Die neuen Dienstleistungsberufe und der Sozialstaat

Es ist üblich zwar geworden, aus dem Zukunftsbild einer neuen Dienstleistungsgesellschaft den Zusammenbruch des herkömmlichen sozialen Sicherungssystems abzuleiten. Aber es ist eine differenzierte B

Dipl. Volkswirt Dr. phil. Thomas Ebert, geb. 1941, war von 1973 bis 1998 Referent der SPD-Bundestagsfraktion und von November 1998 bis Mai 2000 Abteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, lebt in Bonn.

Es ist üblich zwar geworden, aus dem Zukunftsbild einer neuen Dienstleistungsgesellschaft den Zusammenbruch des herkömmlichen sozialen Sicherungssystems abzuleiten. Aber es ist eine differenzierte Betrachtungsweise angebracht, denn der Begriff der "neuen Dienstleistungsberufe" ist diffus, die empirischen Befunde sind nicht eindeutig und die Zusammenhänge zwischen den (tatsächlich oder mutmaßlich) sich ausbreitenden neuen Dienstleistungsberufen und dem sozialen Sicherungssystem sind komplex.

Was sind "neue Dienstleistungen"?

In diesem unscharfen Begriff spiegelt sich die allgemeine Erwartung, dass die neuen Arbeitsplätze, die beim Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungswirtschaft entstehen, nicht mehr in das Schema des traditionellen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses passen werden. Entscheidend ist also weniger das Neuartige der beruflichen Inhalte als vielmehr, dass sie sich dem Sozialversicherungsschutz entziehen, weil es sich teils um echte selbstständige Tätigkeit handelt, teils um zwar abhängige, aber sozial ungeschützte Arbeitnehmerbeschäftigung.

Die Empirie gibt allerdings nach den bisherigen Befunden keinen Anlass zur Dramatisierung. Jedenfalls ist die gängige These von "Ende des Normalarbeitsverhältnisses" bei weitem überzogen. Die Zahl der sozialversicherten Arbeitsverhältnisse ist in Deutschland (alte Länder) heute nicht niedriger, sondern deutlich höher als vor 20 Jahren. Mit den Anti-Missbrauchsgesetzen der rotgrünen Bundesregierung ist, so weit die ersten Erfahrungen zeigen, die explosionsartige Ausbreitung von geringfügiger Beschäftigung und Scheinselbstständigkeit gebremst. Der Anteil der Selbstständigen an den Erwerbstätigen ist in Deutschland nach wie vor nicht höher als knapp 4%.

Gleichwohl ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei Fortsetzung der derzeit erkennbaren Trends die Expansion der neuen Dienstleistungsberufe zu einem Problem für den Sozialstaat werden könnte, die diesen zwar nicht grundsätzlich in Frage stellt, aber doch neue politische Antworten erfordert.

Versuch einer Typologie der "neuen Dienstleistungen"

Die "neuen Dienstleistungen" sind kein einheitliches Phänomen. Die auf Zeit und auf Honorarbasis für ein Unternehmen arbeitende EDV-Expertin, der Eismann-Verkaufsfahrer, der selbständige Konstrukteur und die aus dem Stammbetrieb "outgesourcte" Buchhalterin, haben außer der Tatsache, dass sie nicht sozialversichert sind, wenig gemeinsam und sind nicht über einen Leisten zu schlagen.

Zur Systematisierung ist es zweckmäßig, die "neuen Dienstleistungen" nach zwei Dimensionen zu differenzieren, nämlich nach der Qualifikation der Tätigkeit und nach dem Grad der Exponiertheit gegenüber dem internationalen Wettbewerb. Man kommt dann zu einer Typologie der "neuen Dienstleistungen", die es erlaubt, auch die Folgeprobleme, die sich für das soziale Sicherungssystem ergeben, differenziert darzustellen:

- Typ A: Gering qualifiziert und nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt (einfache Dienstleistungen z.B. in Handel, Verkehr, Reinigung, Privathaushalt usw.)

- Typ : Qualifiziert und nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt (vor allem personenbezogene Dienstleistungen wie z.B. Lehrer, Ärzte, Anwälte, Pflegeberufe, Erzieher, Betreuer, Journalisten, Teilbereiche der Kulturdienstleistungen)

- Typ : Qualifiziert und im internationalen Wettbewerb stehend (vor allem hochqualifizierte produktionsorientierte Wissensdienstleistungen wie z.B. Forschung, Entwicklung, Marketing, Design, Finanzdienstleistungen, IT- Dienstleistungen, Teilbereiche der Kulturdienstleistungen).

