Gegen erfundene Sachzwänge: Für den Erhalt der solidarischen Rentenversicherung

in (28.09.2000)

Sondermemorandum der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik"Bremen, September 2000

ISSN: 0176-5833 - http://www.barkhof.uni-bremen.de/kua/memo/docs/sm0011.pdf

Die Bundesrepublik steht vor der größten Beschädigung ihres sozialen Zusammenhaltes seit ihrem Bestehen. Ausgerechnet eine sozialdemokratisch geführte Regierung beabsichtigt, die Grundlagen und die Höhe der solidarischen Alterssicherung zu demontieren, die den Kern des Systems der sozialen Sicherung in Deutschland ausmacht. Dies ist umso bitterer, als die paritätisch finanzierte Rentenversicherung vor über 100 Jahren als Zugeständnis an die sozialen Bewegungen geschaffen und ihre fortschrittliche Weiterentwicklung in der Bundesrepublik durch energischen Einsatz der Gewerkschaften vorangetrieben wurde. Die Demontage wird ohne stichhaltige Gründe betrieben. Im Ergebnis werden die Älteren weniger Rente erhalten und die Jüngeren höhere Beiträge zahlen. Es ist zu befürchten, daß nach diesem Systemwechsel in der Rentenversicherung auch die übrigen Sicherungssysteme angegangen werden. Gewinner der "Reform" sind die Unternehmen, die von Beiträgen entlastet werden und die großen Finanzkonzerne, die mit zusätzlichen Anlagemöglichkeiten und Gewinnen rechnen können. Volkswirtschaftlich gesehen wird die Zusatzbelastung der ArbeitnehmerInnen die Massenkaufkraft schwächen und damit den Abbau der Arbeitslosigkeit behindern. Darüber hinaus wird die Anlage der Zusatzbeiträge auf den Kapitalmärkten dazu führen, daß die soziale Sicherung zunehmend den Gesetzen und Risiken der Finanzmärkte ausgeliefert wird.

1. Der Sachstand

Der Plan der Bundesregierung zur Rentenreform besteht aus zwei Kernelementen:

Erstens sollen die Beiträge zur paritätisch finanzierten gesetzlichen Rentenversicherung langfristig (d.h. bis zum Jahre 2030) nicht über 22% steigen. Dies führt dazu, daß das Rentenniveau - das ist das rechnerische Verhältnis von Nettostandardrente zum durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt - langfristig weit unter die gegenwärtige Höhe von rund 70% sinken wird.

Zweitens sollen die ArbeitnehmerInnen veranlaßt werden, diesen Einkommensverlust aus der gesetzlichen Rente dadurch auszugleichen, daß sie einen - von 0,5% im kommenden Jahr bis auf 4% im Jahre 2008 steigenden - Teil ihrer Bruttoeinkommen zum Abschluß privater Versicherungen oder für sonstige Kapitalanlagen verwenden.

Langfristig betragen nach dieser Konzeption die Beiträge zur Alterssicherung der ArbeitnehmerInnen 11% für die Arbeitgeber- und 15% für die Arbeitnehmerseite.

Noch im Bundestagswahljahr 1998 hatte insbesondere die SPD den von der Altkoalition eingeführten "demographischen Faktor" zu Recht als "sozialen Kahlschlag" gebrandmarkt. Dieser letztlich willkürliche Faktor sollte, so die legitimatorische Begründung, die Hälfte der Kosten der steigenden Lebenserwartung an die Älteren überwälzen und das Rentenniveau perspektivisch auf 64% senken. "Die SPD-geführte Bundesregierung wird die unsoziale Rentenpolitik unmittelbar nach der Bundestagswahl korrigieren" - hieß es im SPD-Wahlprogramm. Das nunmehr vorliegende Konzept für die 'Rentenreform 2000' steht zu diesem Versprechen in diametralem Gegensatz: Es verabschiedet sich vom bisher über hundert Jahre geltenden paritätisch finanzierten Rentensystem, das immer wieder durch Reformen den veränderten ökonomischen und sozialen Bedingungen erfolgreich angepaßt worden ist, genauso wie von der sozialpolitischen Zielsetzung der großen Rentenreform von 1957, den Lebensstandard der RentnerInnen zu sichern.

Die seit dem 30. Mai 2000 - dem Tag der Vorlage des Rentenkonzepts durch die rot-grüne Koalitionsarbeitsgruppe - auch aufgrund der zunächst harschen Kritik aus den Reihen der Gewerkschaften vorgenommenen Änderungen am Ursprungskonzept sind für die Öffentlichkeit fälschlich als "soziale Zugeständnisse" dargestellt worden; fälschlich deswegen, weil sich am geplanten Systemwechsel und am Umfang des Sozialabbaus nichts verändert hat. Nach wie vor lautet das politische Ziel der Bundesregierung: Begrenzung des Beitragssatzanstiegs zur sozialen Rentenversicherung bis zum Jahre 2020 auf maximal 20% und bis zum Jahre 2030 auf maximal 22%. Werden aber die Einnahmen aus Beiträgen unverändert auf den ursprünglich angesetzten Wert begrenzt ("gedeckelt"), so kann auch kein größeres Volumen an Leistungen ("soziale Zugeständnisse") ausgegeben werden.

