Methodischer Imperialismus

Mainstream Economics und Heterosexismus

Die Mainstream Economics geben vor, jegliches menschliche Verhalten erklären zu können, hinterfragen jedoch die gesellschaftlichen Strukturen nicht und konservieren so den heteronormativen Status qu

ÖkonomInnen verwenden hauptsächlich das Bild des Homo oeconomicus bzw. - was dasselbe ist - das Konzept der individuellen Nutzenmaximierung als Analysemethodik: Eine Entscheidungseinheit - etwa eine Person oder eine Familie (wer immer darin auch das Sagen hat) - ermittelt ökonomisch streng rational, welche Entscheidungsalternative ihr unter gegebenen Rahmenbedingungen den größten Nutzen bringt. Das Optimum ist dort, wo der individuelle Nutzen die persönlichen Kosten des geplanten Schritts am höchsten übertrifft. Diese Analytik liegt dem Modellkonstrukt jeglichen Marktes zu Grunde, egal ob Finanz-, Güter- und Arbeitsmarkt oder Heirats- Sex- und Zeugungs-"Markt" etc.

The Useful Economist

Die orthodoxe Ökonomie (Mainstream Economics) ist eben dafür berühmt/berüchtigt, diese Methodik auf jede erdenkliche Frage gesellschaftlichen Lebens anzuwenden. Dabei ist sie zu kritisieren, weil sie mit ihrer doch sehr engen, rein ökonomisch-rationalen Methodik Gesellschaftsstrukturen weder erfasst noch hinterfragt und dadurch unter anderem auch patriarchale, heterosexistische Machtstrukturen stützt. Aus diesem Grund apostrophiert der Nobelpreisträger und kritische Ökonom John Kenneth Galbraith traditionelle ÖkonomInnen als "useful economists" und präzisiert:
"To ... deny the political character of the modern corporation is not merely to avoid the reality. It is to disguise the reality. The victims of that disguise are those we instruct in error. The beneficiaries are the institutions whose power we so disguise. Let there be no question: Economics, so long it is thus taught, becomes, however unconsciously, part of an arrangement by which the citizen or student is kept from seeing how he is, or will be, governed."
Gerade dadurch wird ausgeblendet, dass Sexualität und ihre Beherrschung mittels gesellschaftlicher Normen auf der Mikroebene (in der Familie und am Arbeitsplatz) ebenso für persönliche Machtzwecke missbraucht wird wie auf der Makroebene (für das Patriarchat und vornehmlich in der katholischen Kirche). In verschiedensten sozialen Bereichen - von der Familienführung bis zur Kriegsführung - wird beobachtet, dass der Ursachenkomplex aus unerreichten Zielen und Frustration, ungelöster Konflikte und ungeregelter Herrschaftsverhältnisse, Unterdrückung und Aggression sich in sexuelle Gewaltausübung von offenen bis subtilen Formen übersetzt. Dies stützt die Hypothese, dass Sexualität als Instrument sozialer Strukturierung zur gewaltsamen Durchsetzung persönlicher und gesellschaftlicher Ziele eingesetzt wird. Heterosexismus in seiner patriarchalen Variante ist dabei ganz offensichtlich die dominante Strukturierungs- und Machterhaltungsstrategie in unserer Gesellschaft.
Dennoch, bzw. gerade deswegen, ist sexuelle Orientierung in der orthodoxen Ökonomie selten bis nie Thema. Das kann entweder unbewusste, enkulturierte Verdrängung relevanter Fragen oder bewusste Instrumentalisierung der Ökonomie für konservative gesellschaftspolitische Zwecke sein. Jedenfalls ist diese Struktur- und Machterhaltungsstrategie gerade im Bereich der Ökonomie relativ leicht durchzusetzen. Denn die Mainstream Economics basieren auf einer Methodik, die von quasi naturgesetzlichen Wirkungszusammenhängen ausgehen: Wirtschaftliche, politische und soziale Interaktionen - alles wird als Markt angesehen. Der Markt ist ein objektiver, unparteiischer Mechanismus, der Wirtschaft und Gesellschaft zu ihrem Optimum tendieren lässt. Gegen eine solche "natürliche" Ordnung kann und soll daher nichts unternommen werden:
"Economics ... tells the young and susceptible and the old and vulnerable that economic life has no content of power and politics because the firm is safely subordinate to the market and to the state and for this reason it is safely at the command of the consumer and citizen. Such an economics is not neutral. It is the influential and invaluable ally of those whose exercise of power depends on an acquiescent public. If the state is the executive committee of the great corporation and the planning system, it is partly because neoclassical economics is its instrument for neutralizing suspicion that this is so." Die neoklassische Ökonomie, die hier angesprochen ist, stellt im Großen und Ganzen die heutigen Mainstream Economics dar.