Dies ist natürlich nur ein grobes Raster, das auch nicht beansprucht, das gesamte Feld der "neuen Dienstleistungen" abzubilden. Selbstverständlich gibt es zwischen den einzelnen Typen auch Überschneidungen und Mischformen. So können z.B. gewisse personenenbezogenen Dienstleistung auch aus dem Ausland für den inländischen Verbrauch erbracht werden und demnach dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sein, während andererseits hochqualifizierte und produktionsorientierte Wissensdienstleistungen nicht unbegrenzt globalisierbar sind, sondern in bestimmtem Umfang immer der Nähe zum inländischen Markt bedürfen.

Wechselwirkungen zwischen Ausbreitung der neuen Dienstleistungen und Sozialsystem

Generell gibt es bei den neuen Dienstleistungen zwei parallele Trends, die zum gleichen Ergebnis führen, nämlich zur Auswanderung aus dem Sozialstaat: Einerseits der Lohnkostendruck und das Überangebot an Arbeitskräften bei den gering qualifizierten Dienstleistungen, andererseits der Innovations- und Flexibilitätsdruck bei den hochqualifizierten Dienstleistungen. Im übrigen aber sind die Zusammenhänge zwischen den neuen Dienstleistungsberufen und dem sozialen Sicherungssystem uneinheitlich. Dabei sind drei Teilaspekte gesondert zu beachten, nämlich der Finanzierungseffekt, der Sozialschutzaspekt und der Beschäftigungsaspekt.

Zunächst einmal schmälert die Ausbreitung der neuen Dienstleistungen die Finanzierungsbasis der Sozialversicherung, wenn sie sich in der Form von Selbstständigkeit oder nicht von der Sozialversicherungspflicht erfasster abhängiger Beschäftigung vollzieht. Das ergibt sich aus der Wirkungsweise des Umlageverfahrens und des Generationenausgleichs, die in der Rentenversicherung, aber auch im erheblichen Umfang in der Krankenversicherung stattfinden: Die Verringerung der Sozialversicherungspflichtquote (d.h. des Anteils der Sozialversicherungspflichtigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen) führt zu steigenden Beitragssätzen oder zu Leistungskürzungen. Denn in den jeweiligen Leistungsansprüchen an das System spiegelt sich die (höhere) Sozialversicherungspflichtquote der Vergangenheit, während die Finanzierbasis des System durch die gegenwärtige (niedrigere) Sozialversicherungspflichtquote bestimmt ist. Erst mit der Verzögerung von einer Generation führt die Senkung der Sozialversicherungspflichtquote dann auch auf der Leistungsseite zu Entlastungen, so dass sich das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben wieder auf dem alten Stand einpendelt.

Zweitens können sich Lücken im Sozialversicherungsschutz der Betroffenen in den neuen Dienstleistungsberufen ergeben, wenn sie selbstständig oder in ungeschützter Beschäftigung arbeiten.

Drittens aber setzt das Sozialsystem Rahmenbedingungen, das die Ausbreitung der Beschäftigung in den neuen Dienstleistungen hemmen oder fördern kann. Dieser Beschäftigungseffekt umfasst wieder zwei Teilaspekte, nämlich den Kostenaspekt und zum anderen den Nachfrageaspekt. Zum einen gehen die Sozialversicherungsbeiträge in die Lohnkosten ein und sind insofern ein Faktor (natürlich neben vielen anderen), der darüber bestimmt, in welchem Umfang Dienstleistungen rentabel angeboten werden können bzw. in welchem Umfang ein Anreiz besteht, diese Dienstleistungen unter Umgehung der Sozialversicherungspflicht auf den Markt zu bringen. Zum anderen wird ein wesentlicher Teil der Dienstleistungen über die Sozialversicherung finanziert (vor allem im Gesundheitswesen) oder aber direkt vom Staat produziert (im Bildungswesen); d.h. das Sozialsystem entscheidet wesentlich über die Nachfrage an Dienstleistungen.

Wichtig ist, dass die Beziehungen zwischen Dienstleistungsexpansion und Sozialstaat zum Teil differenziert zu sehen sind, je nach dem, um welche Kategorie von neuen Dienstleistungen es sich handelt: Während unter dem Finanzierungsaspekt alle 3 Typen ähnliche Effekte hervorrufen (d.h. die Expansion nicht sozialversicherungspflichtiger Dienstleistungsberufe verschlechtert für mehrere Jahrzehnte das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben), unterscheiden sich unter den beiden anderen Aspekten (Sozialschutzaspekt und Beschäftigungsaspekt) die 3 Typen erheblich.

