser (und zum Teil aus dieser heraus) vertikalen Regulation auch eine horizontale zwischen den Betrieben. Obwohl die von Planungskomitees und Fachministerien zugewiesenen Ressourcen trotz aller ,,Verhandlungswirtschaft" nur in den seltensten Fällen mit dem tatsächlichen Bedarf der Betriebe übereinstimmten, nahmen diese alles, was ihnen zugeteilt wurde. Auf diese Weise legten sich die Betriebe Polster an, um sich gegen Versorgungsengpässe abzusichern und um sie bei anderen Betrieben gegen fehlende Mittel einzutauschen. Es entstand ein ,,Naturalienmarkt", dessen Funktion es war, die Schwächen des zentralisierten Versorgungssystems zu kompensieren. Gängige Praxis war in diesem Zusammenhang auch das Höherschätzen von Produktionsdaten, zum einen, um (über-)erfüllte Pläne vorzutäuschen und damit bei der weiteren Materialverteilung bevorzugt behandelt zu werden, zum anderen, um sich Rohstoffe und Anlagen privat anzueignen und weiterzuverkaufen.

Die Tatsache, dass mittels dieser ,,Parallelwirtschaft" damals geltende Gesetze und Verträge kontinuierlich verletzt wurden, wurde nicht nur geduldet, sondern als ,,essentiell für das optimale Funktionieren der Wirtschaft betrachtet":

,,Bribery and corruption flourished in a system with a powerful, but grossly underpaid apparat. Despite strict ,formal` penalties for economic crimes, the regime tolerated them as a buffer against the inevitable misallocation failures of a centralized economy, whose architects lacked access to the information necessary to effectively manage the peripheries" (RAND 1997: 4).

Ähnlich argumentiert die russische Autorin Alena Ledeneva in ihrer Untersuchung des sogenannten ,,Blat"-Phänomens (Ledeneva 1997). Der Begriff ,,Blat" umfasst das Ausnutzen vor allem persönlicher Beziehungen (Freundschaft, Verwandtschaft) und individuell zur Verfügung stehender Privilegien (öffentliche Ämter, damit verbundener exklusiver Zugang zu Ressourcen, Defizitgütern, medizinischer Versorgung etc.) mit dem Ziel, für sich selbst oder für Dritte wiederum Luxus- oder schlicht knappe Güter, Ausbildungsmöglichkeiten, Privilegien usw. zu beschaffen. Vor dem Hintergrund staatlichen Eigentums, zentral-administrativer Lenkung und der herrschenden Ideologie, nach der sich die Individuen mit den Zielen einer Organisation (Betrieb, Staat, Partei) identifizieren sollten, verschwammen allerdings die Grenzen zwischen ,,persönlicher Bereicherung" und dem ,,Handeln im Sinne der Organisation". Indem ,,Blat" auch weniger Privilegierten Zugang zu begehrten Gütern und Diensten verschaffte, diese damit quasi ,,neu verteilte", bedeuteten diese Aktivitäten auch eine Einlösung der vorherrschenden Ideologie der Gleichheit. Damit waren sie eine Bedingung für den Fortbestand der Sowjetunion. Gleichzeitig aber stellte ,,Blat" die zentrale Planung und Kontrolle der Wirtschaft kontinuierlich in Frage, indem ,,systemabweichendes" Verhalten alltäglich wurde: ,,blat [...] became an everyday pattern of behavior and mentality, penetrating personal relationships [...] and shaping specific attitudes towards legality" (ebd.: 154). Bereits vor der Perestroika charakterisierten auch andere kritische sowjetische Theoretiker (,,Nowosibirsker Schule") die Sowjetwirtschaft daher als

,,eine Art Hybridprodukt aus dem zentralisierten planwirtschaftlichen und dem marktwirtschaftlichen System, wobei es sich um einen spezifischen, veränderten Markt handelt, in dem nicht mit klassischen Begriffen wie Ware, Qualität und Preis operiert wird, sondern mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, auf die Funktionsbedingungen des Partners einzuwirken" (Saslawskaja 1989: 97).

b) Die Einführung privaten Eigentums als Legalisierung informeller Prozesse

Was nach der Wahl Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU am 11. März 1985 als ,,Perestroika" bekannt wurde, fußte im Grunde auf den Ansichten der Nowosibirsker Schule. Gorbatschows erklärtes Ziel war eine ,,tiefgreifende strukturelle Reorganisation der Wirtschaft" in der Sowjetunion, die die Volkswirtschaft wieder an das Weltniveau anschließen lassen sollte. Dabei sollte unter anderem der ,,Faktor Mensch" neu ,,aktiviert" werden, d.h. die Interessen der Menschen, Arbeitskollektive, öffentlichen Organe und anderer sozialer Gruppen wieder stärker berücksichtigt und diese so zu einer konstruktiven Mitarbeit an der Lösung der Probleme der Sowjetunion bewegt werden (Gorbatschow 1989: 31). Abseits dieser offiziellen Lesart lässt sich dies auch wie folgt formulieren: Derjenige Teil der Wirtschaft (einschließlich deren Verwaltung), welcher der Kontrolle, Lenkung und dem Nutzen des Staates immer mehr entglitt, sollte durch Reformen wieder in dessen Obhut zurückgeführt werden, indem die bereits existierende und mehr oder weniger funktionierende ,,Parallelwirtschaft" offizieller Bestandteil der Sowjetwirtschaft werden sollte. Neben den vertikalen Kommandostrukturen sollte sich ein ,,Markt" etablieren, auf dem die bisherigen, marktähnlichen horizontalen (Vertrags-) Beziehungen (z.B. Handel und Tausch mit ,,Überschussware") legal abgewickelt werden sollten. Den Staatsbetrieben insgesamt wollte man eine größere Autonomie gewähren und die staatlichen Planvorgaben (Kennziffernapparat) sollten drastisch reduziert und vor allem auf intensives betriebliches Wachstum ausgerichtet werden. Die Planung sollte nicht mehr die gesamte Wirtschaft, sondern nur noch wichtige Wirtschaftsbereiche erfassen (,,strategische Planung"), die Entlohnung leistungsbezogener ausgestaltet werden und neben die staatlichen Fixpreise sollten Höchst- und freie Preise treten. Mit der vorgesehenen Reduktion der staatlichen Planung und Verwaltung stand auch die Neuregelung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, das ,,Herz" des sozialistischen Eigentums, zur Disposition. An die Seite der bisher dominierenden Staatsunternehmen sollte eine Vielfalt ,,neuer sozialistischer Eigentumsformen" treten, die untereinander in einem Wettbewerb stehen (Kordasch 1997: 24). Zwischen 1988 und 1990 erhoffte man die traditionelle zentral-administrierte Planwirtschaft damit quasi in eine ,,sozialistische Marktwirtschaft" zu überführen. Leitgedanke dieser Maßnahmen war die Annahme, dass die partielle Einführung quasi-privaten, ,,sozialistischen" Eigentums die Motivation aller am Wirtschaftsprozess beteiligten Akteure erhöhen würde. Maßnahmen, die Ausdruck und praktische Umsetzung der Einführung von mehr Eigenständigkeit und ,,sozialistischen Eigentums" waren, stellten die Verabschiedung der Gesetze ,,Über die individuelle (private) Arbeitstätigkeit", ,,Über die Staatsbetriebe (Vereinigungen)", ,,Über die Genossenschaften (Kooperativen)" bzw. des Dekrets ,,Über die Pacht und die Pachtbeziehungen in der UdSSR" dar. Das Gesetz ,,Über die individuelle Arbeitstätigkeit" legalisierte vor allem die zuvor schattenwirtschaftlichen Aktivitäten, zu denen z.B. die private Arbeit für den oben beschriebenen ,,Naturalienmarkt" zählte. Das Betriebsgesetz bestimmte den Gewinn zu einem wesentlichen Ziel der Unternehmen, gab das Prinzip der ,,Selbstfinanzierung" vor und überließ großenteils die Verfügung über Rohstoffe, Produktion, Produkte und Preise den Betrieben selbst. Genossenschaftsgesetz und Pachtdekret erlaubten die Gründung selbständiger Unternehmen außerhalb der Staatswirtschaft und ermöglichten damit auch die legale selbständige Produktion und den Einzelhandel. Das Pachtdekret schaffte die Voraussetzungen für die Verpachtung von Vermögen der Staatsunternehmen.