Mit der rigiden Begrenzung der gesetzlichen Lohnnebenkosten opfert die Koalition das sozialpolitische Ziel der Sicherung des Lebensstandards für die ältere Generation über die solidarische Rentenversicherung. Das sog. Standardrentenniveau (rechnerisches Verhältnis der Nettorente nach 45 Versicherungsjahren mit Durchschnittsverdienst zum durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt der Aktiven) soll von heute 70,7% auf perspektivisch rund 68,5% (Rentenzugänge bis 2010, d.h. für diejenigen, die bis zum Jahre 2010 RentenerInnen werden) bzw. 64,5% (Rentenzugänge des Jahres 2030) sinken.1 Dieses Ziel, das im Ergebnis selbst noch die von der Altkoalition geplante "unanständige" (Schröder) Rentenniveausenkung in den Schatten stellt, wird mit zwei Instrumenten erreicht:

1. Ein neues Rentenanpassungsverfahren. Die oft behauptete Rückkehr zur Ausrichtung der Rentensteigerungen an der Zunahme der Nettolöhne findet nicht statt. Maßgeblich für die jährliche Anpassung der Renten soll künftig alleine die Änderung der durchschnittlichen Bruttoentgelte, des Rentenbeitragssatzes und des Kapitalvorsorgebeitrags (KVB) sein. Einerseits werden Entlastungen im Lohn- und Einkommensteuerbereich, die dazu führen, daß die Nettoeinkommen stärker steigen als die Bruttoeinkommen, bei der Rentenberechnung nicht mehr berücksichtigt. Das betrifft vor allem die dreistufige Steuerreform 2001/2003/2005 sowie alle zukünftig (alleine der Korrektur der "kalten" Progression wegen) erforderlichen Senkungen der Steuersätze. Auch eine eventuelle und von der Bundesregierung erwartete Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung von heute 6,5% auf etwa 2% ab dem Jahre 2025 werden nicht mehr an die RentnerInnen weiter gegeben. Andererseits soll aber die Belastung durch den Kapitalvorsorgebeitrag, der dazu führt, daß die Nettoeinkommen zwischen 2001 und 2008 weniger stark als die Bruttoeinkommen steigen, in der neuen Formel in vollem Umfang berücksichtigt werden und die künftige gesetzliche Rente demnach vermindern - und zwar auch dann, wenn dieser - formal freiwillige - Kapitalvorsorgebeitrag gar nicht wirklich aufgebracht wird.

2. Eine neue Rentenformel. - Im Wege des Einbaus eines sog. Ausgleichsfaktors in die Rentenformel soll der Wert der individuellen Rentenanwartschaften für Rentenneuzugänge ab dem Jahre 2011 - jährlich um 0,3 Prozentpunkte steigend auf 6% für Rentenneuzugänge des Jahres 2030 - gekürzt werden.

Insgesamt wird damit das Rentenniveau bei Umsetzung des Koalitionskonzepts noch deutlich unter die derzeit öffentlich gehandelten Prozentsätze sinken. Infolge künftiger Änderungen des Einkommensteuertarifs zugunsten der Aktiven wie auch des - im Zusammenhang mit dem noch ausstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Besteuerung von Renten und Pensionen - zu erwartenden Überganges zur nachgelagerten Besteuerung (Steuerfreistellung der Beiträge/Prämien, dafür Besteuerung der späteren Renten/Leistungen) droht das Standardrentenniveau sogar noch unter das heutige Sicherungsniveau bei kurzfristiger Arbeitslosigkeit zu sinken.


Teilweise aufgefangen werden soll dieser massive Leistungsabbau durch den freiwilligen - de facto aber erzwungenen - Aufbau einer alleine von ArbeitnehmerInnen zu finanzierenden privaten Altersvorsorge mit einem (förderfähigen) auf 4% des Bruttoentgelts steigenden Prämiensatz. Ab dem Jahre 2008 sollen die ArbeitnehmerInnen demzufolge dauerhaft einen um 4 Prozentpunkte höheren Vorsorgeanteil aufbringen als ihre Arbeitgeber; im Jahre 2030 betrüge ihr Anteil insgesamt 15% während der Arbeitgeberanteil bei nur 11% läge (vgl. Schaubild 1). Die paritätische Finanzierung einer lebensstandardsichernden Invaliditäts- und Alterssicherung gehört dem Koalitionskonzept zufolge vom kommendem Jahr an endgültig der Vergangenheit an. Und da die soziale Rentenversicherung nicht eine unter vielen Sozialversicherungen ist, sondern das Kernelement des bundesdeutschen Sozialstaats bildet, wird das, was hier zu Grabe getragen wird, auch in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung perspektivisch nicht mehr zu halten sein.