Heteronormative Ökonomie

Gleichgeschlechtliche Orientierung läuft der Machterhaltungsfunktion des (patriarchalen) Heterosexismus zuwider und wird deshalb als gefährlich für diesen angesehen. Also regulieren konservative Kräfte die Sexualität gesellschaftspolitisch, indem sie Heterosexismus zur Norm erheben, Homosexualität tabuisieren und Lesben und Schwule auf moralischer, sozialer und ökonomischer Basis diskriminieren. Dies analysieren die Mainstream Economics eben nicht, weil ihnen eine in sozioökonomischer Hinsicht naturgesetzartige Auffassung und letztlich eine meist nur implizite, verdeckte und teils vielleicht sogar unbewusste Werthaltung zu Grunde liegen. Die traditionelle Ökonomie verfolgt daher analytische Ansätze, welche an den tatsächlichen gesellschaftlichen Problemverhältnissen vorbeigehen.

Die Missachtung wichtiger struktureller Zusammenhänge und institutioneller Gegebenheiten im weitesten Sinn führt zu einem unzweckmäßigen gesellschaftspolitischen Instrumenteneinsatz, der im Hinblick auf Problemlösungen ineffektiv bleiben muss. Dieser Umstand hat destruktive Konsequenzen für die gesellschaftliche Nützlichkeit der angewandten Theorie - sieht man von den Partikularinteressen der Mächtigen ab, denen sie dient. Die Theorie wird nämlich insofern nicht durch umfassendes Systemdenken bestimmt, als sie nicht das Gesamtsystem des irdischen Daseins untersucht, sondern nur den Teilbereich des ökonomischen Handelns, andererseits aber ihre Analytik auf den Gesamtbereich menschlichen Lebens erstreckt.
Folgen dieser Gesellschaftsstrategie, die den patriarchalen Heterosexismus instrumentalisiert und zur Norm erhoben hat, sind, dass es kaum offen homosexuelle ÖkonomInnen gibt und dass daher das Phänomen gleichgeschlechtlicher Orientierung quantitativ wie qualitativ unangemessen analysiert wird.
Die Suche nach Publikationen unter den Stichwörtern geschlechtliche Orientierung, sexuelle Präferenzen und Sexualpraktiken im Social Sciences Citation Index (SSCI) über die Periode 1996-98 ergibt 124 Artikel. Darunter sind aber nur vier ökonomische Beiträge. Diese geringe Zahl erscheint noch viel verschwindender im Vergleich zu den 7557 Artikeln, die unter den Stichwörtern Wirtschaft und Ökonomie in der selben Periode zu finden sind. Der SSCI ist sicher keine verlässliche Stichprobe für die absolute Anzahl an Publikationen über geschlechtliche Orientierung, dürfte aber eine akzeptable Näherungsgröße für die relative Häufigkeit der Veröffentlichungen zur Thematik Homosexualität ergeben. Bestätigt wird dieser Eindruck von ähnlich gelagerten Ergebnissen längerfristiger

Untersuchungen der Literatur.

Dieses Bild steht allerdings in krassem Gegensatz dazu, dass Diskriminierung immer noch das Merkmal schlechthin ist, welches das Leben von Lesben und Schwulen weltweit beschreibt. Obendrein eröffnet die in den vergangenen drei Jahrzehnten zunehmende Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen zumindest potenziell ein großes Untersuchungsgebiet für SozialwissenschafterInnen, auch ÖkonomInnen, das aber kaum genutzt wird. Die Auswahl der Forschungsobjekte durch ÖkonomInnen im Allgemeinen und die weitgehende Vermeidung der Thematik sexueller Orientierung im Besonderen dürfte durch mehrere Motive bedingt sein, welche das Manko an Untersuchungen in diesem Bereich erklären können.