Mit dem ,,Gesetz über die Genossenschaften (Kooperativen)" griffen Gorbatschow und seine Berater auf ein Instrument zurück, das Lenin in seiner ,,Neuen Ökonomischen Politik" in den Zwanziger Jahren als marktwirtschaftliches Zugeständnis erfolgreich angewandt hatte, um die vom Kriegskommunismus ruinierte Wirtschaft wiederzubeleben. Es erlaubte die Gründung von unabhängigen Genossenschaften oder Kooperativen. Die Kooperativen sollten eine den Staatsunternehmen gleichberechtigte sozialistische Wirtschaftsform darstellen. Beschränkungen hinsichtlich der Größe, Beschäftigtenzahl oder der Anlagen waren nicht vorgesehen, ebenfalls gab es keine Einschränkungen der Wirtschaftsbereiche, in denen Kooperativen tätig werden sollten. Kooperativeigentum wurde vom Gesetz geschützt und dem Staatseigentum grundsätzlich gleichgestellt. Das Staatseigentum sollte jedoch die ,,führende Rolle" behalten, der staatliche Sektor wurde deshalb anfangs sorgsam abgeschirmt, vor allem gegen einen Abfluss qualifizierter Kräfte in den privaten Bereich. Insgesamt stellten die neuen Regelungen aber eine deutliche Erweiterung der bisherigen Möglichkeiten dar, nun legal außerhalb des Staatsbereiches wirtschaftlich tätig zu werden. Es war erlaubt, einen Arbeitsplatz im staatlichen Sektor zugunsten einer Tätigkeit in einer Genossenschaft aufzugeben. Die Kooperativen sollten selbständig arbeiten, sich selbst verwalten und finanzieren. Sie waren nicht nur in der Wahl der Produkte und der Produktionsmengen, sondern auch in der Preisgestaltung frei. Es war ihnen gestattet, über ihr Eigentum vollkommen frei zu verfügen - sie konnten es verkaufen, verpachten oder auch zusammenlegen mit dem Vermögen einer anderen Kooperative. Den erwirtschafteten Gewinn sollten sie gemäß Art. 20 des Genos-senschaftsgesetzes nach eigenem Belieben verwenden dürfen. Die Entlohnung sollte von den Genossenschaften im Rahmen der Arbeitsgesetze selbst festgelegt werden und der ,,Verbesserung der Erzeugnisqualität und der Festigung der Disziplin dienen" (Gesetz über die Genossenschaft in Segbers 1989: 230). Verbindliche Staatsaufträge wie für die Staatsunternehmen waren für die Genossenschaften nicht vorgesehen. Sie konnten jedoch freiwillig Staatsaufträge annehmen, mussten dann aber auch die staatlich festgesetzten Preise akzeptieren. Die Versorgung der Kooperativen mit Materialien und Anlagen sollte über den staatlichen und genossenschaftlichen Groß- und Einzelhandel erfolgen, darüber hinaus über Kolchosmärkte und über Zulieferungen in Verbindung mit Staatsaufträgen.

Von der Schaffung dieser neuen und - wie man hoffte - effektiveren Formen sozialistischen Eigentums erwarteten die Perestroika-Reformer ganz wesentliche Impulse für eine qualitative und quantitative Verbesserung des Güterangebotes. Diese Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht. Zwar wurden die durch die Gesetze geschaffenen Möglichkeiten ausgeschöpft und ein Wandel der traditionellen Eigentumsformen kam damit zügig in Gang. Die wirtschaftliche Situation des Landes aber verschlimmerte sich eher noch. Grund dafür war unseres Erachtens gerade die Koexistenz einer nach wie vor staatlich reglementierten Planwirtschaft neben einem Bereich, der nunmehr nach marktwirtschaftlichen Regeln funktionieren sollte: Während vor den Perestroika-Reformen die Fachministerien über die Verteilung der Produktionsergebnisse verfügten, sollten nun die staatlichen Betriebe ebenso wie die neuen privaten Kooperativen nach eigenen Vorstellungen ihre Produkte und Dienstleistungen auf den freien Märkten anbieten. In Verbindung mit der neuen Vorgabe, ,,Gewinn" zu erzielen, bestand für diese damit ein Interesse, ihre Produkte möglichst nicht für die nach wie vor festgelegten (niedrigeren) staatlichen Festpreise an den Staatshandel bzw. andere Staatsbetriebe zu verkaufen, sondern sie auf den freien Märkten abzusetzen. Gleichzeitig waren die Staatsbetriebe, die durch Staatsaufträge zu Lieferungen ihrer Erzeugnisse zu niedrigen Fixpreisen gezwungen waren, natürlich daran interessiert, diese Aufträge mit einem Minimum an Ressourcenaufwand zu erfüllen, um nebenher noch genug für die weitaus lukrativeren Geschäfte auf den freien Märkten übrigzubehalten. Ressourcen wurden daher auch nicht sparsamer eingesetzt, sondern lediglich die Qualität der Produkte für den Staatshandel drastisch herabgesetzt. In vielen Fällen wurden die Staatsaufträge auch gar nicht mehr erfüllt. Darüber hinaus stellten viele Betriebe ihre Produktion auf solche Produkte um, für die sie höhere Preise verlangen konnten, so dass z.B. subventionierte Erzeugnisse (vor allem Waren des täglichen Bedarfs) zunehmend aus den Läden verschwanden. So konnten die Läden des staatlichen Konsumgüterhandels nur noch ungenügend und nicht mehr kontinuierlich beliefert werden, gleichzeitig bildete sich auf den freien Märkten3 ein relativ reichliches Angebot heraus, allerdings mit im Vergleich zu den staatlichen Fixpreisen unverhältnismäßig hohen und ständig steigenden Preisen.4 Vor dem Hintergrund der Ressourcenknappheit und der Gewinnvorgabe musste es den Betriebsleitern, Kooperativen und Pachtbetrieben also vor allem darum gehen, ,,auf der Zulieferseite das administrative Planungssystem soweit wie möglich auszusaugen, aber selbst nur das Notwendigste zu den vorgeschriebenen niedrigen Preisen an den Planbereich abzugeben" (Lösch/Steffen 1991: 22), bzw. sich möglichst weitgehend von der Abhängigkeit der staatlichen Materialzuweisungen zu lösen.