Es ist ein bitterer Treppenwitz der Geschichte, dass die im Kampf des kaiserlichen Obrigkeitsstaates gegen die alte Sozialdemokratie geborenen Strukturprinzipien der Sozialverfassung von der neuen Sozialdemokratie abgeschafft werden soll, ohne dass die Gewerkschaften in ihrer Mehrheit den Willen und die Kraft aufbringen, diesem Systemwechsel entschlossen Paroli zu bieten.

Auch die geplante staatliche Förderung der Aufwendungen für die private Altersvorsorge kann diese Kritik am Bruch der paritätischen Finanzierung nicht mindern. Denn die hierfür erforderlichen Aufwendungen werden rund 20 Mrd. DM an öffentlichen Mitteln kosten. Angesichts der vorherrschenden, völlig irrationalen Sparpolitik wird dies dazu führen, dass die Bundesregierung an anderer Stelle - und dies betrifft in erster Linie den sozialen Bereich - Ausgaben in gleicher Höhe streicht.

2. Erfundene Sachzwänge: die Begründungen

Die offizielle Begründung der Bundesregierung für ihr Rentenkonzept beruht auf einer unstrittigen Tatsache und einer unzutreffenden Behauptung.

Die unstrittige Tatsache ist, daß die Zahl der alten Menschen im Vergleich zu den Erwerbstätigen langfristig zunimmt. Gründe hierfür sind die demographische Entwicklung und die erfreulich steigende Lebenserwartung. Ohne signifikante Änderungen bei der Zuwanderung als Folge einer veränderten Einwanderungspolitik und der Geburtenhäufigkeit als Folge einer anderen Familiepolitik würde nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes das Verhältnis von Personen im Rentenalter (60 und älter) zu Personen im Erwerbsalter (20-59 Jahre) von heute 40:100 auf 46:100 im Jahr 2010 und 70:100 im Jahr 2030 steigen.

Die unzutreffende Behauptung ist, daß eine Steigerung der Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung über das Niveau von 11% hinaus nicht weiter möglich ist.

- Erstens ist es absolut unerfindlich, und es überschreitet die Grenze zur Absurdität, weshalb die Bundesregierung gerade bei 11% die unüberschreitbare Grenze zieht, die im Jahre 2030 erreicht werden soll. Warum nicht die heutigen 9,65%, oder 10% - oder 12%? Letztere würden dem Rechentableau der Bundesregierung und des Verbandes der Rentenversicherungsträger (VDR) zufolge ausreichen, um die Renten im Jahre 2030 auf dem Niveau zu sichern, das sie ohne die geplante Reform, also unter den heutigen Bedingungen erreichen würden. Allerdings ist dieses Niveau schon durch die Kürzungen im Rahmen des Eichelschen Sparpaketes (Haushaltssanierungsgesetz) auf ungefähr 69% ab dem Jahre 2002 gesunken.

- Zweitens ist nicht einsichtig, weshalb nicht wie bislang eine verteilungsneutrale paritätische Finanzierung der steigenden Kosten für die Alterssicherung möglich sein soll, sondern stattdessen eine Umverteilungskomponente zugunsten der Unternehmen und zu Lasten der ArbeitnehmerInnen eingeführt werden soll. Weshalb ist für Unternehmen nicht möglich, was für ArbeitnehmerInnen ohne weiteres unterstellt wird? Die Antwort ist nicht bei Sachzwängen zu suchen, sondern in den Interessen der Unternehmen und in ihrer Regierungsnähe, die ihnen erlaubt, ihre Interessen umzusetzen.

- Drittens zeigt eine einfache Rechung die Haltlosigkeit der Regierungsposition: Bei einem jahresdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum um 2,5% vom Jahren 2001 bis zum Jahre 2030 würde das Nationaleinkommen um den Faktor 2,1 steigen. Wenn - Verteilungsneutralität unterstellt - der Rentenversicherungsbeitrag der Arbeitgeberseite in der gleichen Zeit von jetzt 9,65% auf 12% steigen würde, verminderte sich der hierdurch verursachte Anstieg des Realeinkommens auf den Faktor 2,04, also insgesamt um einen guten halben Prozentpunkt. Wo liegt also das Problem? (Wenn das jahresdurchschnittliche Wirtschaftswachstum nur 2% beträgt, liegt der Steigerungsfaktor für die gesamte Bruttozunahme des Nationaleinkommens bei 1,811. Er vermindert sich durch den Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge auf 1,764, also um einen knappen halben Prozentpunkt). Die paritätische Finanzierung eines steigenden Rentenversicherungsbeitrages stellt ökonomisch kein Problem dar. Umso erstaunlicher ist es, dass die von der interessierten Unternehmerseite verbreitete Behauptung, es handele sich um ein ökonomisches Problem, das eine grundsätzliche Abkehr von der paritätischen Rentenfinanzierung erfordere, nicht nur von der Bundesregierung zum Ausgangspunkt ihrer "Reform"pläne gemacht, sondern auch von der überwiegenden Teil der Medien und der Öffentlichkeit kritiklos akzeptiert wird.