Professionelle Motive

Die Anwendung des Nutzenmaximierungskonzepts in der Ökonomie bietet den Vorteil eines relativ wenig aufwendigen und potenziell allseitig anwendbaren Instrumentariums. Der deduktive Forschungsansatz, eine allgemein gültige Hypothese - die nur falsifizierbar sein, aber nicht bewiesen werden muss - konsistent zu formulieren, ist einfacher und dankbarer im Vergleich zur induktiven Analysemethode, in einer Fallstudie die strukturellen und institutionellen Details der komplexen Realität mühsam zu ergründen und das Ergebnis angesichts der Vielfalt an Weltzuständen nicht verallgemeinern zu können:
"The discipline of economics has so far successfully resisted all efforts to alter its character as an exercise in how to reason deductively from axiomatic principles. That is, it has insisted on remaining the Euclidian geometry of the social sciences. This Cartesian position has not been without its advantage to economists themselves. They have been known to remark, "We travel with a light tool kit." By this, they mean that economic theorists have not had to burden themselves with factual detail. They have been content to reason a priori - and hence their preference for elegance over relevance."
Diese Methodik vermag sozioökonomische Phänomene wie die Diskriminierung von Lesben und Schwulen kaum adäquat zu erfassen. Allein schon aus diesem Grund werden solche Fragestellungen selten aufgegriffen.
Darüber hinaus haben sich die Mainstream Economics in den vergangenen 25 Jahren zu einer stark formalisierten, mathematisch-statistischen Disziplin entwickelt. An empirische Untersuchungen werden immer höhere methodische Anforderungen gestellt, deren Erfüllung Voraussetzung dafür ist, dass eine Arbeit als gut eingestuft und veröffentlicht wird, wobei wissenschaftlicher Erfolg an der Zahl der Publikationen in formal hochstehenden Journalen gemessen wird. Die gesellschaftliche Tabuisierung von gleichgeschlechtlicher Orientierung hat es mit sich gebracht, dass selten und wenig brauche Daten erhoben wurden, die es erlauben würden, empirische Untersuchungen über homosexuelle Themenbereiche vorzunehmen, die methodisch dem Erfordernis des "State of the Art" entsprechen.

Perry Patterson erklärt den Mangel in diesem Forschungsbereich auch dadurch, dass sich in ökonomischen Lehrbüchern so gut wie keine Fragestellungen über gleichgeschlechtliche Themen befinden. So werden ÖkonomInnen, die in Ausbildung stehen, für derartige Aspekte nicht sensibilisiert, sondern müssen vielmehr daraus schließen, dass solche sozialen Phänomene von nachrangiger wirtschaftswissenschaftlicher Bedeutung seien. Das durch die hohe Absenz gleichgeschlechtlicher Orientierung im Forschungsprogramm bewirkte Informationsdefizit macht sich in weiterer Folge auch in der gesamten Bevölkerung bemerkbar, die über keine populärwissenschaftliche Aufbereitung wissenschaftlicher Erkenntnisse in diesem Bereich verfügt, sondern eher daraus erkennt, dass der Tabubereich Homosexualität auch weiterhin unberührt bleiben solle (was die tradierte Moral nahe legt), wenn doch selbst die Wissenschaft dazu schweigt. Fälschlicher Weise erscheinen nicht zuletzt deshalb Lesben, Schwule und Bisexuelle als eine winzige Minderheit, deren Situation und Anliegen den Aufwand einer wissenschaftlichen und politischen Befassung nicht zu rechtfertigen vermögen.
Der menschliche Faktor
WissenschafterInnen sind keine bloße Kombination von Humankapital, Neugier und Arbeit, sondern unterliegen - eingebettet in ein durch soziale Rollen geprägtes Umfeld - dem "menschlichen Faktor". Ihr Verhalten ist durch persönliche Faktoren wie Eigeninteresse, Furcht, Hoffnung und Erfolgsstreben ebenso festgelegt wie durch soziale Faktoren, nämlich im Wesentlichen das emotionale Integriertsein in ihr soziales Umfeld, das sie durch Normenerfüllung und die resultierende Anerkennung und Akzeptanz erfahren.