1 So kommentiert Wolfang Kartte, ehemaliger Chef des Bundeskartellamtes und 1992 Wirtschaftsberater der russischen Regierung die russische Entwicklung mit den Worten: ,,Das ist in Russland im Moment so eine Art von Cowboy-Kapitalismus, wie er immer entsteht und entstanden ist, wenn eine völlig freie Marktwirtschaft eingeführt wird. Das war in Amerika nicht anders." (Interview mit W. Kartte in DIE WELT, 19.12.1994, S. 7).

2 Zum Konzept der ,,informellen Regulation" durch systemdeterminierende informelle Prozesse vgl. Albrecht (1998: 2).

3 Die ,,freien Märkte" entstanden hauptsächlich als ,,Erweiterung" der schon vorher existierenden Kolchosmärkte, auf denen die Produkte der Hoflandwirtschaften sowie die Überschüsse aus der landwirtschaftlichen Produktion zu freien Preisen angeboten und nachgefragt werden konnten.

4 Ausführlicher zur Versorgungskrise in der Sowjetunion als Ergebnis der Perestroika: Lösch/Steffen (1991: 5f) und Steffen (1997: 112ff).

Zu diesem Zweck etablierte sich die - durch Gorbatschows ,,Genossenschaftsgesetz" zunächst legitimierte - Praxis, Teile von Staatsbetrieben ,,auszulagern", d.h. in Kooperativform weiter zu betreiben oder zu verpachten. Als Anhängsel eines Staatsbetriebes konnten sich die Kooperativen auf der einen Seite Zugang zu den (billigeren) staatlich zugeteilten Ressourcen verschaffen, von deren Zuweisung sie als Kooperative per Gesetz weitgehend ausgeschlossen sein sollten. Andererseits hatte der Staatsbetrieb durch die Auslagerung den Vorteil, die feste Preisbindung seiner Produkte wiederum ,,informell" zu umgehen, indem er seine Produkte über die Kooperative verkaufte, die nicht an staatliche Fixpreise gebunden war. Diese Praxis fand relativ rasch Verbreitung: 1988 waren 37% aller neuen Kooperativen in irgendeiner Form Anhängsel eines Staatsunternehmens (Kordasch 1997: 25), ein Jahr später arbeiteten nach Angaben des Staatlichen Komitees für Statistik der Sowjetunion bereits 80% in Anbindung an staatliche Betriebe, von denen sie mehr als 60% ihrer Materialien und ihrer Sachanlagen bezogen (Claudy 1995: 13). Um die staatliche Versorgung ihrer Betriebe mit Rohstoffen und Vorprodukten zu den subventionierten Preisen aufrechtzuerhalten und sich zugleich ungestört auf die Produktion der gewinnträchtigen Defizitgüter konzentrieren zu können, erhielten die Betriebsdirektoren häufig ,,informell" Unterstützung von der Planbürokratie. Besonders die örtlichen Verwaltungen, die im Laufe der Perestroika von der Schwächung der Zentralmacht profitierten, hatten aufgrund der formell immer noch ihnen zustehenden (staatlichen) Verfügungsgewalt über die Elektrizitäts- und Wasserversorgung ein wirksames Druckmittel gegenüber den neuen Firmen in der Hand und beanspruchten häufig Anteile am Einkommen der Unternehmen bzw. Mitspracherechte bei der Unternehmensführung. Infolge der eben beschriebenen Versorgungsengpässe gingen viele Betriebe dazu über, nicht mehr gegen Geld, sondern nur noch gegen defizitäre Waren zu liefern, die der ,,Käufer" vorher gegen andere knappe Waren ,,gekauft" hatte, die wiederum aus dem ,,Verkauf" eigener Erzeugnisse an Dritte stammten usw. Die Betriebe versuchten also, unter Umgehung des Staatshandels und häufig unter Einschaltung einzelner Händler und Schieber ,,zur Selbstversorgung" (Lösch/Steffen 1991: 23) überzugehen. Es ist offensichtlich, dass der Zusammenbruch des zentral gelenkten Versorgungssystems als Resultat der Koexistenz zweier sich ausschließender Wirtschaftsweisen erfolgen musste und darüber hinaus zur Auflösung bestehender Produktionsketten und Zulieferbeziehungen führte.

c) Die Privatisierung in Russland oder der informelle Eigentumswandel

,,Die Wirtschaft befindet sich in einer äußerst gefährlichen Situation" (,,Gorbatschow-Programm", zitiert aus Steffen 1997: 119) lautete 1990 schließlich Gorbatschows Bilanz der Perestroika. Erklärt wurde die Krise hauptsächlich mit der Unvollständigkeit der bisherigen Reformpolitik bzw. den noch ungenügend realisierten ,,marktwirtschaftlichen Maßnahmen". Der vollständige Übergang zur Marktwirtschaft galt von nun an als notwendig für die Überwindung der Wirtschaftskrise. Anders ausgedrückt: Der zerstörerischen Koexistenz von Planwirtschaft und Quasi-Marktwirtschaft wurde zu Lasten ersterer nachgegeben, angestrebt wurde eine Marktwirtschaft entsprechend dem OECD-Modell. Die Überführung staatlichen Eigentums in Privateigentum wurde dabei konsequenterweise von den sowjetischen Transformations-Theoretikern ,,zum entscheidenden Implementationsmittel" erklärt (Steffen 1997: 181). Ab Dezember 1990 wurden daher eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die den Weg zu privatem Eigentum bereiten sollten: Das ,,Gesetz über Eigentum", das ,,Gesetz über Unternehmen und unternehmerische Tätigkeit", und das ,,Gesetz über Aktiengesellschaften". Die eigentliche Privatisierungsgesetzgebung wurde schließlich eingeleitet mit dem am 3. Juli 1991 vom Obersten Sowjet Russlands verabschiedeten Gesetz ,,Über die Privatisierung der staatlichen und kommunalen Betriebe in der RSFSR" (Stebenkov zitiert aus: Evers 1995: 202). Hier etablierte sich endgültig der Leitgedanke, dass die Einführung von Privateigentum der entscheidende Hebel für eine effizientere Volkswirtschaft sei. Entsprechend konsequent und rasch sollte das Staatseigentum privatisiert werden. Vor dem Hintergrund der gerade beschriebenen, weit verbreiteten Auslagerung von Kooperativen aus Staatsbetrieben zur Umgehung des staatlichen Handels, lassen sich die Privatisierungsvorhaben und Jelzins Entschluss, einen wirklichen Systemwandel hin zur Marktwirtschaft zu vollziehen, zugespitzt auch als erneute, nachträgliche Legalisierung bereits vorhandener ,,informeller" Phänomene interpretieren. Unterstützt wird diese Auslegung durch die praktische Durchführung der Privatisierungen in Russland, deren Ergebnis heute von verschiedenen Seiten weitgehend konsensual mit ,,spontaner Privatisierung" oder ,,Nomenklatura-Privatisierung" bezeichnet wird. Beide Begriffe meinen im Grunde ein und dasselbe. Letzterer legt die Betonung auf das Subjekt (,,wer"): Er betont die Besetzung der Eigentümerstrukturen mit und durch die Angehörigen der ehemaligen Entscheidungsträger. Der Begriff der ,,spontanen" Privatisierung legt die Betonung hingegen auf das ,,wie" der Privatisierung: Unternehmensdirektoren und Mitglieder der Verwaltungsbürokratie nutzten den sich schon seit Gorbatschow abzeichnenden Wandel der Eigentumsstrukturen dazu, selbst Eigentümer zu werden: Die Kooperative als Anhängsel eines Staatsunternehmens verkaufte seine Ware diesmal nicht nur auf dem freien Markt, sondern teuer an das eigene Staatsunternehmen zurück. Dadurch wurde das Staatsunternehmen im Laufe der Zeit zahlungsunfähig. Da das Staatsunternehmen größter Schuldner der Kooperative war, ging es im Zuge der Privatisierung in ihr Eigentum über. Somit war der Betriebsdirektor des ehemals staatlichen Unternehmens neuer Betriebsdirektor des nun privatwirtschaftlichen Unternehmens, der ehemaligen Kooperative.