- Viertens: Wenn die Bundesregierung den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bis zum Jahre 2025 von heute 6,5% auf 2,0% senken will (wie sie im letztjährigen Rentenversicherungsbericht selbst in Aussicht stellt) bedeutet dies eine Entlastung der Arbeitgeberseite um 2,25%. Selbst bei einer Steigerung des Beitrags zur Rentenversicherung von 11% auf 12% würde sich eine Entlastung bei den Beitragssätzen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung zusammen ergeben - und das paritätische System bliebe erhalten. Es könnte allerdings sein, daß die Bundesregierung selbst nicht an den Rückgang der Arbeitslosigkeit glaubt - nicht zuletzt deshalb nicht, weil sie ja auch nichts dafür tut.

- Fünftens schließlich läßt sich die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Ausdehnung der Beitragspflicht auf alle Erwerbspersonen bei gleichzeitiger Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze verbessern.

Die Begründungen für den Ausstieg aus dem System der solidarischen Alterssicherung sind allesamt sachlich falsch und täuschen Sachzwänge nur vor. Sie speisen sich nach dem eigenen Selbstverständnis der sozialdemokratischen und grünen Akteure - aus einer dem Zeitgeist folgenden Modernisierungsideologie, die sich selbst mit dem Hauch der individuellen Dynamik überzieht und sich gerne im Zentrum der "New Economy" sieht. Letztlich ist diese Begründung der Demontage staatlich geschützter sozialer Sicherung im Alter durch die neoklassisch-liberalistische Marktideologie geprägt: Der Schutz vor sozialen Altersrisiken sei nicht Angelegenheit des Staates, sondern müsse von den Individuen in Eigenverantwortung übernommen werden. Dabei übersieht diese Deregulierungsstrategie, dass Einkommensschwache und Arbeitslose nicht in der Lage sind, auf privater Basis kontinuierlich genügend Mittel für die Finanzierung ihrer Privat-Renten aufzubringen. Aber auch bei gut und hoch Verdienenden ist gerade in den ersten Jahren des Erwerbslebens nicht gewiss, ob sie so vorausschauend handeln, dass sie heute genug für die viel später genutzte Alterssicherung sparen. Beides zusammen begründet die Notwendigkeit, die Altersvorsorge innerhalb eines gesetzlichen Sicherungssystems verbindlich zu verankern.

3. Die Verlierer

Die Verlierer der rot-grünen 'Rentenreform 2000' sind Jung und Alt. Den Planungen zufolge soll das sog. Bestandsrentenniveau (ohne Wirkung des leistungsmindernd wirkenden sog. "Ausgleichsfaktors") langfristig bei rund 68,5% liegen; das Zugangsrentenniveau (mit voller Wirkung des sog. "Ausgleichsfaktors", also für Rentenzugänge ab dem Jahre 2011) wird dagegen auf rund 64,5% für die Rentenneuzugänge ab 2030 sinken. Die infolge der rot-grünen Niveausenkung entstehende Sicherungslücke soll durch private Vorsorge geschlossen werden. Denn wer als Durchschnittsverdiener kontinuierlich den unterstellten Vorsorgebeitrag entrichtet, könne - so Rot-Grün - bei einer unterstellten (!) Durchschnittsrendite von 4,0% p.a. als Neurentner des Jahres 2030 mit einer Bruttokapitalrente von monatlich 560,74 DM rechnen. Zwar muss dann die Hälfte dieses Betrages, nämlich 285,31 DM, dazu verwendet werden, die Kürzung der gesetzlichen Rente durch den "Ausgleichsfaktor" wett zu machen - insgesamt aber käme unser Standardrentner hiernach auf ein Versorgungsniveau aus gesetzlicher (64,5%) und privater (8,1%) Rente von 72,6%. Mit der "Garantie" eines Gesamtversorgungsniveaus von über 70% glaubt die Koalition, die "Attraktivität" ihres Vorhabens belegen zu können. "Die Leistungen aus gesetzlicher Rente und kapitalgedeckter Zusatzvorsorge werden langfristig deutlich über dem heutigen Niveau liegen. Das ist der entscheidende Punkt unserer Reformüberlegungen." (BMA)