Die normierende Werthaltung der Gesellschaft bedingt, dass es hauptsächlich Institutionen gibt, wo Forschung in jenen ökonomischen Themenbereichen betrieben werden kann, die von der Gesellschaft überwiegend als bedeutsam beurteilt werden. Daher gibt es auch kaum Institute - und noch viel weniger ökonomische Institute -, die sich mit Aspekten der gleichgeschlechtlichen Orientierung auseinandersetzen. Wissenschaftliche Karriere lässt sich aber außerhalb der etablierten Einrichtungen nur mit viel weniger Erfolgsaussichten machen. Dies gilt nicht zuletzt auch für die ideologische Prädisposition, die selbst in der "objektiven" Wirtschaftsforschung (die es im Übrigen zumindest in Reinkultur nicht gibt) mehr oder minder omnipräsent ist.

Marieka Klawitter fordert daher den Staat auf, seine hoheitliche Position und politische Aufgabe wahrzunehmen und die institutionellen Voraussetzungen für Sozial- und Wirtschaftsforschung auf dem Gebiet der Homosexualität zu schaffen, weil eben darin der Markt für Wissenschaftsleistungen versagt. Nur so könne - vielleicht abgesehen von Netzwerken der Forschungskooperation - die kritische Masse für eine erfolgreiche und allgemein anerkannte Erforschung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und deren Konsequenzen und politischen Erfordernissen erreicht werden.

Die Vermengung zwischen sozialen Strukturen und Normen einerseits und Forschungsbestrebungen andererseits legt überdies nahe, dass ÖkonomInnen tabuisierte Gesellschaftsthemen nicht gerne anpacken. Selbst die rein wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik gleichgeschlechtlicher Orientierung rückt ForscherInnen, die sich damit befassen, in den immer noch anrüchigen Dunstkreis von Lesben, Schwulen und Bisexuellen. Wenn wir davon ausgehen, dass soziale Anerkennung ein Hauptmotiv auch für (Wirtschafts)WissenschafterInnen ist, kann dies die nahezu vollständige Absenz von deklarierten Homosexuellen in der Profession und das Defizit an Forschung in diesem Bereich erklären.

Fundiert werden kann die vorangegangene Erklärung auch durch die ökonomische Theorie impliziter Kontrakte. So kann stillschweigendes Einverständnis darüber bestehen, dass an den Grundfesten des Establishments - der gesellschaftlichen Strukturen, welche die bestehenden Machtverhältnisse bestimmen - nicht gerüttelt wird, nicht einmal durch die Erforschung dieser Strukturen, eröffnet sich doch dadurch die Möglichkeit, dass diese gesellschaftlichen Grundfesten hinterfragt und geändert würden. Unsicherheit über die Zukunft dominiert das Wirtschaftsgeschehen in einer komplexen Gesellschaft. Die Institutionenökonomie besagt, dass Institutionen im umfasenden Sinn (Sitten, Gebräuche, Anschauungen über Normalität u.dgl.) dazu dienen, diese Unsicherheit weitestgehend herabzusetzen.
Die relativ konkret absehbaren "Kosten" (im weiteren Sinn) einer Infragestellung der Gesellschaftsstrukturen - angefangen von den persönlichen Nachteilen, sich dem Establishment kritisch gegenüber zu stellen, bis hin zur möglichen Schlechterstellung unter einer geänderten, wenn auch gerechteren Rahmenordnung - werden den weit weniger genau abschätzbaren potenziellen Vorteilen einer solchen Änderung - etwa in Form einer erhöhten Gerechtigkeit und eines verbesserten sozialen Klimas und Friedens - gegenübergestellt. In diesem Kalkül dominieren die erwarteten "Kosten" (Nachteile), so dass sich der implizite Kontrakt, "rühre heikle Themen nicht an!", als sehr stabil erweist.

Die Neue Politische Ökonomie stützt diese Sichtweise, indem sie Macht als Informationsvorsprung darüber interpretiert, wie sich demokratisch zu beschließende Normen, die - vordergründig - diskutiert und entschieden werden, nach ihrer Einführung auf die Nutzenverteilung zwischen den Bevölkerungsgruppen tatsächlich auswirken werden: "Uncertainty creates the potential to exercise power, information provides the capacity to do so." Ganz in diesem Sinn meint Stephen Rousseas - und hier schließt sich der Kreis zu GalbraithÂ’s "Useful Economist" -, dass Mainstream-ÖkonomInnen sensible gesellschaftliche Fakten ganz bewusst aus Analysen ausklammern, um vom Konsens der Scientific Community und seinen politischen Auswirkungen zu profitieren: "... establishment social theorists are without any illusions about the "facts" that are being dealt with and have, as a result, no grand design for changing them. Indeed, their primary role is to legitimate what is."