Geringqualifizierte Dienstleistungen (Typ A)

Unter dem Sozialschutzaspekt ist klar, dass empfindliche Lücken im Sozialversicherungschutz auftreten, die auf lange Sicht die öffentlichen Kassen durch zusätzliche Sozialhilfeausgaben belasten, wenn sich gering qualifizierte Dienstleistungen in Form von nicht sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ausbreiten. Die neue rotgrüne Regierungskoalition hat versucht, dem durch die Neuregelung der Geringfügigkeitsgrenze einen Regel vorzuschieben; ob dies Erfolg hatte, wird sich erst weisen müssen.

Unter dem Beschäftigungsaspekt ist die Beurteilung bei den geringqualifizierten Dienstleistungen nicht so eindeutig. Es ist klar, dass die Sozialversicherungsbeiträge wegen der geringen Produktivität hier als gewichtiger Lohnkostenbestandteil besonders ins Gewicht fallen. Obwohl es kaum internationalen Wettbewerbsdruck gibt, sind die Lohnkosten nur schwer auf die Verbraucher abzuwälzen, denn die Nachfrage ist besonders preisempfindlich, weil gering qualifizierte Dienstleistungen der Konkurrenz von Schwarzarbeit und Eigenarbeit ausgesetzt sind. Daher kann bei den einfachen Dienstleistungen der Versuch, Lücken im Sozialschutz und negative Folgen für die Finanzierung der Sozialversicherung zu vermeiden, in Konflikt mit beschäftigungspolitischen Zielen geraten. Ob diese Grenze mit den Gesetzen des Jahres 1999 zur Geringfügigkeit und Scheinselbstständigkeit bereits erreicht oder überschritten worden ist, wird erst die Erfahrung zeigen.

Qualifizierte personenbezogene Dienstleistungen (Typ B)

Qualifizierten personenbezogene Dienstleistungen sind natürlich nicht neu, aber im Zusammenhang mit dem Wandel der Arbeitswelt von besonderem Interesse, weil hier ein besonderes dynamisches Entwicklungspotenzial für die künftige Dienstleistungsgesellschaft liegt. Es ist z.B. zu vermuten, dass in den Bereichen Gesundheit und Bildung tendenziell ein allmählich immer größer werdender Anteil des Sozialprodukts verwendet werden wird und auch verwendet werden muss.

Unter dem Beschäftigungsaspekt weisen die qualifizierten personenbezogenen Dienstleistungen zwei Besonderheiten auf: Zum einen ist die Nachfrage ist längst nicht so preisreagibel wie bei den einfachen Dienstleistungen, weil es keine Konkurrenz von Eigenarbeit gibt und es sich zum Teil auch -z.B. bei Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen - um superiore Güter handelt, die auch dann nachgefragt werden, wenn dafür Einschränkungen an anderer Stelle notwendig sind. Weil die Arbeitskosten leichter in den Preisen weiter gegeben werden können, spielen auch die Lohnnebenkosten durch etwaige Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber bei diesem Typ von Dienstleistung nicht eine so gravierende Rolle wie bei den gering qualifizierten Dienstleistungen.

Noch wichtiger ist, dass ein großer Teil dieser Dienstleistungen nur mit Hilfe der Sozialversicherung oder anderer staatlicher Institutionen nachgefragt werden kann (z.B. im Gesundheits-, Bildungs- oder Kulturbereich). Der Sozialstaat schafft also die Nachfragebedingungen für diesen Sektor, und der Trend zum Rückbau des Sozialstaates wirkt hier tendenziell als Expansionshemmnis für neue Tätigkeitsfelder.

Deshalb stellt sich hier der Zusammenhang zwischen der neuen Dienstleistungsgesellschaft und dem sozialen Sicherungssystem ganz anders als bei den gering qualifizierten Dienstleistungen. Während bei den einfachen Dienstleistungen eine negative Korrelation von Sozialstaat und Beschäftigung immerhin ernsthaft zu diskutieren ist, ist bei den personenbezogenen qualifizierten Dienstleistungen die Korrelation eher positiv.