Ein weiterer häufig beschrittener Weg der Nomenklatura-Privatisierung bestand darin, ein ehemaliges Staatsunternehmen zu liquidieren und das Anlagevermögen an eine aus dem Unions-Fachministerium hervorgegangene Holdinggesellschaft zurück zu übertragen. Gleichzeitig gründeten Unternehmensleitung und Arbeitskollektiv ein Privatunternehmen mit Hilfe eigenen oder fremden Kapitals, für welches sie das Anlagevermögen wiederum von der Holdinggesellschaft zu extrem günstigen Konditionen pachteten. Wie bei Pachtunternehmen üblich, konnte mit der aufgenommenen Produktion schließlich so viel Gewinn erzielt werden, dass schließlich auch das gepachtete Anlagevermögen wieder erworben werden konnte (Krüßmann 1998: 138).

Es gibt kaum empirische Befunde über das Ausmaß der spontanen Privatisierung, aber in der Literatur wird nicht zuletzt aufgrund von Umfragen und Fallstudien einhellig die Meinung vertreten, dass ,,sie weit verbreitet war" (Claudy 1995: 17). Es versteht sich von selbst, dass durch diesen Vorgang jene in die maßgeblichen Eigentümerstrukturen kamen, die schon zuvor in den mit Macht ausgestatteten Ämtern und Positionen waren. Die russischen Autoren Wadim Kolesnikow und Sergej Sidorow unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen ,,rotem und weißem Business" (Kolesnikow/Sidorow 1994: 362). Das erstere entstand und entwickelte sich demnach auf der Grundlage des Volkseigentums und der Mittel, die vom Staat und den Staats- und Parteistrukturen zur Verfügung gestellt wurden und die der ,,am meisten aktive und unternehmerische Teil der Nomenklatur" für die Organisation ,,seiner Sache" erhielt. Auf diese Weise ,,bildeten sich die meisten sog. Gemeinschaftsunternehmen, d.h. Joint Ventures, große Börsen und andere kommerzielle Strukturen heraus".1 Zum ,,weißen Business" zählen die Autoren Unternehmenstätigkeiten, die im ,,leeren Raum" entstanden sind, das heißt, die sich ,,nur dank den Anstrengungen der Unternehmer selbst ohne Hilfe von irgendwelchen verwaltungsstaatlichen Beziehungen, Kräften und Mitteln entwickelten und festigten". Das Verhältnis zwischen dem roten und dem weißen Business schätzen die Autoren auf 80% zu 20%.

Dass an dieser Stelle häufig von ,,informellen" Vorgängen bei der Privatisierung gesprochen wird, ist allerdings nicht ganz zutreffend: Die spontane Privatisierung fand vorwiegend in einem rechtsfreien Raum statt - eine durchgesetzte und geltende Formalität, die einem informellen Bereich gegenüberstand, existierte zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Der formal-rechtliche Rahmen bewegte sich auf einen ,,Zustand der Anarchie" hin: ,,Die ... spontanen Privatisierungsbestrebungen haben landesweit zu einer Situation geführt, in der weder die Unions- noch die RSFSR-Regierung in der Lage war, den Reformprozess mit rechtlichen Mitteln zu gestalten". Ein Grund dafür lag unter anderem in der bis zur Auflösung des obersten Sowjets zwischen der Union und der russländischen Föderation konkurrierenden Rechtsordnung. Weitere Gründe waren die oft unpräzisen Formulierungen präsidentieller Erlasse, Ad-hoc-Entscheidungen, die oft wieder zurückgenommen wurden und widersprüchliche Bestimmungen innerhalb eines Gesetzes (Krüßmann 1998: 139f).

3. Die Transformation als Fortsetzung der informellen Regulation

Dieser quasi-rechtsfreie Raum, indem man (aus westlicher Perspektive) ,,unübliche" Vorgänge weder als ,,informell" identifizieren noch als solche definieren kann, weil die dazu notwendige Formalität zumindest uneindeutig ist, wirkt bis heute fort. Gesetze werden kontinuierlich geändert und zwischen föderaler und regionaler Ebene gibt es wenig Einverständnis:

,,Simply put, regional and local leaders set a strong example in favor of noncompliance with tax law, the commercial code, and other regulatory norms. As is the case for individuals and firms, regional tax evasion is based on both distrust and hostility toward the central government, and rational economic survival considerations. (...) ... the constant negotiating and bargaining between the center and the regions results in an unstable set of laws pertinent to economic activity at both the federal and the regional level" (RAND 1997: 11).

So berichteten Journalisten beispielsweise von Fällen, in denen Manager, die gewillt waren, ihren Steuerverpflichtungen nachzukommen, nicht wussten wie sie das bewerkstelligen sollten, ,,because the code is under constant revision". Unter anderem auch aus diesem Grund ist die Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und ihrer Umsetzung in der Praxis eklatant. Anders gesagt: Das Gewaltmonopol des russländischen Staates scheint die Staatsbürger wenig zu binden. Westliche Investoren beklagen die mangelnde Rechtssicherheit als Haupthindernis für ihre Motivation, den russischen Markt zu erschließen. Die ,,eigenen Leute" dagegen gehen mit diesem Umstand pragmatisch um: So setzen beispielsweise Svetlana Puschkareva und Antje Kullmann das Nicht-Befolgen von Gesetzen in ihrem Überblick über die Änderung im ,,russischen kollektiven Arbeitsrecht von 19952" bereits voraus (Puschkareva/Kullmann 1996: 293).