An dieser Aussage stimmt allerdings rein gar nichts. Denn durch rechnerische Manipulation (der freiwillige Privatvorsorgebeitrag wird rechnerisch vom gesamtwirtschaftlichen Nettolohn abgezogen) wird das rot-grüne Rentenniveau ab dem Jahre 2008 durchweg um rund 3,5 Prozentpunkte zu hoch ausgewiesen. Das Bestandsrentenniveau beträgt im Jahre 2030 demnach nicht 68,5%, sondern nur noch rund 65%, und als Zugangsrentenniveau werden nicht 64,5%, sondern nur rund 61% erreicht - Werte, die im übrigen vom VDR bestätigt werden. Das aber bedeutet für viele ArbeitnehmerInnen Rente auf oder nahe am Sozialhilfeniveau. Schon heute muss ein Versicherter, der nur 75% des Durchschnitts verdient (das sind derzeit im Westen knapp 41.000 DM im Jahr), mehr als 35 Jahre Beiträge gezahlt haben, um mit seiner Rente lediglich das Sozialhilfeniveau zu erreichen. Bei einem auf 64,5% abgesenkten Rentenniveau wären (nach heutigen Werten) bereits fast 39 Beitragsjahre erforderlich - und bei einem Niveau von 61% sogar 41 Jahre. Wenn aber selbst eine erwerbslebenslange Beitragszahlung keine Rente mehr deutlich oberhalb der Sozialhilfe garantiert, dann verliert die soziale Rentenversicherung jegliche Akzeptanz und Legitimation - ohne weiteres Zutun würde sie politisch in sich zusammen brechen.

Im Ergebnis verspricht Rot-Grün dem Standardrentner des Jahres 2030 ein Gesamtversorgungsniveau aus gesetzlicher plus privater Rente, das bei "ehrlicher" - nämlich mit den heutigen Werten vergleichbarer - Berechnung nicht einmal das derzeitige Niveau erreicht, das heute alleine die gesetzliche Rente gewährt. Dafür aber sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen dauerhaft deutlich höheren Gesamtvorsorgebeitrag zahlen als sie zu zahlen hätten, wenn an der paritätischen Finanzierung und dem heutigen Rentenniveau festgehalten würde.

Alt und Jung würden nach den vorliegenden Daten mit dem bestehenden System - also bei Festhalten an der paritätisch finanzierten, solidarischen Rentenversicherung mit einem über die kommenden rund 30 Jahre auf 24% steigenden Beitragssatz - besser fahren als nach Riesters "Reform"-Vorschlag. Rot-Grün errechnet für den heute 35jährigen Durchschnittsverdiener, der im Jahre 2030 mit 65 Jahren verrentet wird und bisher keinerlei Privatvorsorge betreibt, eine Bruttogesamtversorgung aus gesetzlicher Standardrente plus privater Kapitalrente von monatlich 5.030,58 DM. Dafür müsste er in den noch vor ihm liegenden drei Jahrzehnten etwa 340.000 DM an Vorsorgebeiträgen aufwenden. Unter Aufrechterhaltung der paritätischen Finanzierung und eines "ehrlich" berechneten Nettorentenniveaus von rund 69% ab dem Jahre 2002 erhielte er dagegen - bei gleichen Annahmen zur künftigen ökonomischen und demographischen Entwicklung - alleine aus der sozialen Rentenversicherung einen monatlichen Bruttobetrag von 4.950,00 DM. Hierfür müsste er den Rest seines Erwerbslebens insgesamt noch rund 260.000 DM an Arbeitnehmerbeiträgen aufbringen. Für eine monatlich um 80,58 DM höhere Bruttoversorgung hätte der heute 35-Jährige also eine um rund 80.000 DM höhere Belastung zu verkraften. Die monatliche Beitragsbelastung eines Durchschnittsverdieners zur Altersvorsorge läge den rot-grünen Planungen zufolge bereits ab dem Jahre 2006 - also ein Vierteljahrhundert früher - oberhalb des Betrages von 12%, den sie in der sozialen Rentenversicherung unter Beibehaltung der paritätischen Finanzierung und eines Rentenniveaus von rund 69% erst im Jahre 2030 erreichen würde. Spätestens hier zeigt sich der wahre Charakter der vermeintlich zusätzlichen privaten Vorsorge unter Rot-Grün: Nicht Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern - weil alleine von den ArbeitnehmerInnen finanziert - teurer Teilersatz für bislang paritätisch finanzierte und künftig drastisch gekürzte Leistungen aus der gesetzlich-sozialen Sicherung.

Teilersatz auch deshalb, weil von den Regierungsparteien und vom federführenden Bundesarbeitsministerium zudem vertuscht wird, dass die rot-grüne Privatvorsorge einzig und allein zur Absicherung des Langlebigkeitsrisiko gedacht ist. Die gesetzliche Rentenversicherung sichert demgegenüber nicht nur das Einkommensrisiko im Alter ab - sie gewährt sozialen Schutz bei Invalidität und im Hinterbliebenenfall. Sie trägt den hälftigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag und gewährt Rehabilitationsleistungen. Zeiten der Arbeitslosigkeit und Krankheit, der Kindererziehung und der ehrenamtlichen Pflege finden im Gegensatz zur Privatversicherung rentenrechtlich Anerkennung. Der soziale Schutz der Rentenversicherung ist zudem weitgehend unabhängig vom Ausmaß des individuellen Risikos - also etwa dem Geschlecht, dem Eintrittsalter in die Versicherung, eventueller Vorerkrankungen oder der Zahl der Familienmitglieder bzw. dem Familienstand. Alleine schon aus diesem Grunde verbieten sich plumpe "Renditevergleiche" zwischen sozialer Rentenversicherung und privater Vorsorge. Vor allem das Risiko einer frühzeitigen Erwerbsunfähigkeit wird unabhängig von Vorerkrankungen oder vom Alter in einem Umfang abgesichert, den zu diesen Konditionen keine Privatversicherung anbieten könnte. Denn Privatvorsorge kennt nicht nur keine Parität bei der Finanzierung, sondern auch keinen Solidarausgleich bei den Leistungen. Deshalb zählt auch das Solidarprinzip zu den Verlierern der "Rentenreform 2000".