Unter dem Sozialschutzapekt ist die Situation bei den qualifizierten personenbezogenen Dienstleistungen wie bei den Niedriglohndienstleistungen: Auch hier gibt es einen Trend zur Selbstständigkeit, vor allem im Kultur- und Medienbereich, aber auch bei nichtärztlichen Gesundheitsberufen. Zumindest teilweise liegen die Ursachen in der Sparpolitik der öffentlichen Hand und in der Verschärfung des Wettbewerbs im Mediensektor. Allerdings sind die nachteiligen Folgen des Trends zur Selbstständigkeit für die soziale Sicherung der betroffenen Erwerbstätigen nicht ganz so eindeutig wie bei den einfachen Dienstleistungen, weil es sich zum Teil um klassische freie Berufe mit berufsständischen Sicherungssystemen handelt und weil im Übrigen wegen der höheren Einkommen die private Vorsorgefähigkeit höher ist.

Hochqualifizierte Wissensdienstleistungen (Typ C)

Hier kann man wirklich von etwas Neuem sprechen, zwar nicht eigentlich dem Prinzip nach, aber im quantitativen Gewicht, das einem Qualitätssprung gleich kommt. Die dynamische Entwicklung dieses Sektors ergibt sich aus einer Reihe von Trends, wie z.B. aus der wachsenden Differenzierung und Flexibilisierung der Produktion, aus dem beschleunigten Innovationstempo, aus der Anwendung der neuen Informationstechniken, aus der Verschärfung des Wettbewerbs, aus der Liberalisierung der Finanzmärkte usw..

Die Besonderheiten dieser Dienstleistungen liegt darin, dass sie unter dem Druck ständig sich beschleunigender Innovationen von den Einzelnen ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und Flexibilität verlangen. Dazu kommt noch, dass sie der internationalen Konkurrenz ausgesetzt sind, d.h. in erheblichem Umfang auch vom Ausland aus erbracht und ins Ausland verlagert werden können. Damit sprengen die hochqualifizierten Wissensdienstleistungen tendenziell den Rahmen des abhängigen Arbeitsverhältnisses. Weisungsgebundenheit, Einordnung in Hierarchien und standardisierte Betriebsabläufe, unbefristete feste Anstellung und geregelte Arbeitszeit passen nicht in diese Arbeitslandschaft. Weder von den beruflichen Anforderungen her noch von der mentalen Befindlichkeit der betreffenden Erwerbstätigen lassen sich diese Dienstleistung, so könnte man zugespitzt sagen, auf Dauer noch im Rahmen des herkömmlichen Arbeitsverhältnisses und seines sozial- und arbeitsrechtlichen Regimes organisieren, Es ist jedenfalls zu prognostizieren, dass umso mehr mit einer Erosion der Sozialversicherungspflicht zu rechnen ist, je mehr dieser Sektor gesamtwirtschaftlich an Bedeutung gewinnen wird.

Die Finanzierungseffekte für die Sozialversicherung sind nicht anders als bei den beiden zuvor besprochenen Typen von Dienstleistungen. Unter dem Aspekt der möglichen Sicherungsdefizite ist jedoch eine etwas andere Betrachtungsweise angebracht, denn man kann angesichts der in diesem Sektor erzielten hohen Einkommen in aller Regel von ausreichender Fähigkeit und wohl auch Bereitschaft zu individueller Vorsorge ausgehen.

Was den Beschäftigungsaspekt betrifft, so ist die Frage, ob die Dienstleistungen dieses Typs mit Sozialversicherungsbeiträgen belastet werden oder nicht, unter dem Kostenaspekt angesichts der hohen Wertschöpfung in der Regel unerheblich. Die Hypothese, dass eine Sozialversicherungspflicht allein schon deshalb kontraproduktiv sei, weil sie als unangemessene Gängelung und Bürokratisierung empfunden würde, mag nicht völlig aus der Luft gegriffen sein, ist aber schwerlich zu belegen.

Gemeinsamkeiten und Differenzen - Schlussfolgerungen

Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass die Zusammenhänge zwischen der Expansion der Dienstleistung und dem sozialen Sicherungssystem komplex sind. Die folgende Übersicht fasst die verschiedenen Aspekte noch einmal - selbstverständlich stark vereinfacht - zusammen:

Typ A: Geringer qualifizierte einfache Dienstleistungen Typ B: Qualifizierte personenbezogene Dienstleistungen Typ C: Hochqualifizierte produktionsorientierte Wissensdienstleistungen
Finanzierungseffekt Negative Wirkung für Finanzierung der SV
Sozialschutzaspekt Sicherungsdefizite mit Sicherheit zu erwarten Sicherungsdefizite teilweise möglich Sicherungsdefizite unwahrscheinlich wegen ausreichender Eigenvorsorgefähigkeit
Beschäftigungsaspekt(Zusammenhang zwischen Sozialsystem und Entwicklung der Dienstleistungen) Eher negativer Zusammenhang: SV-Pflicht hemmt tendenziell die Beschäftigung (wegen der Belastung mit Lohnnebenkosten) Eher positiver Zusammenhang: Dienstleistungen werden zum Teil aus dem Sozialsystem finanziert Kein eindeutiger Zusammenhang: SV-Pflicht kostenmäßig unerheblich, trifft aber auf starke mentale Ablehnung

Angesichts der Vielgestaltigkeit der Phänomene ist eine konsistente politische Antwort schwierig, und es besteht die Gefahr, dass Maßnahmen, die für den einen Sektor sinnvoll sind, in einem anderen ungewollt kontraproduktive Wirkungen haben können.

Zusammenfassend müssten die politischen Überlegungen in folgende Richtung gehen:

1. Auch wenn man eine weitgehende Expansion neuer Dienstleistungsberufe erwartet, ist dies kein Anlass, das System der sozialen Sicherung generell in Frage zu stellen, weder in seiner Grundstruktur, noch in seinem Leistungsniveau. Allerdings sind einige wichtige Korrekturen notwendig.

2. Sinnvoll und notwendig ist die Einbeziehung aller Selbstständigen in die Sozialversicherung, besonders in die Rentenversicherung, um der Erosion der Finanzbasis vorzubeugen. Über die politischen Schwierigkeiten dieses Projektes sollte es nach den Erfahrungen mir dem Gesetz zur Scheinselbstständigkeit keine Illusionen mehr geben. Es empfehlen sich lange Übergangsfristen, d.h. es sollten nur Selbständige pflichtversichert werden, die beim Inkrafttreten der Reform unter 30 Jahre alt sind. Das ist auch zweckmäßig, damit die finanziellen Überschüssen, die in der Aufbauphase der Pflichtversicherung der Selbstständigen zwangsläufig entstehen, zeitlich gestreckt und auf eine längere Periode verteilt werden; auf diese Weise reicht die damit erzielbare Entlastungswirkung über den Höhepunkt der demografischen Belastung hinaus.

3. Wenn die Dienstleistungsberufe, gleich in welchem der aufgezeigten Varianten, weiter expandieren, dann werden größere Diskontinuitäten in den Erwerbsbiographien entstehen. Die richtige Antwort darauf ist der Einbau einer ergänzenden steuerfinanzierten und bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung in das Sozialversicherungssystem.

4. Die öffentliche und soziale Subventionierung gering qualifizierter Dienstleistungen sollte auf der politischen Tagesordnung bleiben. Ob dabei generelle Einkommenshilfen, Subventionierung von Sozialversicherungsbeiträgen oder gezielte und selektive Programme für spezielle Personengruppen oder Tätigkeitsfelder (z.B. Haushaltsdienstleistungen) vorzuziehen sind, kann hier nicht erörtert werden.

5. Der Zusammenhang zwischen der Entwicklung qualifizierter personenbezogener Dienstleistung (Typ B in der obigen Klassifikation) und dem Sozialsystem sollte stärker berücksichtigt werden. Es liegt auf der Hand, dass eine permanente Kostendämpfungs- und Sparpolitik im Gesundheits- und Bildungswesen arbeitsmarkt- und strukturpolitisch verfehlt sein muss. Andererseits kann ein expandierendes Gesundheits- und Bildungswesen auf die Dauer nicht ausschließlich über Sozialversicherungsbeiträge und Steuern finanziert werden, weil zusätzlicher Abgabenbelastungen nur begrenzt durchgesetzt werden können. Für die Zukunft der Dienstleistungsgesellschaft wird es deshalb entscheidend sein, ob es gelingt, eine sozial verträgliche Form der öffentlich-privaten Mischfinanzierung gefunden wird.

Marginalien:

1)

Die gängige These vom "Ende des Normalarbeitsverhältnisses ist bei weitem überzogen.

2)

Bei einfachen Dienstleistungen kann der Versuch, Lücken im Sozialschutz zu vermeiden in Konflikt mit beschäftigungspolitischen Zielen geraten.

3)

Qualifizierte personenbezogene Dienstleistungen haben ein besonders dynamisches Entwicklungspotenzial für die künftige Dienstleistungsgesellschaft.

4)

Die hochqualifizierten Wissensdientleistungen sprengen tendenziell den Rahmen des abhängigen Arbeitsverhältnisses.