Das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol des Staates verweist darauf, dass andere Regulierungen vorherrschen müssen, welche die staatlich-offiziell initiierten ersetzen. Korruption beispielsweise ist eine - sehr wirkungsvolle - Art der Regulierung in der russländischen Gesellschaft. ,,Korruption", definiert als ,,der Missbrauch des öffentlich gewährten Vertrauens zwecks eigennützigem Gewinnstreben" (Albrecht 1996: 1) findet immer zwischen zwei Parteien statt: einem Korrumpierenden, der mit diesem Mittel versucht, in den Genuss eines Gutes zu gelangen und einem Korrumpierten, der aufgrund seines öffentlichen Amtes in der Lage ist, eine Entscheidung über den Zugang zu diesem Gut zu treffen. In Russland erinnert dieser ,,Missbrauch" an die schon erläuterte ,,Verhandlungswirtschaft auf Gegenseitigkeit" bzw. an das ,,Blat-Phänomen", welche bereits in den 70er Jahren zur Kompensierung der Dysfunktionalitäten des Systems von jedermann als notwendig erachtet wurden. So sind die ,,korrupten Beziehungen" auch heute übliche Praxis:

,,In a February 1996 survey, supported by the OECD, of 887 managers from Russian SMEs [kleine u. mittlere Unternehmen] throughout the country, 57 and 50 per cent of all managers, respectively, considered ,extortion based upon threats of violence` and ,extortion by government officials` to be common occurrences" (OECD 1998: 135).

Eine weitere Umfrage der Weltbank unter russischen Unternehmen hat ergeben, dass in der Wahrnehmung der befragten Unternehmen die ,,korrupten Beziehungen" zwischen Firmen und einzelnen Regierungsbeamten in der GUS weitaus berechenbarer sind als die allgemeine Regierungspolitik den Firmen gegenüber (Transition Report 1997: 40)3. Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass die ,,Steuermoral" in Russland wenig ausgeprägt ist. Nach Angaben der staatlichen Steuerverwaltung bezahlte Anfang 1997 etwa ein Drittel der Unternehmen überhaupt keine Steuern und nur 16,6% der Unternehmen bezahlten ihre Steuern regelmäßig (RAND 1997: 14). Ende November 1998 übertrafen die Steuerrückstände die Gesamteinnahmen des Föderationshaushalts. Allerdings soll hier nicht auf die mangelnde Moral als Hauptgrund der Steuerhinterziehung rekurriert werden. In nicht wenigen Fällen dient die Zahlungsverweigerung schlicht dem Erhalt des Betriebs: Der Anteil von dauerhaft Verlust machenden Unternehmen in Russland ist nicht zu unterschätzen. In der Industrie beispielsweise beträgt er 48% (DIW 1998). Russland hat sich schon soweit mit diesen Rückständen arrangiert, dass es die Aktivitäten, die ihm keine Einnahmen bringen, wenigstens rechnerisch in das volkswirtschaftliche Wachstum mit einbezieht. So versucht die russische Statistik, die Aktivitäten der ,,Schattenwirtschaft" in den veröffentlichten BIP-Daten zu berücksichtigen (DIW 1998). Informationen oder Schätzwerte hierzu reichen von wenigen Prozent des BIP bis 25% oder darüber. Manche Autoren vermuten einen insgesamt weit höheren Umfang der ,,Schattenwirtschaft".4

Der Staat, der keine Einnahmen hat, kann seine Funktionen nicht ausüben. Den Bereich der inneren Sicherheit beispielsweise übernehmen großteils private Wach- und Schließgesellschaften. Nachdem im Jahre 1991 das Gesetz über ,,Privatdetektive und Schutzdienste" verabschiedet wurde, kam es in den Jahren danach sprunghaft zu einem Anstieg solcher Firmen, wobei in erster Linie frühere Angehörige der Rechtsschutzorgane und der Streitkräfte Mitarbeiter dieser Schutzdienste wurden (Knabe 1998: 33). Inwiefern dies alles mit organisierter Kriminalität, Schutzgelderpressungen und politischen Entscheidungsträgern regulierend zusammenspielt, wird in dem zitierten Aufsatz von Knabe ausführlich dargestellt.

Die notorische Einnahmenschwäche des russischen Staates liegt nicht nur an der üblichen Praxis der Steuerhinterziehung, sondern ist auch auf ein altbekanntes Phänomen der sowjetischen Wirtschaft zurückzuführen. Der Tauschhandel war schon früher ein systemerhaltendes Regulativ (siehe oben) und scheint es auch heute noch oder wieder zu sein: Der Anteil der Zahlungen mit Gütern ist in den letzten Jahren explosionsartig gestiegen. Im April 1997 betrug er in der Industrie 45% (1992: rund 10%). Die staatliche Finanzbehörde meldete im Dezember 1996, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr vor allem durch Tauschhandel abgewickelt wurde. Im Energiesektor beispielsweise machte er rund 80% aller Transaktionen aus. Eine neuere Schätzung vom ,,Russian-Europe Economic Policy Center" konstatiert, dass um die 70% der Industrieprodukte den Weg zu ihren Kunden über ,,barter channels" gefunden haben.

Die Demonetarisierung der russländischen Ökonomie schlägt sich auch in Lohn- und Gehaltszahlungen nieder: Die Anzahl der Unternehmen und Organisationen mit Lohnrückständen hat sich 1996 um die Hälfte erhöht, und die Summe der nicht ausgezahlten Löhne hat sich gegenüber dem Jahresanfang nominal mehr als verdoppelt (DIW 1998). Diese Entwicklung hat sich auch 1998 fortgesetzt: Der auf die staatlichen Haushalte entfallende Teil der Lohnschulden belief sich im Dezember 1998 auf 26%, gegenüber 10% im Dezember 1997. Die Lohnschulden der regionalen Haushalte betrugen am Jahresanfang 1999 durchschnittlich mehr als zwei Monatslöhne. Die Anzahl der statistisch erfassten Unternehmen mit Lohnschulden hat sich 1998 gegenüber Dezember 1997 ebenfalls verdoppelt. Daher ist der vielfach zu beobachtende Zuwachs der Subsistenzwirtschaft (wie z.B. der Gemüseanbau auf dem eigenen Grundstück) und des Naturalienhandels nur zu verständlich.