4. Die Gewinner

Gewinner der geplanten Rentenreform wären zum einen die Arbeitgeber insgesamt. Sie profitieren unmittelbar von der Beitragsentlastung: Im Jahre 2030 läge ihr Beitrag zur Rentenversicherung ihrer ArbeitnehmerInnen nicht bei 12% sondern bei 11%. Auf der Grundlage der Brutto-Arbeitnehmerentgelte (einschl. Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung) des Jahres 1999 (2,04 Billionen DM) entspricht dieser Prozentpunkt einem Betrag von 20 Mrd. DM. Dieser Betrag, der mit steigendem Sozialprodukt bis zum Jahre 2030 auf mindestens das Doppelte steigen wird, erhöht im Vergleich zum alten System unmittelbar die Nettogewinne der Arbeitgeberseite. Zu unterstellen, die eingesparten Rentenbeiträge würden in Form höherer Realeinkommen an die Arbeitnehmer weitergegeben, geht völlig an der Realität vorbei.

Die geplante Rentenreform würde massiv dazu beitragen, daß sich die Umverteilung des Sozialproduktes zugunsten der Gewinne und zu Lasten der Löhne und Gehälter fortsetzt, die seit Beginn der 80er Jahre das Bild der Verteilung von Einkommen und Vermögen bestimmt. In der Zeit von 1980 bis 1999 sind die Nettogewinne real 20 mal stärker (nämlich um 84,4%) gestiegen als die Nettolöhne und -gehälter (4,3%) (vgl. Schaubild 2). Die Abschaffung der Vermögensteuer im Jahre 1997 durch die alte Bundesregierung hatte diesen Trend noch verstärkt und ist von der neuen Bundesregierung entgegen ihren Wahlversprechen nicht zurückgenommen worden. Im Gegenteil, neue Steuergeschenke für die Wirtschaft kamen hinzu. Dazu zählen die Steuerbefreiung von Gewinnen beim Verkauf inländischer Kapitalbeteiligungen und die Halbierung der Besteuerung von Spekulationsgewinnen. Insgesamt sind den Großkonzernen und Spekulanten hierdurch Geschenke in mindestens zweistelliger Milliardenhöhe gemacht worden.

Die Arbeitgeber insgesamt wären auch in einem weitergehenden Sinn die Gewinner der Rentenreform: Nach dem ersten, noch halb verdeckten Anlauf bei der Pflegeversicherung (bei der die Arbeitgeberseite ihren Beitragsanteil in Form eines zusätzlichen unbezahlten Arbeitstages zurückerstattet bekam) würde die Rentenreform in der geplanten Form den entscheidenden Durchbruch bei dem jahrzehntealten Versuch darstellen, die paritätische Finanzierung der Sozialversicherung insgesamt "auf den Prüfstand zu stellen", was nichts anderes meint, als sie abzuschaffen. Dies hätte weitreichende Folgen für den Zusammenhalt und Konsens in der Gesellschaft.

In doppeltem Sinne Gewinner wäre aber zum anderen der Finanzsektor, hier in erster Linie die großen Versicherungskonzerne und Kapitalanlagegesellschaften, die sich im Besitz weniger Großbanken und Bankengruppen befinden. Sie sollen in den nächsten Jahren dreistellige Milliardensummen als zusätzliches Anlagekapital für ihr Agieren auf den Finanzmärkten erhalten. Der allein im Laufe der nächsten 10 Jahre durch den schrittweisen Anstieg der privaten Vorsorge aufgebaute Kapitalstock wird sich - wenn er tatsächlich durch zusätzliche private Kapitalbildung erfolgt und wenn die Arbeitsentgelte um nominal 2,5% jährlich steigen - im Jahre 2010 auf über 600 Mrd. DM belaufen. Damit wird die Position der deutschen institutionellen Anleger - vor allem der Versicherungskonzerne, aber auch anderer Pensionsfonds im Besitz von Finanzkonzernen - auf den internationalen Finanzmärkten weiter gestärkt. Da sie nach der jüngsten Weisung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen ihren Versicherten nur eine Mindestrendite von 3,25% garantieren müssen - schon insofern ist die bei den Rentenplänen unterstellte 4-prozentige Verzinsung bemerkenswert leichtsinnig -, winken ihnen lukrative Geschäfte und Profite - wenn die Finanzmärkte sich positiv entwickeln. Falls nicht, werden sie sich zunächst bei den Versicherten schadlos halten können. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Versicherungen und Kapitalanlagegesellschaften der Großbanken zu den aktivsten Befürwortern und Propagandisten der geplanten Rentenreform gehören. Gleichzeitig wehren sie sich massiv gegen die bislang noch von der Koalition geplante gesetzliche Anforderung, mindestens die Höhe der eingezahlten Prämien als spätere Leistung zu garantieren.