Die heterodoxe Herausforderung

Es erstaunt im Licht des Gesagten nicht, dass die alternativen ökonomischen Ansätze aus dem sozialkonstruktivistischen Lager stammen, das die positivistische Position einer "Naturgesetzmäßigkeit" sozioöokonomischer Entwicklung und einer axiomatischen Deduktion von Erkenntnissen aus objektiv als wahr erkennbaren (Markt-)Prinzipien ablehnt. Speziell im Themenbereich gleichgeschlechtlicher Orientierung finden sich daher die meisten Untersuchungen im Bereich der marxistisch-feministischen Theorie. Ein bahnbrechender Artikel aus der jüngeren Vergangenheit stammt von Rhonda Gottlieb, der es gelungen ist, den Konnex zwischen Sexualität, Macht und der gesellschaftlichen Konstruktion der Geschlechterrollen(-bilder) deutlich herauszuarbeiten.
In ihrer typischen Herangehensweise findet die orthodoxe Ökonomie die Thematik gleichgeschlechtlicher Orientierung auch deshalb wenig untersuchenswert, weil Lesben und Schwule (vordergründig?) als ökonomisch ohnehin überdurchschnittlich gut situierte Schicht angesehen werden. Das analytische Augenmerk wird dabei fast ausschließlich auf das relativ hohe Pro-Kopf-Einkommen eines gleichgeschlechtlichen Haushalts gelegt. Die zwei Verdiener eines solchen Haushalts ersparen sich die hohen Ausgaben für Kinderversorgung, -erziehung und -ausbildung. Außerdem können sich die beiden gleichgeschlechtlichen PartnerInnen bei Beendigung ihrer Beziehung unter relativ geringen Kosten (weder Unterhalt noch Alimente) voneinander trennen. Von dieser Analyse werden gesellschaftspolitische Forderungen nach einer höheren Besteuerung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften gestützt. Auch werden mit diesem Argument Bemühungen um einen Diskriminierungsschutz für Lesben und Schwule abgetan.
Eine andere ökonomisch orthodoxe Betrachtungsweise bezieht sich auf behauptete geschlechtsspezifische Vorteile von Individuen. Ausgegangen wird dabei von der (gesellschaftspolitisch normierten) Auffassung, dass sich Männer mehr für Erwerbsarbeit auf dem Markt für bezahlte Arbeit und Frauen mehr für Haushaltsproduktion auf dem "(Heirats-)Markt" für unbezahlte Arbeit eignen würden. Daraus wird ein Effizienz- und Wohlstandsnachteil für gleichgeschlechtliche Paare abgeleitet, weil zwei Männer bzw. zwei Frauen in einer Haushaltsgemeinschaft die komparativen Vorteile einer Dyade von Mann und Frau nicht realisieren könnten. Außerdem seien Lesben und Schwule durch erhöhte Suchkosten auf dem "Markt" für Beziehungen benachteiligt.