Eine weitere Abweichung von den Strukturen einer OECD-typischen Marktwirtschaft betrifft die Diskrepanz zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitslosenzahlen. Obwohl Russland seit Beginn der Transformation einen Produktionsrückgang um fast die Hälfte zu verzeichnen hat, liegt die offizielle Arbeitslosenquote bislang bei nur unter 3% (nach Goskomstat), also einer für marktwirtschaftliche Verhältnisse beruhigenden Zahl, die dem ,,natürlichen Bodensatz" der Arbeitslosigkeit entspricht und im Grunde Vollbeschäftigung anzeigt. Die Diskrepanz hat ihren Grund darin, dass sich eine große Anzahl der eigentlich arbeitslosen Bürger nicht bei den zuständigen Ämtern registrieren lässt. Da die Leistungen für Arbeitslose gering ausfallen,5 ist es in vielen Fällen lukrativer, bei einem Betrieb, der keine Gehälter mehr bezahlen kann, angestellt zu bleiben statt zu kündigen. Der Betrieb bietet oftmals noch Zugang zu sozialen Leistungen wie Wohnungen oder Kindergartenplätzen. Auch die Betriebe selbst nehmen eher selten Entlassungen vor: Der Anteil der Entlassungen aus betrieblichen Gründen betrug beispielsweise für das Jahr 1995 lediglich 1,6% des durchschnittlichen jährlichen Personalbestandes (DIW 1997: 970). Neben der offiziell nicht registrierten Arbeitslosigkeit blieb die verdeckte Arbeitslosigkeit in den Unternehmen auch 1998 weiterhin hoch. Die Unternehmen vermieden Entlassungen durch die Anordnung von Zwangsurlaub und Teilzeitarbeit. Davon waren im Zeitraum Januar bis September 1998 im Durchschnitt etwa 9% der Beschäftigten betroffen, wobei einige Branchen deutlich darüber lagen. In der Industrie machte der entsprechende Anteil etwa 42% der Beschäftigten, im Transportgewerbe 35% und im Baugewerbe 29% aus (DIW 1999: 8). Die Betriebe werden im Grunde explizit oder implizit in ,,Beschäftigungsgesellschaften" umgewandelt (Götz 1992: 27). Die ,,Mitarbeiter" - auf diese Weise weder bezahlt noch formell beschäftigt - sind so gezwungen, ihr Einkommen auf andere Weise zu sichern.6

1 Die Autoren fügen einige Beispiele an, wie Banken und Konzerne aus ehemaligen Branchenministerien heraus entstanden sind. Unter anderem berichten sie über den Umgang mit ehemaligen Parteigeldern der KPdSU. In Leningrad beispielsweise habe das Gebietsparteikommitee 48 kleine Betriebe und ,,andere marktwirtschaftliche Strukturen" gegründet und mit Hilfe einer ,,eigenen Firma" 65 Millionen Rubel in Gründungsfonds der entstehenden Banken (hauptsächlich der Bank ,,Rossija") angelegt.

2 Der Kollektivvertrag stellt das Äquivalent zur deutschen Betriebsvereinbarung (BetrVG) dar, die zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber geschlossen wird.

3 Nach Angaben des Allrussischen Zentrums zur Erforschung der öffentlichen Meinung denken nur 16% der Russen, dass man ohne Schmiergeldzahlungen leben kann (Osteuropa 1999: A2). Einem Moskauer Bankdirektor zufolge haben Regierungsbeamte, die Lizenzen und Genehmigungen erteilen, ,,quasi eine Preisliste an der Wand ihres Büros hängen" (RAND 1997: 19). Eine Preisliste verschiedener ,,inoffizieller Gebühren" hat jüngst die russische Wochenzeitung Argumenty i fakty publiziert. Dort reicht die Palette von 150 Dollar für die polizeiliche Meldung über 1000 Dollar für den Erhalt einer Goldmedaille zum Abschluss der Mittelschule bis hin zu einem Straferlass bei Autofahren im betrunkenen Zustand für 100-300 Dollar, abhängig von der Marke des Autos (Osteuropa 1999: A2).

4 So ist z.B. Avraham Shama der Überzeugung, dass die ,,Schattenwirtschaft" in Russland Mitte der 90er Jahre einen etwa ebenso großen Umfang angenommen hat, wie das amtlich berechnete BIP (Avraham in Götz 1997: 11).

5 So beträgt das Arbeitslosengeld nach drei Monaten (in dieser Zeit greift noch die Lohnfortzahlung des Betriebes) zwar 75% vom zuletzt verdienten Monatslohn, jedoch nur für die ersten drei Monate des Leistungsempfangs, dann sinkt das Arbeitslosengeld nach sieben Monaten auf nur 45%, wobei diese Leistung das Durchschnittsgehalt in der Region nicht überschreiten darf und nicht an die Inflation angepasst wird (OECD 1997: 237).

6 Überdies ist es oft einfacher, einen neuen Arbeitgeber zu finden, wenn man noch bei dem alten Arbeitgeber als Angestellter registriert ist: So sind am Moskauer Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen heute noch rund 200 Akademiker tätig, offiziell stehen aber 500 auf der Mitarbeiterliste. Sie bekommen kein Geld und müssen sich einmal im Monat melden, aber dafür bleibt ihnen der Status erhalten, zu diesem Institut zu gehören. Zwar gibt es immer wieder Möglichkeiten an anderer Stelle - zumindest zeitweise - einen Job zu bekommen, doch möchten sich die wenigsten neuen Arbeitgeber gleich mit festen Arbeitsverträgen binden: ,,Man sieht es dagegen viel lieber, wenn der Interessent bei einem anderen Arbeitgeber offiziell registriert ist" (Ziener 1995: 21).

4. Das Kontinuum der informellen Regulation

Es soll hier nun nicht darum gehen, die ,,informellen Aktivitäten" in der Sowjetunion und im heutigen Russland miteinander zu vergleichen. Zwar ließe sich feststellen, dass bestimmte ,,informelle Verhaltensweisen", die es schon in der Sowjetunion unter dem Plansystem gab, heute in ähnlicher Form, anderer Qualität und Quantität etc. wiederzufinden sind (z.B. ,,blat" in der Sowjetunion - ,,Korruption" heute). Ein solcher Vergleich setzt jedoch voraus, dass es während des gesamten Zeitraums, der hier betrachtet wird, klare und vor allem durchgesetzte - formale - Regeln gab/gibt, die es erlauben, davon abweichendes Verhalten als ,,informell" zu benennen. Eine solche ,,Formalität" lässt sich jedoch für die Zeit während und nach der Perestroika bis zur Gegenwart schwerlich eindeutig definieren - es sei denn, man legt die Formalität der Länder des OECD-Typs als Maßstab an. Dies zu tun hieße wiederum, davon auszugehen, dass in Russland eine Entwicklung hin zu einem westlichen, dem OECD-Modell entsprechenden Typ des Kapitalismus stattfindet. Als ein Systemwandel in Richtung einer OECD-typischen Marktwirtschaft lässt sich der Verlauf der Transformation in Russland unserer Ansicht nach allerdings nicht interpretieren. Vielmehr etabliert sich dort ein spezifisch-russisches System von Regulationsweisen als Norm, die als ,,informell" höchstens mangels eines besseren Begriffs bezeichnet werden können.1

Während die meisten Ansätze hinsichtlich der Transformation in Russland den Bruch betonen - zuerst Planwirtschaft, dann Marktwirtschaft (wenn auch erst im ,,Wild-West-Stadium" und mit enorm großem ,,informellem Sektor") fand und findet unseres Erachtens hier eine kontinuierliche Entwicklung statt, die wir ,,ex-post-Legalisierung" informeller (d.h. von den seitens der jeweiligen Gesetzgeber intendierten Zielen abweichender) Verhaltensweisen nennen wollen. Legalisiert bzw. implementiert wurden dabei immer ,,Elemente" von Marktwirtschaften in der Hoffnung, auf diese Weise den außerhalb des staatlichen Zugriffs liegenden Bereich zu reintegrieren. Die Etablierung marktwirtschaftlicher Funktionselemente wie beispielsweise privater Handel, freie Preise, Wettbewerb und vor allem privates Eigentum innerhalb eines planwirtschaftlichen Wirtschaftssystems initiierte bei den Akteuren auf jeder Reformstufe eine durchaus rationale Ausnutzung der neuen Regeln zum eigenen Vorteil. Damit wurden quasi in einer zwischen Legalität und Illegalität angesiedelten ,,Grauzone" Fakten geschaffen, die zum einen zwar Systemmängel kompensierten, zum anderen aber sukzessive dem Staat die Kontrolle über die volkswirtschaftliche Produktion entzogen. Diese neuen Fakten bildeten schließlich die Grundlage der Reformen, die erst auf die Etablierung einer sozialistischen (Gorbatschow) und dann einer kapitalistischen Marktwirtschaft (Jelzin) zielten.