5. Volkswirtschaftliche Folgen

Die volkswirtschaftlich schädlichen Folgen der geplanten Rentenreform werden sich in vier Bereichen bemerkbar machen:

Zum ersten führt die mit der Reform verbundene weitere Umverteilung des Volkseinkommens zugunsten der Gewinne und zu Lasten der Nettolöhne und -gehälter zu einer weiteren Abschwächung der binnenwirtschaftlichen und damit der gesamtwirtschaftlichen Dynamik. Dies ist die Lehre der letzten 20 Jahre: die massive Umverteilung hat nicht zu einer Kräftigung sondern zur Abnahme des Wirtschaftswachstums, nicht zu mehr Beschäftigung, sondern zu mehr Arbeitslosigkeit geführt. Denn die Schwäche des privaten Verbrauchs als Hauptbestandteil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kann nur zeitweise, nicht aber auf Dauer durch steigende Außenhandelsüberschüsse kompensiert werden (ganz abgesehen von den weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten, die hohe Leistungsbilanzüberschüsse hervorrufen, denen ja auf der anderen Seite hohe Leistungsbilanzdefizite und entsprechende Verschuldung anderer Länder entsprechen müssen).

Zweitens wird die Finanzierung der kapitalgedeckten Altersvorsorge aus den ohnehin schon schwach steigenden oder stagnierenden Bruttolöhnen und -gehältern (soweit sie nicht bloße Umschichtungen von ohnehin laufenden Ersparnissen, sondern zusätzliche Sparleistungen darstellen) die private Konsumnachfrage weiter schwächen und so einen zusätzlichen Impuls zur Vernichtung von Arbeitsplätzen geben. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die angesammelten Beiträge von den Versicherungen in voller Höhe in produktive und arbeitsplatzschaffende Investitionen gelenkt werden. Gegenüber der Kapitaldeckung ist eine komplette Umlagefinanzierung gesamtwirtschaftlich überlegen. Sie sorgt dafür, dass dem unmittelbaren Konsum entzogene Rentenversicherungsbeiträge in derselben Periode über die Rentenzahlungen in die Konsumausgaben zurückfliessen.

Drittens wird der steigende Einfluß der Finanzkonzerne, an die die Vorsorgeleistungen fließen, einen außerordentlich problematischen Einfluß auf die Unternehmensführung von Kapitalgesellschaften und die Wirtschaftspolitik haben.

- Die Geschäftsleitungen großer Unternehmen werden unter dem Druck der Finanzanleger, die ihrerseits nur die Rendite der SparerInnen maximieren wollen, ihre Energie vor allem und ausschließlich auf die Steigerung des Aktienkurses und der Rendite ihres Unternehmens, den shareholder value, richten und alle Elemente sozialpartnerschaftlicher, regionalpolitischer oder kultureller Art zurückdrängen.

- Die Wirtschafts- und Sozialpolitik wird ihrerseits durch die Finanzkonzerne in noch höherem Maße als bisher erpreßbar: Mit der Drohung, das angesammelte Kapital abzuziehen und anderweitig anzulegen, wird sie veranlaßt, unter der Parole, den "Finanzplatz Deutschland zu stärken", den Forderungen und Interessen der Finanzkonzerne nachzukommen. Das Finanzmarktförderungsgesetz von 1998 sowie die Steuerreform sind markante aber keineswegs die einzigen Meilensteine dieser Ausrichtung. Auch hier steht am Ende neue Umverteilung und neue Macht der Konzerne.

