GUT GEHEN LASSEN

in (01.06.2000)

Über das schwierige Verhältnis von Jugend und sozialer Gerechtigkeit

Wenn wir von sozialer Gerechtigkeit sprechen, meinen wir zumeist einen Zustand, den ein großer Teil der Bevölkerung vermisst. Die Rede ist hier von der prekären materiellen Lage vieler ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen in der Bundesrepublik und anderwo, und zwar vor dem Hintergrund horrender Gewinne von Konzernen und Aktienfonds. Wir meinen die fehlende Gerechtigkeit bei den Möglichkeiten einer Absicherung im Alter, reduzierten Sozialleistungen in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit oder sozialen Notlagen. Aber auch die fehlende Solidarität unter den Menschen selber und eine gewisse soziale Kälte, in der das eigene Vorankommen wichtig ist, und das aufgezwungene Leben ,,auf Kosten des Steuerzahlers'' als potentiell kriminell gilt.

Im wesentlichen beziehen wir, bzw. die uns umgebenden Politshows in den modernen Massenmedien, den Begriff der sozialen Gerechtigkeit weitgehend auf die Arbeits- und Lebenswelt von Erwachsenen. Im Schatten dieser Parole, wie sie von SPD, GRÜNEN und PDS propagiert wird, vegetiert die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in der Lebens- und Arbeitswelt von Jugendlichen stetig vor sich hin. Probleme von Jugendlichen in der Schule, Ursachen mangelnder Motivation von Jugendlichen, sich für gesellschaftliche Probleme zu interessieren, ihre schlechte Einbindung in die Arbeitswelt werden in der Regel falsch diskutiert. Werden jugendpolitische Themen aufgegriffen werden, dann in Wahlzeiten, und vorgetragen von Erwachsenen. Beschweren sich junge Leute, nimmt man sie nicht ernst.

In der guten, alten Zeit war das noch anders. In der Generation unserer Eltern waren die Jugendlichen aktiver, man hat sich politisch engagiert und sich aufgeregt. Vietnam, Lehrstellenmangel und der Schutz der Umwelt, die Bewahrung der eigenen Zukunft bewegten die Leute. Politisch sein, das hieß oft auch gegen das Establishment zu sein, die Eltern. Wenn du in der SPD warst, bei den Jusos oder gar beim SDS, warst du quasi ein Kommunist. Radikal sein war in, Rudi Dutschke, die Kommunarden und auch zeitweilig Aktionen der RAF wurden idealisiert und diskutiert. Gehört und verarbeitet wurden die Argumente der protestierenden und engagierten Jugendlichen aber auch damals schon nicht. Den verführten Jugendlichen konnte man keinen Glauben schenken und die Probleme, die die jungen Menschen auf die Strassen brachten, wurden entweder ignoriert oder politisch verleugnet. Die aufkommende ,,politische'' Punk- und Rockszene wurde radikal ausgegrenzt und auch konstruktives Engagement außerhalb der etablierten Strukturen diskreditiert.

Die Jahre zogen ins Land und einiges änderte sich. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der ungleichen Rahmenbedingungen in Ost und West sind viele Probleme für Jugendliche sicherlich teilweise anders geartet. Fehlende politische und soziale Gerechtigkeit dürfte jedoch überall eine der wichtigsten Ursachen für tiefgreifende Frustration von Jugendlichen sein. Schulsystem und Schulbücher sind hoffnunglos veraltet, von ,,Innovation und Gerechtigkeit'', wie die SPD es im letzten Bundestagswahlkampf versprach, keine Spur. Neue, zukunftsfähige Ausbildungs- und Arbeitssektoren wurden nicht erschlossen, ökologische Zukunftstechnologien liegen brach. Nicht die sozialen Belange von Studierenden, Azubis und SchülerInnen sind Gegenstand von Politik, sondern die Effektivierung ihrer sozialen Kontrolle und autoritären Disziplinierung, wie die Diskussion um sogenannte Kopfnoten genauso zeigt, wie die nicht enden wollende, latente Kriminalisierung von Jugendlichen als ,,Sozialschmarotzer'' oder ,,Brutalo-Kids''.

Verschiedene Faktoren scheinen dafür zu sorgen, das das Thema Soziale Gerechtigkeit auch für viele Jugendliche nicht gerade der Renner ist. Viele haben einfach die Schnauze voll, sie werden ständig verunsichert, beschwichtigt und letztendlich vergessen. - Aber nur, wenn das alles so weitergeht. Denkt jedenfalls Gregor.

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