Blindheit des Mainstreams

Aus den vorgestellten Ansätzen der orthodoxen Ökonomie zur Erfassung der Lebensbedingungen für Lesben und Schwule wird deutlich, dass sich Mainstream-ÖkonomInnen als AußenseiterInnen ohne viel sozialwissenschaftliches Einfühlungsvermögen der gleichgeschlechtlichen Thematik nähern. Allein ökonomische Argumente werden aufgegriffen, ohne aber den Anspruch aufzugeben, soziales Leben durch den ökonomischen Analyseansatz umfassend erklären zu können.
Zusätzlich zu den physischen Bedürfnissen, die durch Wohlstand abgedeckt werden können, existieren Bedürfnisse nach emotionaler Geborgenheit, zwischenmenschlicher Zuneigung, sozialer Zugehörigkeit (Integration) und Chancengerechtigkeit für die Realisierung des individuellen Lebensentwurfs. Nicht-materielle - soziale und kulturelle - Bedürfnisse machen den wesentlichen Teil von Wohlfahrt aus, die - über das enge Konzept von wirtschaftlichem Wohlstand hinausgehend - die Lebensqualität ausmachen. Schon die Armutsforschung zeigt, dass Wohlstand keine hinreichende Bedingung für individuelle Wohlfahrt ist. Unter dem gesellschaftlichen Diktat der Heteronormativität wird Lesben und Schwulen die Befriedigung der qualitativen Bedürfnisse mehr oder minder reduziert oder vorenthalten. Auf diese Perspektive gehen die Mainstream Economics so gut wie gar nicht ein. Sabine OÂ’Hara meint, allein die Methodik der Datengewinnung ist durch die heterosexistische Sichtweise so stark geprägt, dass die von Lesben und Schwulen in einem heteronormativen System subjektiv empfundene Lebensqualität gar nicht erfasst werden kann.
Dazu kommen Überlegungen, dass versteckt lebenden Lesben und Schwulen hohe "Kosten" i.w.S. entstehen, wenn sie sich nach außen als Heterosexuelle ausgeben ("passing strategy"). Zusätzlich zeigen Homosexuelle außergewöhnliche Anstrengungen, im Beruf und in sonstigen Alltagsbeziehungen zur heterosexuellen Mehrheit den an sie gerichteten Erwartungen mehr als nur zu entsprechen. Sie tun dies häufig, um im Fall eines Outing oder der bloßen Vermutung ihrer gleichgeschlechtlichen Orientierung sozial und wirtschaftlich nicht diskriminiert zu werden. Das berufliche Überkompensieren mag schließlich in einer überdurchschnittlichen beruflichen Position und Entlohnung resultieren.

Selbst wenn man sich bloß auf die Einkommens- und Vermögenssituation von Lesben, Schwulen und gleichgeschlechtlichen PartnerInnenschaften bezieht, sieht das leichthin rosig gezeichnete Bild bei genauerer Betrachtung anders aus. Allein schon die Erhebung von Daten, die einen Tabubereich betreffen, führt zu einer systematischen Verzerrung der Stichproben und erfordert eine subtilere Vorgangsweise, als sie von orthodoxen ÖkonomInnen eingeschlagen wird. Und selbst in sorgfältigeren Untersuchungen liegt die Vermutung nahe, dass die meisten der darin vertretenen Lesben und Schwulen nicht als solche identifiziert werden können. Es sind eher die Wohlhabenden, ökonomisch und sozial Etablierten unter ihnen, die sich ihre sexuelle Orientierung durch selbst raffinierte Befragungstechniken entlocken lassen. Jedenfalls ergeben die jüngsten, auf etwas zuverlässigeren, wenn auch noch nicht befriedigenden Daten beruhenden Studien aus den USA, dass Lesben, Schwule und gleichgeschlechtliche PartnerInnenschaften entweder über kein signifikant unterschiedliches oder sogar über ein geringeres Einkommen im Vergleich zur Allgemeinheit verfügen.

Hoffnungsträgerin Ökonomie?

Die Aussichten, dass die Mainstream Economics künftig nützlicher zur Analyse der Lebensbedingungen von Lesben und Schwulen und zu einer gerechten gesellschaftspolitischen Gleichstellung dieser diskriminierten Bevölkerungsgruppe beitragen, sind angesichts der angestellten Überlegungen eher gering. Andererseits aber stößt der methodische Imperialismus der orthodoxen Ökonomie zunehmend auf (Selbst-)Kritik und Hinterfragung: "The diminishing returns of the "imperialist programmes" of economics applied to politics (and other areas) ... suggests that the time has come for a change in direction: In the future, the main emphasis should not lie on exporting economics but rather on importing aspects and insights from other broadly conceived social sciences."

Ökonomie muss in viel stärkerem Maß eine (nützliche) Sozialwissenschaft werden, um nicht immer unglaubwürdiger zu werden: "The established theory has reserves of strength. It sustains much minor refinement which does not raise the question of overall validity or usefulness. It survives strongly in the textbooks although even in this stronghold one senses anxiety among the more progressive and commercially sensitive authors. Perhaps there are limits to what the young will accept."
Hoffnungsträgerin ist aber die kritische, alternative Ökonomie, in deren Rahmen Gender-ÖkonomInnen die relevanten Fragen aufwerfen, mit einem zunehmend besseren Datenmaterial bearbeiten, den "State of the Art" erfüllen und in (elektronischen) Netzwerken der Kooperation die kritische Masse für eine erfolgreiche Forschung erreichen können.

Dr. Rainer Bartel ist Dozent für Volkswirtschaft an der Universität Linz

(Forum Wissenschaft 3/00)