Dies alles führt jedoch - viertens - nicht zur Perspektive einer zwar finanzmarktgetriebenen, sich aber immerhin dynamisch entwickelnden new economy mit hohen Wachstumsraten und letztlich doch wieder steigender Beschäftigung und höheren Realeinkommen. Diese Perspektive, die sich aus der Übertragung der amerikanischen Entwicklung auf Europa und Deutschland speist, ist ein Wunschbild, weil sie die einzigartige und nicht wiederholbare weltwirtschaftliche Position des US-Dollars verkennt, der seit Jahren trotz Rekordverschuldung der USA als Fluchtwährung und sicherer Hafen für die Finanzanleger aus den verschiedenen Krisenregionen der Welt dient. Für den Rest der Welt ist die Aussicht ganz anders: Die Euphorie über den amerikanischen Boom lässt leicht die Fragilität und das hohe Risiko der Finanzmärkte in den sonstigen Teilen der Welt sowie die katastrophalen Folgen von Finanzkrisen für die betroffenen Länder vergessen. Immerhin hat es in den 90er Jahren in schneller Abfolge große Erschütterungen und Krisen auf den Finanzmärkten gegeben, auch in Europa (EWS-Krise 1992/93). Die Tatsache, daß die jüngsten Finanzkrisen in Asien und Lateinamerika kaum auf die Industrieländer übergegriffen haben, bedeutet in keiner Weise, daß sie dies auch in Zukunft nicht tun werden. Gegenüber derartigen Krisen gibt es bei liberalisierten und weitgehend deregulierten Finanzmärkten keinen sicheren Schutz, auch nicht für gesetzlich besonders regulierte Altersvorsorgevermögen. Wenn eine ernsthafte Finanzkrise ausbricht, werden auch sie in ihren Strudel hinein gerissen und massiv entwertet. Das aber wäre eine wirkliche Katastrophe - nicht nur für Millionen von RentnerInnen und Rentnern.

6. Alternativen

1. Wir plädieren für die Beibehaltung des bisherigen Systems der paritätischen Finanzierung und der Sicherung des bisherigen Rentenniveaus von rund 70% durch die gesetzliche Rentenversicherung. Dies erfordert eine Korrektur der Einschnitte, die durch das Haushaltssanierungsgesetz von 1999 bereits vorgenommen wurden. Die Entwicklung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung soll so gestaltet werden, dass das Rentenniveau gesichert wird. Auf der Grundlage der Berechnungen der Bundesregierung müssten die Beiträge hierzu - sofern nicht durch Zuwanderung und eine kinderfreundlichere Politik gegengesteuert wird - bis zum Jahre 2030 auf 26% erhöht werden. Diese müssen hälftig von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite getragen werden. Gegen diese Art der Finanzierung gibt es weder einen stichhaltigen ökonomischen noch einen gesellschaftlich akzeptablen Grund.

2. Wir fordern die Einbeziehung der Beamten und Selbständigen in die Rentenversicherungspflicht und eine gleichzeitige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Dies würde die Finanzierungsbasis für die gesetzliche Rentenversicherung deutlich verbessern und bei intelligentem timing der erstmals vollen Einbeziehung dieser Personenkreise - trotz später entsprechend höherer Leistungsausgaben - dazu beitragen, den "demographischen Belastungs-Buckel" zu glätten.

3. Wir fordern, daß die Bundesregierung endlich eine aktive Beschäftigungspolitik betreibt und die Hoffnung aufgibt, dass der gegenwärtige Konjunkturaufschwung das Problem der Massenarbeitslosigkeit lösen wird. Der aktuelle Aufschwung ist nach wie vor nicht von der binnenwirtschaftlichen Nachfrage, sondern vom Export getragen und daher sehr instabil. Eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik, die in den nächsten 10 Jahren zur Vollbeschäftigung führt, würde es möglich machen, das bestehende System der gesetzlichen Rentenversicherung auch angesichts der Verschiebungen in der Altersstruktur beizubehalten, ohne die Beiträge zu erhöhen.

Eine aktive Beschäftigungspolitik muss unter Berücksichtigung ökologischer Ziele die öffentlichen Ausgaben erhöhen und dadurch die binnenwirtschaftliche Nachfrage kräftigen. In dieses Maßnahmepaket gehört auch die Ausdehnung öffentlich geförderter Beschäftigung sowie der staatlichen Infrastrukturausgaben. Die Einnahmen aus der Ökosteuer sollten nicht für die Finanzierung der Rentenversicherung, sondern für ökologische Projekte zugunsten des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs sowie zur Effizienzsteigerung und Einsparungen im Energiebereich genutzt werden. Die Beschäftigungswirkung einer für Infrastrukturausgaben verwendeten Ökosteuer ist im Vergleich zu den behaupteten Arbeitsplätzen infolge sinkender Lohnnebenkosten absolut überlegen. Zu einer umfassenden Beschäftigungspolitik gehört auch die Arbeitszeitverkürzung und tariflich und sozialpolitisch abgesicherte Modelle der Altersteilzeit. Eine solche überfällige Wende in der Wirtschaftspolitik wird zu einer dauerhaften Zunahme der Beschäftigung führen. Dadurch steigen die Beitragseinnahmen der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherung. Gleichzeitig würde der Rückgang bei der Inanspruchnahme von Arbeitslosenunterstützung es ermöglichen, die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung zu senken.

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Postfach 33 04 47, 28334 Bremen

email: memorandum@t-online.de http://www.barkhof.uni-bremen.de/kua/memo

1 Dies sind allerdings außerordentlich irreführende Zahlen. Sie verdecken, daß - gemessen an den zur Zeit gültigen Berechnungsmethoden - der Rentenverlust noch sehr viel größer ist; vgl. dazu unter Punkt 3.