Der Eigentumswandel in der Sowjetunion bzw. Russland als maßgeblicher Bestandteil der Transformation illustriert diese ,,ex-post-Legalisierung", in diesem Fall des Funktionselementes ,,Privateigentum", und die daran geknüpfte Entstehung ,,informeller Regulation" sehr deutlich: Die Perestroika sollte zunächst die informellen privaten, außerhalb des Staatsbereiches existierenden Wirtschaftstätigkeiten legalisieren (Zulassung von Kooperativen). Als unter anderem durch die folgende Entwicklung der Kooperativen das damals noch koexistierende staatlich-administrierte Plansystem zerstört wurde, wurde auch diese Entwicklung schließlich ,,legalisiert": Jelzin führte die flächendeckende Privatisierung ein und ersetzte damit das zentralstaatliche, auf ,,Volkseigentum" beruhende Plansystem diesmal umfassend durch private Eigentumsformen.

Ohne den institutionellen Funktionskontext einer Marktwirtschaft jedoch, wie sie in OECD-Ländern üblich ist, mutierten diese ,,marktwirtschaftlichen Elemente", deren Verselbstständigung man mit jedesmaliger Legalisierung nachzukommen versuchte, zu den heutigen Phänomenen. Beispielsweise wurde der Betriebsgewinn, der ursprünglich legalisiert wurde, um die Wirtschaft zu mehr Effizienz anzureizen, schnell zu einem Mittel exzessiver persönlicher Bereicherung. Die Einführung der freien Preise endete oftmals schlicht im ,,Wucher". Die Legalisierung privaten Eigentums schließlich führte zur ,,wilden" Aneignung staatlichen Eigentums entweder unter Umgehung oder unter gänzlicher Abwesenheit aller offiziellen Richtlinien. All dies hat, wenn auch nicht allein, aber doch maßgeblich zu genau dem geführt, was heute bei näherem Betrachten nur die Illusion einer Marktwirtschaft vermittelt: Zu den Regularien gehören heute Tausch, Subsistenz, Korruption, Gewalt, Erpressung. Sie regulieren ,,marktwirtschaftliche Elemente", die nur scheinbar der OECD-Formalität entsprechen: zirkulierendes Geld, Eigentümerrechte, zweistufiges Bankensystem, Börsen, Marktpreise, Angebot und Nachfrage, Werbung, etc. Es handelt sich bei dieser Ansammlung von Merkmalen, Institutionen, politischen und ökonomischen Verfahrensweisen zwar um Bestandteile einer Marktwirtschaft, ,,jedoch nicht um die elementaren Bausteine oder Grundelemente des marktwirtschaftlichen Produktionsverhältnisses" (Steffen 1997: 281). Zum ,,institutionellen Funktionskontext" einer Marktwirtschaft gehören jedoch nicht nur rechtliche und sozialstaatliche Rahmenbedingungen, wie sie in den OECD-Staaten das Marktgeschehen flankieren. Zuvorderst gehört dazu auch ein spezifisches Produktionsverhältnis, welches nicht nur sachliche und stoffliche Voraussetzungen benötigt, es müssen auch die Produktionsgrundlagen (Produktionsmittel und Arbeitskraft) und letztlich auch die Produkte als Kapital existieren. Das heißt: Für den Aufbau einer Marktwirtschaft finden sie nur dann Verwendung, wenn sie als Mittel einer rentablen Produktion statt als individuelle Privilegien und Ressourcen zur persönlichen Einkommenssteigerung fungieren.

Arbeitskraft, Produktionsmittel und Produkte sind in Russland aber fast nirgendwo ,,Mittel einer rentablen Produktion". So sind beispielsweise die privaten Eigentumsverhältnisse alles andere als ,,marktkonform" und entziehen sich kraft ihrer spezifischen Konstruktion der Funktion, Grundlage einer kapitalistischen Verwertung zu sein: Im Zuge der russischen Privatisierung wollte Boris Jelzin in Russland ,,nicht nur eine Handvoll von Millionären, sondern Millionen von Eigentümern" (Steffen 1997: 280) sehen. Zu diesem Zwecke wurde das staatliche Eigentum via Voucher (Gutscheine zum Erwerb des Staatseigentums) an alle Bürger ,,verschenkt", zugleich wurde bei der Privatisierung den Belegschaften (die ja auch Vouchers bekommen hatten) Vorzugsrechte beim Erwerb ,,ihrer" Betriebe eingeräumt. Diese Vorzugsrechte führten dazu, dass 60% der im Rahmen der kleinen Privatisierung verkauften Unternehmen sich Ende 1992 in den Händen der Arbeiterkollektive befanden (Claudy 1995: 81). Vermutlich zwei Drittel der als privatisiert proklamierten Unternehmen befinden sich unter der gemeinsamen Kontrolle von Staates, Management und Belegschaften (Evers 1995: 338). Dieses ,,kollektive Eigentum" allerdings birgt eine kapitalistische Dysfunktionaliät in sich. So bestätigt Alexander Jermischin, Direktor und Aktienbesitzer:

,,Der Miteigentümer ist auch zugleich Lohnarbeiter und daraus ergeben sich natürlich Widersprüche: Der Lohnarbeiter fordert einen höheren Verdienst. Der Miteigentümer muss hingegen kalkulieren und sparen, auch an den Löhnen, um Gewinne zu erzielen." (Sowjetunion heute 11/1991 aus: Steffen 1997: 190)

Somit müsste sich der Arbeitnehmer selbst wegrationalisieren, um als Aktionär schließlich Dividende einzustreichen.2 Statt einer Kapitalakkumulation auf Basis eines kapitalistischen, rentablen Produktionsverhältnisses (Lohnarbeit, Mehrwert, Trennung (!) von Produzent und Produktionsmittel), wird nur ,,Handelskapital" akkumuliert, welches Preisunterschiede verschiedener Güter ausnutzt, um durch bloße Handels-Transaktionen schließlich das eingesetzte ,,Kapital" zu vermehren.3

Zu konstatieren ist also eine Ökonomie, die oftmals als ,,virtuell" oder ,,surreal" bezeichnet wird. Dies verweist darauf, dass die Marktwirtschaft in Russland ,,nicht echt" bzw. ,,gespielt" (,,Monopoly") wird. Es deckt sich mit der oben erwähnten These, die spezifisch-russische Marktwirtschaft sei ein Baukastensystem, zusammengesetzt aus Elementen, die der OECD-Welt entnommen wurden, ohne aber den kapitalistisch-institutionellen Funktionskontext ,,mitzunehmen". So ist es im russischen Finanzsektor gegenwärtige Praxis, die moderne Methode des bargeldlosen Geldverkehrs über Kreditkarten mit bestimmten Formen des ,,Barter" (d.h. des geldlosen Tauschs) zu verbinden: Die Banken (nach westlichen Maßstäben meist am Rande des Bankrotts) geben Kreditkarten an die Sparer aus und offerieren ihnen die Möglichkeit, damit bei den Schuldnern der Bank ,,einzukaufen", damit diese dann ihre Schulden mit der Bank verrechnen können. ,,Cash Is Limited, but Dept Is Not". Auf diese Weise kommt z.B. ein Arbeiter ohne Ersparnisse und ohne in den letzten Monaten entlohnt worden zu sein, zu einem neuen Auto:

,,Bryansky is taking up the offer to buy a car, although he has no money at SBS-Agro [der Bank]. But his friend does. Bryansky has not drawn his salary in three months since neither he nor his employer is satisfied with a method to pay his dollar-denominated paycheck in rubles, as required by law. But he assumes he'll get his salary soon and then he'll give the money to his friend, who is using frozen funds in the bank to buy the car from a dealership which owes SBS money. ,I get the car, I give my friend cash back, SBS pays its debts and Peugeot sells cars. Everybody is happy,` Bryansky says. Welcome to Russia's cashless economy. Business is fine." (Russia Today online vom 20.11.1998)

Die ehemals im Rahmen der Planwirtschaft entstandenen ,,informellen Prozesse", die in zunehmend marktähnlicheren Formen ihren Ausdruck fanden und im Nachhinein legalisiert wurden, mündeten mit der Einführung der Marktwirtschaft nicht etwa in eine entsprechende OECD-ähnliche Formalität, wie man dies möglicherweise erhoffte und erwartet hatte. Vielmehr entwickelten sich diese Prozesse kontinuierlich hin zu einer umfassenden ,,informellen Regulation"

. Dies soll aber nicht heißen, das Russland die intendierte Transformation (hin zu Marktwirtschaft und Demokratie) nur deshalb nicht gelingt, weil es mit einer bestimmten historischen Erbschaft (von der dieser Aufsatz vor allem handelte) belastet ist. Diese Erbschaft mag zwar den Entwicklungsgang erhellen, ist aber nicht die alleinige Ursache für die gegenwärtige Lage: diese ist ebensosehr Resultat der gesamten weltwirtschaftlichen Situation, unter der sich die Transformation in Rußland vollzieht.

Die mangelnde Rentabilität und OECD-konforme Funktionsweise der russischen Wirtschaft liegt nicht einfach daran, dass die Entscheidungsträger in Russland es lediglich versäumt hätten, die für eine solche Wirtschaft notwendigen Institutionen zu etablieren (sonst könnten sie dies ja nun nachholen). Der Grund liegt auch nicht darin, dass die Entscheidungsträger Mitglieder der Nomenklatur oder der Mafia oder von beidem sind, oder dass die russischen Betriebsdirektoren zu wenig Management-Kurse belegt haben. Auch wenn dies alles eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, scheint uns ein anderer Punkt wesentlich zu sein: Das kapitalistische System der westlichen Hemisphäre hat für den gegenwärtigen Status Quo ein paar Jahrhunderte benötigt und es ist fast naiv anzunehmen, dass Rußland einen auch nur annähernd vergleichbaren Status in wenigen Jahrzehnten erreichen könnte. Vor allem trifft Russland auf einen bereits weitgehend festgefügten Weltmarkt, auf dem die ,,günstigen" Plätze schon längst vergeben sind. Für die Integration eines bislang vom kapitalistischen Weltsystem weitgehend ausgeschlossenen Landes wie Russland in den historisch gewachsenen Weltmarkt ist mehr erforderlich, als bloß der politische Wille. Die Etablierung der ,,üblichen" OECD-Institutionen, wie beispielsweise eines Netzes der sozialen Sicherung (auch die westlichen Länder münzen diese ,,Errungenschaft" inzwischen in ein ,,Problem" um), wird ebenso schwer zu realisieren sein, wie die Wettbewerbsfähigkeit russischer Güter auf dem Weltmarkt, sieht man von Rohstoffen ab.4 Vielleicht muss man sich damit abfinden, dass da, wo das herrschende System des Marktes Rentabilitätskriterien etabliert, denen die Menschen nicht ,,genügen" - in Russland also fast flächendeckend - sich statt dessen Regulationsweisen jenseits von Markt und Staat etablieren. Dies gilt im übrigen auch für die OECD-Staaten selbst.

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1 In ihrer Untersuchung des sowjetischen Blat-Phänomens kommt Alena Ledeneva zu einem ähnlichen Schluß: ,,...we cannot understand the nature of the ongoing economic and political changes in Russia unless we see how distinctive blat was as a feature specific of a socialist non-monetary ,economy of favors`, and how definitive its influence remains in post-socialist monetary economy. (...) In some ways the continued existence of blat is a barrier to the generalizing of a money economy, because blat was and still is a non-monetary way of doing things. Recent discussions of Western economies have stressed that, in a fluid, electronic, globalised age, ,networking` starts to replace more hierarchical structures in business and elsewhere. Networks were precisely at the core of blat transactions. It is thus possible that what from one point of view looks like a wholly archaic set of practices might actually be directly relevant to a market-oriented post-socialist economy" (Ledeneva 1997: 168).

2 In der Kritik westlicher Experten liest sich dies folgerichtig oftmals als Hemmnis für notwendige ,,Umstrukturierungen", um die Betriebe wettbewerbsfähig machen zu können, womit zumeist schlicht Entlassungen gemeint sind.

3 ,,`Es gibt im Lande über 400 Waren- und Rohstoffbörsen, mehr als in der ganzen Welt zusammen. Zu dieser dubiosen Entwicklung gehört auch die Praxis, für einen Brokerplatz mehrere hunderttausend (...) Rubel zu verlangen,...` sagt Walerij Tschernogorodskij, der Vorsitzende der russischen Anti-Monopol-Kommission. ,Für die Erhöhung und Modernisierung der Produktion haben sie bislang herzlich wenig getan. Das haben sie auch gar nicht nötig.` Sein Beispiel: ,Der stellvertretende Direktor der Kamas-Werke verkauft zehn LKW an die russische Börse zu Staatspreisen. Der Broker verkauft sie einem anderen Betriebsdirektor zu einem zehnmal höheren Preis - zu Lasten der Staatskasse natürlich, da der Betrieb staatlich ist. Anschließend beteiligt der Broker die beiden Direktoren an seiner Provision. Womöglich kommen die gleichen LKWs bald wieder unter den Hammer....`" (zitiert aus Steffen 1997: 243).

4 Vgl. zu den räumlichen und zeitlichen Voraussetzungen und Abhängigkeiten im Transformationsprozess Altvater (1998).